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Italien: Der Zwist zwischen der Regierung Salvini-Di Maio und der EU

Zur Zeit gibt es erhebliche Meinungsverschiedenheiten zwischen der italienischen Regierung und der Europäischen Kommission. Die EU stellt dabei den italienischen Haushaltsentwurf in Frage und droht Italien mit einem Verfahren wegen Verstoss gegen europäische Vorschriften. Was auf den ersten Blick wie eine Auflehnung der italienischen Regierung gegen die drastischen neoliberalen Reformen der EU scheinen mag, ist in Wahrheit ein Konflikt zwischen verschiedenen Komponenten des italienischen und europäischen Kapitalismus, die jedoch alle im neoliberalen Rahmen der Durchsetzung der Kürzungspolitik bleiben.

von Franco Turigliatto*; aus aufbruch-salzburg.org

Die aktuelle Auseinandersetzung der italienischen Regierung mit der EU bezüglich des Haushaltsentwurfs Italiens ist keine Infragestellung des wirtschaftlichen Liberalismus oder der Logik des kapitalistischen Marktes: Der Konflikt betrifft die Art und Weise, wie der von den Arbeiter*innenklassen produzierte Reichtum auf die verschiedenen Sektoren der herrschenden Klasse, auf die kleine, mittlere und große Bourgeoisie verteilt werden soll. Diese Auseinandersetzung äußert sich auch politisch im Hinblick auf die bevorstehenden Europawahlen zwischen den traditionellen liberalen Kräften (Mitte-Rechts und Mitte-Links), die Europa seit Jahrzehnten regieren, und den rechtsgerichteten, nationalistischen und fremdenfeindlichen Kräften, die sich durch die soziale Krise verstärkt haben. Abgesehen von den verbalen Kontroversen suchen Brüssel und Rom noch immer nach einem Kompromiss, der es jedem ermöglicht, sein Gesicht zu wahren.

Kürzungspolitik

Der aktuell umstrittene Haushaltsentwurf erhöht das Defizit im italienischen Haushalt auf 2,4%, und damit über die bereits von Brüssel gewährte „finanzielle Flexibilität“ hinaus. Er bricht aber nicht mit der Kürzungspolitik (er bestätigt alle Maßnahmen der früheren Regierungen). Ja, die öffentlichen Ausgaben bleiben sogar niedriger als die Einnahmen, was zu einem Primärüberschuss von mehreren dutzend Milliarden Euro führt. Das Defizit erwächst nur aus dem Zwang die Schuldzinsen bezahlen zu müssen.

Was würden die Lohnabhängigen stattdessen brauchen? Dass die Unternehmen und die Reichen wirklich ihre Steuern bezahlen, dass die Ausgaben zur Verbesserung der Gesundheit, der Schulen usw. steigen, dass die Gegenreformen der Rentenkürzungen abgeschafft werden, dass es öffentliche Investitionen zur Schaffung von Millionen stabiler Arbeitsplätze gibt… Aber auch, dass man den „Job Act“, der das italienische Arbeitsrecht zerstört hat, abschafft; und dass man die Arbeitszeit ohne Lohnkürzung kürzt, um Arbeitsplätze zu schaffen.

Verarmen und spalten

Die rechte italienische Regierung sieht keine dieser Maßnahmen vor: Das durch die Erhöhung des Defizits „gesparte“ Geld wird verwendet, um die den Unternehmen gewährte Steuersenkung (40 Milliarden Euro in drei Jahren) aufrechtzuerhalten, um die 15%ige Abgeltungssteuer („flat tax“) für kleine und mittlere Arbeitgeber einzuführen und um den Steuerhinterziehern eine weitere Steuersenkung anzubieten.

Die gleichzeitig vorgesehene, sehr partielle Änderung der Rentengegenreform kann es einigen wenigen Sektoren der Lohnabhängigen ermöglichen, vor dem 67. Lebensjahr in den Ruhestand zu gehen. Aber sie wird von den Lohnabhängigen selbst bezahlt, indem eine Kürzung des Rentenbetrags um etwa 20 % vorgesehen ist.

Das „Staatsbürgerschaftseinkommen“ (Grundeinkommen) für diejenigen, die keine Ressourcen haben, erweist sich als eine einfache Almosengabe für die Armen, vorausgesetzt, sie akzeptieren jede Art von Arbeit und stehen zur Verfügung, um einen Teil Gratisarbeit zu leisten. Migrant*innen werden von dieser „Wohltätigkeit“ ausgeschlossen, um die Lohnabhängigen und die Arbeitslosen, die Italiener*innen und Migrant*innen noch weiter zu spalten.

Um die notwendigen Mittel für die Steuerreform aufzubringen, sind weitere Kürzungen bei den öffentlichen Ausgaben, Sozialdiensten, Schulen, Gesundheit, Migranten geplant.

Reaktionär und rassistisch

Die aktuelle italienische Regierung von Salvini und Di Maio ist die Regierung der großen und kleinen, reaktionären und rassistischen, antidemokratischen Bosse, die sich zur Zeit unter anderem darauf vorbereitet, die grundlegenden Errungenschaften der Frauen anzugreifen. Allerdings beginnen sich auch erhebliche Widerstände und Oppositionsbewegungen zu entwickeln.

Gegen das Finanzgesetz, gegen jeden Rassismus, Faschismus und Nationalismus und gleichzeitig gegen den Liberalismus und die Politik der kapitalistischen europäischen Institutionen in Brüssel müssen die Lohnabhängigen unbedingt die Mobilisierung alle aller einheimischen und migrantischen Menschen wieder aufnehmen, um Lebensbedingungen, Löhne, Beschäftigung und die Grundlagen der Demokratie selbst zu verteidigen.

Am 10. November findet in Rom eine große nationale Demonstration statt, die von gewerkschaftlichen, politischen und sozialen Kräften der Linken unter dem Motto „Alle vereint und solidarisch gegen die Regierung, den Rassismus und das Salvini-Dekret“ aufgerufen wird.

*Franco Turigliatto ist Mitglied der Sinistra Anticapitalista in Italien. Der Artikel erschien am 31. Oktober 2018 auf der Webseite der NPA in Frankreich. Wir haben ihn aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt. An unserer Konferenz am 15. September 2018 sprach Checchino Antonini, aktiv in Potere al Popolo und in Sinistra Anticapitalista, über die schwierige Situation in Italien.


Der Artikel wurde von der Redaktion geringfügig sprachlich überarbeitet.

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