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Autofreie Städte?

Warum die autofreie Stadt ein notwendiger Schritt im Kampf gegen die Klimaerwärmung ist und warum dieser Schritt aber noch lange nicht ausreicht.

von Tobias Kraus aus; analyse&kritik

Fahrverbote

Die Entscheidung des deutschen Bundesverwaltungsgerichts im Februar dieses Jahres, nach der Fahrverbote grundsätzlich erlaubt sind, brachte den Stein ins Rollen: In Berlin sollen nun elf Strassenabschnitte für ältere Dieselautos gesperrt werden, in Hamburg sind vereinzelte Fahrverbote bereits Realität, für Mainz hat jüngst das Verwaltungsgericht Fahrverbote verordnet, in weiteren grossen Städten stehen noch gerichtliche Entscheidungen an. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH), die für die Klagen in den meisten Städten verantwortlich ist, hat bereits weitere Klagen eingereicht oder plant, dies zu tun. Insgesamt beträfe dies dann 34 Städte.

Dass darüber nicht alle und insbesondere autoindustrielle Kreise nicht sonderlich erfreut sind, zeigt die Positionierung der Bundesregierung. Sie setzt sich für die Verhinderung von Fahrverboten in deutschen Städten ein und möchte die Gesetzeslage entsprechend ändern. Bei nur geringer Überschreitung des Grenzwertes seien Fahrverbote nicht verhältnismäßig.  Daher sollen Hardware-Nachrüstungen für Dieselfahrzeuge umgesetzt werden, um dieFinanzierung wird bislang noch gestritten. Die Süddeutsche Zeitung kommentierte den jüngsten Vorstoss der Regierung treffend:

»Was Angela Merkel plant, kann man als gemeingefährliche Vergiftung bezeichnen.«

Dabei sind Dieselfahrverbote und Nachrüstungen für eine wirksame Luftreinhaltung und die Lösung der Verkehrsprobleme nicht ausreichend. Grenzwerte von Schadstoffen in der Luft sind in der Regel schon recht hoch angesetzt. Bei Feinstaub oder Schwefeldioxid liegen die EU-Grenzwerte beispielsweise teilweise deutlich über den von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlenen Grenzwerten zur Vermeidung von gesundheitlichen Auswirkungen. Der Grenzwert von 40 µg/m3 im Jahresmittel bei den von Diesel verursachten Stickoxiden entspricht sogar der Empfehlung der WHO. Allerdings ist die Belastung bei Stickoxiden in Deutschland sehr hoch. Im Jahr 2017 überschritten allein 65 Städte diesen Grenzwert, zum Teil um fast das Doppelte.

Zu beachten ist auch, dass es keine untere Grenze gibt, ab der Schadstoffe nicht mehr gesundheitsschädlich sind. Selbst wenn man trotz berechtigter Zweifel davon ausgeht, dass Nachrüstungen oder punktuelle Fahrverbote greifen, würden sie die gesundheitliche Belastung lediglich innerhalb der vorgegebenen gesetzlichen Regelungen reduzieren. Von einer wirklichen gesundheitlichen Entlastung kann aber keine Rede sein.

Autofreie Städte

Davon abgesehen bringt die Automobilität weitere Probleme mit sich. Wegen des hohen Verkehrsaufkommens allgemein und insbesondere in den Städten wird an verschiedenen Orten in Europa die weitergehende Idee der autofreien Städte diskutiert und teilweise schon umgesetzt. Wie es gehen könnte, zeigt Norwegens Hauptstadt. In Oslos Innenstadt dürfen bereits ab 2019 keine privaten PKW mehr fahren. Die Stadtregierung aus linker Arbeiterpartei, Grünen und Sozialist*innen fasste den Beschluss vor drei Jahren und möchte mit dem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und der Fahrradinfrastruktur (neue Radwege, Investitionen in E-Bikes) die städtische Lebensqualität verbessern. Auch die finnische Hauptstadt Helsinki versucht, bis 2025 eine Infrastruktur aufzubauen, die die private PKW-Nutzung überflüssig macht. In anderen europäischen Grossstädten wie etwa Paris gibt es ebenfalls Bestrebungen, den Autoverkehr mit Verbrennungsmotoren in den kommenden Jahren massiv zu reduzieren. Neben den öffentlichen Verkehrsmitteln und dem Fahrrad sollen auch Fussgänger*innen bei den Stadtplanungen berücksichtigt werden.

Die Vorteile der autofreien Stadt liegen auf der Hand: nicht nur eine Einhaltung der Grenzwerte, sondern eine signifikante Reduzierung von Schadstoffen in der Luft und der damit besseren Luftqualität; bessere Gesundheit der dort lebenden und arbeitenden Menschen durch Verringerung von Schadstoffen und Fahrzeuglärm; weniger Opfer von Verkehrsunfällen, sei es mit dem Fahrrad, dem Auto oder zu Fuss; weniger überhöhtes Verkehrsaufkommen und Staus; mehr freie Fläche durch wegfallende Parkplätze.

Das neoliberale Mobilitätsparadigma

Die radikale Linke darf in dieser Diskussion aber nicht vergessen, dass die steigende (flexible) Mobilität im Neoliberalismus mittlerweile schon zum Zwang geworden ist. Selbst eine perfekt durchorganisierte und bis ins letzte Detail geplante Infrastruktur ohne Auto setzt das Mobilitätsparadigma absolut. Auch Elektromobilität ist nur auf den ersten Blick die Lösung des Problems, da dafür ebenfalls Unmengen an Energie benötigt werden und das Problem somit vom Auto in die Energieproduktion verlagert wird. Verkehrsunfälle, Verkehrschaos, Parkplatzsuche und Aggressivität im Strassenverkehr nähmen durch E-Autos nicht ab; die Lebensqualität in den Städten würde kaum steigen. Die in Zeiten des Neoliberalismus geforderte zeitliche und territoriale Flexibilität macht es notwendig, immerzu abrufbereit und mobil zu sein. Da erscheint ein Auto, bei dem man nicht auf Fahrpläne, Zugverbindungen und Abfahrtszeiten angewiesen ist, als notwendiger Bestandteil eines beweglichen Menschen.

Aber auch sämtliche Anpassungen an das Mobilitätsparadigma mit flexiblen und mit hoher Regelmässigkeit verkehrenden Fortbewegungsangeboten ignorieren die Tatsache, dass nur im neoliberalen Kapitalismus ein solch hoher Bewegungsaufwand überhaupt vonnöten ist, da er in der Umschlagszeit des Kapitals angelegt ist: Je schneller Waren von Produktion zu Verbrauch transportiert werden, desto schneller kann sich der in den Waren enthaltene Mehrwert realisieren.

Die Utopie einer nicht kapitalistischen Gesellschaft würde eine Senkung des Mobilitätsaufkommens beinhalten. Mit der Reduzierung von Arbeitszeit müssten die Menschen beispielsweise nicht mehr jeden Tag in die Innenstädte fahren; weniger Pendler*innen heisst weniger Verkehr. Andere Formen der Produktion bedürften nicht so langer und nicht so schneller Lieferketten, wie es derzeit im globalen Kapitalismus der Fall ist. Möglicherweise stünde Mobilität auch nicht mehr unter dem Motto »Je schneller, desto besser«, und die nicht mehr entfremdeten Menschen würden Mobilität ohne Zeitdruck und mit sinnerfüllter Beschäftigung als etwas Angenehmes empfinden. Reisezeit könnte als sinnvoll erachtet werden anstatt als notwendiges Übel, das sich bestenfalls im Zug noch als zusätzliche Arbeitszeit nutzen lässt.

Derzeit scheint in Deutschland ein radikales Umdenken nicht in Sicht zu sein. Während es andernorts teilweise bereits ernst zu nehmende Versuche gibt, ist man in Deutschland in Fragen der Mobilität immer ein wenig langsamer. Zu stark ist die Lobby der Autoindustrie und die Liebe der Deutschen zu ihrem fahrbaren Untersatz. Autofreie Städte wären für eine radikale Linke zwar als eine sinnvolle realpolitische Massnahme gegen die vom Auto hervorgerufenen Probleme unterstützenswert. Aber  die Kritik muss weiter gehen. Dass auch dieautofreie Stadt aktuell nicht wahrscheinlich ist und die punktuellen Fahrverbote schon Widerstand hervorrufen, zeigt die Tragik der Situation.

Titelbild: In der Schweiz gibt es autofreie Zonen lediglich in einigen Teilen von Grossstädten, hier ein Foto der Basler Innenstadt.

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