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Iran: Bildung – Eine Frage der Muttersprache!

Im Iran beginnt das neue Schuljahr in weniger als 2 Monaten und die Diskussion und das öffentliche Interesse um eine Veränderung in der Bildungspolitik des Landes wachsen wieder. Dabei müsste auch diskutiert werden, in welcher Sprache die 12 Millionen Schülerinnen und Schüler unterrichtet werden sollen, die aus nicht-persischsprachigen Provinzen stammen.

von Nima Pour Jakub*

Dass nicht persisch sprechende Schüler*innen in der Islamischen Republik noch immer einen rein persischsprachigen Schulunterricht bekommen, ist einer der Streitpunkte. Zwar gibt es von offizieller Seite keine Zahlen zu den vom Schulsystem diskriminierten Schüler*innen, allerdings leben etwa 43% aller 12 Millionen Schüler*innen Irans in nicht persischsprachigen Provinzen.

„Die offizielle und geteilte Sprache des iranischen Volkes ist Persisch. Alle Dokumente und offizielle Briefe und Unterrichtsbücher müssen in dieser Sprache sein, aber das Volk ist frei, die regionale und ethnische Sprachen in den Publikationen und Medien zu brauchen und in den Schulen neben der persischen Sprache zu unterrichten.“ steht im Artikel 15 des Grundgesetzes der Islamischen Republik geschrieben.

Theorie und Praxis

Nur wie ist es in Wirklichkeit? Als einer in der türkischen Minderheit des Landes aufgewachsener Iraner habe ich während meiner 12 Jahre Schulzeit nicht eine Stunde in meiner Muttersprache lernen dürfen. Später an der Universität wurden unsere Bemühungen für einen freien Sprachkurs für die Student*innen von den Behörden zunichtegemacht. Ein strenger, fundamentalistischer Kurs hat die Pädagogik Irans dominiert und entwicklungsunfähig gemacht.

Mohammad Bathai, der ehemalige Bildungsminister der Rohani-Regierung, sagte am 14. Juli 2018, dass „Reden auf Persisch die rote Linie“ des Systems sei. Tatsächlich wird jeder Versuch, in der Muttersprache der Schüler*innen zu unterrichten, von den Behörden verunmöglicht. Und das trotz der vielen ethnischen Minderheiten wie den Türken, Kurden, Lors, Araber, Baluchis oder Türkmenen in den Randgebieten, die alle ihre eigenen Sprachen sprechen.

Laut UNICEF haben die Schüler*innen, die in der Primarschule nicht in ihrer Muttersprache unterrichtet werden, dadurch später gravierende Schwierigkeiten. Selbst die Behörden der islamischen Republik haben diese Problematik erkannt. Rezvan Hakimzadeh, Stellvertreter für Grundschulbildung des Bildungsministeriums, sagte am 29 Mai 2019: „Bei Rückständigkeit und Wiederholung gibt es zwei Gruppen von Kindern. Für die Schwerlernenden brauchen wir neue inklusive Konzepte und Kinder in zweisprachigen Regionen müssen früher in den Kindergarten.“ Statt ihren Fehler einzusehen, haben die Behörden des Regimes eine andere Lösung vorgeschlagen. Hakimzadeh erklärte, dass ab nächstem Jahr „die Prüfung einer ausreichend beherrschten persischen Sprache“ auch ein Teil des Aufnahmetests der ersten Klasse sein wird.

Gemäss diesem Plan dürfen Kinder, die nicht genügend Persisch sprechen, nicht in die Schule gehen. Das Testverfahren sieht vor, dass Eltern ihre Kinder vom Bildungsministerium pädagogisch und medizinisch prüfen lassen. Den Kindern werden dabei, getrennt von ihren Eltern, Fragen und Aufgaben gestellt und die Testergebnisse sowie ärztliche Untersuchungen entscheiden dann über die Zukunft der Kinder, gegebenenfalls über die Einteilung in eine Sonderschule, wenn ein Kinder zum Beispiel eine ganz andere Sprache gelernt hat als die des Tests.

Ein Verstoss gegen die Menschenrechte

Statt das Problem der Bildungsdiskriminierung durch Sprache zu beheben, hat das Regime das Problem also weiter verschärft. Zu viele Kinder werden im Iran weiterhin in einen völlig fremdsprachigen Unterricht geschickt und in Zukunft wird für viele dieser auch noch wegfallen. Dies ist nicht nur ein weiteres Beispiel für Irans Rückständigkeit und Mangel an Entwicklungsbereitschaft, sondern auch offiziell eine Menschenrechtsverletzung.

Artikel 27 des internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte sagt: „In Staaten mit ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten darf Angehörigen solcher Minderheiten nicht das Recht vorenthalten werden, gemeinsam mit anderen Angehörigen ihrer Gruppe sich ihrer eigenen Sprache zu bedienen.“ Artikel 30 der Konvention über die Rechte des Kindes hat einen ähnlichen Inhalt. Die islamische Republik hat beide Verträge unterschrieben und müsste sie im Iran eigentlich umsetzen. Ausserdem lesen wir in einer Charta der UNESCO: „Alle SchülerInnen müssen ihre Bildung in ihrer Muttersprache beginnen können“. Diese Charta verdeutlicht, dass Bildung in der Muttersprache ein Teil sozialer Gerechtigkeit ist.

Die islamische Republik jedoch hat diese Konventionen ignoriert und Proteste dagegen werden vom Regime unterdrückt. Jedes Jahr werden Aktivist*innen am international Tag der Muttersprache festgenommen. Tohid Amir Amini und Kianoosh Aslani sind zwei von denen, die letzten Februar festgenommen und wegen Verteilens von Flugblättern für eine Bildung in der eigenen Muttersprache zu 9 und 5 Jahren Gefängnis verurteilt wurden. Es sieht alles danach aus, dass auch dieses Jahr am 23. September wieder Millionen von Schüler*innen gezwungen sein werden, ihre Muttersprache gegen den Willen des Iranischen Regimes einzutauschen und sich Gemäss „der roten Linie des Regimes“ zu verhalten.

* Nima Pour Jakub ist Menschenrechtsaktivist aus dem Iran und lebt seit einigen Jahren in der Schweiz. Er schreibt regelmässig für sozialismus.ch über den Iran.

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