Sie bekämpfen nach eigener Darstellung Terror, machen «Gewaltverbrecher unschädlich» und kommen bei Geiselnahmen zum Einsatz: Die Interventionseinheit „Skorpion“ der Stadtpolizei Zürich ist eine rein männliche Spezialtruppe, die schwer bewaffnet und 24 Stunden abrufbereit ist. Mittlerweile wird die Einheit auch bei Demonstrationen eingesetzt. Eine bedenkliche Entwicklung.
von Matthias Kern (BFS Zürich)
Das Wesen der Spezialeinheiten
Dass sich in polizeilichen Spezialeinheiten nur die härtesten Polizisten durchsetzen können und deren Einsätze von Gewalt, Explosionen und Waffeneinsätzen begleitet sind, ist ein Bild, das von den Einheiten selbst gerne öffentlich zelebriert wird. Der offizielle „Trailer“ zur Interventionseinheit Skorpion der Stadtpolizei Zürich schlägt genau in diese martialische Kerbe und erinnert an einen Actionfilm:
Dass sich bei diesem Image und dem Aufgabenbereich vor allem gewalt- und waffenaffine Polizisten in der Sondereinheit wiederfinden, dürfte kaum überraschen. Auch ideologisch dürften die «Skorpiönler» wohl zum strammsten gehören, was die Polizei in Zürich zu bieten hat. Besonders widerwärtig wirkt zudem die Schlusszsene des Imagevideos auf YouTube. Ein Helikopter fliegt in Anlehnung an den Film Apocalypse Now Richtung Sonnenuntergang. Als gäbe es an den Kriegsverbrechen der USA in Vietnam irgendetwas Positives.
Zwar ist die «Skorpion» anders als viele vergleichbare Einheiten in anderen Ländern nicht kaserniert. Allerdings scheint das Jobprofil mit dem 24-stündigen Bereitschaftsmodell von den Polizisten schon zu verlangen, dass sie den Lebensmittelpunkt auf die polizeiliche Arbeit legen.
Die Einheit „Skorpion“
Die Interventionseinheit Skorpion wurde 2006 ins Leben gerufen. Die NZZ schrieb damals dazu: «Die Interventionseinheit «Skorpion» ist die erste vollamtliche Interventionseinheit der Schweiz. Die Einheit tritt an die Stelle der bisherigen, im Milizsystem aufgebauten «Überfallgruppe». Sie wird damit rund um die Uhr in mobilen Patrouillen mit speziell ausgerüsteten Fahrzeugen im Einsatz stehen. Ihre primäre Aufgabe besteht im Personenschutz sowie in Einsätzen gegen die Schwerstkriminalität. Ausserdem steht sie den übrigen Polizeikräften als mobile Einsatzreserve zur Verfügung.»
In dieser Funktion als mobile Einsatzreserve ist die «Skorpion» seit längerem immer wieder bei Demonstrationen – oftmals spontanen – anzutreffen. So kamen die Polizisten des «Kommissariats Intervention» an der Demonstration zum internationalen Frauen*kampftag am 8. März 2017 am Rande des damaligen Polizeikessels, mit dem die unbewilligte Demonstration gestoppt wurde, zum Einsatz. Damals waren sie in erster Linie an ihren militärischen Helmen und der besonderen Aggressivität gegenüber sich solidarisierenden Personen ausserhalb des Kessels zu erkennen.
Eine Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit BFE?
Bereits im Nachgang zum diesjährigen «Marsch fürs Läbe» wurde berichtet, dass im Rahmen der Gegendemonstration einige Polizisten mit «BFE»-Badges im Einsatz waren. Mittlerweile verdichten sich die Anzeichen, dass wir es hierbei tatsächlich mit einer teilweisen Neuorganisation des so genannten «unfriedlichen Ordnungsdienstes» der Polizei zu tun haben – und die Einheit «Skorpion» hierbei eine zentrale Rolle spielt. Auch wenn Beweissicherungs- und Festnahme-Einheiten seit der Fussballeuropameisterschaft 2008 in der Schweiz zum Einsatz kommen, ist die spezielle Kennzeichnung neu. Auch scheint neu zu sein, wer diese Einheiten stellt. Die Stadtpolizei schreibt auf ihrer Website zum Tätigkeitsprofil der «Skorpion»: «Daneben werden die IE-Angehörigen als Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit im unfriedlichen Ordnungsdienst eingesetzt.» Der Wikipedia-Artikel zur Stadtpolizei Zürich wurde am 12. August 2019 ebenfalls mit diesem Satz ergänzt.
Speziell abgegrenzte Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten sind bislang vor allem aus Deutschland bekannt. Sie bezeichnen spezifisch ausgebildete und «leistungsfähige» Polizeieinheiten, die in Ergänzung zu den Sondereinsatzkommandos existieren. Sie haben ein hauptsächliches Betätigungsfeld: Sie verhaften Personen an «Brennpunkten unfriedlichen Geschehens» und sichern so Beweise. Das bedeutet, dass sie im Normalfall im Rahmen von Demonstrationen oder Fussballspielen zum Einsatz kommen, in Menschenmengen stürmen und Personen, denen sie Vergehen vorwerfen, festnehmen.
In Deutschland geraten diese Einheiten immer wieder in die Kritik. Sie gelten als besonders gewalttätig, sowohl gegen aussen, als auch im sozialen Umgang in den Einheiten selbst. Selten werden Mitglieder der Einheiten aufgrund ihrer rechtswidrigen Taten verurteilt, was nicht nur generell an einer faktischen Immunität der meisten Polizeibeamten liegt, sondern auch an der fehlenden Kennzeichnungspflicht der Sonderkräfte.
Eine gefährliche Entwicklung
Dass nun offensichtlich in Zürich auch spezielle Einheiten als «Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten» (BFE) zum Einsatz kommen, ist eine gefährliche Entwicklung. Dass diese Einheiten während Demonstrationen von der Interventionseinheit «Skorpion» gestellt werden, macht die Lage noch brisanter. Hier werden speziell in Terror-, Amok- und Geiselsituationen ausgebildete Polizisten auf Personen losgelassen, die ihr Grundrecht in Versammlungsfreiheit und freier Meinungsäusserung ausüben.
Wir haben an den Gegenprotesten gegen den fundamentalistischen «Marsch fürs Läbe» in Zürich am 14. September 2019 einen Vorgeschmack erhalten, zu was diese Konstellation führen kann. Sechs Polizisten der BFE – und damit ziemlich sicher Skorpion-Mitglieder – sind in halsbrecherischer Manier an den Rand der Zürcher Josefswiese gestürmt und haben Tränengaskartuschen zwischen spielenden Kindern abgelassen. Die Polizei bestreitet dies weiterhin, allerdings sind laut der Wochenzeitung WOZ genügend Video- und Bildaufnahmen vorhanden, die den Vorfall bestätigen.
Was diese Rambos völlig isoliert und weit weg von anderen Einheiten auf einem Spielplatz genau wollten, war bislang unklar. Die neuen Informationen bezüglich «Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit» deuten jedoch darauf hin, dass sie im Umfeld der Gegendemonstration gezielte Festnahmen vornehmen wollten. Dafür nahmen sie Panik und Verletzte auf einer dichtbevölkerten Wiese in Kauf. Ein Szenario, das wir in Zukunft vermutlich öfters erleben werden, wenn Terrorkräfte gegen Demonstrierende eingesetzt werden.
Militarisierung der Polizei
Diese Entwicklung ist ein Ausdruck der zunehmenden Militarisierung der Polizeieinheiten in Europa und macht auch vor der Schweiz nicht halt. In Zeiten, wo die historisch grösste Preppertruppe der Welt (die Schweizer Armee) in immer grössere Legitimitätsschwierigkeiten gerät, rüsten die Schützer der herrschenden Ordnung systematisch die Polizeieinheiten zu innenpolitischen Interventionstruppen auf.
Diese seit einiger Zeit beobachtbaren Veränderungen innerhalb des Schweizer Polizeiwesens – eine zunehmende Militarisierung, autoritäres Auftreten, exzessive Gewaltanwendung und Gesetze, welche die Befugnisse der Polizei in Überwachung und Repression bedrohlich ausbauen – lassen sich auch andernorts in Europa feststellen, zuletzt deutlich sichtbar im brutalen Vorgehen der mit Sonderbefugnissen ausgestatteten französischen Polizei im Rahmen der „Gilets Jaunes“-Proteste. Umso wichtiger ist es, dass wir diese Entwicklungen genau beobachten und gemeinsam dagegen aufstehen.
Gratuliere zum sachlich gehaltenen Artikel über diese Riesensauerei!
Der Soundtrack dazu:
https://youtu.be/flLA7Mot6BI
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