Im Januar 2019 wurde der Faschist Jair Bolsonaro Präsident Brasiliens. Seither gibt in Brasilien ein Bündnis aus wirtschaftsliberalen, evangelikalen und ultranationalistischen Kräften den Ton an. Bolsonaro hofiert die Agrarkonzerne und ermöglicht es den Grossgrundbesitzern straflos Brandrodungen durchzuführen, um ihre Anbauflächen zu vergrössern. Damit verbunden ist nicht nur eine Entkriminalisierung der Zerstörung des für das Weltklima unentbehrlichen Amazonasregenwaldes, sondern auch eine massive Zunahme der Gewalt gegen alle jene sozialen Gruppen, die sich gegen die rechtsextreme Politik Bolsonaros zur Wehr setzen. Insbesondere die Bewegung der Landarbeiter ohne Boden (Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra, MST), die hundertausende Bäuer*innen organisiert und ihnen durch Landbesetzungen Arbeit und ein Auskommen ermöglicht, ist ständigen Vertreibungen und Attentaten ausgesetzt. (Red.)
von Guy Zurkinden; aus Services Publics
Kugeln gegen die Agrarreform
Während seines Präsidentschaftswahlkampfes hatte der Kandidat Jair Bolsonaro der Landlosenbewegung (MST) „Kugeln“ versprochen. Jetzt an der Macht, führt der rechtsextreme Präsident seine Drohungen aus.
„Vertreibungen, Tötungen und paralysierte Landreform“. In einem kürzlich erschienenen Bericht schreibt die Pastorale Landkommission (CPT) ungeschminkt von einem Jahr des Bolsonarismus im ländlichen Brasilien. Im Jahr 2019 wurden z.B. keine großen Grundstücke mehr enteignet [um sie den Bäuer*innen zur Verfügung zu stellen]. Brasilien hat die größte Landkonzentration der Welt, und seine Verfassung schreibt vor, dass unproduktive Latifundien [grosse Landflächen im Privatbesitz; Anm. d. Red.] an Bäuer*innen, die dort arbeiten wollen, umverteilt werden müssen. „Es gibt einen politischen Willen, jede Hoffnung auf eine Agrarreform zu zerstören“, sagt Luiz Zarref, Mitglied der nationalen Führung der MST, der am 16. und 17. Januar 2020 am „Das Andere Davos“, der Gegenveranstaltung zum WEF, nach Zürich eingeladen wurde.

Dutzende von Vertreibungen
Diese Politik, die mit der Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff im Jahr 2016 begann, wurde während der Bolsonaro-Ära radikalisiert, sagt der Aktivist. Sie wird von einem Anstieg der Gewalt begleitet. „Dutzende von Vertreibungen haben unsere Lager getroffen [Die MST gründet auf dem von ihnen besetzten Land sogenannte Lager, campamentos, in denen sie leben; Anm. d. Red.]. Militärpolizei und Sicherheitsbeamte vertreiben brutal Hunderte von Familien, von denen einige seit mehr als 10 Jahren angesiedelt sind, oft ohne jeden richterlichen Befehl. Ihre Häuser werden zerstört, ihre Plantagen geplündert.
Der rechtsextreme Präsident will es aber nicht dabei belassen. Er hat angekündigt, die Armee einzusetzen, um die Besetzungen der Landlosenbewegung, die insgesamt 80.000 Familien umfassen, aufzulösen. „Konkret würde dies summarische Hinrichtungen bedeuten, wie in den vom Militär besetzten Favelas von Rio de Janeiro“, so Zarref.
Die Gewalt ist nicht nur staatlich gefördert, sondern auch privat. Der Einsatz von pistoleiros, – von den Großgrundbesitzern angeheuerte Killer – hat in Brasilien nie aufgehört. Der Unterschied besteht darin, dass diese Praxis nun vom Präsidenten öffentlich gefördert wird. Im November 2019 verabschiedete Bolsonaro ein Gesetz, das das Tragen von Waffen jeden Kalibers auf ländlichem Gebiet erlaubt. Dies ist „eine Möglichkeit, den brutalsten Latifundisten [Grossgrundbesitzern, Anm. d. Red.] zu signalisieren, dass sie ungestraft gegen die Landlosen vorgehen können“, meint Zarref.
Im Jahr 2019 verzeichnete das CPT 29 Tötungen im Zusammenhang mit Landkonflikten in Brasilien. Eine traurige Bilanz, die sich in den kommenden Jahren wahrscheinlich noch verschlechtern wird.
Sozialabbau und Landkonzentration
Daneben gibt es noch einen dritten Aspekt der gegenwärtigen Regression: die Einfrierung der staatlichen Unterstützungsprogramme für die bäuerlichen Familienbetriebe, die für die Kleinbäuer*innen von entscheidender Bedeutung sind – der Kauf von Nahrungsmitteln für öffentliche Schulen, technische Hilfe, Bau von Häusern, Zugang zu höherer Bildung für Kinder usw. „Das Fehlen einer öffentlichen Unterstützung zielt darauf ab, Kleinproduzent*innen in die Armut zu treiben, so dass sie ihr Land verlassen und an den Rand der Grossstädte zurückkehren.“ Der Kongress wird sich in Kürze mit einem Gesetz befassen, das diese Landflucht noch weiter fördern soll, indem es individuelle Eigentumstitel für Ländereien gewährt, die aufgrund der Agrarreform bereits an Bäuer*innen verteilt worden sind – und letzteren damit die Möglichkeit bietet, die Ländereien zu verkaufen.
Widerstand durch Produktion
„Der Kontext ist schwierig, aber wir kämpfen weiter“, meint Zarref. Um Widerstand zu leisten, sind die Landlosen auf das angewiesen, was sie am besten können: pflanzen und ernten. In den letzten Jahren hat die soziale Bewegung eine „agro-ökologische Revolution“ durchgeführt, die sie zum führenden Produzenten von Bio-Reis in Lateinamerika gemacht hat. In den Hauptstädten des Landes organisieren die Bauern „Agrarreformmärkte“, auf denen sie ihre Lebensmittel direkt der städtischen Bevölkerung anbieten – mit echtem Erfolg. Dies ist ein Weg, um ein Einkommen für die Kleinproduzent*innen zu garantieren, aber auch um die Herzen und Köpfe der Bevölkerung zu gewinnen.

Netzwerk der Solidarität
So geschieht dies zum Beispiel in Caruaru im Bundesstaat Pernambuco (Nordosten). Vor sechs Monaten ermöglichte die breite Unterstützung der Bevölkerung die Rettung des von der Zerstörung durch die Behörden bedrohten Ausbildungszentrums Paulo Freire. „Das Zentrum befindet sich auf dem von uns bewirtschafteten Land, wo wir Brot für Schulen produzieren und Alphabetisierungs- und Schulungskurse organisieren. Die Bevölkerung hat sich uns also angeschlossen, um es zu verteidigen. Unsere beste Verteidigung gegen Gewalt ist es, diese Solidarität in der Gesellschaft zu schaffen“, sagt der MST-Aktivist.
Im Januar 2020 kündigte die MST an, dass sie in den nächsten 10 Jahren 100 Millionen Bäume pflanzen werden. Eine nette Art, seinen Widerstand gegen den „Kettensägen-Präsidenten“ zu verwurzeln.
Der Artikel erschien am 31. Januar 2020 in der Westschweizer VPOD-Zeitung «Services Publics» und basiert auf einem Vortrag, den der MST-Aktivist Luiz Zarref am diesjährigen Anderen Davos gehalten hat. Übersetzung durch die Redaktion.