Das Scheitern der AV2020 im September 2017, die eine umfassende Reform der Altersvorsorge vorsah, zwingt den Bundesrat, zwei parallele Reformen auszuarbeiten: erstens die AHV21, für die der Bundesrat selbst zuständig ist; zweitens die Reform der 2. Säule (BVG, Berufliches Vorsorgegesetz), die sie an die Verantwortung der Unternehmen und der Gewerkschaften weitergereicht hat, weil diese für die formelle Verwaltung des enormen Kapitals aus den Pensionsfonds zuständig sind. Beide Reformen bedeuteten schwere Angriffe auf die Altersvorsorge der hiesigen Lohnabhängigen. Die vorgesehenen Angriffe auf die AHV haben wir anderweitig schon kritisiert. Der folgende Beitrag soll nun dabei helfen, die komplizierte Reform der 2. Säule zu entschlüsseln. (Red.)
von solidaritéS
Der Auftrag, den der SP-Bundesrat Alain Berset den «Sozialpartnern» 2018 erteilte, war relativ restriktiv: «Die Ausarbeitung eines Vorschlags zur Anpassung des BVG an die sich verändernden Bedingungen der Bevölkerungsentwicklung und der Finanzmärkte». Anfang Juli 2019 haben sich der Schweizerische Arbeitgeberverband, der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) und der christliche Gewerkschaftsbund Travail.Suisse auf einen Reformvorschlag geeinigt, wobei sie den Bundesrat auffordern, einen entsprechenden legislativen Prozess auf dieser Grundlage einzuleiten. Dieses Modell, das eine brutale Senkung des Umwandlungssatzes[1] und eine signifikante Erhöhung der Kapitalisierung vorsieht, ist ein Schritt in die falsche Richtung. Die zweite Säule ist zu einem Fass ohne Boden geworden, und es ist absurd, die Lohnabhängigen zu zwingen, einen noch größeren Anteil ihres Lohnes hineinzuwerfen.
Das Rentenalter der Frauen
Zu Beginn der Verhandlungen zwischen den Gewerkschaften und den Unternehmern konzentrierte sich die Diskussion auf das Rentenalter der Frauen. «Die Streitfrage des Rentenalters, das die Spannungen verdeutlicht, muss aus der Debatte herausgenommen werden», schließt Christophe Reymond, Direktor des Waadtländer Unternehmerverbandes. Ziemlich klug, denn gleichzeitig übernimmt die AHV21 die Aufgabe für das BVG, das Rentenalter für Frauen auf 65 Jahre anzuheben. Der Entwurf des Bundesrates ändert sowohl Artikel 21 des Gesetzes über die AHV («Personen, die das 65. Altersjahr vollendet haben (Referenzalter), haben Anspruch auf eine Altersrente ohne Abzüge und Zuschläge.») und Artikel 13 des BVG («Das Referenzalter in der betrieblichen Altersvorsorge entspricht dem in §21 AHV-Gesetz festgelegten Referenzalter»).
Die beiden Änderungen werden denn auch wörtlich dem gescheiterten Projekt der AV2020 entnommen. Also ist es irreführend, zu schreiben, wie es die SIT-info vom Oktober 2019 getan hat, dass «die Erhöhung des Frauenrentenalters, die wir mit aller Kraft bekämpfen werden, vorerst nicht an das Projekt gebunden ist».
Selbstverständlich behalten die Pensionskassen weiterhin ihre Kompetenz, ein anderes «reglementarisches Pensionierungsalter» festzulegen. «In der Praxis liegt in der 2. Säule das Rentenalter für fast einen Fünftel der versicherten Frauen bereits bei 65 Jahren», sagt selbst die Botschaft des Bundesrates. Andererseits sehen andere Pensionskassen einen Anspruch auf eine volle Rente ab 62 Jahren für Frauen und Männer vor. Aber die rechtliche Harmonisierung des Rentenalters würde in der Konsequenz für das effektive Rentenalter einen Aufwärtssog bewirken. Die Unternehmerverbände haben auch deutlich darauf hingewiesen, dass das Rentenalter 65 für Frauen der erste notwendige Schritt für eine Anhebung auf 67 Jahre für alle ist.
Eine brutale Senkung des Umwandlungssatzes
Nach Ansicht des Arbeitgeberverbandes «ist die Senkung des Mindestumwandlungssatzes von 6,8 % auf 6 % in einem einzigen Schritt, sobald die Revision in Kraft tritt, zweifellos die wichtigste Maßnahme des Kompromisses». Der Umwandlungssatz dient als Grundlage zur Berechnung der jährlichen Rente, indem das während des Arbeitslebens angesammelte (Alters-)Kapital durch die durchschnittliche Anzahl von Rentenjahren dividiert wird, gemäss der statistischen Lebenserwartung. Es ist daher schwierig, im Rahmen des Kapitaldeckungsverfahrens,[2] gegen eine Senkung des Umwandlungssatzes zu sein, da die Lebenserwartung seit 1985, dem Jahr des Inkrafttretens des BVG deutlich angestiegen ist (obwohl sich der Trend in einigen mit der Schweiz vergleichbaren Ländern umzukehren scheint). Der minimale Umwandlungssatz ist im Gesetz nur für den obligatorischen Teil der betrieblichen Altersvorsorge festgelegt, d. h. bis zu einem Jahreseinkommen von 85’320 Franken. Viele Pensionskassen liegen jedoch über dem gesetzlichen Minimum und versichern auch Löhne über 85’320 Franken (bis maximal 853’200 CHF) Dies ermöglicht es ihnen, den Umwandlungssatz für den überobligatorischen Teil nach eigenem Ermessen zu reduzieren. Die meisten Pensionskassen haben den umhüllenden Umwandlungssatz bereits auf 6%, ja auf 5 % gesenkt. Daher gibt es einen gesetzlich vorgeschriebenen Mindestsatz (6,8%) für die versicherten Löhne bis 85’320 Franken. Für den überobligatorischen Teil (höher als 85’320 CHF Jahreslohn) kann der wirkliche Satz tiefer liegen, solange der Minimalumwandlungssatz für alle Jahreslöhne bis zur Obergrenze des obligatorischen Teils (85’320 CHF) gewährleistet ist.
Die im Kompromiss der «Sozialpartner» vorgeschlagene brutale Senkung muss bekämpft werden. Eine solche Senkung wurde 2010 von der Bevölkerung massiv abgelehnt und basiert auf einem sehr pessimistischen Szenario der Kapitalerträge. Im Jahr 2017 erreichten die Pensionskassen eine Rendite zwischen 5 und 8%. Nach einem weniger ertragreichen 2018, war das Jahr 2019 mit einer Rendite von 11,5% ein Rekordjahr für die Pensionskassen.
Die Verbesserung der Lebenserwartung ist eine Chance für die Bevölkerung, aber ein Problem für das Kapitaldeckungsverfahren. Während bei der Einführung des BVG 1985 beim Eintritt in das Rentenalter durchschnittlich 17 weitere Lebensjahre bevorstanden, so sind dies heute 20. Wenn das bis 64/65 Jahre angesparte Kapital durch 20 anstatt durch 17 geteilt werden muss, so kommt die Jahresrente offensichtlich tiefer zu liegen. Um diese Senkung zu vermeiden müssten sich die Lohnabhängigen entweder für die Pest (längere Beitragsperiode) oder für die Cholera (Erhöhung des Rentenalters) entscheiden. In der Tat gibt es für die Lohnabhängigen keine vorteilhafte Lösung im Rahmen der 2. Säule. Die beste Antwort auf das Problem besteht in einer schnellen Erhöhung der AHV-Renten, als Ausgleich der in der 2. Säule erlittenen Verluste. Diese Rentenverluste dauern bereits seit mehreren Jahren an. Es kommt deshalb nicht in Frage, eine weitere Senkung des gesetzlichen Minimalumwandlungssatzes zu akzeptieren ohne eine deutliche Erhöhung der AHV-Renten.
Deutliche Erhöhung der Kapitaldeckung
Das Reformmodell zielt darauf ab, den Rückgang der Renten (ca. -12%), der durch die Senkung des Umwandlungssatzes verursacht wird, mit einer Massnahme innerhalb der 2. Säule auszugleichen. Und zwar auf die schlimmste Art und Weise, nämlich mit einer massiven Erhöhung der Kapitaldeckung. Nebenbei sei darauf hingewiesen, dass wir in diesem Zusammenhang den historischen Fehler von 1972 – Entscheid für das Drei-Säulen-System – nicht korrigieren können. Aber zumindest muss darauf geachtet werden, dass eine Stärkung der Kapitaldeckung vermieden wird. Die Reform zielt darauf ab, das Rentenniveau durch Erhöhung des zu versichernden Lohnes mehr oder weniger aufrechtzuerhalten. Zu diesem Zweck reduziert sie den Koordinationsabzug,[3] der tatsächlich den Teil des durch die AHV-versicherten Lohnes ausmacht. Dieser Abzug beträgt aktuell 24’885 Franken (7/8 der jährlichen AHV-Maximalrente). Durch die Halbierung dieses Betrags erhöht die Reform den Anteil der Beiträge für die Pensionskasse, insbesondere für kleine und mittlere Einkommen. Dies ist nicht akzeptabel, da die Kapitaldeckung bereits ein exorbitantes Niveau erreicht hat: 1’000 Milliarden Franken liegen bei den Pensionskassen und Versicherungen. Dies hat enorme Verwaltungskosten zur Folge (6 Milliarden Franken pro Jahr). Und selbst das genügt nicht, um das Rentenniveau zu halten: In den letzten 4 Jahren wurden mehr als 170 Milliarden in die 2. Säule gesteckt und die Renten sind trotzdem weiter gesunken. Diese übertriebene Kapitaldeckung fördert zudem die destruktiven Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen und auf die Umweltzerstörung, die durch den Verwertungszwang dieser hohen Summen erzeugt wird.
Die Reform reduziert die Anzahl der Stufen zur Festsetzung des Satzes der Altersgutschriften[4] (Teil der Beiträge für das Sparkapital). 9% bis 44 Jahre und 14% danach anstelle der aktuellen Abstufung von 7, 10, 15 und 18%. Die Jungen (25-34 Jahre) bezahlen einen hohen Preis, denn sie erleiden gleich eine doppelte Beitragserhöhung: einerseits durch eine Erhöhung der Altersgutschriften (von 7 auf 9%) und andererseits durch eine Senkung des Koordinationsabzuges.
Eine «Dosis Umlageverfahren»?
Trotz der gestiegenen Kapitaldeckung werden diejenigen, die über 50 Jahre alt sind, nicht die Zeit (sie stehen zu nahe an der Pensionierung) haben, genügend Alterskapital anzuhäufen, um das Niveau ihrer Renten zu gewährleisten. Die vorgeschlagene Reform versucht, als Kompensation eine «Dosis Umlageverfahren»[5] in die 2. Säule einzuführen. Zu diesem Zweck sieht sie eine zusätzliche Rente für die Übergangsgeneration (über 50 Jahre alt zum Zeitpunkt der Einführung) vor, die nach dem AHV-Modell finanziert wird (der Beitrag wird unmittelbar in Rente überführt, ohne den Umweg über die Finanzmärkte). Dieser Rentenzuschuss (zwischen 100 und 200 Franken pro Monat, je nach Alter) würde durch einen 0,5%igen Lohnabzug finanziert (0,25% Unternehmer*in & 0,25% Lohnabhängige*r). Es besteht kein Zweifel daran, dass die Führung des SGB die Einführung dieser «Dosis von Umlageverfahren» im Kapitaldeckungsverfahren der 2. Säule als großen Sieg für die Lohnabhängigen verkaufen wird, um die bitteren Pillen der anderen Maßnahmen, besser schlucken zu können.
Wenn wir etwas genauer hinschauen, müssen wir diese angebliche Errungenschaft jedoch erheblich relativieren. Erstens, weil die fragliche Vereinbarung eine Obergrenze von 1,5 Mrd. Franken der Beiträge festlegt, was dem Grundsatz der Solidarität widerspricht. Sehr hohe Einkommen werden nur mit einem Teil ihres Lohnes beitragen (1/3 bei einem Jahreslohn von 2,5 Millionen Franken). Aus dieser Perspektive wird damit eine Lücke in der Solidaritätsfinanzierung des Umlageverfahrens geöffnet (Renten plafoniert, nicht aber die Beiträge). Zweitens, weil die Rentenzulage über die Zeit abnimmt und aller Voraussicht nach 15 Jahren wegfällt. Der vorgesehene Zuschlag beläuft sich auf 200 CHF für die ersten 5 Jahre, dann 150 CHF für die nächsten 5 Jahre und schließlich 100 CHF in den letzten 5 Jahren. Gemäss dem Vorschlag soll dann die Entscheidung über eine allfällige Weiterführung im Ermessen des Bundesrates liegen. Da braucht man nicht zu raten, was eine von bürgerlichen Parteien dominierte Regierung dann tun wird. Diese «Dosis Umlageverfahren» ist daher nicht nur minimal, sondern auch temporär. Sie wird aller Voraussicht nach wieder verschwinden, nachdem sie ihre Rolle erfüllt hat, die Gemüter ob den eingeleiteten Verschlechterungen zu beruhigen.
Tiefe Renten, hohe Beiträge
Die Erhöhung des beitragspflichtigen Lohnes wird natürlich die Renten der 2. Säule durch die Stärkung der Sparwirkung vergrössern. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund ist der Ansicht, dass «dies insbesondere die Teilzeitarbeit absichern sollte, was sich vor allem für die Pensionskassen-Renten der Frauen günstig auswirken würde.» Schauen wir genauer hin: Durch das Modell der «Sozialpartner» wird niemand neu dem BVG unterstellt. Denn die Senkung des Koordinationsabzuges ändert die Eintrittsschwelle[6] nicht, die bei 21’330.- Jahreslohn verbleibt.
Damit bleiben die Renten der 2. Säule, wenn auch verbessert, sehr tief für niedrige Einkommen. Der SGB veröffentlicht eine Simulation (mit Vorsicht zu geniessen, weil sie auf abstrakten Daten basiert, die in Zukunft von der Realität weitgehend entkräftet werden können), die zeigt, dass ein Jahreseinkommen von 25’000 Franken über 44 Beitragsjahre eine monatliche BVG-Rente von 388 Franken generiert. Darin ist der Rentenzusatz von 100 Franken inbegriffen. Dies ist sicher besser als die gemäss aktueller BVG-Regelung berechnete Rente von 50 Franken monatlich. Dies aber ist unbedeutend verglichen mit der AHV-Rente von 1’411 Franken im Monat.
Die gleiche Simulation des SGB schätzt, dass die Beitragserhöhung 6,2% des Lohnes ausmacht, was alles andere als keine Kleinigkeit ist, wenn der Monatslohn 2’000 Franken beträgt; dann sind die zusätzlichen 120 Franken Lohnabzug schmerzhaft. Kurzum, ein deutlicher Anstieg der Beiträge erzeugt nur eine sehr niedrige Rente.
Hinzu kommt – und dies kann nicht genug betont werden – dass, wenn die Beitragserhöhung erfolgen soll, die Verbesserung der BVG-Rente bei der Verabschiedung der Reform nur ein unsicheres Versprechen bleibt. Denn sie ist weitgehend abhängig von der Entwicklung der Finanzmärkte. Eine oder mehrere Krisen wie die von 2008 – und dies ist mit hoher Wahrscheinlichkeit gegeben – könnten zerstörerische Auswirkungen auf das System der 2. Säule haben und die Substanz der BVG-Renten schwer in Mitleidenschaft ziehen.
Ein anderer Weg: Stärkung der AHV
Ein Beitragsfranken in der AHV bringt eine bessere Rente als ein Beitragsfranken in der 2. Säule. Das ist die Richtung, in die wir gehen müssen. Nichts geht über eine Erhöhung der AHV-Rente. Wir können im aktuellen Kontext zwei pragmatische Maßnahmen vorantreiben, um dies zu erreichen. Eine Übernahme der in der AHV21 vorgeschlagenen Änderung der Rentenformel[7] für Frauen (um die Erhöhung des Rentenalters auszugleichen) und sie auf alle auszudehnen. Dabei aber muss das Rentenalter 64 für Frauen beibehalten werden. Diese Anpassung, die einfach umzusetzen ist und an der die Bundesverwaltung bereits gearbeitet hat, sieht eine durchschnittliche Erhöhung der AHV-Rente um 76 Franken und eine maximale Erhöhung von 163 Franken pro Monat für ein Einkommen von 42’660 Franken vor. Dies ist die Hälfte des Einkommens, das den Anspruch auf die Höchstrente[8] begründet. Als zweite Massnahme kommt die rasche Einführung einer 13. AHV-Rente infrage, wofür der SGB an seinem Kongress von 2018 die Lancierung einer Volksinitiative beschlossen hat. Eine 13. Monatsrente würde eine durchschnittliche Rentenerhöhung um 165.- Franken bedeuten.
Dabei handelt es sich um Sofort- und Teilmaßnahmen, die dazu dienen, den Rückgang der laufenden Renten in der 2. Säule aufzufangen. Für eine echte Reform der Altersvorsorge wird aber eine längerfristige Integration der 2. Säule in eine Super-AHV unumgänglich sein.
Eine gespaltene Bourgeoisie?
Der Schweizerische Gewerbeverband (SGV) hat sich vom Modell des Arbeitgeberverbandes und der Gewerkschaften distanziert. Insbesondere befürchtet er, dass «die Solidaritätskomponente, die nicht Teil des Systems ist, allmählich die Rolle des BVG übernehmen wird». Er schlägt eine Reform vor, die im Wesentlichen auf der Erhöhung der Altersgutschriften basiert. Die SVP kritisiert den Kompromiss zwischen Gewerkschaftsführung und dem Arbeitgeberverband ebenfalls, mit der Begründung, dass der Schweizerische Arbeitgeberverband und die Schweizer Wirtschaft vor allem gewerkschaftliche Unterstützung für das Rahmenabkommen mit der Europäischen Union erkaufen wollen. Die Pensionskassen haben vorsichtige Vorbehalte geäußert und darauf hingewiesen, dass die Situation jeder Pensionskasse stärker berücksichtigt werden sollte.
An den beiden zentralen Prinzipien der Reform (brutale Senkung des Umwandlungssatzes und massive Zunahme der Kapitaldeckung), findet die Bourgeoisie dennoch ihren Gefallen und sie ist in der Sache weitgehend einer Meinung. Sie braucht dringend eine Senkung des Umwandlungssatzes, um ihr kapitaldeckungsbasiertes Modell zu retten. Und dies hat sie in der aktuellen Vereinbarung erreicht. Im Dezember 2019 wurde der Vorschlag der «Sozialpartner» vom Bundesrat unverändert in die Vernehmlassung geschickt. Die Debatte im Parlament wird wohl im Herbst 2020 beginnen.
Der Artikel erschien am 15. November 2019. Er wurde durch die Redaktion übersetzt, leicht gekürzt und aktualisiert. Das Bild zeigt eine Demonstration von Bauarbeiter*innen, welche in den letzten Jahren immer wieder für den Erhalt des Rentenalters 60 auf die Strasse gingen.
[1] Umwandlungssatz: Dies ist der in der Zweiten Säule verwendete Faktor, mit dem die von jedem und jeder Versicherten angesammelten Ersparnisse in eine jährliche Altersrente umgewandelt werden. Er hängt insbesondere von der durchschnittlichen Lebenserwartung ab. Verfügt die versicherte Person im Ruhestand über ein angesammeltes Kapital von CHF 200’000 und beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung im Ruhestand aktuell 20 Jahre, so beträgt ihre jährliche Rente CHF 10’000. Die Rendite des investierten Kapitals spielt bei der Bestimmung des Umwandlungssatzes ebenfalls eine Rolle.
[2] Kapitaldeckungsverfahren: Dies ist die Methode zur Finanzierung der von der Zweiten Säule (berufliche Vorsorge) gezahlten Renten. Jede versicherte Person baut ihr eigenes Vermögen auf. Das angesammelte Kapital wird an den Finanzmärkten angelegt. Das bei der Pensionierung erreichte (Alters-)Kapital (Sparen + Zinsen) wird in Jahresrenten aufgeteilt.
Im Kapitaldeckungsverfahren existieren zwei verschiedene Systeme nebeneinander. Das mit Abstand gebräuchlichste beitragsorientierte System sammelt einfach Kapital und verteilt es auf die jährlichen Renten. Wenn das angesammelte Kapital klein ist, wird auch die Rente klein sein. Beim leistungsorientierten System (hauptsächlich im öffentlichen Sektor) wird ein Prozentsatz des letzten Gehalts als Jahresrente garantiert. Sie erfordert jedoch einen deutlich höheren Kapitalisierungsgrad. Die Debatte über den Umwandlungssatz betrifft hauptsächlich beitragsorientierte Kassen.
[3] Koordinationsabzug: Dies ist der Betrag, der vom Lohn abgezogen wird, um den von der Pensionskasse obligatorisch zu versichernden Lohn zu bilden. Dieser Betrag entspricht theoretisch dem bereits von der AHV gedeckten Teil des Lohnes (24’885 Franken), wobei die 2. Säule eine Ergänzung zur «Sicherung des bisherigen Lebensstandards» darstellen soll. Eine Person mit einem Bruttolohn von 80’000 Franken hat einen versicherten Lohn von 55’115 Franken. Durch die Erhöhung des von der AHV garantierten Lohnanteils könnte auch dieser Koordinationsabzug erhöht werden, was den Beitrag für die 2. Säule reduzieren würde. Die aktuellen Reformen gehen in die entgegengesetzte Richtung: Blockade der Entwicklung der AHV und Reduzierung des Koordinationsabzugs.
[4] Altersgutschrift: Die Beiträge für die Pensionskasse bestehen aus drei Komponenten:
a) Altersguthaben, d.h. die Sparguthaben, die zur Kapitalbildung verwendet werden. Der Satz dieser Zwangsersparnisse variiert je nach Alter;
b) die Prämie für die Auffangeinrichtung. Letztere garantiert die Ansprüche der Versicherten im Falle des Konkurses einer Pensionskasse und zahlt einen Zuschuss an Kassen mit ungünstiger Altersstruktur (zu viele Rentner im Vergleich zu Erwerbstätigen);
c) die Risikoprämie, die zur Finanzierung von Leistungen im Falle von Invalidität und Tod verwendet wird.
[5] Umlageverfahren: Die Renten werden nicht aus dem angesammelten Kapital, sondern aus den Beiträgen der Lohnabhängigen finanziert. Diese Beiträge gehen nicht über die Finanzmärkte, sondern werden sofort in Renten umgewandelt (Lohnabhängige zahlen also für Rentner und Rentnerinnen). So funktioniert das System der AHV.
[6] Eintrittsschwelle zur 2. Säule: Für den Eintritt in die BVG-Pflicht-Sparanlage wird ein Jahreseinkommen von mindestens 21’330 Franken benötigt. Dieser Betrag gilt unabhängig vom Beschäftigungsgrad und für jeden Arbeitsplatz getrennt (keine Aufsummierung von Einkommen von mehreren Arbeitsstellen). Erreicht der versicherte Lohn aufgrund des Koordinationsabzugs nicht CHF 3’555, wird er auf diesen Betrag gerundet.
[7] Rentenformel: Dies ist das in der AHV entwickelte System zur Verteilung der Renten unter Berücksichtigung der AHV-pflichtigen Einkommen während der Beitragszeit. Bei einem Jahreslohn von 14’220 Franken beträgt die Rente 100% (1’185 Franken monatlich). Ein Lohn von 42’660 Franken berechtigt zu einer Rente von 1’801 Franken, was 50% des Jahreslohns entspricht. Die maximale Rente (2’370 Franken) entspricht nun nur noch 33% des Jahreslohns (85’320 Franken) und dieser Prozentsatz sinkt bei Einkommen über 85’320 Franken. Die von AHV21 vorgeschlagene Änderung der Rentenformel wird die Einkommen auf rund 42’000 Franken erhöhen.
[8] Mindestrente – Höchstrente: Die Bundesverfassung sieht vor, dass die höchste AHV-Rente das Doppelte der niedrigsten Rente nicht überschreiten darf. Selbst bei einem sehr kleinen Einkommen beträgt die garantierte Mindestrente CHF 1’185 pro Monat. Und ein Jahreseinkommen von 10 Millionen bringt keine Rente von über 2’370 Franken. Diese Beträge sind nur mit einer vollen Beitragszeit (44 Jahre für Männer und 43 Jahre für Frauen) garantiert.