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Der IWF und die Corona-Krise

Die Corona-Krise zeigt kapitalistische Widersprüche schonungslos auf. Bereits bringen sich die globalen Player in Stellung, um die Post-Corona Welt nach ihrem Geschmack zu gestalten. Wichtige Akteure werden dabei die internationalen Kreditinstitutionen wie der Internationale Währungsfonds und die Weltbank sein. Mit viel Geld und schönen Worten versuchen sie sich als soziale Hilfe während der Krisenzeit zu präsentieren. Die Realität ist aber eine ganz andere.

von Victor Jara (BFS Jugend Zürich)

David Malpass gehörte zu den engsten Finanzberatern unter Roland Reagan und George W. Bush. Später war er Chefökonom von Bear Stearn, einer Investmentbank, als diese während der Finanzkrise 2008 wegen ihres exzessiven Handels mit Subprime-Darlehen vom Staat gerettet werden musste. Dafür gab’s als Lohn den Platz als Wirtschaftsberater in Donald Trumps Wahlkampf 2016 und 2019 die Ernennung zum Präsidenten der Weltbank. Eine typische Karriere im besten aller möglicher Systeme. Diese Woche hat Malpass mal wieder von sich reden gemacht. In einem Statement nach dem Corona  Conference Call aller Finanzminister der G20-Länder wandte er sich an die krisengeschüttelte Öffentlichkeit. 14 Milliarden verspricht die Weltbank. Von schneller Hilfe nach dem Bedürfnis einzelner Länder, von noch schnellerer Erholung nach der Krise ist die Rede. Doch damit diese Hilfe bei den Bedürftigen ankommt, müssen die Staaten auch etwas bieten: “Die Länder werden Strukturreformen durchführen müssen, um die Zeit bis zur Erholung zu verkürzen und Vertrauen zu schaffen, dass die Erholung stark sein kann. Für die Länder, die übermäßige Regulierungen, Subventionen, Lizenzregelungen, Handelsschutz oder Rechtsstreitigkeiten als Hindernisse haben, werden wir mit ihnen zusammenarbeiten, um Märkte, Wahlmöglichkeiten und schnellere Wachstumsaussichten während der Erholung zu fördern.”[1]

Die Krise ist also mal wieder eine Chance für Angriffe auf Arbeiter*innenrechte, für die von Kapital Seite her dringend gebrauchte Öffnung von neuen Märkten, für Deregulierung und Privatisierung. Eigentlich nichts Neues, nur sind diese neoliberalen Allgemeinplätze in Zeiten wo Leute wortwörtlich ersticken, weil Regierungen unter anderem durch Strukturanpassungsprogramme ihr Gesundheitswesen zusammengestrichen haben, ein weiteres Zeichen für die Abgehobenheit und Dreistigkeit der herrschenden Klasse.

Ein paar Tage später eine weitere Meldung: Die Weltbank und der IWF fordern von den G20, auf die Rückzahlung der Schulden der «armen Länder» vorübergehend zu verzichten. Das hilft diesen Ländern natürlich kurzfristig und ist zu begrüssen, nur würde es den G20 nie in den Sinn kommen eine Streichung der Schulden, hauptsächlich durch ihr neokoloniales Wirtschaftssystem verursacht, zu fordern. Langfristig werden die Länder des globalen Südens erneut auf massive Kredite angewiesen sein, IWF und Weltbank bringen sich hier schon mal in Stellung. Ein kurzer Blick zurück genügt um zu erkennen wie die internationalen Geldgeberinstitute ganz direkt daran Schuld haben, dass die Corona-Krise einige Länder noch härter treffen wird.

Gesundheitspolitik der IWF im globalen Süden

Der IWF wurde 1944 gegründet, zur Unterstützung von in Zahlungsnot geratenen Ländern. Zunächst waren die Vorgaben des IWF für das geliehene Geld quantifizierbare, makroökonomische Zielsetzungen, etwa das Deckeln von Staatsausgaben. Seit der Überproduktionskrise der 1970er-Jahre gibt der IWF, unter der Hegemonie des amerikanischen Neoliberalismus, weitaus weitreichendere Strukturreformen vor, zusammengefasst in den Schlagwörtern der Stabilisierung, Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung.

Diese Policies ermöglichten es der kriselnden Produktion in den westlichen Industriestaaten neue Absatzmärkte im Globalen Süden zu öffnen. Von 1980-2014 beantragten 109 von 137 sogenannten «Entwicklungsländern» Gelder beim IWF, die ärmsten davon im Schnitt alle zwei Jahre. Mit dem Geld kamen die strukturellen Anpassungen. Der IWF selbst gab sich seit den 1990er-Jahren, aufgrund von massiven Widerständen der lokalen Bevölkerungen gegen die Anpassungsprogramme, zunehmend weniger offen marktradikal. Von flexiblen Policy Design und «pro poor orientation» las man plötzlich in den offiziellen Verlautbarungen. Dass dies nur in schönere Worte verpackte brutale Abbaupolitik bedeutete, lässt sich nicht zuletzt an den Auswirkungen auf die Gesundheitssysteme der betroffenen Länder sehen. Eine 2019 veröffentlichte Studie zu den Auswirkungen der Strukturanpassungsprogramme des IWF auf die Kindersterblichkeit sowie die Zugänglichkeit des Gesundheitswesens in über 100 Ländern kommt zum Schluss, dass sich die Reformen klar negativ auf beide Variablen ausgewirkt haben.[2]

Stabilisierung heisst für viele Entwicklungsländer Abwertung der eigenen Währung aufgrund der Liberalisierung der Wechselkurse.[3] Dadurch steigen aber die Preise für importierte Nahrung und Medikamente. Handelsliberalisierungen führen zur Zerstörung der lokalen Wirtschaft, zudem gibt es einen Zusammenhang zu ungesunderer Ernährung der Bevölkerung.[4]  Deregulierungen des Arbeitsmarktes bedeuteten schlechtere Löhne für Arbeiter*innen im Gesundheitssektor sowie eine Zunahme der Ungleichheit. Privatisierungen führen zu einer Abnahme der Staatseinnahmen, dadurch zu weniger Geldern für öffentliche Dienste. Privatisierungen des Gesundheitswesens haben besonders negative Effekte, da sie zum einen die Gesundheitskosten in die Höhe treiben und die Marktorientierung der Spitäler vorantreibt. In anderen Studien wurde zum anderen ein Zusammenhang zwischen Spitalprivatisierungen und  abnehmender Qualität und Effektivität von Gesundheitsleistungen festgestellt.[5] Dies sind nur einige Beispiele, welche die oben erwähnte Studie explizit ausführt.

Der IWF und Pandemien

Wie sieht es bezüglich IWF aus mit der Bekämpfung von Pandemien? Im 2014 sprach der IWF 430 Millionen Dollar zur Bekämpfung von Ebola in Sierra Leona, Guinea und Liberia. Überraschend meinte IWF-Chefin Christine Lagarde dazu: «Es ist gut die Staatsschulden zu erhöhen, um die Menschen zu heilen und die Krankheit einzudämmen. Der IWF sagt das nicht oft.» Eine weitere Studie kommt aber zum Schluss, dass der IWF durch seine Strukturanpassungsprogramme die Voraussetzungen für eine effektive Bekämpfung der Pandemie tatsächlich zerstörte.[6]

Seit 1990 hat der IWF Guinea, Liberia und Sierra Leone Gelder im Austausch für Wirtschaftsliberalisierungen geliehen. Während dem Ausbruch der Ebola-Krise waren alle Länder in IWF Programmen. Die ökonomischen Reformen sorgten dafür, dass alle drei Länder ihre Ziele für Sozialausgaben aufgrund der rigiden Sparpolitik jahrzehntelang verfehlten. Der IWF verordnete auch Lohnkürzungen für Angestellte im öffentlichen Dienst, was zur Emigration eines Teils des Gesundheitspersonal führte. Der Fokus auf Dezentralisierung des Gesundheitssystems verunmöglichte eine koordinierte Krisenlösungsstrategie. «All diese Effekte sind kumulativ und tragen zur mangelnden Bereitschaft der Gesundheitssysteme bei, mit Ausbrüchen von Infektionskrankheiten und anderen Notfällen umzugehen», fasst die Studie zusammen.

Die Austeritätspolitik der Troika

Für die europäischen Staaten Italien, Spanien und Griechenland liessen sich im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 ähnliche Prozesse beobachten. Durch die harten Einschnitte der Europolitik sank die Anzahl der Krankenhäuser in Italien um 15 Prozent. Die katastrophale Situation in Italien ist heute ganz direkt Folge der Austeritätspolitik der EZB, der Europäischen Kommission und des IWF (sogenannte Troika). Griechenland hatte noch schmerzhafter zu bezahlen: Seit 2009 wurden mehr als 13.000 Ärzt*innen und 26.000 Mitarbeitende im Gesundheitsbereich entlassen. Von 137 Krankenhäusern wurden 54 geschlossen. Drei Millionen Menschen verloren ihre Krankenversicherung. Auch Spanien, das mit einem starken Corona-Ausbruch zu kämpfen hat, sparte sein Gesundheitssystem zusammen. Das Land hat hinter Italien momentan die zweitmeisten Erkrankten innerhalb der EU. Allein 2012 stutzte man die staatlichen Ausgaben für das Gesundheitssystem um 5,7% zusammen.

Wir können nicht zur Normalität zurückkehren

Der Kapitalismus mag oberflächlich enorm anpassungsfähig und dynamisch wirken, seine Lösungsstrategien für globale Krisen sind aber immer dieselben, da auch die Grundwidersprüche dieselben bleiben. Unzählige Menschen auf der ganzen Welt kennen die Realität des IWF und der Weltbank, die die kapitalistische Klasse für ihre Zukunft vorsieht. Sie erinnern sich auch an den Widerstand, an die unzähligen Kämpfe und die vielen Niederlagen. Kriege und Krisen waren immer schon potente Katalysatoren, um die fallenden Profitraten aufzubrechen und neue Investitionsmöglichkeiten zu finden. Doch die Kräfteverhältnisse die über die Zukunft der Welt entscheiden, sind nicht statisch. Selten war die Barbarei des kapitalistischen Systems so offensichtlich wie heute. Wir können nicht zur Normalität zurückkehren, denn die Normalität, die wir hatten, war genau das Problem!


[1] https://www.worldbank.org/en/news/speech/2020/03/23/remarks-by-world-bank-group-president-david-malpass-on-g20-finance-ministers-conference-call-on-covid-19

[2] Forster T, Kentikelenis A, Stubbs TH, King L. Globalization and health equity: the impact of structural adjustment programs on developing countries. Soc Sci Med. 2019. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0277953619304897

[3] An der Konferenz von Bretton Woods 1944 wurde der US-Dollar offiziell als internationale Leitwährung mit jeweils festen Wechselkursen zu anderen Währungen bestimmt. Jederzeit sollte man seine Währung zu einem fixen Kurs in Dollars tauschen können, so das Versprechen. Zur Durchsetzung dieses Systems wurden der IWF und die Weltbank gegründet. Damit sollte die Stabilität der wichtigsten Währungen garantiert und der Welthandel nicht durch starke Währungsschwankungen beeinträchtig werden. Aufgrund des Wirtschafts- und Handelswachstums zwischen 1948-1973 und der damit verbundenen steigenden Nachfrage nach Dollars, war man sich zunehmend unsicher, ob die USA die übrigen Währungensreserven überhaupt in Dollar wechseln könnten. Damit schwand das Vertrauen in die US-Währung stetig. In der Überproduktionskrise der 1970er Jahre zerfiel das System gänzlich und die Wechselkurse wurden liberalisiert.

[4] A. Mendez Lopez, et al. Is trade liberalisation a vector for the spread of sugar-sweetened beverages? A cross-national longitudinal analysis of 44 low- and middle-income countries. Soc. Sci. Med., 172 (2017), pp. 21-27. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/27871042

[5] N. Homedes, A. Ugalde Why neoliberal health reforms have failed in Latin America. Health Policy, 71 (1) (2005), pp. 83-96.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/15563995

[6] Kentikelenis A King L McKee M Stuckler D. The International Monetary Fund and the Ebola outbreak. Lancet Glob Health. 2014.
https://www.thelancet.com/action/showPdf?pii=S2214-109X%2814%2970377-8

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2 Kommentare

  1. Pingback:Corona: Dies ist eine globale Pandemie – behandeln wir sie als solche!

  2. Annina

    Gruss aus Paraguay. Hier fliessen ein Grossteil der Coronaschulden nicht in Coronamassnahmen. Und justifiziert muss da mit dem Notfallgesetz sowieso nichts werden. Und die Preise werden sowieso aufgeblasen…
    Sprich die Coronaschulden sind eine Einladung für die korrupte Regierung um einzusacken soviel nur geht oder in Projekte zu stecken, die für irgendein Epresario-amigo lukrativ ist (interessanterweise liefen anfangs Coronakrise mehrere umstrittene Grossprojekte wieder an, die kein Budget mehr hatten…..) , und zahlen muss das natürlich nacher der Steuerzahler… der Soja-export ist steuerfrei, nur am Rande erwähnt. Und natürlich kann man mit den Quarantänen Massnahmen auch Demonstranten festnehmen wegen „Agglomeration“.

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