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Schulen in Zeiten des Corona-Virus

Seit mehr als drei Wochen sind alle Schulen in der Schweiz geschlossen. Die Zürcher Bildungsdirektion hat nach Absprache mit der Erziehungsdirektor*innen-Konferenz (EDK) entschieden, dass es Zeugnisse im Sommer geben wird. Es bleibt jedoch unklar, ob es nach den Frühlingsferien Prüfungen geben soll oder nicht. Leere Klassenzimmer und gespenstische Schulhöfe zeugen davon, dass die Schüler*innen samt den Lehrpersonen einen ganz ungewöhnlichen Start in den Frühling durchmachen. Es ist ein gigantisches Experiment, bei welchem der ganze Lehrbetrieb ins Private verlagert wird. Im vorliegenden Beitrag liegt der Fokus auf die Volksschule im Kanton Zürich. Es ist ein Versuch, die ersten Berichte über Fernunterricht einzuordnen sowie die Folgen der Schulschliessung auf Fragen der Bildungsgerechtigkeit anzudeuten.

von Daniel Narbo (BFS Zürich)

Bildungssystem Schweiz: Flickenteppich mit grossen Disparitäten

Seit drei Wochen haben die Lehrer*innen überall im Lande so gut es geht versucht, Aufgaben für ihre Schüler*innen zu entwerfen, ihnen diese zu schicken und dann für Rückmeldungen zur Verfügung zu stehen. Die Mittel, welche für den Fernunterricht zur Hand genommen werden, variieren stark je nach Stufe, Schulgemeinde und Schulhäusern.

In diesem Beitrag benutze ich bewusst den Begriff des Fernunterrichts, weil es Fern-Begleitung und Fern-Kontrollen durch Lehrpersonen einschliesst. Das in den Schweizer Medien weit verbreitetes Wort des Homeschooling ist hingegen unscharf und erinnert zu sehr an den Hausunterricht, eine Unterrichtsform, die in den meisten demokratischen Staaten mit Ausnahme der USA nur in seltenen Ausnahmen geduldet wird.

Die Schweiz gibt nicht so viel für die öffentlichen Schulen aus wie beispielweise Schweden, Norwegen oder Belgien, wenn man von dem stark geförderten Hochschulbereich absieht (3,2 Prozent des Bruttoinlandproduktes versus 4,6 Prozent in Norwegen laut OECD). Zudem ist das Schweizer Bildungssystem durch grosse regionale Unterschiede geprägt. Strukturell erscheint es trotz HARMOS und Lehrplan 21 wie ein Flickenteppich. In Punkto Bildungssachen gibt es insbesondere aufgrund der gemischten Zuständigkeiten zwischen Kantonen und Kommunen grosse Disparitäten bezüglich der Ausstattung von Schulen mit Materialien und Personal. Als Illustration dessen ist die allgemeine Maturitätsquote zu nennen, die von Kanton zu Kanton sehr stark variiert: Im Tessin erreicht sie 56 Prozent, während sie im Kanton Aargau ca. 36,5 Prozent und im Kanton Uri nur 29,5 Prozent beträgt (Maturitätsquote im Alter von 25 Jahren im Jahr 2017 laut BFS). Selbst innerhalb des Kantons Zürich sind die Unterschiede markant: Im Bezirk Meilen erreicht die Maturitätsquote 55,8 Prozent, während sie im Bezirk Winterthur 39,4 Prozent und im Bezirk Bülach 31,1 Prozent beträgt. Die Disparitäten, die seit Jahrzehnten das Schweizer Bildungssystem prägen, werden jetzt in der Pandemie wie in einem Vergrösserungsglas sichtbar.

Manche Kindergarten-Kinder bekommen jede Woche einen Ordner per Velo-Kurier geliefert, in dem sie Blätter mit einigen Aufgaben pro Tag bearbeiten. Andere Kindergarten-Kinder haben per E-Mail grosse PDF-Dateien mit Aufgaben bekommen, was manchen Eltern grosse Mühe beim Herunterladen der Dateien und Drucken der Blätter bereitet.

Seit der landesweiten Schulschliessung greifen die Lehrpersonen der Oberstufe massiv auf kooperative Softwaren von den grossen Technologie-Konzernen zurück (meistens Microsoft oder Google). In den Primarschulen ist es vielfach zu hören, dass die «Schule am Bildschirm» eine grosse Nachfrage registriert. Diese Plattform betreibt ein kleines, in Winterthur ansässiges KMU und hat es bisher geschafft, unabhängig zu bleiben.

An der Schule des Zürcher Agglomerationsgürtels, an welcher ich angestellt bin, haben alle Schülerinnen und Schüler Tablets und bearbeiten ihre Aufträge durch die verschiedenen Software-Lösungen von Microsoft-Office-365. Es muss jedoch angenommen werden, dass diese Situation im Vergleich zu den meisten Schulen des Landes eher privilegiert ist. An den Schulen von urbanen Schulbezirken, welche oft über weniger Mittel verfügen, sollte die Realität eher aus einer Kombination von Korrespondenz-Unterricht, Telefonaten und Aufträgen per E-Mail bestehen.

Die Technologie-Konzerne als Retter in der Not?

Der Grad der Verbreitung von digitalen Werkzeugen ist im Kanton Zürich sowohl bezüglich der Ausrüstung der Familien schulpflichtiger Kinder als auch bezüglich der Software-Situation in den Schulen sehr unterschiedlich. Die Stadt Winterthur versucht beispielweise seit mehreren Jahren Schulkinder mit Tablets auszurüsten, scheiterte aber an der Ausschreibung, die jetzt von der Anbieterseite her angefochten wird.

Was die Auswirkungen des Corona-Virus auf den Schulbetrieb angeht, ist alles noch im Bereich des Provisoriums. Jenseits von Durchhalteparolen ist es schwierig bis unmöglich eine Einschätzung zu geben, wie der Fernunterricht läuft. Die meisten Teams an den Schulen arbeiten nach dem Prinzip von trial and error. Das war für die meisten Lehrpersonen vor der Krise schon der alltägliche Brei: mit den neuen Lehrmitteln herumbasteln und – für die städtischen Bezirke – gegen die materielle Misere ausharren.

Grosse Herausforderungen kommen auf die Schulteams zu. Manche Kinder berichten von Problemen mit der Handhabung von Softwares, von Konzentrationsschwierigkeiten, und dass es besonders schwierig ist, den Überblick über die verschiedenen Aufträge zu behalten. Viele Schüler*innen erzählen, dass sie erleichtert sind, Fragen per Telefon oder Videokonferenz zu stellen, was wiederum zu einer Anhäufung von Anrufen bei den zuständigen Lehrpersonen führt.

Man stelle sich mal dystopisch vor, es passiere in den Schulen gerade das, was im Telekommunikationsbereich in den 2000er Jahren passiert ist: massive Verlagerung der Abläufe auf «Kundenarbeit», Unübersichtlichkeit von Anbietern, Zusammenbruch der Dienstleistungsqualität bei gleichzeitigem Preisanstieg (Warteschleifen mit Musik, Roboter, Callcenters). Niemand möchte sich solch einen Alptraum im Bildungsbereich vorstellen. Auftreten wird dieses Szenario nicht, auch nicht mitten in der Pandemie. Wie immer bei Technologiefragen hängt die Verlagerung des Unterrichts auf Online-Plattformen, und in der Zukunft zunehmend auf Online-Dienste, dezidiert davon ab, wie die Kantone die Digitalisierung der Schulen steuern.

Die Schweizer Behörden spielen eine Pionierrolle in den Verhandlungen mit Google mit dem Ziel, ein umfassendes Rahmenabkommen für den Datenschutz in den Schulen zu erreichen (siehe die Recherche von Adrienne Fichter für die Republik, sowie das Update hier). Dafür besteht schon ein Abkommen mit Microsoft, wobei aber noch unklar ist, welche demokratische Kontrolle es dazu geben wird. Wie die Journalistin Adrienne Fichter aufzeigt, adressiert eine Plattform wie G Suite for Education grundsätzliche Fragen an der Gesellschaft. Es ist unter anderem zu klären, ab welchem Alter Google das Profil von einem Schulkind speichern darf und wer über die Verwendung von dessen pädagogischen Daten bestimmt. Dieses Beispiel zeigt den grossen Handlungsbedarf, der momentan bezüglich des Datenschutzes im öffentlichen Schulsystem besteht.

Auf Initiative der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) haben die grossen Technologie-Konzerne sowie grosse Medienhäuser wie die BBC, eine internationale Koalition gestartet, bei welcher sie den Folgen der Pandemie in vielen Ländern der Erde begegnen wollen. Gemäss Einschätzungen von Mitte März sind von den Schulschliessung 850 Millionen Kinder sowie Studierende in 102 Ländern betroffen.

Die Direktorin der UNESCO, Audrey Azoulay, setzt zwar den Akzent auf Bildungsgerechtigkeit und Inklusion mit dem Spruch Nobody left behind. Es ist aber absehbar, dass die grossen multinationalen Unternehmen der Datenökonomie von dieser Kampagne profitieren werden. Zum einen zeigen sie ein humanitäres Gesicht in der Pandemie, indem sie sich als grosszügig und aktivistisch präsentieren. Zum anderen setzen sie einen Fuss in die Tür, um öffentliche Märkte zu erobern.

Der Fernunterricht vervielfacht die Ungleichheiten

Die Bildungsdirektorin des Kantons Zürich, Silvia Steiner (CVP), sagte am 24. März 2020 in einem Interview mit dem Sender SR4 News zur Schulschliessung, dass die Eltern ab und zu eine Lernkontrolle führen sollten. Das ist eine massive Untertreibung angesichts der mehrfachen Belastung in den Familien von schulpflichtigen Kindern. Die Bildungsdirektorin negiert damit die zusätzliche pädagogische Arbeit, welche Eltern momentan aufgrund des Fernunterrichts leisten müssen, sowie die zusätzliche Sorgearbeit, die aufgrund der Schliessung der Schule entsteht.

Da die Schulen des Kantons allmählich auf digitale Online-Lösungen setzen, entstehen in Folge der Einstellung des Präsenzunterrichts gewaltige Probleme bezüglich des Zugangs zu solchen Plattformen. Am dringendsten sollte die Situation bei frisch eingewanderten Familien sein, wo die sprachlichen Barrieren zusätzlich zu mangelnden Ressourcen des Elternhauses den Zugang der Kinder zum Fernunterricht erschweren.

Im Kanton Zürich beteiligen sich 128 Schulen an einem Qualitätsprogramm (QUIMS) für Schulgemeinden, bei welchem der Anteil von Menschen mit einer anderen Muttersprache als Deutsch höher als 40 Prozent liegt. Darin bekommen die Schüler*innen mit Deutsch als Fremdsprache eine spezielle Förderung. Der Übergang zum Fernunterricht bedeutet für diese Schüler*innen, dass sie den Textzufluss der Onlinetools zunächst bewältigen und die zahlreichen Aufträge ohne mündliche Unterstützung schriftlich bearbeiten müssen. Ohne dezidierte Begleitmassnahmen ist es zu befürchten, dass die Arbeit mit den Online-Plattformen für diese Kinder unmöglich wird.

Laut ersten Berichten stellt die digitale Ausrüstung von Familien eine grosse Herausforderung dar. Gemäss Bundesamt für Statistik haben 96 % der Haushalte Zugang zum Internet (Zahlen von 2019). Diese Statistik muss aber kritisch hinterfragt werden: Wenn ein Vater oder eine Mutter eine E-Mail-Adresse angibt, heisst das nicht automatisch, dass auch das Kind Internetzugang hat. Kolleg*innen haben schon am Anfang des Lockdowns festgestellt, dass eine nicht geringe Zahl von Familien via E-Mail nicht erreichbar ist. Es lässt sich überall in den Stadtvierteln feststellen, in denen Familien mit niedrigem Einkommen leben, dass zahlreiche Eltern die E-Mails der Schule nur über Smartphones bekommen. Das heisst, dass sie die Anhänge meistens nicht gut lesen, geschweige denn drucken können. Manche Schulen haben notfallmässig einen Druckdienst eingerichtet und schicken den Schüler*innen die Arbeitsblätter per Post zu.

Haben die Schüler*innen kein eigenes Tablet oder eigenen Laptop, bekommen sie ein Problem, wenn sie die Aufträge online herunterladen oder bearbeiten sollen. Hier berichten auch viele Kolleg*innen von Notlösungen, bei denen Laptops an Schüler*innen ausgehändigt wurden. Trotz der Gewieftheit, die viele Schulteams beweisen, ist es anzunehmen, dass die Engpässe dann bei der Leistungsfähigkeit beziehungsweise der Internetverbindung der Geräte auftreten. Es liegt also auf der Hand, dass es eine massive Ausrüstung der Schulkinder mit elektronischen Geräten braucht.

Dazu kommen grosse Ungleichheiten in der Beherrschung gängiger Bürosoftwares und Internetseiten. Die Informatik hat im Lehrplan 21 immer noch nicht den Status eines vollständigen Schulfaches erlangt. Die Eltern von Schulkindern haben je nach Berufsbildung und Sozialisation sehr unterschiedliche Medienkompetenzen. Falls die Erziehungsberechtigten eines Kindes wegen ihrer Erwerbsarbeit schon mit Homeoffice vertraut sind, was selten der Fall sein dürfte, heisst es noch nicht, dass sie die Software-Lösungen der Schule ihrer Kinder kennen.

Im Fernunterricht kombinieren sich diese Unterschiede bei der Medienkompetenz mit der Ungleichheit, welche bei allen Formen des «selbstständigen Lernens» vorhanden ist. In ihrer letzten Sommerausgabe zum Thema der Digitalisierung bespricht die Zeitschrift der VPOD Bildungspolitikdas Problem der sozialen Selektivität:

«Während Schüler*innen aus «bildungsnahen» Elternhäusern oftmals bereits von Beginn an die entsprechenden Kompetenzen und die Motivation mitbringen, ihre Lernprozesse selbst zu steuern, fällt dies unterprivilegierten Kindern und Jugendlichen ungleich schwerer. Um dem entgegenzuwirken und die produktiven Aspekte der offenen Lernformen zu nutzen, ohne die soziale Selektivität mit diesen zu vergrössern, braucht es durchdachte Lernsettings.»[1]

Der zentrale Punkt bei der Umsetzung von neuen computergestützten Technologien im Schulunterricht sind die Lernsettings, wie im zitierten Beitrag richtig aufgeführt wird. Um es einfacher auszudrücken, kommt es grundsätzlich darauf an, welche pädagogischen Mittel und welches Personal bei solchen Methoden zum Einsatz kommen. Diese Beobachtung trifft genau auf die aktuelle Situation zu. Denn der Fernunterricht kombiniert Formen des selbstständigen Lernens mit neuartigen Formen, bei denen digitale Online-Medien oder aber digitale Plattformen, die Stoffvermittlung gewährleisten.

Die Wirksamkeit des Fernunterrichts ist jedoch gering, wenn es keine konsequente Unterstützung von Lehrpersonen und schulischen Heilpädagog*innen (meistens Frauen) dazu gibt. Dasselbe gilt für das selbstständige Lernen mittels Online-Medien zuhause. Um diesen Sachverhalt aufzuzeigen, reicht es, die Ergebnisse von der sogenannten Hattie-Studie zur Kenntnis zu nehmen. Die Ergebnisse dieser Metastudie sind im deutschsprachigen Raum zwar Gegenstand von Debatten, die Pädagogik erkennt sie aber weitgehend an. Wie in der Tabelle dargestellt, versprechen die Lernsettings mit Unterstützung von anwesenden Lehrpersonen mehr Lernerfolg als diejenigen, die zuhause ohne Unterstützung von pädagogisch ausgebildeten Personen stattfinden.

Tabelle: Wirksamkeit von ausgewählten Lernsettings im Vergleich

Unterhalb von 0.2 ist der Lerneffekt nicht relevant (o); zwischen 0.2 und 0.4 wird von einem kleinen Effekt gesprochen (*), zwischen 0.4 und 0.6 von einem moderaten Effekt (**), ab 0.6 von einem grossen Effekt (***); dies jeweils im Vergleich zu einer Kontrollgruppe ohne dieses Setting.

Mit Unterstützung durch LehrpersonOhne Unterstützung durch Lehrperson
Interventionen für Lernenden mit besonderem Bedürfnis 0.77 (***)Hausaufgaben 0.29 (*)
Feedback 0.73 (***)Technologiegestütztes Lernen zuhause 0.16 (o)
Direkte Instruktion 0.59 (**)Fernunterricht 0.09 (o)

Quelle der Daten: https://visible-learning.org/de/hattie-rangliste-einflussgroessen-effekte-lernerfolg/

Aufgrund der Weisungen des Zürcher Volksschulamtes müssen die meisten Lehrpersonen davon ausgehen, dass es eine Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts nach den Osterferien geben wird. Wie sich eine lange Phase des Fernunterrichts dagegen auf das Lernen auswirken würde, kann nur vermutet werden. Was sich sicher feststellen lässt, ist, dass es eine massive Begleitung von Fernunterricht durch Lehrpersonen und schulische Heilpädagog*innen (SHP) braucht.

Die meisten Menschen, die schon im Schulbereich engagiert sind, wissen es jedoch: es fehlt eine grosse Zahl an SHP. Das ist die schmerzliche Realität in vielen Schulbezirken der deutschsprachigen Schweiz. Gemäss einer Recherche des Beobachters, welche am 11. Oktober 2018 publiziert wurde, geben 81 Prozent der Schulleitungen an, nicht alle SHP-Stellen besetzen zu können. Dafür sind es gerade die Lehrpersonen mit dieser zusätzlichen Ausbildung, die bei der Unterstützung von Kindern mit besonderen Bedürfnissen Tag für Tag den Unterschied machen.

Was jetzt fehlt: Schule als geschützter Raum und Ausgleichung sozialer Ungleichheit

Die Rolle von Schulischen Heilpädagog*innen sowie von Schulsozialarbeitenden, ist in einer Krise wie jener der Corona-Pandemie unabdingbar. Ihre Position in den Schulhäusern ist zu verstärken. Öffentliche Schulen schliessen und den Unterricht in die Privatsphäre auslagern, wie der Bundesrat es beschlossen hat, ohne gleichzeitig entsprechende Massnahmen zur Gewährleistung von Bildungsgerechtigkeit zu treffen, bedeutet de facto den Ausschluss von Tausenden Kindern aus dem Schulbetrieb. Dies gilt insbesondere für die Schulen mit hohem Anteil von Kindern mit Deutsch als Fremdsprache, wo unterstützende Massnahmen zum Fernunterricht dringend sind.

Die Schule ist bei Weitem nicht nur das Pauken von Arbeitsblättern und die Korrektur von Hausaufgabenheften. Das Wichtigste im Klassenraum, auf dem Schulhof und in den sozialen Anlässen des Schuljahres sind vielleicht die sozialen Interaktionen zwischen den Lehrer*innen und den Kindern sowie Jugendlichen.

Unersetzlich ist auch, was auf der Bühne des Klassenzimmers passiert, das heisst die alltägliche Unplanbarkeit von Geschichten und Witzen. Sachen, die in Videokonferenzen weniger vorkommen. Dazu gehören auch die vielen Klassengespräche, wo die Hoffnungen, die Frechheit und die Witzigkeit von den Schulkindern durchschimmern.

Für die Kinder und für die Jugendlichen existentiell, ist die Schule ein Ort der Sozialisation mit ihren Schulkolleg*innen, das heisst mit ihren Peers. Christine Flitner vom VPOD schreibt zurecht, dass es für Kinder unter 16 Jahren schädlich sei, zu lange zuhause allein zu bleiben. Diese Situation dürfte aber angesichts der Schulschliessung für viele Jugendliche eine bittere Realität sein, denn die Eltern müssen oft trotz der Pandemie arbeiten. Und für die Kinder der benachteiligten Schichten hängt die Versorgung grossenteils von der Schule ab: im Schulgebäude bekommen sie einen geheizten Raum, Mittagessen und die Aufmerksamkeit von Pädagog*innen.

Deshalb muss die öffentliche Schule angesichts einer epochalen Krise wie der Corona-Pandemie die soziale Abstützung der Kinder als erste Priorität erachten. Dazu gehört auch eine voluntaristische, breit abgestützte Offensive, um Chancengerechtigkeit herzustellen. Die Volksschule muss zu diesem Zweck krisenfester, resilienter und inklusiver werden.

Wir sind sehr interessiert von weiteren Erfahrungen von Lehrpersonen zu hören und diese zu veröffentlichen. Damit kann ein Raum für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Bildungswesen während der Pandemie und darüber hinaus geschaffen werden, der sowohl die Bedürfnisse der Lernenden und der Eltern als auch der Lehrpersonen in den Blick nimmt. Für erste Forderungen mit Blick auf die aktuelle Krise ist die Zusammenstellung des VPOD zu Rechten von Schulkindern und Lehrer*innen empfehlenswert.


[1] Johannes Gruber, Schule der Zukunft. In: vpod-bildungspolitik Nr. 212, S. 6; der Autor bezieht sich in diesem Abschnitt auf die Forschung von Jürgen Oelkers zum selbstregulierten Lernen.

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