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Sechs Thesen zur Krise des Kapitalismus

Wir leben in einer entscheidenden Zeit, in der viele Schwierigkeiten zusammenkommen. Gesundheit, Wirtschaft und Ökologie sind eng miteinander verwoben – die mit ihnen verbundenen Probleme sind Ausdruck einer allgemeinen Krise unserer kapitalistischen Gesellschaft. Als Linke müssen wir versuchen, die aktuelle Lage zu analysieren und nach Antworten suchen. Schaffen wir dies nicht, werden sich Fatalismus, autoritäre und rechte Konzepte durchsetzen.

von BFS/MPS

These 1: Die Regierungen stellen ökonomische Bedenken über unsere Gesundheit

Die herrschende Klasse ist unfähig, angemessen auf die Corona-Pandemie zu reagieren. Vor allem westliche Regierungen zögern, die Gesundheit der Menschen klar über ökonomische Erwägungen zu stellen. Zu gross ist die Angst vor einer neuen Wirtschaftskrise, die ein kompletter Shutdown aller nicht lebensnotwendigen Wirtschaftsaktivitäten auslösen würde. Anstatt koordiniert vorzugehen, versuchen viele Länder, Massnahmen hinauszuzögern, um für ihre Unternehmen Profite zu sichern und Wettbewerbsvorteile zu ergattern. Die Regierungen sind daher unfähig und/oder nicht gewillt, angemessen und schnell auf die Corona-Krise zu reagieren und das Gesundheitswesen vor einer Überlastung zu bewahren. Die zynische Gradwanderung nach dem Motto «Nicht zu viele Coronaopfer, keine voreilige und unnötige Belastung der Wirtschaft» offenbart die Logik eines Gesellschaftssystems, in dem nicht das Wohlergehen der Mehrheit der (lohnabhängigen) Menschen, sondern dasjenige einer kleinen Elite im Zentrum steht.

These 2: Die Gesundheitskrise ist auch die Folge der neoliberalen Politik

Die Corona-Pandemie ist zweifellos eine riesige Herausforderung für das Gesundheitswesen. Doch die Probleme, die dabei auftreten, sind auch hausgemacht. Die Politik der letzten Jahrzehnte hat in vielen Ländern zu einer Unterfinanzierung des Gesundheitswesens geführt. Es fehlt an der notwendigen Infrastruktur, an genügend Ausrüstung und Intensivbetten. Zu wenige Pfleger*innen und Ärzt*innen müssen eine immer höhere Zahl an Patient*innen pflegen. Die globalen öffentlichen Ausgaben im Gesundheitswesen stagnieren oder steigen langsamer als der rasch wachsende Pflegebedarf unserer Gesellschaften.

Nach Ausbruch der ebenfalls durch ein Corona-Virus verursachten SARS-Epidemie 2002 warnten Wissenschaftler*innen weltweit vor künftigen Ausbrüchen und plädierten dafür, die Grundlagenforschung auszubauen sowie die Gesundheitssysteme für künftige Ausbrüche zu wappnen. Die Fortsetzung der neoliberalen Abbaupolitik in fast allen Ländern ignorierte dies und stärkte stattdessen die Position der Pharmaunternehmen. Die Spitzenmedizin und lukrative Geschäftszweige im Gesundheitswesen florieren, während grösstenteils behandelbare Krankheiten (Malaria, Tuberkulose, Cholera, AIDS, Lepra) vor allem in armen Ländern weiterhin verheerende Folgen haben. Patente verhindern, dass neuere Medikamente auch in armen Ländern eingesetzt werden können.

These 3: Die kommende Wirtschaftskrise ist systembedingt, die Corona-Pandemie lediglich ihr Auslöser

Die kapitalistische Tendenz der Ausweitung und Intensivierung der Produktion führt immer wieder zu Absatzproblemen und somit Überproduktionskrisen, die sich je nach Kontext unterschiedlich zeigen. Die sich nun anbahnende Wirtschaftskrise wird durch das aktuelle Corona-Virus nicht verursacht, sondern allenfalls ausgelöst und verschärft. Seit der letzten Wirtschaftskrise (2007-2009) hat die Niedrigzinspolitik der Zentralbanken zu einer Lage geführt, in der sich weltweit Zehntausende Unternehmen nur durch günstige Kredite über Wasser halten können und hoch verschuldet sind. Hinzu kommt die hohe Verschuldung der öffentlichen Hand, welche nicht zuletzt auf die staatlich finanzierten Bankenrettungen von 2007 zurückzuführen ist. In vielen Ländern, unter anderem in den USA, kommt schliesslich auch noch die riesige Verschuldung von Privatpersonen hinzu. Wenn im Zuge der Corona-Krise Unternehmen und Privatpersonen nun in existentielle ökonomische Schwierigkeiten geraten und damit auch das Finanzsystem destabilisieren, dann ist dies also nicht nur der aktuellen Situation geschuldet, sondern Ausdruck der grundsätzlichen Krisenhaftigkeit des Kapitalismus.

Im aktuellen Kontext sind die Staaten immer weniger in der Lage, der sich anbahnenden wirtschaftlichen Rezession etwas entgegenzusetzen. Mit den schon jetzt historisch tiefen Leitzinsen haben die Zentralbanken ihr Pulver endgültig verschossen und können den Absatzschwierigkeiten der Unternehmen kaum mehr gegensteuern. Die politische Krise der Europäischen Union und die globalen geopolitischen Spannungen tragen das Ihrige dazu bei. Sie machen es extrem unwahrscheinlich, dass die Staaten eine koordinierte Antwort auf die Krise zustande bringen.

Der aktuelle Einbruch zahlreicher Wirtschaftsbereiche offenbart die Prekarität und die enorme Verletzlichkeit von Millionen von Unternehmen, Kleinbetrieben und selbstständig Erwerbenden, die nur in einem Umfeld überleben, das auf ständigem Produktivitätszuwachs und Wachstum beruht. Der Rückgang des öffentlichen Lebens könnte vielen Menschen die Gelegenheit bieten, innezuhalten und auch die bestehenden Verhältnisse in Frage zu stellen. Demgegenüber stehen aber die (berechtigten) Existenzängste von Millionen von Menschen, die sich vor Konkurs, Überschuldung, Arbeitslosigkeit und Armut fürchten.

Angesichts der Corona-Pandemie ist es wichtig, dass wir zwar Verständnis für die Sorgen und Ängste der Menschen aufbringen, gleichzeitig aber darauf hinweisen, dass die ökonomische Krise im Kern andere Ursachen hat. Die Unternehmen versuchen nun, sich anlässlich der Massnahmen gegen die Pandemie auf Kosten der öffentlichen Hand möglichst viel finanzielle Unterstützung zu sichern. Wie reagieren wir darauf?

These 4: Die Corona-Pandemie und die Wirtschaftskrise verdrängen die noch folgenschwe­rere Klimakatastrophe aus dem öffentlichen Bewusstsein

Die aktuell dramatische Situation im Gesundheitswesen und die sich anbahnende Wirtschaftskrise drohen die insgesamt viel wichtigere Klimakatastrophe aus dem öffentlichen Bewusstsein zu drängen. Der momentane Einbruch ökonomischer Aktivitäten wird mittel- und langfristig durch Investitionsprogramme der Regierungen wieder wettgemacht werden. Die herrschende Klasse wird an ihrem produktivistischen Modell festhalten, den Verbrauch fossiler Energien weiter ankurbeln und unsere Ökosysteme weiter destabilisieren. Umso wichtiger ist es, dass die Klimabewegung weiterkämpft und Fragen der Gesundheit und der Ökologie miteinander verbindet.

These 5: Die Krise der Gesundheit, der Wirtschaft und der Ökologie hängen miteinander zusammen

Die Krise unseres Gesundheitswesens, unserer Wirtschaft und unserer Ökosysteme sind eng miteinander verbunden und müssen als Ausdruck einer allgemeinen und tiefgreifenden Gesellschaftskrise verstanden werden. So wie Fachleute seit Jahren auf die mangelnde Grundlagenforschung und die Unterfinanzierung des Gesundheitswesens aufmerksam machen, weist die Wissenschaft auch auf die katastrophalen Folgen des Klimawandels hin und warnt eindringlich vor den irreversiblen Schäden für Mensch und Umwelt. Dennoch bricht der fossil-getriebene Kapitalismus Jahr für Jahr neue Emissionsrekorde. Schliesslich ist auch die Einsicht in die Krisenhaftigkeit unserer Ökonomie nicht alleine Marxist*innen vorbehalten.

Es zeigt sich also, dass der Widerspruch zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und technologischen Möglichkeiten einerseits und der Dynamik des Kapitalismus andererseits alle wichtigen gesellschaftlichen Bereiche unseres Lebens durchzieht. Wir wissen zwar um die Probleme und hätten Möglichkeiten, es besser zu machen, sind aber einer kapitalistischen Logik unterworfen, die uns daran hindert, dies zu tun.

In einem auf Wachstum, Konkurrenz und Profit basierenden System lassen sich Gesundheit, Arbeit und der Schutz unserer Umwelt nicht solidarisch organisieren. Die Zerstörung unserer Ökosysteme raubt immer mehr Menschen ihre Lebensgrundlage und bedroht auch deren Gesundheit. Schon heute sterben jedes Jahr Millionen Menschen vorzeitig an den Folgen von Umweltverschmutzung, Atemwegserkrankungen in Folge von Luftverschmutzung nehmen vielerorts zu. Steigende Temperaturen und Trockenheit führen zu einem Rückgang landwirtschaftlicher Erträge, einem Verlust von Ernährungssouveränität und damit steigender Marktabhängigkeit. Das Zurückdrängen naturbelassener Lebensräume, die Übernutzung der Böden und die Ausbreitung der industriellen Massentierhaltungen begünstigen den Ausbruch immer neuer Viruserkrankungen. Die steigende soziale Ungleichheit und die neoliberale Politik machen grosse Teile der Bevölkerung verletzlich für zahlreiche psychische und physische Erkrankungen. Millionen Menschen leiden an Stress und/oder depressiven Erkrankungen, Hunderte Millionen von Menschen leiden an Übergewicht und ihren Folgeerkrankungen (Diabetes, Herzkreislauferkrankungen), oder aber an Mangelernährung. Beides betrifft überwiegend arme Menschen. Je weiter «unten» sich Menschen und Regionen in der sozialen Hierarchie des Kapitalismus befinden, desto stärker sind sie von seinen Problemen betroffen. Während das Corona-Virus schon das italienische Gesundheitswesen heillos überfordert, sind die Auswirkungen, die das Virus in den ärmsten Ländern der Welt hat, noch viel katastrophaler. Die kommende Wirtschaftskrise wird die globale Ungleichheit vergrössern und die Armut derjenigen, die schon heute wenig oder nichts haben, weiter vergrössern.

These 6: Die Linke muss auf die aktuelle Krise reagieren und dabei eine antikapitalistische, feministische, internationalistische und ökosozialistische Perspektive entwickeln

Das Versagen insbesondere der «liberalen» Regierungen droht reaktionären, rechten und faschistischen Kreisen weiter Aufwind zu verleihen. Es ist entscheidend, dass die Linke die aktuelle Krise analysiert, Probleme benennt und Alternativen aufzeigt:

  • Gesundheit vor Profit: Setzen wird uns für ein öffentlich finanziertes und solidarisches Gesundheitswesen ein, welches von Patient*innen, dem Gesundheitspersonal und der Gesellschaft demokratisch organisiert wird und sich an den Bedürfnissen der Mehrheit orientiert. Unterstützen wir die zahlreichen solidarischen Initiativen, die überall auf der Welt entstanden sind, um Hilfe, Kooperation und Solidarität von unten zu stärken.
  • Widerstand der Lohnabhängigen unterstützen: Immer mehr Beschäftige wehren sich dagegen, in Zeiten der Corona-Pandemie ihre Gesundheit und diejenige ihrer Mitmenschen zu riskieren, um unnötige Wirtschaftsbereiche aufrechtzuerhalten. Verlangen wir, dass die Gesundheit der Lohnabhängigen oberste Priorität hat und alle nicht lebensnotwendigen wirtschaftlichen Aktivitäten geschlossen werden, solange die Corona-Pandemie andauert.
  • Internationale Solidarität: Gerade in Zeiten der Corona-Krise ist es unerlässlich, Medikamente und allfällige Impfstoffe allen Menschen weltweit gratis zur Verfügung zu stellen. Setzen wir uns dafür ein, dass nicht die Pharmakonzerne, sondern die Menschen weltweit von Wissenschaft und Forschung profitieren. Kämpfen wir dafür, dass auch geflüchtete Menschen Solidarität und ein Recht auf medizinische Versorgung erhalten. Statt der rechten Hetze stillschweigend zuzusehen, müssen wir uns als Linke für die solidarische Aufnahme geflüchteter Menschen, rechtsstaatliche Verfahren und ein Recht auf Asyl einsetzen.
  • Die feministische Bewegung weiter aufbauen und für gleiche Rechte kämpfen: Die Überlastung und Unterfinanzierung unseres Gesundheitswesens, die Schulschliessungen und die Wirtschaftskrise führen einmal mehr dazu, dass die vor allem von Frauen (unbezahlt) geleistete Pflege- und Erziehungsarbeit massiv zunimmt. Als Teil der feministischen Bewegung müssen wir uns für eine solidarische und gleichberechtigte Aufteilung der Sorgearbeit einsetzen. Dazu gehört der Kampf um öffentliche und unentgeltliche Kinderbetreuungsangebote und eine Aufwertung der Pflege- und Betreuungsberufe.
  • Für eine ökosozialistische Alternative: Wenn wir die aktuellen Probleme als eine Krise unserer kapitalistischen Gesellschaft begreifen, müssen wir auch aufzeigen, wie sich diese Krise längerfristig überwinden lässt: Kämpfen wir für die gesellschaftliche Aneignung und Demokratisierung nicht nur des Gesundheitswesens, sondern aller grossen Unternehmen und Wirtschaftsbereiche, insbesondere der Rohstoff- und Energiekonzerne sowie des Finanzsektors. Nur wenn deren Macht gebrochen wird und alle wirtschaftlichen Tätigkeiten unter demokratische Kontrolle der Produzierenden und der Konsument*innen gestellt werden, können wir die Klimakatastrophe aufhalten und eine solidarische und gleichberechtigte Gesellschaft aufbauen.

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