Der deutsche Kabarettist Marc-Uwe Kling hat mit seinen «Känguru-Chroniken» ab 2009 für viel Furore gesorgt. Obwohl die Bücher zu den meistgelesenen in Deutschland zählen, ist Kling dafür bekannt, den Erfolg seines Werks selbstironisch auf die Schippe zu nehmen. Dabei entstehen nicht nur die selbstreferenziellen Insider, die von manchen Fans zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit beinahe zwanghaft geäussert werden. Einer dieser Running-Gags aus der Buch-Trilogie war auch die potenzielle Verfilmung der Känguru-Geschichten und der damit verbundene Ausverkauf an die Unterhaltungsindustrie. Deshalb ist das Erscheinen dieses Films schon etwas ironisch. Als langjährige Känguru-Fans fragten wir uns unweigerlich: Kann das gut gehen?
von Theo Vanzetti und Ephraim Lange (BFS Zürich)
Egal in welcher linken Strömung man sucht, praktisch überall sind Marc-Uwe Klings Känguru-Geschichten beliebt. Manche haben alle Bücher der Reihe auf Zugreisen innerhalb von 1-2 Tagen durchgelesen – ein Phänomen, welches man sonst eher von Harry Potter kennt. Als 2014 die «Känguru-Offenbarung» erschien, war einer der hier schreibenden Autoren gerade in Ecuador und setzte trotz spärlicher Internetverbindung alles daran, das neue Hörbuch zu bekommen. Etwas erschöpft von einer mehrmonatigen Reise sass er Abende lang im Wohnzimmer seines Hostels und hörte sich das viele Stunden umfassende Material an.
Über bisher unveröffentlichte Manuskripte und Verfilmungen: Die Legitimität, die eigene Kunst zu Geld zu machen, versus Sell-out
Die Veröffentlichung des vierten Buchs, den «Känguru-Apokryphen», hinterliess trotz nach wie vor vorhandener Witzigkeit etwas den Eindruck, man wolle Marc-Uwes Känguru-Stories bis auf den letzten Tropfen auspressen. Dieses Prinzip, welches unter anderem bei posthum veröffentlichten Werken diverser verstorbener Künstler*innen zu beobachten ist, führt jedoch oft zu eher schlechten Ergebnissen. So erreicht beispielsweise keine einzige posthum-Veröffentlichung des Rappers Tupac Shakur das Niveau, welches er zu Lebzeiten an den Tag legte. Es gibt Gründe, weshalb Künstler*innen einen Teil ihres Schaffens nicht publizieren. Bereits bei den Känguru-Apokryphen hatte man den Eindruck, Marc-Uwe würde vor allem noch die Restposten aus seiner Ideenschublade verwerten. Und nun also auch noch ein Kinofilm. Auch deshalb gingen wir mit gemischten Gefühlen ins Kino.
Ein Film wider den Rechtspopulismus, Gentrifizierung und eine kaputte Welt
Wie bei allen Buchverfilmungen hofft man auf eine Bildwelt, die der persönlichen Vorstellung möglichst entsprechen möge, währenddem man eigentlich weiss, dass dies fast gar nicht der Fall sein kann. Und auch die Filmemacher*innen scheinen im Clinch zu liegen zwischen der drehbuchtauglichen Adaption und der Buchvorlage. So hält sich der Anfang der Verfilmung der Känguru-Chroniken relativ genau ans Buch, mit ein paar Ausnahmen und Vermischungen, die eingefleischten Fans natürlich sofort ins Auge fallen. Dann wird aber schnell klar, dass der Film eine eigene Story erzählt. Natürlich baut sie auf Elementen und Charakteren der Känguru-Geschichten auf. Aber der Film folgt keineswegs der Chronologie der Bücher. Was dabei herauskommt, ist ein hochpolitischer Film, der sich mit phallischen Minderwertigkeitskomplexen widerwärtiger Kapitalist*innen, die den Rechtspopulismus für sich entdeckt haben, ihren Verbündeten in Europa und den USA und vor allem der Gentrifizierung in Berlin Kreuzberg beschäftigt. Auch ist es wohl der erste Kinofilm deutscher Produktion, in dem ein «Fick Neoliberalismus – Fight TTIP» -Graffito in mehreren Cuts zu sehen ist und eine Menge von Demonstrant*innen «Siamo tutti antifascisti» skandiert. Wie also schon die Bücher hat nun auch der Film eine teils unterschwellig, teils überdeutlich präsentierte politische Botschaft, bei der nur gehofft werden kann, dass sie einen ähnlich grossen Kreis an Menschen erreicht, wie bereits die Bücher.
Dabei stellt sich natürlich die Frage, 0b es nicht paradox ist, einen Film mit antikapitalistischem und antifaschistischem Inhalt zu drehen, der sich total gut verkauft. Kann diese Kritik an den Verhältnissen, die es Marc-Uwe überhaupt erst ermöglichten, einen Film zu drehen, ernst genommen werden? Auf der anderen Seite könnte auch eingeworfen werden, dass Marc-Uwe seinen Einfluss, den er durch die Bücher gewonnen hat, in bestmöglicher und sinnvollster Weise geltend macht, um aufzuzeigen, wie kaputt vieles auf dieser Welt ist. Und, wie im Film, mit einem «ziemlich radikalen Protestsong» zu sagen: Jetzt ist Schluss!
Referenzen zu Filmklassikern: viel Schönes dabei
Darüber hinaus funktioniert der Film auf verschiedenen Ebenen. So wird er von Meta-Betrachtungen des Kängurus und Marc-Uwe selbst eingerahmt, die transportierten Lovestory-Klischees werden im Film immer wieder hinterfragt und schliesslich ist eine enorme Anzahl von Anspielungen auf jüngere und ältere Kultfilme darin versammelt. Vermutlich haben wir viele gar nicht mitbekommen. Auf alle Fälle gibt es aber Referenzen zu «Pulp Fiction», «Und täglich grüsst das Murmeltier» und gefühlt allen Bud Spencer und Terence Hill Filmen. Somit wird das Filmemachen an sich zum Thema gemacht. Es scheint die zwangsläufige Umsetzung des Adorno-Zitats, welches auch schon in der Buchvorlage zu finden war: «Kultur heute schlägt alles mit Ähnlichkeit». Warum dann nicht gleich die Zitate und Stilmittel der Filmklassiker offensichtlich übernehmen, wenn sowieso nichts komplett Neues geschaffen werden kann? Und warum nicht alles mit witzig- und nicht-witzig-Einheiten bewerten, wo wahr und falsch, mein und dein, Nazis und «Patrioten» (vermeintlich) schon alles das Gleiche bedeuten kann?
In einer repräsentativen Umfrage der BFS Zürich unter Mitgliedern der BFS Zürich (siehe Kasten) hielt die Mehrheit der Befragten das Aussehen des Kängurus für mittelwitzig, die Lovestory für eher nicht witzig und Nirvana fehlte unwitzigerweise fast gänzlich. Aber auch hierfür wird am Anfang des Films ja eine Erklärung geliefert; David Hasselhoffs musikalische Höhenflüge waren als Filmmusik günstiger. Der zwanglose Zwang des besseren Arguments.
Unser Fazit lautet: Der Film ist sehr witzig, sollte aber niemanden davon abhalten sich die (Hör-)Bücher zu geben. Das Schöne an Marc-Uwe Klings Werk ist ja, dass man entweder alles von Anfang bis Schluss durchhören oder auch per Zufallswiedergabe sich einfach mal ein paar Kurzgeschichten beim Reisen, Abwaschen oder als Lektüre im Kinder-Feriencamp reinziehen kann. Die Känguru-Bücher haben eine ganze Generation linker Aktivist*innen geprägt und wohl so manche*n erst für antikapitalistische Ideen begeistert. Der Film hat Potenzial diesen Erfolg auch in einer weiteren Generation fortzusetzen.
Wissenschaftliche Studie
Eine repräsentative Umfrage der BFS Zürich unter den Mitgliedern der BFS Zürich ergab nach dem Film folgendes Resultat1:
- Drei Personen fanden den Film eher so mittelmässig. Vier fanden ihn sehr witzig.
- Alle sieben Testschauer*innen fanden die Lovestory nicht witzig bis eher so mittelmässig.
- Die grafische Umsetzung des animierten Kängurus fanden alle sieben eher so mittelmässig.
- Alle waren der Meinung, dass es nicht witzig ist, wenn man Nirvana einspart und stattdessen David Hasselhoff bekommt.
Tja. Man liebt es oder man hasst es 😉
1 Die Autoren des vorliegenden Artikels haben für diese Erhebungsmethode jahrelang studiert. Bei der Umfrage kamen keine Tiere zu Schaden.