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Essential Strike – Manifest für den 8. März

Wir veröffentlichen hiermit das Manifest von E.A.S.T (Essential Autonomous Struggles Transnational), einem Netzwerk, von Frauen, Migrant:innen, Arbeiter:innen und Aktivist:innen, welches aus den Kämpfen um die soziale Reproduktion entstanden ist, die durch die pandemische Krise von Covid-19 ausgelöst wurden. E.A.S.T legt seinen Schwerpunkt auf die Situation von Care-Arbeiter:innen in Ost- und Mitteleuropa, wobei sie diesen geographischen Raum als Teil eines transnationalen feministischen Kampfes ansehen. Die Kämpfe sind durch Care-Chains[1] unmittelbar mit der Situation von Frauen in Westeuropa verbunden. Es geht um nicht weniger als eine transnationale Streikbewegung gegen Ausbeutung, Gewalt und institutionellen Rassismus. (Red.)

von E.A.S.T.

Unsere Arbeit ist essentiell – unser Streik ist essentiell

Wir sind die Frauen, die essentiell für die Genesung der Welt von der Pandemie sind.. Wir leisten unverzichtbare Arbeit und finden uns dennoch in miserablen Bedingungen wieder: unsere Arbeit ist unterbezahlt und unterbewertet; wir sind überarbeitet oder arbeitslos; wir sind gezwungen, an überfüllten Orten zu leben und ständig unsere Aufenthaltsgenehmigungen zu erneuern. Wir sehen uns täglich mit männlicher Gewalt konfrontiert, zu Hause und an unseren Arbeitsplätzen. Wir haben die Nase voll von diesen gewalttätigen und ausbeuterischen Bedingungen und weigern uns, weiterhin zu schweigen! Wir haben begonnen, uns gemeinsam in einem Netzwerk zu organisieren, das kämpfende Frauen, Migrant:innen und Arbeiter:innen in Mittel-, Ost- und Westeuropa miteinander verbindet: das ist Essential Autonomous Struggles Transnational (EAST). Am 8. März rufen wir alle auf, die gegen kapitalistische, patriarchale und rassistische Gewalt kämpfen, sich unserem Streik anzuschließen!

Am 8. März streiken wir gegen die Ausbeutung unserer produktiven und reproduktiven Arbeit. Mit unserer unverzichtbaren Arbeit als Krankenpfleger:innen, Reinigungskräfte, Lehrer:innen, Supermarktangestellte, Logistik- und Saisonarbeiter:innen, bezahlte und unbezahlte Hausangestellte und Pfleger:innen von Kindern, alten sowie kranken Menschen halten wir die Gesellschaft am Laufen. Besonders wenn Schulen und Kindergärten geschlossen sind, liegt die Last der Kinderbetreuung und der Hausarbeit auf unseren Schultern. Während der Pandemie haben viele von uns ihre Arbeit verloren, unter anderem, weil wir zu Hause Kinder betreuen und Hausarbeit erledigen mussten. Unsere Arbeit ist unverzichtbar, zu Hause und an den Arbeitsplätzen, und doch wird sie nicht gewürdigt .

Am 8. März streiken wir gegen die Verschärfung der patriarchalen Gewalt! Landesregierungen nutzen die Pandemie als Chance, den Griff des Patriarchats zu verstärken: in Polen mit dem Versuch, die Abtreibungsmöglichkeiten weiter einzuschränken; in der Türkei mit dem Vorschlag, sich aus der Istanbul-Konvention zurückzuziehen; in Ungarn mit der Einschränkung von Transgender-Rechten und einer Anti-LGBTQ-Agenda. Während uns gesagt wurde, «bleibt zu Hause, bleibt gesund», haben viele von uns überhaupt kein zu Hause. Und für viele andere ist ihr Zuhause alles andere als ein sicherer Ort, da sie mit misshandelnden Partnern leben und gegen die zunehmende häusliche Gewalt während der Lockdowns kämpfen müssen. Es wird ein offener Angriff geführt, um uns in der Rolle von Leibeigenen der Gesellschaft festzuhalten, untergeordnet zu Hause und ausgebeutet in der Außenwelt.

Am 8. März streiken wir gegen die rassistischen und ausbeuterischen Regime der Mobilität! Als Pflege- und Saisonarbeitskräfte aus Osteuropa wurden wir in westlichen Ländern «geduldet», um notwendige Arbeit zu verrichten, aber wir mussten dies auf eigenes Risiko tun, ohne Schutz und soziale Absicherung. Unsere Arbeit erhält die (Gesundheits-)Versorgung im Westen aufrecht, während im Osten die Gesundheitssysteme auf den Schultern der überlasteten und unterausgestatteten Arbeiter:innen kollabieren. Migrant:innen und Geflüchtete von innerhalb und außerhalb der EU müssen in überfüllten Wohnheimen und Lagern leben und in unsicheren Umgebungen arbeiten, während sie nie Anspruch auf die gleiche finanzielle Unterstützung haben wie die einheimische Bevölkerung. Auf der ungleich geteilten Landkarte Europas zahlen Migrant:innen den höchsten Preis der Pandemie, so wie sie in der Regel auch den höchsten Preis der Ausbeutung zahlen.

Wir weigern uns, als unverzichtbar zu gelten, nur um ausgebeutet und unterdrückt zu werden! Inspiriert von vergangenen und aktuellen Kämpfen bauen wir auf den Erfahrungen des globalen Frauenstreiks, des polnischen Frauenstreiks und der feministischen Kämpfe in Argentinien für das Recht auf Abtreibung auf. Wir blicken auf zu den Protesten und Streiks von Krankenpfleger:innen, Ärzt:innen, (Kinder-)Pflegekräften, Logistiker:innen und Saisonarbeiter:innen in Bulgarien, Georgien, Österreich, Rumänien, Großbritannien, Spanien, Italien, Deutschland und Frankreich. Wir lernen vom Kampf gegen das rumänische Gesetz, das die Diskussion über „Gender“ im Unterricht verbietet, von den transnationalen Mobilisierungen der Migrant:innen und den Black Lives Matter Demonstrationen. Aufbauend auf diesen kollektiven Kampferfahrungen und ihrer Macht, den Status quo herauszufordern, rufen wir Frauen, Arbeiter:innen, Migrant:innen und LGBTQI+ Menschen auf, sich uns bei einem Streik am 8. März anzuschließen. Unser Streik zielt darauf ab, das gegenwärtigen System unserer Unterdrückung zu zerrütten und uns ein Mitspracherecht bei den Bedingungen des Wiederaufbaus einzufordern. Mit unserem Streik treten wir für die folgenden Forderungen ein:

Freiheit von patriarchaler Gewalt in all ihren Formen! Wir sehen Gewalt gegen Frauen nicht als isolierte Ereignisse, sondern als Teil des gesamten patriarchalen Systems, das uns in die Rolle der Versorgerinnen beibehalten will. Wir weigern uns, die Last der lebensnotwendigen Arbeit zu tragen, die uns durch Gewalt und Bedrängung auferlegt wird. Wir wehren uns gegen die Angriffe ultrakonservativer Regierungen und fordern sichere, legale und kostenlose Abtreibung und Verhütung in jedem Land. Wir fordern einen sofortigen Stopp der politischen und legislativen Angriffe auf LGBTQI+ Gemeinschaften.

Höhere Löhne für alle! Unser feministischer Kampf um Löhne richtet sich nicht nur gegen das Lohngefälle zwischen den Geschlechtern, sondern gegen die kapitalistischen Verhältnisse, die so viele weitere Lohnhierarchien zwischen den Geschlechtern und Angehörigen aller ethnischen Gruppen, Nationalitäten und ganzer Regionen produzieren und reproduzieren. Während die Reichen die Pandemie als Gelegenheit nutzen, um noch mehr Reichtum anzuhäufen, werden wir zurückgelassen, um die Last der Austerität zu tragen. Es reicht! Wir fordern nicht nur die Lohngleichheit der Geschlechter, sondern höhere Löhne für alle Arbeiter:innen! Wir fordern die transnationale Umverteilung des Reichtums! Lasst uns zurückholen, was uns gehört!

Gut finanzierte und integrative soziale Sicherheit auf transnationaler Ebene! Wir lehnen Wiederaufbaupläne ab, die die Kosten des jahrzehntelangen Sozialabbaus weiter auf Frauen und Migrant:innen abwälzen. Wir wollen transnationale Verbindungen zwischen den Kämpfen für Wohlfahrt, Hilfen und soziale Sicherheit schaffen. Auch wenn die Wohlfahrtsbedingungen von Land zu Land unterschiedlich sind, basieren sie auf der geschlechtsspezifischen und rassistischen Arbeitsteilung und den Lohnunterschieden, die Hierarchien zwischen Frauen verschiedener Nationalitäten schaffen. Wir wollen diese Hierarchien in einen gemeinsamen transnationalen Kampf gegen patriarchale Wohlfahrt verwandeln! 

Bedingungsloses europäisches Bleiberecht für alle Migrant:innen, Geflüchtete und Asylbewerber:innen! Wir leisten Widerstand gegen die Art und Weise, wie Regierungen und Arbeitgeber:innen Migrant:innen erpressen, indem sie unmögliche ökonomische und institutionelle Anforderungen stellen, die notwendig sind, um eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten und zu verlängern. Dies zwingt Migrant:innen, vor allem von außerhalb der EU, in inakzeptable Arbeitsbedingungen. 

Sicherer und besserer Wohnraum für alle! Im März 2020 befanden wir uns bereits in einer tiefen Wohnungskrise. Durch die Pandemie sind unsere Wohnungen noch mehr politisiert worden, ohne dass wir etwas dafürkönnen und wollen! Wir fordern angemessenen und finanziell erschwinglichen Wohnraum für alle, frei von Überbelegung und prekären Bedingungen! Wir fordern die sofortige Wiederunterbringung von Personen, die häusliche Gewalt erlebt haben! 

Mit unserem Streik wollen wir zeigen, dass unser Leben und unsere Kämpfe unverzichtbar sind! Deshalb müssen wir uns über die Grenzen hinweg zusammenschließen. Am 8. März wollen wir alle dazu aufrufen, die Kraft der lebensnotwendigen Arbeit sichtbar zu machen und sie als Waffe einzusetzen, um unsere Bedingungen für den Wiederaufbau nach der Pandemie durchzusetzen! 

Wir rufen alle auf, Streiks in den Betrieben und außerhalb der Betriebe zu organisieren, Demonstrationen, Märsche, Versammlungen, Flashmobs, symbolische Aktionen, pañuelazos, ruidazos («lasst uns fummeln, lasst uns laut sein»)! Lasst uns die Gewerkschaften dazu bringen, den Frauenstreik zu unterstützen! Lasst uns gemeinsam überlegen, wie wir unsere unterschiedlichen Kämpfe sichtbar machen und über Grenzen hinweg verbinden können. 

Wir rufen alle Frauen, Migrant:innen und Arbeiter:innen, die unsere Vision und Forderungen teilen, zu einer öffentlichen Versammlung am 21. Februar auf, in der wir die Horizonte unseres wichtigen Streiks diskutieren werden!

Wir laden alle ein, die sich mit diesem Manifest identifizieren, es zu unterschreiben, es weiter zu verbreiten oder es in ihre Sprache zu übersetzen, damit es mehr Frauen, Migrant:innen und Arbeiter:innen erreichen kann. 

Unsere Arbeit ist essentiell, unser Leben ist essentiell, unser Streik ist essentiell!


[1] Care-Chains bezeichnen die meist transnationale oder sogar globale Weitergabe der Haus- und Pflegearbeit unter Frauen. Viele Frauen können der Doppelbelastung, die durch Beruf und Sorgearbeit entsteht, nur entgegenwirken, indem Frauen aus anderen Ländern zu einem tiefen Lohn im privaten Haushalt die Arbeiten verrichten. Diese Frauen, die gerade in Westeuropa meist für einige Monate aus Osteuropa einreisen, haben oftmals selber Kinder zuhause, die eine weitere Frau aus dem Umfeld/aus einem anderen Land betreut. So entstehen globale Care-Ketten. 

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