Wir hielten es erst für einen verfrühten Aprilscherz. Am Mittwoch, 31. März, gab Bundesrätin Simonetta Sommaruga bekannt, dass sie ihren Parteikollegen Christian Levrat zum neuen Verwaltungsratspräsidenten der Post nominiert. Es schien, als sei selbst die Handelszeitung in den lustigen Streich eingeweiht, da sie Levrat prompt als tief-roten «Klassenkämpfer alter Schule» betitelte. Doch schnell wurde klar, dass Levrats Ernennung ernst gemeint ist. Zumindest uns hat die Handelszeitung zum Lachen gebracht. Doch wer braucht heute noch Satire, wenn die Realität bereits dermassen absurd ist?
Knapp ein halbes Jahr nach seinem Rücktritt vom Präsidium der Sozialdemokratischen Partei Schweiz (SP) wechselt Levrat, der gestandene Fribourger Politiker, vom Parlament an die Führungsspitze eines bundesnahen Betriebs. Ihm winkt für ein Halbzeitpensum ein Jahressalär von 225’000 CHF. Macht monatlich 18’750.- CHF und ausgehend von einer 42-Stundenwoche (50% Anstellung, 5 Wochen Urlaub und 13 Monatslöhne) einen Stundenlohn von rund 228.- CHF. Das nennen wir in der Tat tief-roten Klassenkampf, Herr Levrat.
Die grosszügige Entlöhnung deutet es bereits an: Hier schlägt sich jemand auf die Seite des Bürgertums, der vorher nie müde wurde zu betonen, dass er ‘von unten’ komme und selbst einmal Lastwagenfahrer gewesen sei. Es wäre aber definitiv falsch, Levrat jetzt als Kapitalisten zu bezeichnen. Dafür reicht ihm sein neues Gehalt im Vergleich zu den Milliarden, welche die reichsten Schweizer Familien an Vermögen angehäuft haben, bei Weitem nicht. Er ist vielmehr ein Handlanger des Grossbürgertums. Obschon Levrat persönlich auch als Ständerat finanziell nichts zu befürchten hätte, lässt er sich also für die Interessen der Reichsten einspannen. Ist es einem eigentlich nicht irgendwie peinlich, wenn man für Geld die eigenen politischen Ideale, die auch Herr Levrat zumindest am Anfang seiner Laufbahn gehabt haben dürfte, über den Haufen wirft?
Wie erwähnt, sorgte die Nachricht von Levrats Ernennung in bürgerlichen Kreisen für grosses Aufsehen. Man zeigte sich «überrascht, irritiert und erschreckt», und die Handelszeitung bezeichnete Levrat gar als «krasse Fehlbesetzung», welche die Steuerzahlenden «viel Geld» kosten werde. Dass diese Angst wohl stark übertrieben ist, zeigte hingegen ein Kommentar im Tagesanzeiger: «Die Hoffnung, dass Levrat den linken Widerstand gegen Reformen und Umstrukturierungen verringert, also die Gegner ins Boot holt, dürfte für Simonetta Sommaruga ausschlaggebend gewesen sein.»
Das heisst im Klartext nichts anderes, als dass sich die Sozialdemokratie einmal mehr vor den Karren des Bügertums spannen lässt, um das politische Vorhaben der Herrschenden besser zu ‘verkaufen`. Ähnliches kennen wir bereits aus Deutschland (Agenda 2010) oder Grossbritannien (New Labour). Wenn wir eher die Lokalpolitik betrachten wollen, dann gibt es ausserdem das Beispiel der Stadt Zürich. Dort arbeiteten SP-Exponent:innen wie Robert Neukomm und Esther Maurer mit Handkuss als Polizeivorsteher:innen, bevor diese Funktion dann Stadträt:innen der Grünen und der Alternativen Liste übernehmen durften.
Doch zurück zum neuen Chef-Pöstler Levrat. Er wird sich wohl kaum für die Lohnabhängigen bei der Post einsetzen. Der Filialabbau wird genauso weitergehen wie auch die Digitalisierung und die damit verbundenen Kündigungswellen. Jetzt kann man natürlich sagen, dass dies nicht Levrats böswillige Absicht sei, da dies strukturell bedingt ist. Die Wirtschaftswelt ändere sich nun mal und die Post müsse mit der Zeit gehen. Als vorgeblich Linker sollte man aber dieses Märchen, dass es sich dabei um einen angeblich natürlichen und nicht bewusst steuerbaren Wandel handle, eben genau nicht unreflektiert übernehmen. Das Transportvolumen insbesondere von Paketen nimmt bei der Post weiterhin rasant zu, und auch sonst kann von einem Einbruch beim Heimlieferungsbedarf keine Rede sein. Diese logistischen Aufgaben werden aber immer stärker in den prekarisierten Bereich der privaten «Gig Economy» abgeschoben. Ein Stellenabbau bei der Post geschieht also nicht aus struktureller Notwendigkeit, sondern ist nichts weiter als eine bodenlose Frechheit. Es geht bei linker Politik darum, den Kapitalismus zu bekämpfen und nicht ihn mitzuverwalten. Doch dies ernsthaft von der SP zu erwarten, ist ja ehrlich gesagt eh naiv.
Es ist bezeichnend für unser neoliberales Zeitalter und den Zustand der Sozialdemokratie, dass jemand wie Levrat als «kampferprobter Linker» gilt. Schliesslich war er über seine gesamte SP-Zeit hinweg immer ein Verfechter der Sozialpartnerschaft, statt die sozialen Gegensätze (in Bezug auf Klasse, Gender und Rassismus) eindeutig beim Namen zu nennen und anzuprangern. Ausserdem ist Sommaruga, welcher Levrat seinen vergoldeten Posten zu verdanken hat, ja selbst vom wirtschaftsaffinen Parteiflügel und hat lange bevor sie Justizministerin wurde, die SP in ihrer Rolle als Mitverfasserin des Gurten-Manifests nach rechts getrieben. Von ihrer Rolle als Verschärferin des Schweizischen Asylgesetzes brauchen wir gar nicht erst zu reden.
Es scheint jedoch gewissermassen Tradition geworden zu sein, dass sozialdemokratische Spitzenpolitiker:innen nach ihrer Parlaments- oder Regierungslaufbahn zu willfährigen Helfer:innen des neoliberalen und arbeiter:innenfeindlichen Wirtschaftsprojekts werden. So hat auch Alt-Bundesrat Moritz Leuenberger quasi direkt nach seinem Rücktritt ein Vorstandsmandat bei Implenia übernommen. Und der «Genosse» der bundesdeutschen Sozialdemokratie Gerhard Schröder ist bekanntlich auf der Gehaltsliste des russischen Rohstoffgiganten Gazprom. Selbstverständlich sind Implenia und Gazprom eine ganz andere Liga als die Post. Aber wer weiss, Levrat ist ja noch jung. Wir wünschen ihm alles Gute auf seinem weiteren beruflichen Werdegang. Als nächsten Schritt sähen wir beispielsweise den Posten als Nachhaltigkeitsverantwortlicher bei Glencore in Baar (ZG). Da würden nochmal ganz neue Synergien entstehen, da sich Levrat schliesslich auch stets für die Beseitigung des Nord-Süd-Gefälles einsetzte.
von Theo Vanzetti (BFS Zürich) und Rhea Lang (BFS Basel)
[Am Rande vermerkt] ist eine Serie von Kurzartikeln. Wir wollen damit tagesaktuelles Geschehen kommentieren, einordnen, auf Veränderungen aufmerksam machen. Eine konsequente linke, antikapitalistische Politik zeichnet sich unseres Erachtens nicht nur dadurch aus, die grossen Analysen abzuliefern. Vielmehr gehört es für uns dazu, auch kleinere, unscheinbare Entwicklungen, skandalöse Aussagen und Auffälliges einordnen zu können.
Die kurze Form, der eher flüchtige Charakter und die zeitliche Nähe, die allesamt diese Artikelserie ausmachen, führen dazu, dass die hier geäusserten Einschätzungen vorübergehend sein können und nicht zwangsläufig mit den Ansichten unserer Organisation übereinstimmen müssen. Die Autor:innen und die verwendeten Quellen sind deshalb jeweils gekennzeichnet. Textvorschläge sind jederzeit herzlich willkommen.
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