Seit einem knappen Monat ist Éric Zemmour französischer Präsidentschaftskandidat. Der rechts-aussenstehende Publizist und Historiker provoziert mit seinen menschenfeindlichen und extrem islamophoben Ansichten und stösst damit neben Widerstand auch auf viel Zuspruch. Die von Zemmour immer weiter befeuerte rechte Diskursverschiebung, kommt nicht von ungefähr. Für ein Verständnis dieser Entwicklung bedarf es, neben einer Betrachtung der seit Jahren an Popularität gewinnenden rechts-aussen Parteien, einen Blick auf die «gemässigteren» Parteien, welche sich immer weiter einer rechten Rhetorik anschmiegen und den islamophoben und anti-sozialen Tenor in der französischen Politiklandschaft entscheidend mittragen und ausbauen.
von Nicola Bueb (BFS Jugend Zürich)
Seit Kurzem ist klar, dass der rechtsextreme Publizist und Historiker Eric Zemmour bei den Präsidentschaftswahlen in Frankreich antreten wird. Seit Monaten tourt er durch Frankreich, um seine nationalistischen und fremdenfeindlichen, allem voran auch islamophoben Ansichten, zu verbreiten. Überall stösst er auf Widerstand und Gegenmobilisierungen von Links. Vor zwei Wochen demonstrierten tausende Personen gegen den ersten offiziellen Wahlkampfauftritt Zemmours und seiner neugegründeten Bewegung «Reconquête» (auf Deutsch Rückeroberung). Leider bekommt er gleichzeitig auch viel Zustimmung.
Seinem Auftritt in Paris wohnten über 10’000 Personen bei. Laut Umfragewerten liegt er momentan bei 13%, zwar noch hinter Macron für die Partei La République en Marche!) und der ebenfalls extrem rechten, sich im Wahlkampf pragmatischer und weniger explizit rechts gebenden, Marine Le Pen (Rassemblement National). Wenn man Zemmours und Le Pens Werte zusammenzählt, beabsichtigen ein Drittel der französischen Wähler:innen, ihre Stimme der extremen Rechten zu geben. Auch wenn dies momentan noch eine Hochrechnung ist, muss uns diese Entwicklung als antifaschistische Linke grosse Sorgen bereiten. Unmittelbare Folgen des Erstarkens der Ultrarechten äussern sich nämlich schon heute, beispielsweise in einem selbstbewussteren und gewaltbereiteren Auftreten von Faschist:innen. So prügelten Zemmours Anhänger:innen auf mehrere Personen ein, als diese ein antirassistisches Zeichen gegen einen Auftritt Zemmours setzen wollten. Und vor einem Monat griffen Faschist:innen eine Demo gegen patriarchale Gewalt in Paris mit Eisenstangen an.
Islamophobie als inhärenter Bestandteil der französischen Politlandschaft
Der Aufstieg der extremen Rechten kommt nicht von ungefähr. Einerseits war Marine Le Pen, lange Zeit grösstes Aushängeschild der extremen Rechten Frankreichs, bereits bei den Präsidentschaftswahlen vor 5 Jahren stärkste Konkurrentin Macrons. Schlussendlich verlor sie aber klar in der Stichwahl gegen den amtierenden Präsidenten. Damals schlugen sich viele Wähler:innen trotz ihrer Abneigung gegen den neoliberalen Kurs de République en Marche! auf Macrons Seite, um zumindest das weiter rechts stehende und dementsprechend grössere Übel zu vermeiden.
Wer diese wiedergewonnene Popularität rechter Ideologien verstehen will, muss zwangsläufig auch einen Blick auf die Entwicklung der restlichen, gemässigter auftretenden, französischen Politiklandschaft werfen. Zemmour profitiert von einem seit Jahren existierenden islamophoben und linksfeindlichen Grundtenor in der französischen Politik, nicht zuletzt auch von Seiten der amtierenden Regierung Macrons. Vor dem vermeintlichen Hintergrund der Terrorismusbekämpfung werden Grundrechte eingeschränkt und der Islam per se als Gefahr für die westliche Welt dargestellt. Dabei werden auch immer wieder Verbindungen zur intellektuellen Linken gezogen. So sprechen längst nicht mehr nur Rechtsextreme von einem «islamo-gauchisme», einer vermeintlichen Allianz zwischen linken Kreisen und einem fundamentalen Islamismus. Letzten Frühling forderte die amtierende Ministerin für Hochschulbildung, Frédérique Vidal eine Untersuchung aller universitären Forschungs- und Studienfelder, welche sich mit dem Islam aus einer ihrer Meinung nach linker und aktivistischer Sicht befassen. Präsident Macron unterstützt sie dabei und gibt den Universitäten eine Teilschuld für die Spaltung der Gesellschaft.
Vordergründig soll die Separierung der Gesellschaft und das Entstehen radikaler Subkulturen verhindert werden, tatsächlich werden muslimische Menschen aber unter Generalverdacht gestellt, Moscheen und Universitäten überwacht und eine vermeintlich homogene muslimische Kultur zur Hauptbedrohung westlicher Werte emporstilisiert. Um Frankreich vor diesen «gefährlichen» Elementen zu schützen, wird der staatliche Autoritarismus laufend ausgebaut. Zuletzt beispielsweise durch das «globale Sicherheitsgesetz», welches das Filmen von Polizeibeamten mit bis zu 75’000 Euro und maximal fünf Jahren Haft ahndet und den Prügelknaben der französischen «Gendarmerie» somit faktisch einen Freifahrtsschein ausstellt, um unliebsame Exponent:innen niederzuknüppeln.
Die Rolle der Medien
Diese Verschiebung des politischen und öffentlichen Diskurses nach rechts führt zu einer Normalisierung von rechtem und nationalistischem Gedankengut und liefert Zemmour und seinen Ansichten einen fruchtbaren Nährboden. Überhaupt war Zemmour an der graduellen Anpassung der sozialen Erwünschtheit nicht unbeteiligt. Zemmour formte mit seinen Aussagen und Ansichten den öffentlichen Diskurs und machte immer mehr zuvor gesellschaftlich Unssagbares (wieder) sagbar. Z.T. tat dies Zemmour sogar ganz explizit. Bspw. wenn er das Loslösen vom gesellschaftlichen Diktat einer Überbetonung der Menschenrechte und Gleichheit fordert, um historische Vergangenheit und Gegenwart zu deuten. Mit diesem galanteren Geschichtsrevisionismus will Zemmour die Vergangenheit als Grundlage für die Ausdeutung von Gegenwart und Zukunft reevaluiert wissen.
Die grossen französischen Medienhäuser bieten ihm dabei jede nur erdenkliche Plattform. So kann Zemmour zu besten Sendezeiten (muslimische) Geflüchtete als «Diebe, Mörder und Vergewaltiger» bezeichnen, die Gefahr eines grossen Bevölkerungsaustausches (Theorie das Bevölkerung aufgrund demographischer Entwicklungen und ständiger Immigration ausgetauscht wird) heraufbeschwören oder ein Verbot nicht christlicher Vornamen fordern. Was Zemmour von rechtsextremen Demagogen wie Trump oder Bolsonaro unterscheidet, ist sein intellektuelles Antlitz. So verklärt er in rhetorisch gekonnter Manier die französische Kolonialgeschichte und die Rolle des Vichy-Regimes (seit Juni 1940 vom Dritten Reich besetztes und mit dem selbigen kooperierende Regierung in der nördlichen Hälfte Frankreichs) während des Nationalsozialismus. Zemmour möchte die französische Geschichte reinwaschen und vertritt die Ansicht, dass sich Frankreich für nicht einen Abschnitt seiner «glorreichen» Geschichte schämen muss. Mit diesem Fokus auf die französische Geschichte soll ein seiner Meinung nach durch linke und muslimische Kräfte bedrohter Nationalstolz neu entflammen.
Zemmours Rolle innerhalb der französischen Rechten
Es lohnt sich, ebenfalls einen Blick auf Zemmours Stellung innerhalb der französichen Rechten zu werfen. Zemmour und seine Konkurentin aus dem rechten Lager, Marine Le Pen, sind keine Freunde. Ihre Politik hat zwar viele Gemeinsamkeiten, etwa den Bezug auf die Nationale Identität, die Forderung nach einer restriktiveren Asylpolitik und der tiefsitzende Hass gegen den Islam. Es gibt aber auch Unterschiede. Vor allem in der Art und Drastik, mit welcher die eigenen Forderungen formuliert werden. Ein Beispiel ist die Migrationspolitik. Le Pen fordert die Zuwanderung auf maximal 10’000 Personen pro Jahr zu begrenzen, welche nachweisen können, dass sie selbst für ihren Lebensunterhalt in Frankreich aufkommen können. Damit soll die Aufnahme von schutzsuchenden Geflüchteten praktisch verunmöglicht und Migration auf der französischen Wirtschaft unmittelbar nützliche Personen beschränkt werden. Zemmour geht aber noch einen Schritt weiter und verspricht seinen Wähler:innen die Migration nach Frankreich ganz einzustellen und in seinen 5 Jahren Amtszeit 2 Millionen Migrant:innen auszuschaffen.
Ähnliches kann man bei der Sozialpolitik beobachten. Le Pen strebt mit der «priorité nationale» eine Verfassungsänderung an, welche den französischen Sozialstaat umstrukturiert und beispielsweise bei der Vergabe von Sozialwohnungen Menschen mit französischer Staatsbürgerschaft den Vorrang gibt. Mit diesem rassistisch motivierten Vorhaben versucht sie das französische Prekariat zu spalten und die Schuld für soziale Ungleichheit migrantischen Personen zuzuschieben. Damit präsentiert sie sich, zumindest vordergründig, sozial gegenüber (weissen) französischen Arbeiter:innen. Zemmour hingegen versucht seine antisoziale und dem Grossunternehmer:innentum dienliche Politik gar nicht erst zu verdecken. Während er Auländer:innen (aus nicht EU-Staaten) die Sozialgelder komplett entziehen und den Zugang zu staatlicher medizinischer Versorgung verwehren will, strebt er gleichzeitig eine Rentenerhöhung an und möchte die Unternehmenssteuern weiter senken.
Zemmours Strategie ist klar: Er möchte sich selbst als einzig wählbare Option des rechten Lagers inszenieren. Le Pen wirft er vor, sich immer weiter der politischen Mitte anzugleichen, so dass ihre Forderungen kaum mehr von denen Macrons zu unterscheiden seien. Tatsächlich hat sich aber weniger Le Pen entradikalisiert, sondern viel mehr Macron und mit ihm ein beträchtlicher Teil der französischen Politlandschaft in Rhetorik und Forderungen radikalisiert und sich stetig dem rechten Lager angeglichen. Dadurch entstand am rechten Rand Raum für eine Figur wie Zemmour, die in seinen Forderungen noch extremer auftritt als Le Pen und den Diskurs weiter nach rechts treiben wird.
Ratlosigkeit der Linken
Dieser besorgniserregenden Entwicklung hat die etablierte Linke leider wenig entgegenzusetzen. Positionen, welche den im französischen Staat inhärenten Rassimus anprangern und antirassistische, soziale und ökologische Debatten ins Zentrum stellen, sind leider höchstens Randerscheinungen. Ein Beispiel ist der von Révolution Permanente gestellte Kandidat, Anasse Kazib. Dessen Kandidatur wird voraussichtlich allerdings eher symbolisch bleiben, da Kazib wohl kaum nennenswerte Mehrheiten generieren werden und so keine prägende Rolle im französischen Wahlkampf spielen wird. Die etablierte Linke setzt stattdessen auf einen positiv konnotierten Nationalismus. Ihr vielversprechendster Kandidat ist wohl Jean-Luc-Mélenchon (la France Insoumise), welcher sich schon vor 5 Jahren in einem Meer aus Frankreichfahnen präsentierte und eine Art marxistisch angestrichenen Sozialdemokratismus verfolgt. Mélenchon setzt auch dieses Mal auf die Karte des Ausbaus eines vermeintlich sozialen Frankreichs, welches es vor der extremen Rechten zu verteidigen gilt.
Fazit
So muss Zemmours Aufstieg einerseits im Kontext eines generellen Erstarkens von rechtsextremen Elementen, welche gerade auch während der Pandemie zusätzlichen Aufwind erhalten haben, verstanden werden. Andererseits ist er die logische Konsequenz einer französischen Polit- und Medienlandschaft, welche sich immer weiter nach rechts bewegt und das Fundament, auf welchem Zemmour seine menschenverachtenden Ansichten aufbauen und verbreiten kann, bildet.
Auch wenn, oder gerade weil die Lage momentan alles andere als rosig aussieht und eine breite antifaschistische Gegenmacht, welche Zemmour ernsthaft in Bedrängung bringen könnte, fehlt, müssen wir uns mit den bestehenden Mobilisierungen und Positionen, welche sich gegen Zemmour und den rassistischen französischen Staat im allgemeinen stellen, solidarisieren. Nur so kann auf theoretischer und praktischer Ebene eine Gegenmacht gegen das Aufkeimen faschistischer Tendenzen in Frankreich, der Schweiz oder sonst wo aufgebaut werden.