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Autogesellschaft und Autowahn

Alle reden vom Boom der Elektroautos. Ein Zitat:„Bei den Elektromobilherstellern herrscht Goldgräberstimmung. Die Marktprognosen versprechen bis zu einer Million verkaufter E-Mobile in den nächsten fünf Jahren.“ Das war allerdings 1991 zu lesen – in der VCD-Zeitschrift „Fairkehr“ (3/1991). Heute, zwei Jahrzehnte später, gibt es in Deutschland gerade mal 2.300 Elektroautos. Und es gibt die Aussage der Berliner Regierung,wonach es – nun aber dalli, dalli! – bis zum Jahr 2020 eine Million EMobile geben soll.


von: Wilfried Wolf aus der Lunapark
autosVor zwei Jahrzehnten bezog sich die eine Million E-Autos auf einen Pkw-Park von 30 Millionen, was einem Anteil von 3,3 Prozent entsprochen hätte. Im Jahr 2020 würde sich die eine Million Elektro-Pkw auf eine Gesamt-Pkw-Flotte von 53 Millionen Pkw beziehen. Der Anteil ist auf unter zwei Prozent gesunken. Selbst wenn all die Träume wahr werden würden, hätten wir dann drei Jahrzehnte Warten auf das erste Milliönchen Elektroautos bei gleichzeitiger Reduktion des versprochenen – ohnehin extrem niedrigen – Anteils der E-Autos am Gesamt-Pkw-Park auf rund die Hälfte.
Dennoch wurde die Internationale Automobilausstellung (IAA) vom September 2011 als „grüne Autoschau“gepriesen. Im Zentrum standen der Hype um die „Elektromobilität“, „neue Nutzungsformen“ des Autos wie„Car2Go“ und „Carsharing“ und die Versprechen einer Reduktion der Pkw-Emissionen durch „Biokraftstoffe“ und„schadstoffarme Motoren“. Auch in den Verkehrssektoren Schiene, Luft und Güterverkehr stehen grüne Ideen hoch im Kurs: ICE-Verkehre sollen weiter ausgebaut werden; der Luftverkehr soll durch die Luftverkehrsabgabe umweltfreundlicher werden. Der Schienengüterverkehr legt laut Bundesregierung deutlich zu. Und selbst die Gigaliner brächten, so Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer, Ökovorteile, da bei deren Einsatz aus drei Lkw-Fahrten zwei werden würden.
Besonders aufgefallen ist mir in den IAA-Tagen eine in den großen Tageszeitungen auf zwei Seiten platzierte Werbung der VW-Tochter mit dem Slogan „Vorsprung durch Technik“. „Audi connect“ lautete die Überschrift. Geboten werden sollte ein Blick auf „Die Zukunft vernetzter Mobilität“.Das wäre doch wirklich eine gute Sache: vernetzte Mobilität. Wobei ich mir herausnehme, unter Mobilität alle Formen des menschlichen Bewegens – insbesondere auch die nicht motorisierten – zu verstehen und die lateinischen Wörter „mobilitas“ und „mobilis“ nicht mit „Kilometerfraß“ und „allüberall präsent“ zu übersetzen, sondern mit „um den eigenen Lebensmittelpunkt beweglich sein“ und „die entscheidenden Mobilitätsbedürfnisse in optimaler Reichweite haben“.
Vergleichbares wurde vor einem guten halben Jahrhundert von dem sozialdemokratischen jüdischen Berliner Verkehrsplaner Martin Wagner formuliert: „Das Verkehrsbedürfnis eines Großstädters westlicher Zivilisation beläuft sich pro Jahr und Nase auf etwa 1000 Zielbewegungen, von denen etwa 650 fußläufigen Charakter hätten, wenn sie vom Städteplaner richtig geplant worden wären. Von denen die restlichen mit Hilfe von privaten und öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sind.“ Wagners Feststellung vom „konstanten Verkehrsbedürfnis“ hat bis heute Gültigkeit: Die Zahl der fünf Verkehrsbedürfnisse, der „Zielbewegungen“ oder Fahrten erstens zur Arbeit, zweitens zur Ausbildungsstätte, drittens zum Einkaufen, viertens zu Erholungszwecken und fünftens in den Urlaub blieb im Großen und Ganzen konstant. Geändert hat sich in erster Linie die Entfernung, die zwischen dem Lebensmittelpunkt und den Zielpunkten all dieser fünf Mobilitätsbedürfnisse liegt. Während ein deutscher Bürger 1965 (als allgemein von einer Wohlstands- und Konsumgesellschaft die Rede war) rund 6600 Kilometer an so definierten Bewegungen motorisiert zurücklegte, sind es heute mit 13000 Kilometern fast doppelt so viele. Die Folgen dieser Art gesteigerter Zwangsmobilität sind für Mensch, Umwelt und Klima verheerend. Die verfügbaren Daten für die Mobilität der näheren Zukunft deuten darauf hin, dass dieser desaströse Trend gesteigert wird. Auf drei Ebenen. Automobilität: Die Zahl der Pkw hat sich weltweit zwischen 1985 und 2010 von 335 Millionen auf eine knappe Milliarde verdreifacht, während sich die Weltbevölkerung „nur“ von 4,85 auf 6,9 Milliarden Menschen oder um 42 Prozent vergrößerte. Dabei hat in den letzten Jahren in den Schwellenländern eine massive Beschleunigung der Automotorisierung eingesetzt. Für eine weitere Verdopplung der Pkw-Zahl bis 2025 werden gegenwärtig die Investitionen getätigt. Selbst in sogenannten gesättigten Automärkten wächst die Pkw-Zahl – teilweise in absurden Relationen. In Deutschland geht derzeit die Bevölkerungszahl Jahr für Jahr um 200000 zurück, während die Zahl der zugelassenen Pkw pro Jahr um 200000 wächst.
Flugverkehr: Keine Personenverkehrsart wächst schneller als der Flugverkehr. Im Zeitraum 1995 bis 2010 hat sich der Weltflugverkehr verdoppelt. Bis 2025 soll er sich nochmals verdoppeln. In Peking entsteht derzeit der größte Flughafen der Welt – mit einer Kapazität von 200 Millionen Passagieren pro Jahr – das ist fast so viel, wie heute die drei größten Airports der Welt (Atlanta, Peking und Chicago O’Hare) zusammen bewältigen. Auch hier gilt: Warum in die Ferne schweifen, der Verkehrswahn liegt so nah: Zwischen 1995 und 2010 wuchsen in Deutschland die Inlandsflüge um 60 Prozent, während der Schienenfernverkehr stagnierte. EADS/Airbus präsentierte jüngst Pläne zum Bau eines verlängerten A380 – für bis zu 1000 Passagiere.
autowahn01Güterverkehr: Auch der Warenverkehr hat sich vom Wachstum der Bevölkerung und des Bruttoinlandsprodukts weitgehend abgekoppelt. Das weltweite Bruttoinlandsprodukt verdoppelte sich zwischen 1980 und 2000. Der Welthandel – in US-Dollar bewertet – hat sich im gleichen Zeitraum verdreifacht. Die physischen Gütertransporte haben sich mehr als vervierfacht. Der Containertransport wächst seit 1990 sogar pro Jahr um rund 10 Prozent; er verdoppelt sich damit in 7,5 Jahren und hat sich in fünfzehn Jahren bereits vervierfacht. Die realen Austauschprozesse haben oft wenig mit Wohlstandsvermehrung zu tun. Deutschland exportiert ebenso viel Tierfutter, wie es importiert. Großbritannien importiert eben so viel Schweinefleisch, wie es exportiert. Das kleinste und sparsamste VW-Modell, der Fox, hat einen besonders langen Transportweg – er wird ausschließlich in Brasilien hergestellt. Die Transportintensität – die in einer Ware von ein und derselben Qualität steckenden Transportkilometerzahl – steigt von Jahr zu Jahr. 1878 beklagte sich der preußische Ministerpräsident Fürst Otto von Bismarck, dass zunehmend Holz aus Ungarn und Schweden den inländischen Holzmarkt ruinieren und „ausländisches Holz durch billige Tarifsätze der Eisenbahnen vor dem einheimischen bevorzugt“ würde. Heute wird bayerisches Buchenholz nach China exportiert, dort zu Kinderspielzeug verarbeitet, um erneut nach Europa exportiert zu werden – begünstigt durch einen weltweit bei allen Verkehrsarten extrem subventionierten Transportsektor.
Die Steigerung irrationaler Mobilität treibt immer absurdere Blüten. Als im Juli 2011 in Kalifornien die wichtigste Autobahnverbindung, die Interstate 405, für 53 Stunden komplett gesperrt wurde, bot der Billigflieger JetBlue„Carmageddon-Flüge“ für die 40-Meilen-Distanz vom Flughafen Bob Hope nach Long Beach an. Die Flüge kosteten 4 Dollar; das Kontingent war in 20 Minuten ausgebucht. Der Highway hatte bisher zehn Spuren und wird nun auf zwölf und teilweise 14 Spuren erweitert. Die Verkehrsplaner wissen, dass sich damit zwar die Tageskapazität von 281000 auf 350000 Auto erhöht, dass jedoch auch die neuen Spuren „volllaufen“ werden und sich der traditionelle Dauerstau wieder einstellen wird. Das Interstate-405-Szenario ist wie geschaffen als Großversuch, um Hermann Knoflachers These zu untersetzen, wonach Fahrzeuge in Wirklichkeit Stehzeuge sind und der Stau nicht die Ausnahme, sondern die Regel des Autoverkehrs ist.
„Auto Bild“ brachte zur IAA 2011 einen Bericht über das BMW-Modell M5. Überschrift: „Dezentes Outfit, brutale Leistung“. Das Auto, das im Artikel als „Tarnkappenbomber“ bezeichnet wird, hat 560 PS, die Höchstgeschwindigkeit liegt offiziell bei 250 km/h. „Auto Bild“ verrät seinen Lesern: „Gegen Aufpreis regelt BMW anstatt bei 250 erst bei 305 km/h ab. Der Besuch eines Fahrtrainings ist dann jedoch Pflicht.“
Wo bitte, mag man mit Erich Kästner fragen, bleibt da das Positive? Was ist mit Elektroautos? Ist Carsharing nicht deutlich im Kommen? Bieten Biokraftstoffe nicht eine Lösung? Gibt es nicht diesen Rückgang der Pkw-Schadstoffe? Zielt die Verkehrspolitik nicht auf „Null Verkehrstote“?
Leider existiert „das Positive“ nicht bei diesen immer wieder genannten „Klassikern“ einer Reform der bestehenden Massenmobilität. Die Pkw-Schadstoff-Emissionen liegen bei den Pkw-Flotten aller deutschen Hersteller auch im Jahr 2011 deutlich über den von der EU angestrebten Grenzwerten von 130 g CO2 je gefahrenen Kilometer. Im gewichteten Durchschnitt emittieren die von deutschen Autoherstellern gebauten Pkw im Jahr 2011 150 g CO2/km. Die den Markt bestimmenden Premiumhersteller Mercedes, Porsche, BMW und Audi liegen massiv darüber. Selbst der Massenhersteller VW (ohne die VW-Marken Audi, Bentley, Bugatti, Porsche und Lamborghini) liegt bei 142 g CO2/km. Vor allem aber gilt: Die Zahl der Pkw nimmt auch in Europa weit schneller zu als die Schadstoffe je Pkw abnehmen. So stieg auf dem Gebiet der EU mit 27 Mitgliedsstaaten die Zahl der Pkw im Zeitraum 1990 bis 2010 von 163 Millionen auf 255 Millionen oder um gut 50 Prozent, während der Schadstoffverbrauch je Pkw nur um rund 20 Prozent reduziert wurde.
Biokraftstoffe, die richtigerweise als Agrokraftstoffe zu bezeichnen sind, belasten die Umwelt in der Gesamtbilanz stärker als herkömmliche – aus Öl gewonnene – Kraftstoffe. So steht es in einem internen Papier der EU, das der „Financial Times Deutschland“ vorliegt.10 Wobei beim Einsatz der Agrokraftstoffe „Peak Oil“ durch „Peak Soil“ersetzt wird: An die Stelle der Endlichkeit der Ölvorräte tritt die Begrenztheit des für die Gewinnung von Agrokraftstoffen erforderlichen landwirtschaftlich nutzbaren Bodens. Weshalb der inzwischen massenhafte Einsatz der Agrokraftstoffe in Form der Beimischungen zum Tankstellensprit erheblich zum Anstieg der Preise für agrarische Erzeugnisse und zur Steigerung des weltweiten Hungers beiträgt. Der Anteil von Carsharing am gesamten Pkw-Verkehr ist auch dreißig Jahre nach Entdeckung dieser Form der Pkw-Nutzung lächerlich niedrig.
 
den ganzen Text findest du auf Lunapark.
Winfried Wolf ist Chefredakteur von Lunapark 21 – Zeitschrift zur Kritik der globalen Ökonomie. Er ist aktiv für die Bahnexpertengruppe Bürgerbahn statt Börsenbahn. Er verfasste u. a. Eisenbahn und Autowahn (1985, 1986 und 1992) und  Verkehr. Umwelt. Klima – Die Globalisierung des Tempowahns (2007 und 2009). Der Text wurde verfasst als Vorwort zu: Auf allen Wegen – Mobilität gestern – heute – morgen Buch-Kollektion der Frankfurter Buchmesse 2011 (Ausstellungen in den Jahren 2012 ff)

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