Nebst Klima, Pandemie und Krieg trifft uns erneut eine gesamtgesellschaftliche Krise: jene der Energieversorgung. Der zögerliche Ausbau erneuerbarer Energieträger und die daraus resultierende Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen könnte die Schweiz Ende Winter in eine Energiemangellage führen. Nebst der Reinvestition in fossile Kraftwerke in Birr reagiert unsere Regierung mit einer Energiesparkampagne unter dem Motto „Energie ist knapp. Verschwenden wir sie nicht.“ Ein Blick auf den Energieverbrauch der Schweiz zeigt, dass die Kampagne die grössten Energieverbraucher:innen aussen vor lässt – und lehrt uns, wo die eigentlichen Einsparpotentiale liegen.
von Leif Johansen (BFS Zürich)
Was Krisenbewältigung neoliberaler Prägung bedeutet, zeigt uns das bürgerliche Pandemiemanagement: Bedingungslose Aufrechterhaltung der Wirtschaft auf Kosten der Gesundheit und der Freiheit der Lohnabhängigen. Konzerne verdienen mit Impfstoffen aus öffentlicher Forschung Milliardengewinne, während Patente eine effektive globale Bekämpfung der Pandemie verunmöglichen. Es gibt Appelle an die Eigenverantwortung und zeitgleich enorme staatliche Unterstützung für Branchen, welche mit einer gerechten Zukunft innerhalb der planetaren Grenzen unvereinbar sind (bspw. Flug- und Automobilbranche). Dasselbe Muster der Abwälzung auf die Lohnabhängigen wiederholt sich in der Energiekrise. Die individualisierte Energiesparkampagne der Schweizer Regierung enthält nur Spartipps, welche den Konsum nicht tangieren. Der Staat re-investiert in fossile „Not“-Kraftwerke, aber eine Übergewinnsteuer wäre „nicht fair“. Unternehmen, welche in der Schweiz jahrelang von den um ein vielfaches tieferen Preisen auf dem liberalisierten Strommarkt profitiert haben, fordern eine Rückkehr in die staatlich regulierte Grundversorgung, und in den Stromhandel verwickelte Energiekonzerne brauchen Notkredite vom Bund. So viel zur unternehmerischen Eigenverantwortung.
All dies führt dazu, dass zwar die privaten Profite gesichert sind, aber die eigentlichen, strukturellen Probleme – die ungehemmte Ausbeutung von Natur und Mensch – verschärft werden. Die Zahl der weltweit durch die Erderhitzung vertriebenen Menschen steigt enorm, und exponentiell werden auch hierzulande wieder die Zahlen von Longcovid-Betroffenen steigen, wenn die Pandemie zu einer erneuten Welle ausholt.
Obwohl dieses Wirtschaftssystem so schlecht abschneidet, scheint eine Alternative, welche zum Wohle aller und des Planeten funktioniert, nur schwer vorstellbar. Dabei sind Forderungen nach der Solidarität selten so fassbar wie in der Energiefrage. Es darf nicht sein, dass die Verteilung der Energie in einer Notsituation dem Markt überlassen wird. Oder anders formuliert, jede Person sollte eine Mindestmenge an Energie zur Verfügung haben, ohne dafür (horrende Summen) Geld zu bezahlen. Dabei darf diese soziale Dimension nicht gegen die ökologische Dimension ausgespielt werden, indem die Energiewende weiter hinausgezögert wird.
Der erste Schritt auf dem Weg zu einer gerechteren Verteilung der Energie und zur Reduktion des Verbrauchs, ist ein Verständnis für den gegenwärtigen Energieverbrauch. Dies ist in Bezug auf die Schweiz gar nicht so einfach zu erlangen, weil der Bund nur ungenügende Statistiken erstellt. Deshalb sind die im Folgenden aufgelisteten Energiedaten mit Vorsicht zu geniessen. Der genaue Energieverbrauch einschliesslich der sogenannten „grauen Energie“ [1] ist schwer zu beziffern und Ungleichheiten werden durch Durchschnittswerte nicht abgebildet. Aber auch ohne Einbezug der grauen Energie können aus den Statistiken des Bundesamtes für Energie (BFE) interessante Schlussfolgerungen gezogen werden.
Wer verbraucht in der Schweiz wie viel Energie?
Betrachten wir den Schweizer Endenergieverbrauch im Jahr 2021, so erkennen wir, dass die Haushalte und der Verkehr je knapp ein Drittel der Energie verbrauchen, und die Industrie und der Dienstleistungssektor zusammen etwas mehr als das letzte Drittel ausmachen. Diese Anteile sind in den vergangenen Jahren recht konstant geblieben. Nur der Verkehrssektor ist seit Pandemieausbruch stark geschrumpft, ist aber immer noch die grösste Verbrauchsgruppe.
Nun ist aber nicht jede Einheit Energie gleichermassen verantwortlich für die ökologische Krise, in der wir uns befinden. Es kommt darauf an, aus welchen Quellen die Energie gewonnen wird. Erneuerbare Energieträger nutzen lokal vorhandene Ressourcen und stellen umweltschonend Energie bereit, wohingegen fossile Energieträger importiert werden müssen und bei Verbrauch die Klimaerhitzung vorantreiben.
Die im Jahr 2021 in der Schweiz verbrauchte Energie wurde zu knapp 60% durch die Verbrennung von Erdölprodukten und Gas bereitgestellt. Weitere 7.6% waren Atomstrom. Nur 28% des Endverbrauchs stammte aus Quellen, welche als erneuerbar klassifiziert werden. Die Wasserkraft lieferte mit 14.3% den Löwenanteil, gefolgt von 5.8% aus Holz, 2.8% in Form von Umweltwärme und 1.5% von der Sonne.
Wo wird diese enorme Menge an fossiler Energie verbraucht? An erster Stelle steht der Verkehrssektor. Beinahe der gesamte Energievebrauch im Verkehr entfiel auf fossile Brennstoffe. Die Haushalte deckten ungefähr die Hälfte des Energieverbrauchs aus fossilen Quellen, die Dienstleistungen rund 42% und die Industrie knapp 36%.
Lichter löschen oder mit dem Zug fahren?
Gehen wir eine Ebene tiefer und schlüsseln die Energie nach Verwendungszweck auf. Die Schweizer Bevölkerung wird neuerdings vom Bund dazu angehalten, im Haushalt Energie zu sparen. Auf ihr Mobilitätsverhalten wird nicht eingegangen, obwohl hier der grösste Verbrauch an (fossiler) Energie anfällt. Tatsächlich gibt es hier ein enormes Einsparpotential. Etwa 70% des Energieverbrauchs im Verkehr gingen 2021 für den motorisierten Individualverkehr drauf, 22.2% für den Güterverkehr und lediglich 7.5% für den öffentlichen Verkehr. Der motorisierte Individualverkehr wurde zu weniger als 0.5% durch Elektrizität angetrieben und war viel ineffizienter als der ÖV: Pro eingesetzte Einheit Energie bewältigte der öffentliche Verkehr mehr als doppelt so viel Verkehrsvolumen (Personenkilometer), und dies mehrheitlich elektrisch [2, 5]. Von der grauen Energie, der Auslastung und dem Platzbedarf ganz zu schweigen. Momentan bewältigt der ÖV knapp 20% der Personenkilometer – die Abwendung vom motorisierten Individualverkehr birgt also enormes Energiespar- und Entfossilisierungspotential.
Wie im Titelbild ersichtlich kommen ausgerechnet Zugreisende in den Genuss der Sparkampagne, beispielsweise mit dem „Sensibilisierungslogan“: „Licht brennen lassen: Energie verschwendet.“ Wie eine nähere Betrachtung der Verbrauchsgruppe Haushalte zeigt, ist das reine Symbolpolitik. Beleuchtung, Kühlschrank und Trockner verbrauchten mit je ungefähr 2% vergleichsweise wenig Energie. Über zehnmal mehr Energie gingen 2021 in die Raumwärme (68.5%) und das Warmwasser (13.4%).
Von allen Spartipps machen also nur jene bezüglich der Heizung und allenfalls des Badens einen Unterschied. Aber auch hier blendet die Kampagne zwei entscheidende Punkte aus. Erstens die soziale Ungleichheit des Energieverbrauchs: Eine Stadtwohnung auf 19 Grad zu heizen verbraucht in der Regel eine ungleich kleinere Menge an Energie als ein alleinstehendes Einfamilienhaus (ganz zu schweigen von Villen) auf die gleiche Temperatur zu heizen. Zweitens die beschränkte Mitbestimmung der Energiekonsument:innen: Abgesehen von der Heiztemperatur kann die Heizenergie von Mieter:innen nicht beeinflusst werden. Sie können weder bauliche Massnahmen zur Wärmedämmung vornehmen, noch können sie Öl- und Gasheizungen mit klimaschonenden Wärmepumpen ersetzen. Die nun steigenden Kosten müssen die Mietenden trotzdem berappen, weil die Eigentümer:innen die erhöhten Nebenkosten auf die Miete aufschlagen.
Jenseits des individuellen Verbrauchs: Industrie und Dienstleistungen
Der Kapitalismus ist auf Unmengen billiger (fossiler) Energie angewiesen. Seit der industriellen Revolution ist die Energie neben den natürlichen Ressourcen und der Arbeitskraft der Lohnabhängigen zum zentralen Input des Wertschöpfungsprozesses geworden. Die Sparkampagne des Bundes ermutigt Unternehmen nun 10-15% der Energiekosten zu sparen, indem sie beispielsweise nachts in den Büros und Fabrikhallen die Temperatur senken und die Lüftung ausschalten, Lebensmittelkühltruhen schliessen oder Lecks in Druckluftsystemen schliessen. Die Tatsache, dass solch offensichtliche Einsparmassnahmen nicht längst getätigt wurden, offenbart das Ausmass der Verschwendung in Unternehmen. Doch solche freiwilligen Einsparungen genügen bereits, um als Teil der vom Bundesrat lancierten Energiespar-Alliance die eigenen Anstrengungen bewerben zu dürfen.
Wer deren Website besucht, liest auch über Massnahmen zur Sensibilisierung der Angestellten – „Die Treppe statt den Lift benutzen.“ – erkennt aber, dass die wenigsten Unternehmen im eigentlichen Wertschöpfungsprozess versuchen Energie zu sparen. Genau dort wird aber die Mehrheit der Energie verbraucht: Nach Verwendungszweck wurden 2021 in der Schweizer Industrie 77% der Energie für Prozesswärme und Antriebe aufgewendet. Hier wären laut Expert:innen nur schon durch technische Erneuerungen grosse Einsparungen möglich [6].
Prozessoptimierungen in einzelnen Unternehmen reichen allerdings längst nicht aus, um den Energiedurchsatz gesamtgesellschaftlich markant zu reduzieren – was angesichts der Klimakatastrophe das einzig angemessene ist. Dies kann nur erreicht werden, wenn gewisse Produkte und Produktionsprozesse grundsätzlich in Frage gestellt werden. Christian Hofmann und Klaus Meier zeigen zum Beispiel auf, wieviel Energie in der deutschen Industrie für die Produktion von Einweggebinden aus Plastik, Glas und Karton eingesetzt wird. Diese Aufwendungen könnten mit Vorschriften für Mehrwegflaschen und -verpackungen schnell und einfach eingespart werden. Diese Zahlen gelten natürlich genauso für die Schweiz, nur fallen die Energiemengen aufgrund der Deindustrialisierung in den Bereich der importierten („grauen“) Energie. Mit ähnlichen Ansätzen kann der Dienstleistungssektor durchleuchtet werden: Ist es beispielsweise notwendig, über 50 verschiedene Krankenversicherungen zu haben, welche mit riesigen Leuchtreklamen und ganzen Marketingabteilungen um Kund:innen buhlen?
Es braucht ökologisch sinnvolle und gerechte Einsparungen
Um die verheerenden Auswirkungen der Erderhitzung einzudämmen braucht es eine drastische Reduktion des Energieverbrauchs aller Gesellschaften des globalen Nordens – über alle Einkommensschichten hinweg. Die Verantwortung für diese Reduktion ist hingegen nicht gleichmässig verteilt.
Die Energiesparkampagne des Bundes ist offensichtlich darauf ausgelegt, die Energiekrise zu individualisieren. Nach dem Motto „Jede Kilowattstunde zählt“ beschwört sie eine Scheinsolidarität und blendet sowohl die Effektivität der Einsparungen als auch die soziale Ungleichheit und fehlende Mitbestimmung beim Verbrauch aus. Der Verkehrssektor, welcher die Hälfte der fossilen Energie verbraucht, wird komplett ausgelassen. Und schliesslich sind die Unternehmen von keinen nennenswerten Einschränkungen betroffen. Die Wettbewerbsfähigkeit und die Profite sollen um jeden Preis geschützt werden.
Wir haben es satt, immer auf die Eigenverantwortung verwiesen zu werden und uns nach der auslaugenden Arbeit stillschweigend in die überteuerte, kalte Wohnung zurückzuziehen. Wir wollen ökologisch sinnvolle und sozial gerechte Sparmassnahmen.
Verkehr und Haushalt verbrauchen hierzulande am meisten Energie. Also braucht es massive vom Staat und den Besitzenden finanzierte und von der Bevölkerung kontrollierte Investitionskampagnen in den Ausbau des ÖV und die Sanierung der Wohnhäuser.
Solche Massnahmen wären schnell umsetzbar und sind als erste Schritte zu verstehen. Perspektivisch gesehen muss ein global gerechtes Leben innerhalb der planetaren Grenzen mit einem Bruch mit der kapitalistischen Produktionsweise einhergehen. Das private Verfügungsrecht der Unternehmen über die wirtschaftliche Produktion (zum Zwecke des Profits) muss abgeschafft werden und durch gesellschaftlich geplante Produktionsprozesse ersetzt werden, die sozial und ökologisch nachhaltig sind.
In Bezug auf den Energiesektor würde die gesellschaftliche Aneignung und Kontrolle der Energiekonzerne eine bedarfsgerechte Verteilung der Energie und Planung der Produktion greifbar machen. Der längst überfällige Ausbau der erneuerbaren Energien könnte bewerkstelligt und zeitgleich die kriegführenden Profiteure der fossilen Brennstoffe geschwächt werden.
[1] Die graue Energie eines Produktes ist die benötigte Energie für Herstellung, Transport, Lagerung, Verkauf und Entsorgung einer Ware (inklusive aller benötigten Vorprodukte und Rohstoffe).
[2] Energieverbrauch nach Verwendungszweck: https://www.bfe.admin.ch/bfe/de/home/versorgung/statistik-und-geodaten/energiestatistiken/energieverbrauch-nach-verwendungszweck.html
[3] Gesamtenergiestatistik: https://www.bfe.admin.ch/bfe/de/home/versorgung/statistik-und-geodaten/energiestatistiken/gesamtenergiestatistik.html/
[4] Erneuerbare Energieträger: https://www.bfe.admin.ch/bfe/de/home/versorgung/statistik-und-geodaten/energiestatistiken/teilstatistiken.html
[5] Mobilität: https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/mobilitaet-verkehr/personenverkehr/leistungen.html
[6] Siehe auch den Rundschaubeitrag vom 31. August 2022: https://www.srf.ch/play/tv/redirect/detail/e9b21547-73eb-45ac-a2a9-4d48ef9f97f2