An diesem Sonntag, 5. Juli 2015 ist die griechische Bevölkerung aufgerufen darüber zu entscheiden, ob sie die Bedingungen und Forderungen der Troika akzeptieren und weiter an der seit Jahren andauernden Sparpolitik festhalten will.
von BFS Zürich
Das Referendum beinhaltet konkret die Frage, ob der letzte Vorschlag der Gläubiger Griechenlands doch noch angenommen werden soll. Die griechische Regierung unter Führung der linken Syriza hat diesen Vorschlag bislang entschieden abgelehnt. Denn auch wenn die VertreterInnen der Gläubiger immer wieder betonen, dass der Vorschlag „fair“, „verträglich“ und „entgegenkommend“ sei – was die Medien auch in der Schweiz ohne jegliche kritische Überprüfung übernehmen und in voller Lautstärke verkünden – sind die Forderungen der VertreterInnen der Eurozone, der EZB und des IWF für die griechische Bevölkerung eine Katastrophe. Gleichzeitig betonen die Gläubiger immer wieder, dass nur ein Ja zum Vorschlag ein Verbleib Griechenlands in der Eurozone sichern kann. Der Druck der Euro-Länder auf Griechenland ist immens und in den letzten Tagen immer grösser geworden.
Was bedeutet die Austeritätspolitik?
Trotz dem drohenden Rauswurf aus dem Euro und den damit einhergehenden, teilweise noch kaum absehbaren Folgen, scheint die griechische Bevölkerung zu einem deutlichen Nein gewillt zu sein. Doch wieso hat die griechische Bevölkerung keine Angst vor dem Scheitern der Verhandlungen? Die bürgerlichen Medien kommen an ihre analytischen Grenzen, wenn sie dies zu erklären versuchen. Denn sie verstehen nicht,was es heisst, die Welt als griechischeR LohnabhängigeR seit 2010 erlebt zu haben. Im Durchschnitt bedeutete dies nämlich bislang 50% weniger Rente und 40% weniger Lohn. Dazu kommt, dass die Steuern, insbesondere die Mehrwertsteuer, massiv angestiegen sind und die Arbeitslosigkeit bei 30% liegt – wenn man nur die Jugend betrachtet, sind es sogar 60%! Und während sich die deutschsprachigen Zeitungen darüber Gedanken machen, was „die Griechen“ mit den 60 Euro alles kaufen können, die sie seit der Einführung der Kapitalverkehrskontrollen am 29. Juni pro Tag noch abheben können, kann der überwiegende Teil der lohnabhängigen Klasse Griechenlands von 30 mal 60 Euro, also 1800 Euro im Monat, nur träumen – der landesweite Mindestlohn liegt gerade noch bei 580 Euro im Monat.
Die griechische lohnabhängige Bevölkerung hat also deshalb keine Angst OXI (Nein!) zu den Auflagen der Gläubiger zu sagen, weil sie gar nichts mehr zu verlieren hat. Im Gegenteil. Die Bedingungen der Gläubiger beinhalten unter anderem weitere Rentenkürzungen und abermals eine umfassende Erhöhung der Mehrwertsteuer. Und gerade die Mehrwertsteuererhöhung trifft Menschen mit einem sowieso schon kleinen Einkommen umso härter.
Weshalb ist dieses Referendum so wichtig?
Man hört an dieser Stelle in den bürgerlichen Medien immer wieder, dass die Griechen aber doch massive Kredite aufgenommen hätten und dass dieses Geld schliesslich zurückgezahlt werden müsse. Dabei vernachlässigen sie vollständig, dass die Unsummen an neuen Krediten, die Griechenland in den letzten fünf Jahren aufgenommen hat und welche die Staatsverschuldung rasant anwachsen liessen, nicht der griechischen Bevölkerung zugute gekommen sind. Dieses Geld floss weder in Strassen, noch in Spitäler, noch nicht einmal in die Stabilisierung des Staatshaushaltes. Vielmehr wurden diese Kredite dazu verwendet, das griechische Bankensystem zu stabilisieren und Zinsen auf deren Verschuldung zu bezahlen. Aus privaten Schulden wurden öffentliche gemacht. Der neue Vorschlag der Gläubiger würde die Zahlung von 15,5 Milliarden Euro über die nächsten fünf Monate beinhalten. Doch auch dieses Geld würde einzig und allein ausreichen, um die Zins- und Rückzahlungsforderungen über diese fünf Monate zu decken. Mit der einen Hand sprechen die Eurogruppe, die EZB und der IWF also Geld, das sie mit der anderen Hand sogleich wieder einstreichen. Zurück bleiben in Griechenland nur immer neue Zinsforderungen, die dann wiederum mit neuen Krediten gedeckt werden müssen.
Dass Griechenland jetzt aber aufhören könnte den Forderungen der Gläubiger nachzukommen und aus der Eurozone ausscheidet, daran haben die Gläubiger absolut kein Interesse. Und doch scheint es so, als ob sie es unter Umständen zulassen, dass genau dies passiert. Wieso?
Die griechische Regierung vertrat bei den Verhandlungen zumindest teilweise die Interessen der ArbeiterInnenklasse und des Kleinbürgertums. Die Troika hingegen vertritt in erster Linie die Interessen der KapitalistInnen, die schon lange und mit Vehemenz ihre neoliberalen Forderungen durchsetzen, wo sie nur können.
Aus der Sicht der Herrschenden stellt Syriza mit ihrer von der Troika abweichenden Wirtschaftspolitik bereits die Systemfrage. Demnach darf es aus Sicht der Herrschenden einfach nicht sein, dass eine linke Regierung sich behaupten und einen politischen Kurswechsel durchsetzen kann. Dies könnte in der Tat einen Bruch mit dem Neoliberalismus in ganz Europa einleiten und die jahrzehntelange Umverteilung zu Ungunsten der Lohnabhängigen, die jahrzehntelange Verschiebung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zugunsten der herrschenden Klassen beenden.
Das Referendum am 5. Juli ist also nicht eine rein griechische Angelegenheit. Vielmehr wird es darum gehen, ob auch sonst in Europa, und im Übrigen auch in der Schweiz, Alternativen möglich und denkbar sind, die sich gegen die neoliberale Umgestaltung der Welt, gegen immer weniger soziale Sicherheit und immer brutalere Konkurrenz wenden. Das Referendum vom 5. Juli wird so zu einer Schicksalsfrage.
Was wird bei einem Nein geschehen?
Doch was geschieht nun konkret bei einem Nein der griechischen Bevölkerung zu dem „letzten Angebot“ der Gläubiger? So ganz genau weiss das noch niemand. Es sieht aber ganz danach aus, als ob die EZB einen Verbleib Griechenlands in der Eurozone nicht mehr länger akzeptieren würde. Deshalb betonen VerteterInnen der Eurogruppe, insbesondere aus Deutschland, auch immer wieder, dass die GriechInnen eigentlich über ein „Ja“ oder „Nein“ zum Euro entscheiden würden.
Der Lebensstandard der GriechInnen dürfte bei einer Rückkehr zur Drachme vorerst weiter sinken. Die Währung würde eine massive Abwertung erfahren, was Importe verteuert. Gleichzeitig besitzt Griechenland praktisch keine Exportindustrie, was den Vorteil einer abgewerteten Währung wiederum zunichte macht. Dennoch würde die Wiedereinführung der Drachme der griechischen Regierung wieder einige Werkzeuge in die Hand geben, mit denen sie die Finanz- und Währungspolitik etwas autonomer gestalten könnte. Da dies aber wiederum mit gewissen Grundsätzen der EU in Widerspruch steht, wäre ein Ausschluss Griechenlands aus der EU durchaus denkbar, was das gesamte Projekt der Europäischen Union in Frage stellen dürfte.
Solidarität ist nicht nur wichtig, sondern notwendig!
Die griechische lohnabhängige Bevölkerung hat mit ihrem Widerstand gegen die Austeritätspolitik der Eurogruppe unsere Solidarität verdient. Immer wieder versuchen ExponentInnen der Gläubiger, aber auch die bürgerlichen Medien, die GriechInnen vom Rest der ArbeiterInnenklasse Europas zu spalten. Die GriechInnen seien faul, Milliarden seien geflossen, welche wiederum rechtmässig zurückzuzahlen seien und Irland oder Spanien hätten ja auch zu sparen. Da dürfe es keine Ausnahmen für Griechenland geben. Wir sagen: Schwachsinn! Die Auseinandersetzungen um Griechenland sind für die gesamte ArbeiterInnenklasse in Europa von grosser Wichtigkeit. Denn sie können eine Perspektive aufzeigen, die mit der neoliberalen Umstrukturierung und der seit Jahren stattfindende Umverteilung von unten nach oben bricht. Die sozialen Kämpfe können nicht nur die direkten Lebensbedingungen von Millionen Menschen verbessern, sondern auch wieder eine Möglichkeit geben, die Systemfrage tatsächlich zu stellen und zu fragen, ob wir weiterhin in gnadenloser Konkurrenz oder zukünftig in bedingungsloser Solidarität miteinander leben wollen.