Es gibt keine Rechtfertigung für die aktuelle Offensive des israelischen Militärs gegen den Gazastreifen. In dieser Situation ist es wichtig, dass eine emanzipatorische Linke – ergänzend zu den bereits hier veröffentlichten Punkten – diesen Angriff als das benennt, was er ist: Die nächste Stufe einer seit Jahrzehnten andauernden Entmenschlichung und Entrechtung der palästinensischen Bevölkerung.
von BFS Basel & BFS Zürich
Vor einer Woche hat die Hamas einen Angriff auf das israelische Staatsgebiet gestartet und dabei 1’400 Menschen, darunter mehrheitlich Zivilist:innen, getötet. Auch wenn die palästinensische Bevölkerung ein Recht auf Widerstand gegen Unterdrückung besitzt, ist diese Form des Angriffes ein klares Verbrechen und dementsprechend zu verurteilen, wie wir hier bereits erklärt haben. Als Antwort hat das israelische Militär eine brutale Gegenoffensive auf den Gazastreifen gestartet. Mehr als 2’000 Menschen haben dort bereits ihr Leben verloren. Ausserdem wurde die Blockade Gazas verschärft, die Versorgung des Gebietes mit Wasser, Strom und Benzin gestoppt.
Es steht weiterhin Grauenhaftes bevor. Denn allen Anzeichen nach steht eine Bodenoffensive des israelischen Militärs bevor. Am Freitag in der Nacht wurden 1.1 Millionen Bewohner:innen des nördlichen Gazastreifen durch das israelische Militär dazu aufgefordert, ihren Wohnort innert 24 Stunden zu verlassen. Eine solche Vertreibung der Zivilbevölkerung ist nicht nur unmenschlich, sie ist in der aktuellen Situation auch schlichtweg unmöglich. Das sieht auch die UNO so: Sie ist überzeugt, dass eine solche Evakuierung «verheerende humanitäre Folgen» mit sich bringen wird. Inmitten massiver Bombenangriffe auf Wohnhäuser und Strassen und ohne Treibstoff können sich die Menschen nur schwer fortbewegen. Hinzu kommt, dass die erzwungene Verlegung von Schwerkranken aus dem nördlichen Gazastreifen einem «Todesurteil gleichkommt», wie ein Sprecher der Weltgesundheitsorganisation unterstrich. Berichten palästinensischer Free Lance Journalist:innen zufolge sind alleine bei einem einzigen Bombenangriff am Samstagvormittag ca. 50 Zivilpersonen ermordet worden. Sie waren auf der von der israelischen Regierung empfohlenen Fluchtroute von Nord nach Süd innerhalb von Gaza unterwegs.
In dieser Situation ist es wichtig, dass eine emanzipatorische Linke – ergänzend zu den bereits hier veröffentlichten Punkten – an folgenden Positionen festhält:
1. Israel handelt verbrecherisch und unmenschlich: Die gegenwärtige Offensive gegen den Gazastreifen ist keine legitime Selbstverteidigung des israelischen Staates. Sie trifft hunderttausende Zivilist:innen und sie verschärft die seit Jahren vorangetriebene Entrechtung und Entmenschlichung der Bevölkerung des Gazastreifens. Besonders perfide ist beispielsweise das Vorenthalten von Wasser. Aufgrund des Wassermangels spricht auch die UNO seit Samstag von einer Frage von Leben oder Tod.
2. Diese Politik folgt einer seit Jahrzehnten praktizierten Logik der systematischen Vertreibung, Tötung, Inhaftierung und Entmenschlichung der palästinensischen Bevölkerung. Sie reicht von der systematischen rechtlichen Ungleichbehandlung, der Vertreibung der Palästinenser:innen der Westbank über die Gewalttaten durch israelische Siedler:innen, das de facto Einschliessen der Bevölkerung Gazas bis hin zur rhetorischen Entmenschlichung der Palästinenser:innen durch führende israelische Politiker. Die rechten und rechtsextremen Kräfte, die in Israel an der Macht sind, machen seit Längerem keinen Hehl mehr daraus, dass sie alle palästinensischen Gebiete kolonisieren und ihre Bewohner:innen vertreiben wollen.
3. Es ist eine Schande, wie die westliche Welt – von den USA über die EU bis hin zu Schweiz – diese Politik Israels nicht nur duldet, sondern seit Jahrzehnten unterstützt. Die bewusst hilflosen Aufrufe europäischer Politiker:innen an das israelische Militär, etwas Menschlichkeit walten zu lassen, dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Länder – die Schweiz eingeschlossen – diese Politik de facto mittragen.
4. Die schrecklichen Taten der Hamas werden als Vorwand genommen, um jegliche Kritik an der israelischen Regierung zum Schweigen zu bringen. Das trifft nicht nur auf Israel selbst zu, wo mit der neu gebildeten Einheitsregierung ein politisch gefährlicher Burgfrieden geschlossen wurde. Es gilt ebenso für die Länder des Westens. Die sich mehrenden Verbote von Solidaritätskundgebungen mit der palästinensischen Bevölkerung sind daher scharf zu kritisieren. So wird eine progressive Friedensbewegung unterbunden und ein selektives Solidaritätsgefühl mit den israelischen Opfern gefördert.
5. Neben einer Verurteilung braucht es auch Erklärungen. Und erklären heisst nicht rechtfertigen: Die Angriffe der Hamas müssen in einem grösseren Kontext gesehen werden. Dieser ist durch eine jahrzehntelange Belagerung, Tötung, Misshandlung und Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung gekennzeichnet. Jeder gewaltlose Widerstand wurde brutal erstickt. So haben 2018 Tausende Palästinenser:innen im Gazastreifen am «Marsch für die Rückkehr» für das Ende der Blockade und protestiert. Israelische Scharfschützen haben dabei 243 Menschen getötet und tausende verletzt. In diesem Kontext der systematischen Entmenschlichung und Entrechtung ist es leider nicht verwunderlich, dass auch innerhalb der palästinensischen Widerstandsbewegung eine Verrohung stattfindet, die religiös-fundamentalistisch «begründet» wird. Wer also nur – wie gesagt zurecht – den durch die Hamas begangenen Pogrom aufs Schärfste verurteilt, macht es sich zu einfach.
6. Die Palästinenser:innen haben das Recht, sich gegen die koloniale und militärische Gewalt, die vom israelischen Staat und seiner Armee ausgeht, zu wehren. Auch wenn wir die Angriffe der Hamas-Führung auf Zivilist:innen scharf verurteilen, unterstützen wir den Widerstand der palästinensischen Zivilbevölkerung für ein selbstbestimmtes Leben. Mehr denn je ist es an fortschrittlichen und linken Bewegungen und Menschen in aller Welt, sich für eine internationale Solidaritäts- und Friedensbewegung einzusetzen, welche das Potenzial hat, Druck auf die eigenen Regierungen und den israelischen Staat auszuüben. Nur wenn es gelingt, die koloniale Gewalt Israels zu stoppen und in Israel-Palästina ein politisches System zu etablieren, welches allen Menschen die gleichen Rechte zugesteht, ist Frieden möglich.
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