Dass man sich in Zürich keine Wohnung (mehr) leisten kann, ist kein Geheimnis. Zürich erlebt seit Jahrzehnten Wellen der sogenannten «Revitalisierung», «Modernisierung» oder «Aufwertung» vieler Quartiere. Hinter diesen Begriffen verbirgt sich aber tatsächlich eine Wohnungskrise.
von BFS Zürich
Seefeldisierung Zürichs
Bei den sogenannten Aufwertern handelt es sich um Unternehmen, die Immobilien aufkaufen, um sie für eine höhere Preisklasse auszustatten. Viertel und Quartiere werden kulturell und strukturell «aufgewertet», um einkommensstärkere Mieter:innen und Käufer:innen anzulocken. Die Preissteigerung verdrängt aber wiederum die einkommenschwächeren Mieter:innen. Das trifft vor allem Quartiere, in denen traditionell Arbeiter:innen oder Migrant:innen leben, die immer mehr gezwungen sind, auf Randquartiere auszuweichen – aber auch das erst, nachdem sie dutzende Wohnungsbesichtigungen erdulden mussten. So haben sich die Bodenpreise im Aussersihl seit 1993 praktisch verdoppelt. Nicht unähnlich erlebte das alte Industriequartier im Kreis 5 derartige Aufwertungs- und Verdrängungsentwicklungen: Wo einst Arbeiter:innen wohnten, haust jetzt eine urbane Mittelschicht. Diese «Seefeldisierung» – das Seefeld gilt als Paradebeispiel für dieses Phänomen – zieht sich mittlerweile durch alle Quartiere. Doch die Gentrifizierung der Stadt Zürich ist nicht einfach vom Himmel gefallen, sondern hat System und ist eine direkte Folge der Eigentumsverhältnisse sowie einer Gesellschaftsgestaltung, die auf Profitmaximierung ausgerichtet ist.
Ein hausgemachtes Problem des Kapitalismus
In der profitorientierten Konkurrenzwirtschaft des Kapitalismus bestehen auf längere Sicht nur diejenigen Kapitalist:innen – in diesem Fall Immobilienbesitzer:innen –, die am meisten Profit machen. Wie Wohnraum verteilt und wie die Stadt geplant wird, bestimmt die kapitalistische Konkurrenz- und Anhäufungslogik des freien Marktes. Dabei setzen sich diejenigen Kapitalist:innen durch, die am meisten Grundrente, also am meisten Miete oder den höchsten Kaufpreis aus den Immobilien ziehen können, die sie besitzen.
Deswegen begnügen sich die Immobilienbesitzer:innen auch nicht mit der «gegenwärtigen Grundrente», also mit den Einnahmen, die sie aus Mieten und Hauskäufen gegenwärtig effektiv einnehmen können. Sondern sie spekulieren darauf, dass aus denselben Immobilien unter anderen Umständen mehr eingenommen werden könnte («potentielle Grundrente»). Immer die höchstmöglichen potentiellen Einnahmen im Blick, investieren Immobilienunternehmer:innen in sogenannte «Aufwertungsprojekte», die einkommensschwächere Anwohner:innen dann verdrängen, aber eben einkommensstärkere anlocken. Und je höher der Unterschied zwischen den gegenwärtig realisierbaren und den potentiell höchstmöglichen Miet- und Kaufeinkünften ist (Rent Gap), desto eher lohnt es sich für die Investor:innen im Immobilienmarkt, Wohnungen anzukaufen und in sie zu investieren.
Nach dem Wohnungsleerstand die Sintflut
Doch je ambitionierter die Spekulationswut der Immobilienunternehmer:innen, desto tiefer auch der Fall. Denn in Immobilien und deren Aufwertung investieren die Kapitalist:innen vor allem dann, wenn die Profitsteigerung in anderen Wirtschaftsbereichen (diejenigen, die direkt mit den industriellen Produktionsprozessen verbunden sind) in eine Krise gerät. Also dann, wenn die Möglichkeiten dort zu gering sind, um Kapital gewinnbringend zu investieren. Kapital bringt in der Konkurrenzlogik jedoch nur dann etwas, wenn es sich investieren und vermehren lässt. Damit das angehäufte Kapital nun nicht un-investiert herumliegt und somit faktisch entwertet wird, verschieben es die Kapitalist:innen in die Immobilienmärkte. Dieses Verschieben des Kapitals ist aber nicht mehr als ein Hinausschieben der Krise. Was zunächst wie ein Immobilienboom erscheint, bedeutet letztlich nur, dass es bei Investitionen in die bebaute Umwelt länger dauert, bevor diese effektiv Erträge in Form von Kauf oder Miete einbringen.
Doch irgendwann wird klar, dass die Immobilienunternehmer:innen ihre Luftschlösser auf Sand gebaut haben. Die Kapitalist:innen kaufen und «werten» Immobilien auf, weil sie darauf spekulieren, dass irgendwann die grossen Ströme an reichen Käufer:innen und Mieter:innen kommen werden. Sie bauen die Immobilien aber oft noch nicht um in der Hoffnung, dass sich die Bedingungen für höchstmögliche Mieten weiter verbessern werden (bspw. dadurch, dass der Staat zuerst den ÖV ausbaut oder Gebiete umzont). Um noch profitablere Trendimmobilien zu erhalten, wird der Wohnungsleerstand, der dabei entsteht, von den Kapitalist:innen bewusst in Kauf genommen – während zeitgleich Menschen bezahlbaren Wohnungsraum suchen! Doch Menschen wollen in Häusern vor allem eines: wohnen, ohne ständig finanziell belastet zu sein. Die Immobilienblase platzt also genau aufgrund der horrenden Preise (in Zürich zuletzt anfangs der 1990er Jahre) und die vermeintlich stabile Geldanlage Immobilie entpuppt sich als Kartenhaus der Profitgier. Zurück bleiben Trendwüsten, leere Gebäude, auf denen die Kapitalist:innen sitzen bleiben (noch sind das vor allem Bürogebäude). Der kapitalistische Wohnungsmarkt offenbart so den Widerspruch zwischen einer Bedarfs- und einer Profitwirtschaft.
Stadtplanung nach Bedarf und nicht nach Profit
Dass am Ende des Gentrifizierungsprozesses nicht nur die Verdrängung der einkommensschwächeren Mieter:innen steht, sondern leere Betonwüsten zu überhöhten Preisen, die ihrerseits irgendwann auch nichts mehr wert sind, hat seine Wurzel im freien Markt und im Wirtschaften nach Profit. Gentrifizierung entfaltet sich vor allem dort, wo Finanzmärkte und Stadtplanung unzureichend staatlich reguliert werden. Doch es gibt auch Entwicklungen, die mutig stimmen und zum Widerstand motivieren. So haben sich an der Scheideggstrasse (Wollishofen) Anwohner:innen zur «solidarischen Nachbarschaft» zusammengeschlossen, um ihre Kündigung zu vermeiden. Und die Initiative «Linkes Seeufer für alle» hat erfolgreich dazu beigetragen, dass das Kibag-Areal neben der Roten Fabrik nicht mit Luxuswohnungen verbaut wird. Schliessen auch wir uns einem Kampf dafür an, dass Renovation und Sanierungen, überhaupt Wohnraum an sich im Dienste der Bewohner:innen stehen, nicht des Kapitals.
Deswegen fordern wir,
- dass Stadtplanung und Wohnungsbau dem freien Markt entzogen und vergesellschaftet werden, um sie zu einer Angelegenheit des öffentlichen Interesses zu machen.
- dass die soziale Infrastruktur (Gesundheit, Betreuung, Erziehung u.a.) unter Einbezug der Lohnabhängigen ausgebaut und der Wohnungsbau demokratisiert wird, indem die Mieter:innen und die Wohnungssuchenden darüber entscheiden, was gebaut und wo renoviert wird.
- dass Stadtplanung und Wohnungsbau auf die Anforderungen der kommenden Klimakatastrophe angepasst werden, indem eine Stadt der kurzen Wege geplant wird und Gebäude auf ihre ökologische Nachhaltigkeit hin saniert werden.
- offene Städte, in denen Menschen jeden Alters eine bezahlbare Wohnung finden, unabhängig von Aufenthaltsstatus, Portemonnaie, Hautfarbe, Nachname, Netzwerk oder Haushaltsform.
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