Am 3. März 2024 stimmen die Stimmberechtigten im Kanton Zürich über die sogenannte Anti-Chaoten-Initiative ab. Die Initiative der Jungen SVP sieht vor, dass sämtliche Demonstrationen künftig einer Bewilligungspflicht unterliegen sollen. Darüber hinaus müssen die unvorhersehbaren Kosten von Polizeieinsätzen zwingend den angeblichen Verursacher:innen bzw. den Organisator:innen angelastet werden – auf Kosten der demokratischen Grundrechte von uns allen.
von BFS Zürich
In Zürich haben wir ein Polizeiproblem. Sie verletzt systematisch die Grundrechte der Bevölkerung. In den letzten paar Monaten wurde die Schweiz zweimal (!) aufgrund der Zürcher Polizeiarbeit vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt. Einerseits in einem Urteil mit internationaler Strahlkraft wegen racial profiling anlässlich einer rassistischen Polizeikontrolle an Mohammed Wa Baile im Jahr 2015. Andererseits wegen der willkürlichen Einkesselung der 1. Mai-Demonstration 2011. Damals wurde hunderten von Menschen das Recht auf Freiheit und Sicherheit (Artikel 5 der europäischen Menschenrechtskonvention) entzogen. Eine Praxis, welche die Zürcher Polizei bis heute aufrechterhält.
Beide Fälle stehen exemplarisch für die Kriminalisierung und Entrechtung von migrantischen Menschen und politischen Aktivist:innen in der Schweiz. Man würde meinen, die aktuelle politische Diskussion über die Polizeiarbeit müsse darum gehen, diese Grundrechtskonform zu gestalten. Schön wär’s. Stattdessen stimmen wir am 3. März 2024 darüber ab, ob Zürich mit der Anti-Chaoten-Initiative das repressivste Polizeigesetz der Schweiz erhalten solle.
Um was es wirklich geht
Das ganze ist natürlich ein Etikettenschwindel. Es geht nicht um “Chaot:innen”, wer auch immer das genau sein soll, sondern es geht um eine radikale Einschränkung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit und Meinungsäusserung. Die zunehmende Kriminalisierung von unbewilligten Demonstrationen soll unliebsame Meinungen von den Strassen fernhalten. Und das Damoklesschwert der Abwälzung der Polizeikosten auf die Organisator:innen von Demonstrationen soll die Menschen davon abschrecken, von ihren Grundrechten Gebrauch zu machen.
Die Initiative zielt darauf ab, die emanzipatorischen sozialen Bewegungen zu schwächen, die sich gegen imperialistische Kriege, Umweltzerstörung, Rassismus, Sexismus, Wohnungsnot und kapitalistische Ausbeutung wehren. Sie zielt darauf ab, durch eine bizarre Verzerrung der Realität jene Menschen, die sich gegen die alltägliche Gewalt der kapitalistischen Verhältnisse engagieren als gewalttätige “Chaot:innen” darzustellen und ihren Kämpfen die Legitimität abzusprechen. Die armselige, spiessbürgerliche Empörung über zerbrochene Schaufensterscheiben, besetzte Häuser, Sprayereien und Klimakleber wird geschürt und instrumentalisiert, um die demokratischen Grundrechte auszuhöhlen.
Der weltweite Rechtsrutsch
Die Initiative muss im Kontext der globalen Angriffe der weltweit erstarkenden radikalen Rechten auf die demokratischen Grundrechte gesehen werden. Orban in Ungarn, Trump in den USA, Putin in Russland, Bolsonaro in Brasilien, Milei in Argentinien, Modi in Indien, Meloni in Italien, die AfD in Deutschland: überall war und ist die radikale Rechte bemüht, die Grundrechte, welcher der bürgerliche Staat zumindest in der Theorie Allen garantieren sollte, anzugreifen, um die autoritäre Umgestaltung der Gesellschaft voranzutreiben.
Besorgniserregend dabei ist, dass die “Liberalen” diese Entwicklung diskussionslos mittragen. Dies zeigt sich etwa in Frankreich, wo Macron mit seinem autoritären Liberalismus jede Protestbewegung mit übelster Polizeigewalt zerschlägt. Aber auch in Zürich, wo das bürgerliche Kantonsparlament der Initiative der Jungen SVP einen Gegenvorschlag gegenüberstellt, der genauso verfassungswidrig ist, wie die Initiative selbst, und damit die antidemokratische Stossrichtung der Initiative grundsätzlich beibehält.
Angriff ist die beste Verteidigung
Für die emanzipatorischen sozialen Bewegungen ist es fundamental, den beschränkten politischen Spielraum, welcher uns der bürgerliche Rechtsstaat garantiert, zu schützen und zu erweitern. Deshalb müssen wir uns gegen jede autoritäre Verschärfung des Polizeigesetzes wehren. Wir dürfen aber nicht in diesem Defensivkampf verharren. So sind zum Beispiel die eingangs erwähnten systematischen Verletzungen unserer Grundrechte durch die Polizei, wie sie vom EGMR gerügt wurden, keine Missstände, die sich durch Sensibilisierungskampagnen von Polizist:innen oder Reformen der Polizeiarbeit korrigieren liessen.
Im Gegenteil, sowohl die rassistische Polizeigewalt als auch die Repression von politischem Aktivismus sind wichtige Bestandteile der Kernaufgabe der Polizei im bürgerlichen Staat: der Aufrechterhaltung der kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisse. Die Überausbeutung migrantischer Arbeit wird durch deren polizeiliche Disziplinierung erleichtert und der Aufbau politischer Alternativen durch Repression unterbunden. Deshalb gehört sowohl die Polizei, wie auch das rassistische, sexistische, planetenfressende kapitalistische System, welches sie schützt, abgeschafft. Und dafür werden wir weiterhin auf der Strasse kämpfen, bewilligt und unbewilligt, Anti-Chaoten-Initiative hin oder her.