Der extrem rechte Rassemblement National (RN) in Frankreich hat an den vergangenen Europawahlen beängstigend stark zugelegt. Der Präsident Macron hat daraufhin entschieden, das französische Parlament aufzulösen und bereits im Juli Neuwahlen anzusetzen. Es ist äusserst ungewiss, ob dies ein politisch kluger Schachzug von ihm war. Vor allem hat er wohl kaum damit gerechnet, dass sich die Linke – von gemässigten bis linksradikalen Parteien – als «Front Populaire» (Volksfront) vereinen könnte und sich Alternative sowohl zu Marine Le Pens postfaschistischem RN, als auch zu Emmanuel Macron präsentiert, der nicht zuletzt mit seiner Politik von Austerität und Erhöhung des Rentenalters massgeblich den Boden für den Aufstieg des RN geebnet hat. Die Zusammensetzung der «Front Populaire» wirft durchaus auch Fragen auf. Die sozialliberalen Sozialdemokrat:innen unter François Hollande haben ihren eigenen Beitrag zum Sozialabbau und dem Erstarken der Rechten geleistet. Der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon hat demokratische Strukturen innerhalb der «France Insoumise» ausgehöhlt und die Gruppierung zu seinem eigenen Sprachrohr gemacht. Dennoch ist zu begrüssen, dass sich linke Organisationen aktuell am Aufbau einer Alternative zu Emmanuel Macrons neoliberaler Zerstörungswut und dem rassistischen RN beteiligen. Deshalb veröffentlichen wir drei übersetzte Stellungnahmen der NPA-l’Anticapitaliste, die sich in Frankreich dafür entschieden hat, am Aufbau des «Front Populaire» mitzuwirken. (Red.)
von Nouveau Parti Anticapitaliste (NPA-l’Anticapitaliste)
1. Einschätzung zu den Europawahlen
Gegen Macron und die extreme Rechte – Für die Einheit der gesamten gesellschaftlichen und politischen Linken
Macrons Ankündigung, die Nationalversammlung aufzulösen, ist ein Erdbeben, da die extreme Rechte gerade einen überwältigenden Sieg bei den Europawahlen errungen hat.
40% der abgegebenen Stimmen für die extreme Rechte
Gerade einmal die Hälfte der Wähler:innen hat bei diesen Europawahlen ihre Stimme abgegeben, und doch klingen die Ergebnisse wie ein Warnschuss. In Frankreich steigert der Rassemblement National sein Ergebnis im Vergleich zu den vorherigen Wahlen um fast 10% und die gesamte extreme Rechte mit ihren rassistischen, autoritären und homophoben Listen kommt auf fast 40% der abgegebenen Stimmen. Dies ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen rassistischen und unsozialen Politik, die von verschiedenen Regierungen der Rechten wie der Linken betrieben wurde.
Es ist auch das Ergebnis des Willens der Regierung Macron, den Rassemblement National – ihren „besten Feind“ – zu legitimieren und gleichzeitig einen Teil seiner Politik umzusetzen, um jede Wahl in ein Duell zwischen dem präsidialen Lager und dem RN zu verwandeln. Doch die Erpressung, „wählt uns oder lasst die extreme Rechte gewinnen“, funktioniert immer weniger, da die Ablehnung der autoritären, unsozialen und rassistischen Regierung Macron immer massiver wird.
Der RN ist schlimmer als Macron
Indem er drei Wochen nach dem überwältigenden Sieg der extremen Rechten bei den Europawahlen Parlamentswahlen ansetzt, geht Macron bewusst das Risiko ein, ihr die Macht anzubieten. Man muss sich vor Augen führen, was es für unser gesellschaftliches Lager bedeuten würde, einen RN-Premierminister und eine Nationalversammlung, die nach seiner Pfeife tanzt, zu haben. Was das für unsere Rechte, für von Rassismus betroffene Personen, für Arbeiter:innen, Prekäre, Frauen, LGBTI und Jugendliche bedeuten würde!
Jede:r muss sich der Repression bewusst sein, die auf die sozialen Bewegungen, die ökologischen Mobilisierungen, die Gewerkschafter:innen und in den Quartieren niedergehen wird. Jede:r muss sich der Explosion der rassistischen, unsozialen und austeritätspolitischen Massnahmen bewusst sein, die die Politik Macrons auf noch brutalere Weise fortsetzen und einer immer radikaleren Bourgeoisie zugutekommen werden. Das Programm des RN ist rassistische und homophobe Gewalt gemischt mit Hass auf die Armen und die Arbeiter:innen!
Alle mobilisiert, alle zusammen!
Noch ist nichts entschieden! In den nächsten Tagen muss jede und jeder von uns aktiv werden und sich zusammenschliessen, um die extreme Rechte und den Macronismus, der sie nährt, in die Schranken zu weisen. In den Städten, in den Quartieren, in den Betrieben auf lokaler wie auf nationaler Ebene können wir ein anderes Kräfteverhältnis erzwingen. Vor allem auf der Strasse und in den Bewegungen, aber auch bei den Wahlen.
Die Herausforderung für unser gesellschaftliches Lager besteht darin, in einem Kontext von wirtschaftlichen, sozialen, demokratischen und ökologischen Krisen, die sich kombinieren und verstärken, die Kontrolle wiederzuerlangen. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die gesamte Linke – Parteien, Gewerkschaften und alle Organisationen der Arbeiter:innenbewegung – sich um ein klares Programm herum vereinen, das eine gemeinsame Front ermöglicht.
Wir können gegen Macron und den RN gewinnen, d.h. die Erhöhung der Löhne und Renten erstreiten, unsere öffentlichen Dienste verteidigen, das Recht auf Rente mit 60 Jahren erkämpfen, die demokratischen Rechte und Freiheiten verteidigen.
Der einzige Weg, um die Gefahr des RN zu bannen und neue Hoffnung zu erkämpfen, besteht darin, in den nächsten Tagen die Einheitsfront, die Einheit unseres gesellschaftlichen Lagers und seiner Organisationen auf der Strasse und an den Wahlurnen aufzubauen. Darüber hinaus ist es dringend notwendig, die Perspektive einer Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung aufzuzeigen, die sich von einem kapitalistischen System befreit, welches das Schlimmste mit sich bringt.
Montag 10. Juni 2024
2. Stellungnahme zur Gründung der «Front populaire»
An den Urnen und auf der Strasse: die NPA-l’Anticapitaliste ist bereit sich am gemeinsamen Kampf zu beteiligen
Sieben linke Organisationen haben soeben ein einheitliches Communiqué für die bevorstehenden Parlamentswahlen veröffentlicht [Am 18. Juni waren es bereits weit über 100; Anm. d. Red.]. Sie reagieren damit auf das einheitliche Streben, das sich gegen die Bedrohung durch den Faschismus und gegen die autoritäre, rassistische und unsoziale Politik Macrons bildet, die ihm den Weg geebnet hat. Die NPA-L’Anticapitaliste begrüsst diese Positionierung und befürwortet ein solches Vorgehen.
Im Text wird dazu aufgerufen, die Liste der Unterzeichner:innen zu erweitern. Um zu gewinnen, reicht eine Einigung zwischen den Organisationen und ihren Apparaten nicht aus: Wir müssen die Arbeiter:innenklasse [classes populaires] und ihre Organisationen, die politischen Kräfte, aber auch die sozialen Bewegungen zusammenbringen.
Wir brauchen eine grosse Massenbewegung, um das Kräfteverhältnis zu verändern. Um den RN zu schlagen, aber auch um eine echte Alternative zur kapitalistischen Politik zu eröffnen, die den Planeten zerstört, Krieg und Elend sät.
Wir wollen nicht an die Verleugnungen der regierenden Linken von Mitterrand bis Hollande anknüpfen, die so sehr demoralisiert und dazu beigetragen haben, dass die extreme Rechte stärker geworden ist. Wir wollen eine kämpferische Linke, die bahnbrechende Massnahmen ergreift: bei den Löhnen, den Renten (Rückkehr zur Rente mit 60) und dem Sozialschutz; die sich mit den Unternehmer:innen und den Banken anlegt; die einen echten ökologischen Übergang einleitet; die die Rechte der Völker, der Palästinenser:innen, der Ukrainer:innen und der Kanak:innen verteidigt. Eine Linke der Arbeitswelt und der Arbeiter:innenquartiere, der Ausgebeuteten und Unterdrückten. Eine Linke der Solidarität und Gleichheit, die feministisch, antirassistisch und internationalistisch ist.
Und in dieser Linken ist die NPA-L’Anticapitaliste bereit, ihren Platz einzunehmen!
Montag 10. Juni 2024
3. Stellungnahme zum Beitritt der NPA-l’Anticapitaliste zur «Front populaire»
Die NPA-l’Anticapitaliste schliesst sich dem neuen Front Populaire an, um sich der extremen Rechten und Macron entgegenzustellen
Die NPA-l’Anticapitaliste hat ihre Leitung versammelt und einstimmig beschlossen, positiv auf den Aufruf der sieben Organisationen zu reagieren, die den Front Populaire initiiert haben. In einer Zeit, in der der RN und seine Verbündeten in der Lage sind, die Macht zu übernehmen, ist die Front Populaire ein Hoffnungsträger für die gesellschaftliche und politische Linke, gegen (neo-)liberale Reformen, für antirassistische, umweltpolitische, feministische, LGBTI-Kämpfe und für alle Bewegungen für gleiche Rechte.
Ab morgen werden sich unsere Aktivist:innen voll engagieren, um den Kandidat:innen der Front Populaire zum Sieg zu verhelfen und die tödliche Dynamik, in der wir uns befinden, umzukehren. Gemeinsam mit unseren Sprecher:innen sind wir entschlossen, unseren Platz in der Kampagne voll und ganz einzunehmen, auch indem wir Kandidat:innen vorschlagen.
Ein Sieg gegen die extreme Rechte und Macron ist nur unter der Bedingung einer breiten Mobilisierung der Bevölkerung möglich. Insbesondere in den Betrieben, in den Arbeiter:innenvierteln und bei der Jugend. Die Gewerkschaftsbewegung, die Umweltkämpfe, die feministische Bewegung, die Solidaritätsbewegung mit Palästina, die dekolonialen und antirassistischen Kämpfe müssen das Programm der Front Populaire tiefgreifend nähren. Sie müssen die treibende Kraft dahinter sein.
Deshalb werden wir alle Demonstrationen, Mobilisierungen und Streiks auf der Strasse und in den Betrieben, die in den nächsten Tagen und nach den Wahlen stattfinden werden, unterstützen und mit aufbauen. Die Mobilisierungen sind die einzige Garantie dafür, dass der Front Populaire ein Programm verfolgen wird, das mit vier Jahrzehnten liberaler Politik bricht.
Das von diesem räuberischen System verursachte Chaos erfordert einen revolutionären Bruch mit dem Kapitalismus und eine neue, emanzipatorische Hoffnung für die Unterdrückten und Ausgebeuteten. Heute ist die Einheit gegen den Faschismus und der Aufbau einer Gegenoffensive der Arbeiter:innenklasse [classes populaires] dringend erforderlich. Angesichts der faschistischen Gefahr: Schliessen wir uns alle dem neuen Front Populaire an!
Dienstag, 11. Juni 2024
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