Menu Schließen

Ökologie: Der Klimagipfel von Paris 2015

Dieser Artikel von Daniel Tanuro erklärt, warum vom kommenden Klimagipfel in Paris im Dezember 2015 keine effektiven Massnahmen gegen den Klimawandel erwartet werden können und die Konferenz eher als ein Höhepunkt der Lüge, des Geschäftemachens und des Klimaverbrechens anzusehen ist. (Red.)

von Daniel Tanuro
Bereits vor fünfzig Jahren gab es erste Warnungen vor den Gefahren der globalen Erderwärmung. Im Jahr 1988 wurden sie ernst genommen und die Vereinigten Nationen sowie die Internationale Meteorologische Organisation riefen die internationale Expertengruppe für Klimaentwicklung (IPCC) ins Leben.

Von den ersten Warnungen bis zur absoluten Dringlichkeit

Seit ihrer Gründung hat die IPCC – eine untypische Organisation (ihre Einschätzungen werden von Wissenschaftler*innen verfasst, während die „Zusammenfassungen für die Entscheidungsträger*innen“ mit den Vertreter*innen der Staaten verhandelt werden) – fünf dicke Berichte veröffentlicht. Alle diese Berichte haben die anfänglichen Hypothesen bestätigt: die durchschnittliche Temperatur der Erdoberfläche steigt an; diese Erhöhung ist fast ausschliesslich den menschlichen Treibhausgasemissionen geschuldet; das wichtigste dieser Treibhausgase ist der Kohlenwasserstoff (CO2), welches bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe entsteht.[1]
Die IPCC wiederholt seit mehr als zwanzig Jahren: ohne eine starke Reduktion der Emissionen wird die Erderwärmung eine Erhöhung der Meeresspiegel, eine Häufung extremer meteorologischer Ereignisse, eine Verminderung der landwirtschaftlichen Produktivität, eine Abnahme der verfügbaren Trinkwasservorräte, eine Verringerung der Biodiversität sowie gesundheitliche Konsequenzen herbeiführen. Es ist also nicht nur ein Umweltproblem, auch wenn dies das zentrale Problem darstellt.
Die fünf Berichte unterscheiden sich nur in der Präzision und der Wahrscheinlichkeit der Vorhersagen. Zudem können nun nach den vergangenen Jahrzehnten seit der Gründung des IPCC die Vorhersagen mit den Beobachtungen verglichen werden. Die Erkenntnis dabei ist besorgniserregend, denn die Realität ist schlimmer als es die Modelle vorhersagen liessen.[2]
Die fossilen Brennstoffe decken 80% des weltweiten Energiebedarfs. Die Energiefrage ist somit die zentrale Problematik. Naomi Klein erklärt in ihrem letzten Buch folgendes: Hätten die Entscheidungsträger*innen die Zügel früher in die Hand genommen, hätten sie eine relativ sanfte Energiewende hin zu ausschliesslich erneuerbaren Energien umsetzen können. Aber sie haben es nicht getan und daher müssen wir uns heute mit einem sehr dringenden Problem auseinandersetzen, dessen Gefahren nur durch sehr radikale Massnahmen vermieden werden können… Diese Massnahmen sind aber genau jene, welche die Entscheidungsträger*Innen nicht umsetzen möchten!

Klimarahmenkonvention und Kyotoprotokoll

Am Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Rio im Jahr 1992 wurde im grossen Stil die Klimarahmenkonvention verabschiedet, in der die unterzeichnenden Parteien sich dazu verpflichten, eine „gefährliche Störung des Klimasystems zu verhindern“. Dabei wurde ordnungsgemäss die Tatsache berücksichtigt, dass weder alle Länder die gleiche Verantwortung für den Klimawandel tragen, noch alle die gleichen Kapazitäten besitzen, dieser Veränderung entgegenzuwirken.
Kraft des Prinzips der „gemeinsamen aber unterschiedlichen Verantwortung“ haben die „Industriestaaten“ an der dritten Klimakonferenz das Kyoto-Protokoll verabschiedet, in dem sie sich dazu verpflichten, ihre Emissionen von 2008-2012 um 5,2% im Vergleich zu 1990 zu reduzieren.
Der nötige Aufwand für die Emissionsreduktion der „Industriestaaten“ war lächerlich. Dies umso mehr weil die angestrebten Ziele durch Taschenspielertricks erreicht werden konnten. Zu den zwei wichtigsten Tricks gehört zum einen der Handel von Emissionsrechten (welche auf exzessive Weise und gratis den Unternehmen verteilt wurden). Zum anderen besteht die Möglichkeit für die Industriestaaten, ihre Emissionsreduktionen einerseits durch den Kauf von Emissionskrediten, die dank sogenannten „sauberen Investitionen“ (was in den meisten Fällen nicht zutrifft) entstanden sind, oder durch forstwirtschaftliche Massnahmen (zu Ungunsten der indigenen Bevölkerungsgruppen) zu kompensieren.[3] Dennoch haben die USA dieses Abkommen nicht unterzeichnet.
Kyoto war ein Schwindel. Dieser Umstand spielte eine entscheidende Rolle beim Scheitern der Klimakonferenz von 2009 in Kopenhagen. Dort hätte eigentlich ein weltweites Klimaabkommen unterzeichnet werden sollen. Die südlichen Länder bemängelten das fehlende Engagement des Nordens. Auch wenn dies im Grossen und Ganzen gerechtfertigt ist, war diese Anschuldigung nicht frei von Hintergedanken, insbesondere bei den Regierungschefs der sogenannten „Schwellenländern“ und der Erdölexporteuren, welche darauf bedacht waren, dass die fossilen Energieträger ihre Volkswirtschaften so lange wie möglich ankurbeln.
Am Ende einer stürmischen Generalversammlung, welche gespickt war mit den Interventionen von Hugo Chavez und Evo Morales, wurde eine Erklärung verabschiedet, die hinter den Kulissen unter der Führung der USA und Chinas vorbereitet wurde. Diese Länder sind die zwei grössten Treibhausgas-Emittenten (deren Verantwortung für die Erderwärmung ist aber selbstverständlich verschieden).

Kopenhagen und der Selbstbedienungsladen

Kopenhagen ist gescheitert, aber am Gipfel wurde eine wichtige methodologische Entscheidung getroffen. Die Parteien haben sich entschieden, auf eine „top-down“ Lösung zu verzichten. Eine solche basiert auf einem „Kohlenstoffbudget“, das weltweit noch zur Verfügung steht und das, die Verantwortung und Kapazitäten der verschiedenen Länder berücksichtigend, an alle Staaten verteilt werden sollte.
Ein „Kohlenstoffbudget“ aufzustellen bedeutet, sich auf eine bestimmte Menge Kohlenstoff zu einigen, die noch in die Atmosphäre ausgestossen werden kann, um die Erderwärmung auf eine bestimmte Temperatur zu beschränken. Dies ist die einzige Methode, die einerseits wissenschaftlich genau ist und zudem potentiell gerecht ist in Bezug auf die unterschiedliche Verantwortung. Sie hat aber die „Unzulänglichkeit“, die ökologischen Zwänge klar zu benennen und die Ermittlung der unterschiedlichen Verantwortlichkeiten unumgänglich zu machen.[4]
Da alle Regierungen sich Handlungsspielräume offen lassen wollten, hat die COP entschieden, dass von nun an jedes Land seinen eigenen Klimaplan dem Sekretariat der Klimarahmenkonvention mitteilt und dass diese Pläne als Grundlage für die Verhandlung dienen sollten. Es handelt sich in anderen Worten um das Modell eines Selbstbedienungsladens.[5]
Ausserdem wurde in Kopenhagen die Entscheidung getroffen, einen grünen Fonds für das Klima zu gründen, mit dem die Industriestaaten einen Beitrag leisten sollten zur Anpassung und Eingrenzung des Klimawandels in den Entwicklungsländern. Die COP von Cancun hat im Folgejahr eine jährliche Summe von hundert Milliarden Dollar für 2020 festgelegt (die hauptsächlich von der Weltbank verwaltet werden soll). Doch bisher wurde nicht einmal ein Zehntel dieser Summe bereitgestellt.

Die 2°C sind PR

Nahezu zwanzig Jahre nach dem Klimagipfel von Rio de Janeiro, wurde in Cancun die zentrale Zielsetzung der Klimarahmenkonvention beziffert. Es wurde entschieden, dass ein Temperaturanstieg von 2°C im Vergleich zu vorindustriellen Zeiten eine „gefährliche“ Grenze darstellt, welche nicht überschritten werden sollte (entsprechend der „wissenschaftlichen Entwicklung“ könne, wenn nötig, das Ziel auf 1,5°C heruntergesetzt werden). Dies ist auf dem ersten Blick eine positive Entscheidung. Dennoch gibt es zwei Wermutstropfen.
Der erste Wermutstropfen ist wissenschaftlicher und politischer Natur. Das Zweigradziel als Gefahrengrenze ist sehr fraglich. Das Zweigradziel wurde durch eine Studie des Ökonomen Nordhaus bekannt. Er gelangte zu dieser Zahl, weil sie einer Verdoppelung der CO2-Konzentration in der Atmosphäre gleichzukommen schien. Bereits 1990 hat aber ein Bericht des Stockholm Environment Institute erklärt, es wäre zu bevorzugen, einen Temperaturanstieg von einem Grad nicht zu überschreiten. Das Zweigradziel hat sich aber durchgesetzt, nachdem es von der Europäischen Kommission 1996 als Vorgabe festgelegt wurde.[6]
Das letzte Wort ist aber nicht gesprochen. In Cancun haben mehr als hundert Länder (kleine Inseln und „Entwicklungsländer“) eine Erklärung veröffentlicht, in der die Herabsetzung auf 1,5°C gefordert wurde. Es wurde entschieden, dieses Anliegen zu prüfen. In diesem Sinne hat die COP18 (Doha) einen „strukturierten Expertendialog“ initiiert. Der daraus entstandene Bericht, wurde im Mai 2015 veröffentlicht. Laut diesem Bericht sei eine Erwärmung von 2°C zu gefährlich und ein Ziel von 1,5°C würde die Risiken verringern.[7]
Ein Beispiel für diese Risiken werden von Anders Levermann hervorgehoben, einer der „lead authors“ des Kapitels über die Erhöhung des Meeresspiegels im vierten Bericht der IPCC. Er nimmt an, dass bei jedem zusätzlichen Grad (wir sind schon bei 0,8°C) im Gleichgewichtszustand der Meeresspiegel um 2,3 Meter steigen würde.[8] Zwar fehlen weltweite Daten über die Bevölkerungsdichte und die Höhe der menschlichen Siedlungen, aber es wird angenommen, dass ein Meter die Vertreibung von Hunderten von Millionen Menschen bedeuten wird. Nicht auszudenken, was also mit 4,6 Metern geschieht.
Der zweite Wermutstropfen ist methodologisch. Es sind keine Massnahmen vorgesehen, um die Klimapläne anzupassen, damit das Zweigradziel tatsächlich eingehalten werden kann. Das System des Selbstbedienungsladens erlaubt es den Protagonist*innen, sich vor den Medien aufzuplustern und zu erklären, „die Situation ist unter Kontrolle, wir handeln gemäss der 2°C Grenze“… All dies ohne das Nötige für dieses Ziel zu unternehmen.
In der Tat ist es nicht untertrieben zu behaupten, dass die nötigen Massnahmen nicht getroffen werden! Die globalen Emissionen sind in den Achtzigerjahren um 1% jährlich gestiegen. Heute steigen sie um das Doppelte. Mit dieser Geschwindigkeit wird, wenn nichts geschieht, die Erwärmung bis zur nächsten Jahrhundertwende um 6°C steigen. Auf längere Zeit würde die Temperatur wohl gar um 11°C steigen.[9]
Werden die Regierungen ein Abkommen in Paris unterzeichnen? Es ist möglich aber nicht sicher. Was aber sicher ist: Der Selbstbedienungsladen ist zur vollsten Zufriedenheit der Grosskonzerne, welche hinter der Herausforderung des Klimawandels nur eine neue Möglichkeit sehen, „neue Märkte“ zu erschliessen: Handel mit Emissionspapieren, erneuerbare Energien, CO2-Abscheidung und -Speicherung, Ausbeutung von Ressourcen, Anpassung (natürlich im neoliberalen Sinn, was die Privatisierungen, insbesondere des Wassers, impliziert). Der Selbstbedienungsladen ist zu ihrer vollsten Zufriedenheit, weil diese ganze Politik im Einverständnis mit den Unternehmer*innen ausgearbeitet wurde. Dies wurde beispielsweise im letzten Mai ersichtlich, als in Paris der „Gipfel der Unternehmen für das Klima“ stattfand (siehe Kasten).
Es ist nicht zu bezweifeln, dass das mögliche Abkommen nur Sand in die Augen streuen wird. Dies wurde schon mit dem Abkommen zwischen den USA und China, die zwei grössten Verschmutzer*innen, angedeutet. Falls die Europäische Union ihr eigenes Engagement einhält, die Emissionen um 40% bis 2030 einzuschränken (ungenügend und von den oben genannten Taschenspielertricks untergraben), falls die anderen Industriestaaten sich den Klimazielen der USA anschliessen (eine Zielsetzung, die bis 2025 eine Reduktion vorsieht, die nur leicht höher ist als jene, welche die USA im Rahmen des Kyoto-Protokolls bis 2012 hätten erreichen sollen) und falls die Entwicklungsländer die Zielsetzung Chinas übernehmen (keine absolute Emissionsreduktion bis 2030), werden wir bis 2100 höchstwahrscheinlich auf eine Erwärmung von 3,6°C zusteuern. Dies würde dem Temperaturanstieg nach der letzten Eiszeit vor 20’000 Jahren entsprechen. Eine unsagbare, unvorstellbare und schreckliche Vorstellung. Präziser ausgedrückt, ein Verbrechen, das die COP21 verdecken sollte.

Eine Wahl zwischen Wachstum oder Klima

Die Ursachen dieser beunruhigenden Situation liegen nicht an der technologischen Unmöglichkeit, den Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen umzusetzen. Genauso wenig ist der demographische Wandel der Grund. Vielmehr liegt es an der Natur selbst des kapitalistischen Wirtschaftssystems. „Ein Kapitalismus ohne Wachstum ist ein Widerspruch in sich.“, sagte bereits Schumpeter. Niemand kann dies heute noch negieren: es ist das Hauptproblem. Das Klima zu retten bedeutet, die Emissionen derart zu senken, dass dies eine entscheidende Reduktion des Energiekonsums erfordern würde. Eine derart starke Reduktion wäre jedoch nicht ohne eine entscheidende Abnahme der Verarbeitung und des Transportes von Rohstoffen möglich. In anderen Worten: Ohne auf Wachstum zu verzichten, ist es nicht möglich.
Die Fortschritte in der effektiveren Nutzung der Energien helfen uns auch nicht, diesen physischen Einschränkungen zu entfliehen. Abgesehen von diesen physischen Grenzen stellen wir aber auch fest, dass diese technischen Fortschritte vom „Rebound-Effekt“ kompensiert werden. (Der Rebound Effekt bezeichnet die Tatsache, dass ersparte Energie dazu benutzt wird das gleiche oder anderes in grösseren Mengen zu produzieren). Dies ist unumgänglich, solange die Logik der Produktivität, die Unternehmensfreiheit und die Konkurrenz der Märkte die Regeln bestimmen.
Die Technologien stellen ebenso wenig eine Lösung dar. Diesbezüglich kann angenommen werden, dass der letzte Bericht der IPCC ein falsches Bild der Realität zeichnet. Laut diesem Bericht kann unter den Voraussetzungen des wirtschaftlichen Wachstums die Zweigradgrenze nur eingehalten werden, wenn die Emissionen des weltweiten Energiesystems ab 2070 negativ werden (in anderen Worten, wenn das System mehr CO2 aufnimmt als ausstösst). Um dieses Resultat zu erreichen greifen alle Szenarien auf die massive Nutzung von Biomasse mit CO2-Abscheidung und –Speicherung. Die Arbeiten der Gruppe III des IPCC kommen aber zum Schluss, dass es erstens keine Beweise gibt, dass diese Technologie sicher ist und dass zweitens keine Garantie besteht bezüglich der sozialen und ökologischen Konsequenzen dieser Technologie.[10] Diese Folgen sind jedoch möglicherweise sehr schwerwiegend in Bezug auf die Biodiversität.
Tatsächlich haben alle Szenarien, die vorgeben, das Wachstum und den Übergang zu einem System ohne Treibhausgasemissionen zu vereinen, den Fehler, die Wurzel der Probleme nicht zu berücksichtigen. Diese Wurzel hat einen Namen: Kapitalismus.[11] Aber „Kapitalismus“ und „Wachstum“ sind bei den Forscher*innen der IPCC Tabuthemen.
In einer Analyse des Textes, der als Basis für die Verhandlungen in Paris dienen wird, hat Pablo Solon die Aufmerksamkeit auf einen wichtigen Punkt gelenkt. Seine Argumentation ermöglicht über einen anderen Weg ähnliche antikapitalistische Schlussfolgerungen. Obwohl die Verpflichtungen zur Emissionsreduktion bis 2030 zentral für das Erreichen des Zweigradziels sind, fehlen sie im Vorbereitungstext. Zu Recht bringt der ehemalige UNO-Botschafter von Bolivien diesen Umstand mit der Methode des Selbstbedienungsladens in Verbindung. Dahinter steckt jedoch eine weitere Frage: Warum dieses Schweigen zur Frist von 2030?
Drei Elemente geben eine Antwort und alle haben etwas mit den finanziellen Mitteln zu tun, die den Leugner*innen des Klimawandels zur Verfügung stehen: erstens die kapitalisierten Reserven an fossilen Brennstoffen, zweitens die Amortisierung des Energiesystems und drittens der Einfluss des Finanzkapitals.
Um das Klima zu retten müssten erstens die Erdöl-, Gas- und Kohleunternehmen darauf verzichten, drei Fünftel der Reserven, über die sie verfügen, auszubeuten. Diese Reserven sind Teil ihrer Aktiva und bestimmen ihre Börsenquotierung.[12] Zweitens muss ein Grossteil des globalen Energiesystems, das einen Fünftel des weltweiten Bruttosozialprodukts darstellt, verschrottet werden.[13] Dies würde in beiden Fällen zum Platzen einer enormen Blase und zu einer riesen Finanzkriese führen.

Systemkrise und Gesellschaftsprojekt

Der COP21-Gipfel kündigt sich als Gipfel der Lüge, des Geschäftemachens und des Klimaverbrechens an. Gibt es keinen Widerstand, führt das System weiter in Richtung sozialer und ökologischer Zerstörung. Daher täuschen die Begriffe der „Klimakrise“ oder des „vom Menschen beeinflussten Klimawandels“. Die Situation sollte unter dem Gesichtspunkt der Systemkrise und der historischen Sackgasse des Kapitalismus betrachtet werden. In diesem Kontext sollten auch die Strategien ausgearbeitet werden. Die antikapitalistische Linke steht vor der Herausforderung, ein Gesellschaftsprojekt zu entwerfen, das nicht produktivistisch ist und muss Praktiken, Forderungen und Organisationsformen entwickeln, um dieses Projekt umzusetzen.
Eine grosse Mobilisierung ist im Gange, die ihren Höhepunkt in Paris anlässlich des Klimagipfels haben sollte, aber in der Folge fortgesetzt werden muss. Die Organisatorinnen und Organisatoren möchten dort alle Bewegungen der Ausgebeuteten und Unterdrückten zusammenbringen. Die Bauern- und Bäuerinnengewerkschaften sowie die indigenen Bevölkerungsgruppen sind an vorderster Front bei der Eroberung gemeinschaftlicher Lebensgrundlagen. In diesen Kämpfen spielen die Frauen eine entscheidende Rolle. Grosse Teile der Jugend sind bereits an Kämpfen gegen grosse Infrastrukturprojekte mit fossilen Energieträgern beteiligt. Aber die Arbeiter*innenbewegung ist im Hintertreffen.
Selbstverständlich beteiligen sich die Gewerkschaften an den Mobilisierungen. Aber es geht nicht nur darum. Es geht darum, die Arbeiter*innen davon zu überzeugen, dass dieser Kampf auch der ihrige ist. Dies ist eine schwierige aber entscheidende Herausforderung. Ein solches Ziel kann nur mittels einer Demokratisierung der Gewerkschaften sowie einer antikapitalistischen Radikalisierung ihrer Programme und Aktionsformen erreicht werden. Ansonsten bleibt der „gerechte Übergang zu einer Wirtschaft ohne Kohlenstoffemissionen“, wie er vom Internationalen Gewerkschaftsbund gefordert wird, nur ein Anhängsel einer kapitalistischen Strategie und deren Konsequenzen.[14]
Die Zusammenführung der Bewegungen unterstreicht die Notwendigkeit, ein nicht-kapitalistisches Gesellschaftsprojekt auszuarbeiten, das den Anforderungen unserer Zeit gerecht wird. Ein ökosozialistisches Projekt, das die Befriedigung der realen menschlichen Bedürfnisse anstrebt, die unter Berücksichtigung der ökologischen Zwänge demokratisch bestimmt werden. Selbst wenn dieses dezentralisierte, selbstverwaltende, feministische und internationalistische Projekt – das nicht den Illusionen einer „Domination der Natur“ und dem „immer mehr“ verfällt – noch nicht ausgereift ist, lebt es dennoch bereits in den vielen Kämpfen für Emanzipation. Es gibt keine dringendere Aufgabe, als dieses Projekt wachsen zu lassen.

Kasten: Der Klimagipfel der Grosskonzerne

Unter der Initiative der UNO, die gewillt ist, die Firmen in die Verhandlungen einzubinden, fand im Mai 2015 in Paris ein Gipfel der Unternehmen für das Klima statt. Dieser Gipfel wurde von verschiedenen Lobbyorganisationen unterstützt, darunter auch der World Business Council for Sustainable Development. Unter den 200 Mitgliedern dieses Rates sind auch einige der grössten Verschmutzer*innen anzutreffen (Shell, BP, Dow Chemicals, Petrobras, Chevron,…). Sein Präsident ist der Chef von Unilever und Gründer ist Stephan Schmidheiny, ehemaliger CEO von Eternit. An seiner Ansprache zu diesem Anlass hat Francois Hollande diesen Leuten nicht den Himmel aber buchstäblich die Erde versprochen: „Die Unternehmen sind zentral, weil sie es sind, die mittels der getroffenen Vereinbarungen, den nötigen Wandel umsetzen werden: Energieeffizienz, Erhöhung der erneuerbaren Energien, die Möglichkeit, sich fortzubewegen, ohne Energie zu verbrauchen, CO2-Speicherung, der Wohnungsbau, die Städteentwicklung sowie die Teilnahme an der Anpassung und am Übergang zu erneuerbaren Energien in den Entwicklungsländern“.
[1]Die Erhöhung der Sonneneinstrahlung erklärt 5% der Erwärmung. Die Berichte der IPCC sind im Internet konsultierbar:
http://www.ipcc.ch/
[2] Dies ist beispielsweise der Fall bei der Erhöhung des Meeresspiegels. Der beobachtete Wert beträgt 3mm/Jahr während der vorhergesehene Wert 2mm/Jahr betrug.
[3] Bis vor kurzer Zeit war das Europäische Emissionshandelssystem der einzige Markt dieser Art. Kürzlich wurden ähnliche Märkte kreiert in einigen Regionen Chinas und der USA. Die „sauberen“ Investitionen im globalen Süden sind Teil des Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung. Die forstwirtschaftlichen Massnahmen sind Teil des Mechanismus genannt REDD+ (Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation and the role of conservation, sustainable management of forests and enhancement of forest carbon stocks in developing countries, A.d.Ü).
[4]Laut verschiedenen Schätzungen wird unter gleichbleibendem Verbrauch das Kohlenstoffbudget, das dem Zweigradziel entspricht, im Jahr 2030 aufgebraucht sein. Siehe dazu die Prognosen von Kevin Anderson, Leiter des Tyndall Institute on Climate Change Research. http://tyndall.ac.uk/communication/news-archive/2013/radical-emissions-reduction-conference-videos-now-online
[5] http://paristext2015.com/2015/05/the-draft-paris-text-doesnt-define-dangerous-why-that-is-a-big-problem/
[6] Die INDC (intended nationally determined contributions), welche unterbreitet wurden sind zugänglich auf: http://www4.unfccc.int/submissions/indc/Submission%20Pages/submissions.aspx
[7] http://climateanalytics.org/files/briefing_sed_report.pdf
[8] http://www.realclimate.org/index.php/archives/2013/08/the-inevitability-of-sea-level-rise/
[9] http://paristext2015.com/2015/06/1-5-degrees-celsius-or-2-degrees-maybe-its-turtles-all-the-way-down/ Siehe auch: http://www.nature.com/nclimate/journal/v4/n10/full/nclimate2392.html
[10] http://paristext2015.com/2015/06/1-5-degrees-celsius-or-2-degrees-maybe-its-turtles-all-the-way-down/ Siehe auch: http://www.nature.com/nclimate/journal/v4/n10/full/nclimate2392.html
[11] Dies trifft auch auf die Szenarien der NGOs zu, wie jene der
Energy Revolution von Greenpeace oder der französischen Negawatt.
[12] http://www.carbontracker.org/report/carbon-bubble/
[13] World Economic and Social Survey 2011, « The Great Green Technological Transformation »
[14] http://www.ituc-csi.org/international-trade-unions-to?lang=fr
Übersetzung durch sozialismus.ch

Verwandte Artikel

1 Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert