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«Die Krise der liberalen Hegemonie ist die Ursache, warum sich so viele Menschen der extremen Rechten zuwenden.»

Im Interview erklärt der exilierte russische Politikwissenschaftler und Aktivist Ilya Budraitskis, wo die Ursachen für den Aufstieg der extremen Rechten liegen, welche Ziele die neuen Faschist:innen verfolgen, und welche Lehren die radikale Linke für den Kampf gegen den Faschismus aus dem 20. Jahrhundert ziehen soll. Zum Schluss macht er Vorschläge, wo eine antifaschistische Politik heute ansetzen könnte.

Interview mit Ilya Budraitskis; von Philipp Schmid (BFS Zürich)

Philipp Schmid: Die politische Entwicklung in Europa ist äusserst besorgniserregend. Die faschistische Partei Alternative für Deutschland (AfD) hat bei den Bundestagswahlen 2025 20,8% erreicht. An Demonstrationen in Deutschland heisst es, es sei nicht 5 vor 12, sondern 19:33 Uhr. Ist diese Panik gerechtfertigt?

Ilya Budraitskis: Ja, ich denke, diese Befürchtungen sind berechtigt. Wir können beobachten, wie der Einfluss der verschiedenen rechtsextremen Parteien in Europa, in den USA, in Lateinamerika usw. ständig zunimmt. Natürlich zeigt sich dieser globale Trend in den verschiedenen nationalen Kontexten unterschiedlich, aber die Gefahr ist real. Denn sie hängt mit dem Willen einiger Teile der Eliten zusammen, die politischen Konfigurationen der bürgerlichen Macht radikal zu verändern und eine andere Art von politischem Regime zu installieren. In Russland ist dies bereits geschehen, in den USA ist dieser Prozess im Gange. In Westeuropa hat die extreme Rechte zwar grosse Wahlerfolge erzielt, aber die Transformation der politischen Herrschaft steht noch aus. Angesichts ihres Erstarkens ist dies jedoch ein mögliches Szenario für die Zukunft.

Welche politische Ordnung streben sie an?

Das kann man am besten am Beispiel der USA sehen. Mit Trump ist die extreme Rechte zurück an der Macht. Sie kontrollieren die wichtigsten Teile des Staatsapparats wie den Senat, das Repräsentantenhaus und den Obersten Gerichtshof. Und nun versuchen sie, das politische System von oben in Richtung einer autoritären Herrschaft umzubauen. Es soll wie ein kapitalistisches Unternehmen organisiert werden. Das ist das Ziel von Trump und Musk. Und in der Konsequenz bedeutet das die Abschaffung der liberalen Demokratie und die Ersetzung dieses Systems durch eine Art moderne Monarchie. Sie streben ein Regime an, in dem die Autorität nicht auf demokratischer Legitimation beruht, sondern auf dem Prinzip der personalisierten Macht und eines autoritären Führers.

Elon Musk macht im Januar 2025 den Hitlergruss. Teile der herrschenden Eliten haben für einen faschistischen Umbau des politischen Systems entschieden.

Was ist das ideologische Programm der extremen Rechten neben dem autoritären Umbau der Gesellschaft?

Kern ihres ideologischen Programms ist, dass die liberale Demokratie am Ende sei. Sie sei fake und nur noch eine Scheinherrschaft, hinter der sich eine versteckte globale Elite verberge, die sich von falschen Prinzipien wie dem Völkerrecht und Toleranz leiten lasse. Die extreme Rechte kritisiert die vermeintliche Moral und die Werte der liberalen Eliten, weil diese die Schwachen und nicht die Starken schützen würden.

«Einer der Hauptgründe für den Aufstieg der extremen Rechten ist die neoliberale Umgestaltung der europäischen Gesellschaften. Die konstante soziale Atomisierung der Menschen und die Zerstörung der Gewerkschaften gehen zusammen mit dem Rückgang der Traditionen der Demokratie. Dies ist die materielle Grundlage für die ideologische Krise der liberalen Eliten.»

In der Vorstellung der extremen Rechten sollte das einzige Prinzip der internationalen Politik die Macht des Stärkeren sein. Dies sei die „natürliche“ Art, die Gesellschaft zu regieren. Das ist die Logik hinter der Art und Weise, wie Trump und Putin regieren. Wir sehen das am Beispiel von Putins Kritik an der Unterstützung für die Ukraine: In seiner Denkweise haben kleine Nationen, die sich nicht selbst verteidigen können, kein Existenzrecht. Und deshalb ist ihre Souveränität, also ihre Existenz als unabhängige Länder, in den Augen der extremen Rechten künstlich.

Wie erklärst du dir das Erstarken rechtsextremer und faschistischer Kräfte in Europa in den letzten 10 Jahren?

Es gibt viele Gründe für die zunehmenden Wahlerfolge rechtsextremer Parteien in Europa. Einer der wichtigsten ist der Wandel der europäischen Gesellschaften als Folge der neoliberalen Reformen der letzten Jahrzehnte. Die fortschreitende soziale Atomisierung der Menschen, die Zerschlagung der Gewerkschaften und anderer Formen der Selbstorganisation der Arbeitenden gehen einher mit dem Niedergang von Demokratietraditionen, die nicht nur als ein System liberaler Institutionen zu verstehen sind, sondern auch als die Fähigkeit der Gesellschaft, sich kollektiv und organisiert zu verteidigen.

Dies ist die materielle Grundlage für die ideologische Krise der liberalen Eliten, denn die Menschen sind von der bürgerlich-liberalen Demokratie und ihren Institutionen zunehmend desillusioniert. Sie fühlen sich nicht repräsentiert und nicht gehört. Die extreme Rechte knüpft geschickt an diese weit verbreiteten Gefühle an.

Die klassische marxistische Faschismusanalyse hat den Faschismus immer als Reaktion auf die Krise des Kapitalismus und als Antwort der Bourgeoisie auf das Erstarken der Arbeiter:innenbewegung verstanden. Trifft diese Analyse noch zu?

Trotz der historischen Unterschiede gibt es durchaus Gemeinsamkeiten zwischen den 1920/30er Jahren und der heutigen Situation. Die Krise der politischen Institutionen der Weimarer Republik, die Grosse Depression ab 1929 und die damit verbundenen enormen sozialen Verwerfungen bildeten den Nährboden für den Aufstieg und die Machtübernahme des deutschen Faschismus. Obwohl keine unmittelbare Gefahr einer proletarischen Revolution bestand, war die Arbeiter:innenbewegung in Deutschland eine der stärksten der Welt. Die sozialdemokratische SPD und die kommunistische KPD waren Massenparteien, mit denen die Faschist:innen um Einfluss konkurrierten. Aufgrund der gesamtgesellschaftlichen Krise herrschte in der Bevölkerung eine massenhafte Desillusionierung vom System der bürgerlich-liberalen Demokratie. Letzteres können wir auch in der heutigen Situation beobachten, die ebenfalls durch eine multiple Krise der kapitalistischen Ordnung gekennzeichnet ist. Allerdings gibt es einen zentralen Unterschied.

Welchen?

In den 1920/30er Jahren konkurrierten die Faschist:innen mit der Arbeiter:innenbewegung um alternative Zukunftsvisionen zum kapitalistischen System. Sie propagierten eine Zukunftsvision, in der es keine Klassenkonflikte mehr geben und in der nationaler Ruhm die Bevölkerung vereinen würde. Und sie hatten den Ehrgeiz, einen neuen Menschen zu schaffen, der im Sinne nationaler Solidarität und einer Art faschistischem Kollektivismus mit der Gesellschaft verbunden sein sollte. Deshalb war diese reaktionäre faschistische Utopie in den 1920er und 1930er Jahren für viele Menschen in Europa so attraktiv. Und deshalb konkurrierte sie mit der sozialistischen Utopie und der sozialistischen Vision einer anderen Art menschlicher Beziehungen. Heute sehe ich keine Konkurrenz zwischen alternativen Zukunftsvisionen.

«Die wichtigste Lehre aus der Geschichte ist, dass Faschismus immer zu Militarisierung und Krieg führt. Deshalb sollten wir unsere antimilitaristische und antiimperialistische Propaganda mit der antifaschistischen verbinden.»

Aber propagieren die Faschist:innen nicht auch heute noch eine andere Gesellschaft mit nationalen Grenzen, einem homogenen Volk und klar verteilten Geschlechterrollen?

Ja, aber das Zeitgefühl und das Zeitverständnis sind ganz anders als vor hundert Jahren in Europa. Damals stand die Frage nach einer besseren Zukunft und nach sozialem Fortschritt im Mittelpunkt des gesellschaftlichen Strebens. Unter der Herrschaft des Spätkapitalismus seit den 1980er Jahren verschwindet die Idee einer Zukunft. Die Menschen beschäftigen sich in erster Linie mit der Gegenwart und den Interpretationen der Vergangenheit, die zur heutigen Situation geführt haben. Wir leben im Jetzt, in der eine alternative Zukunft unvorstellbar ist. Genau das ist das Ergebnis des neoliberalen Umbaus der Gesellschaft. Margaret Thatchers berühmter Ausspruch «there is no alternative» (TINA) ist mehr oder weniger zum gesellschaftlichen Konsens geworden. Das politische Programm von Trump zeigt dies deutlich. Er macht keine konkreten Vorschläge und propagiert keine klare Zukunftsvision. Er negiert lediglich das „liberale Jetzt“ im Namen einer von ihm definierten „Wahrheit“.

Demo gegen die AfD in Berlin 2. Februar 2025

Zurück zur Charakterisierung der neuen extremen Rechten. Der bekannte marxistische Faschismusforscher Enzo Traverso schlägt in seinem Buch ‚Les nouveaux visages du fascisme‚ aus dem Jahr 2017 den Begriff Postfaschismus zur Beschreibung der neuen Faschist:innen vor. Was meint er damit?

Enzo Traverso ist der Ansicht, dass die heutigen postfaschistischen Parteien im Gegensatz zu ihren historischen Vorbildern nicht versuchen, mit den Mechanismen der bürgerlich-liberalen Demokratie zu brechen. Stattdessen nutzen sie erfolgreich die Mechanismen der Demokratie, um ihren Einfluss auszuweiten. Sie wollen das System nur nutzen, um an die Macht zu kommen. Das kann man am Beispiel Italiens beobachten. Die Postfaschistin Giorgia Meloni hat das politische System nicht auf den Kopf gestellt und durch ein faschistisches Regime ersetzt. Ein solches Szenario ist auch bei einer Regierungsbeteiligung von Marine Le Pen in Frankreich oder der AfD in Deutschland unwahrscheinlich. Vielmehr werden sie versuchen, die Mentalität der Gesellschaften und der Eliten schrittweise zu verändern. Noch gibt es keinen Konsens in den herrschenden Kreisen, das politische System in eine neue Form des autoritären Faschismus zu transformieren. Dies kann sich aber unter dem anhaltenden Druck der extremen Rechten ändern.

Schon heute übernehmen liberale und konservative Regierungen die Forderungen der extremen Rechten. Wir müssen verstehen, dass die Nutzung der bürgerlich-liberalen Institutionen und Wahlen durch die extreme Rechte für all diese Bewegungen einen Übergangspunkt auf dem Weg zur Verwirklichung ihres endgültigen politischen Projekts darstellen könnte. Aus diesen Gründen denke ich, dass der Begriff Postfaschismus nützlich ist, um die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der gegenwärtigen extremen Rechten und den historischen Faschist:innen zu beschreiben.

Lässt sich diese Analyse auch auf Russland und Putins Regime übertragen?

Ja, Russland hat genau diesen Prozess durchlaufen und ist heute ein ultra-autoritäres Regime. In den letzten 25 Jahren der Putin-Regierung hat sich das russische Regime grundlegend verändert. Im ersten Jahrzehnt, in den 2000er Jahren, war Russland eher eine Art autoritäres, technokratisches, neoliberales Regime. Die Weltwirtschaftskrise ab 2007/08 führte nicht nur in der arabischen Welt, sondern auch in Russland zu einer allgemeinen politischen Krise. In Moskau und anderen russischen Städten kam es 2011/12 zu massiven Protesten gegen die Wiederwahl Putins. Diese zivilgesellschaftlichen Proteste wurden als politische und ideologische Bedrohung wahrgenommen und führten zur Überzeugung der russischen Eliten, dass eine autoritäre Transformation ihrer Herrschaft notwendig sei.

Wie hat sich diese Transformation ausgewirkt?

Die Vorstellung, dass soziale Bewegungen von unten eine Regierung stürzen könnten, ist für autokratische Regime eine existenzielle Bedrohung. Deshalb war die Rückkehr Putins ins Präsidentenamt im Jahr 2012 mit einer ideologischen Hinwendung auf sogenannte traditionelle, antidemokratische Werte verbunden. Und diese antidemokratischen Elemente basierten auf der Idee, dass der russische Staat nicht das Ergebnis eines Gesellschaftsvertrags, sondern das Ergebnis der Geschichte sei. Die Russische Föderation sei die direkte Fortsetzung des Russischen Reiches und der Sowjetunion. Das bedeutet, dass Putin nicht vom Volk gewählt werden muss, sondern vom Schicksal dazu bestimmt ist, das Land zu führen. Putin sieht sich in der direkten Nachfolge Peters des Grossen und Stalins. Diese Ideen wurden schliesslich in der russischen Verfassung 2020 festgeschrieben. Im Kern sind diese Überzeugungen auch für die gewaltsame Reaktion auf die Ereignisse in der Ukraine während der Maidan-Proteste 2013/14 verantwortlich.

Warum?

Die Ukrainer:innen auf dem Maidan protestierten gegen die Einflussnahme Russlands und für die nationale Souveränität der Ukraine. Die Proteste wurden vom russischen Regime nicht nur als „von aussen inszeniert“ bezeichnet, sondern auch als innere Bedrohung für das sogenannte „historische Russland“ wahrgenommen. In diesem zweiten Jahrzehnt von Putins Herrschaft begann die militärische Intervention in der Ukraine, einschliesslich der Annexion der Krim. Damit einher ging die zunehmende Autoritarisierung von Putins Herrschaft und seine Etablierung als Herrscher auf Lebenszeit.

Wie reagierte die demokratisch gesinnte russische Zivilbevölkerung auf diese Entwicklungen?

Putin sah sich erneut mit einer erstarkenden demokratischen Protestbewegung und der Unzufriedenheit grosser Teile der russischen Gesellschaft konfrontiert. Auch diese Protestwelle verstand er als eine Kombination aus äusseren und inneren Bedrohungen. Alle Revolutionen, auch die russische von 1917, seien von äusseren Feinden Russlands verdeckt gesteuert worden. Der Westen habe die russische Gesellschaft mit falschen, liberalen oder sozialistischen Ideen vergiftet. Putins Antwort auf die erneuten Proteste war der Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022. Für Putin ist die Ukraine-Frage nicht nur eine Frage der geostrategischen Interessen des russischen Staates in der globalen Arena. Es ging ihm nicht nur um die Konkurrenz mit der NATO, sondern auch um die Existenz seines eigenen Regimes. Deshalb war die Invasion der Ukraine ein Wendepunkt. Putin nutzte den Krieg, um das Regime in eine repressive Diktatur zu verwandeln.

Bezeichnest du Putins Regime heute also als faschistisch?

Ja, warum nicht? Natürlich unterscheidet sich der heutige Faschismus in vielerlei Hinsicht vom historischen. In Russland hat der Faschismus, anders als in Deutschland und Italien, kein historisches Vorbild. Dafür gibt es verschiedene andere autoritäre Traditionen, auf die Putins Regime zurückgreifen kann. So nutzt Putin die extrem konservative, klerikale Tradition des Russischen Reiches, um seine Autokratie zu rechtfertigen. Auch repressive Praktiken aus der stalinistischen Vergangenheit wurden übernommen, wie die Rolle des Geheimdienstes FSB (Nachfolger des KGB) zeigt. Der FSB ist heute das einflussreichste Element des russischen Regimes.

Ein Teil der radikalen Linken im Westen ignoriert – oder schlimmer noch: negiert – die Gefahr, die vom faschistischen Regime in Russland ausgeht.

Genau, und was noch tragischer ist, sie ist auch völlig unvorbereitet auf den Aufstieg des Faschismus in ihren eigenen Ländern. Der Aufstieg des neuen Faschismus ist eine grosse Herausforderung für die Linke. In den USA zum Beispiel hat die radikale Linke vor der Wiederwahl Trumps ihre Kritik vor allem auf Biden und die Demokratische Partei konzentriert und dabei die eigentliche Gefahr des Trumpismus vergessen. Jetzt ist sie völlig verloren. Das kann auch in anderen Ländern passieren. Wir wissen aus der Geschichte, dass die Linke im 20. Jahrhundert auch nicht auf den Aufstieg des Faschismus vorbereitet war. Die stalinistische Kommunistische Internationale hat die faschistische Gefahr viel zu lange verharmlost. Der Unterschied zu heute ist, dass die radikale Linke viel schwächer ist als vor hundert Jahren.

Welche weiteren Lehren lassen sich aus dem antifaschistischen Widerstand im 20. Jahrhundert ziehen?

Die wichtigste Lehre aus der Geschichte ist, dass Faschismus immer zu Militarisierung und Krieg führt. Das war den europäischen Antifaschist:innen zu Beginn des Aufstiegs der Faschist:innen zur Macht in den 1920er und 1930er Jahren nicht klar. Heute ist das viel offensichtlicher und deshalb sollten wir unsere antimilitaristische und antiimperialistische Propaganda mit der antifaschistischen verbinden. Die Linke sollte sich nicht darauf beschränken, die steigenden Militärausgaben zu kritisieren. Ein Regime wie das von Putin lehnt jede Form der friedlichen Koexistenz ab und verherrlicht den Krieg als Mittel, um das Land zu regieren und seinen Einfluss auszuweiten. Diese Logik steht hinter dem Konzept der sogenannten multipolaren Welt – einer Welt, in der es keine universellen Rechte und Regeln mehr geben soll, sondern in der sich die stärkste Nation durchsetzt.

«Ein Verständnis von Demokratie als „Macht von unten“ kann als gemeinsame Basis für eine breite antifaschistische Koalition dienen, die linke Parteien, Gewerkschaften und die vielfältigen Formen feministischer, antirassistischer, ökologischer und nachbarschaftlicher Selbstorganisation zusammenführt.»

Worauf müsste sich ein Antifaschismus des 21. Jahrhunderts stützen, um den (Post-)Faschismus erfolgreicher als bisher zu bekämpfen?

Wir müssen breite Koalitionen gegen das Erstarken der extremen Rechten bilden. Diese dürfen sich aber nicht auf die Verteidigung der bürgerlich-liberalen Institutionen berufen. Das ist nicht unsere Aufgabe und wäre auch aussichtslos. Denn gerade die Krise der liberalen Hegemonie ist einer der Gründe, warum so viele Menschen das Vertrauen in die bestehenden Strukturen verlieren und sich der extremen Rechten zuwenden.

Die radikale Linke sollte meiner Meinung nach zwei Stossrichtungen verfolgen: Erstens müssen wir die soziale Unzufriedenheit ansprechen – aber andere Lösungen anbieten. Die extreme Rechte will den Menschen weismachen, dass die Migration die Ursache all ihrer Probleme ist. Dass dies objektiv nicht stimmt, sieht man daran, dass die AfD bei der Bundestagswahl 2025 dort die meisten Stimmen holte, wo der Bevölkerungsanteil an Migrant:innen am niedrigsten war. Hier tut sich ein mögliches politisches Vakuum auf, das die Linke füllen muss, indem sie die wahren Ursachen der realen Probleme der Menschen aufzeigt.

Und zweitens?

Zweitens sollten wir die Verteidigung der „Demokratie“ in den Mittelpunkt stellen, und zwar nicht eine „Demokratie“, die sich auf die bürgerlich-demokratischen Institutionen und ihr Funktionieren beschränkt. Wir müssen die Verteidigung der „Demokratie“ mit der Forderung nach Gleichheit und Partizipation verbinden, denn darum ging es bei ihrer Entstehung im 18. und 19. Jahrhundert: Um den Kampf der unteren Klassen für politischen Einfluss und Repräsentation. Ein solches linkes oder sozialistisches Verständnis von Demokratie als „Macht von unten“ kann als gemeinsame Basis für eine breite antifaschistische Koalition dienen, die linke Parteien, Gewerkschaften und die vielfältigen Formen feministischer, antirassistischer, ökologischer und nachbarschaftlicher Selbstorganisation zusammenführt. Denn genau diese Projekte wollen die Post- oder Neofaschist:innen zerstören, weil sie ihrer Vorstellung von einer hierarchischen Staatsordnung, die wie ein kapitalistisches Unternehmen aufgebaut ist, widersprechen.

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