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Sexarbeit – Arbeit wie (k)eine andere

Heute ist der International Sex Workers’ Day (Internationaler Hurentag), der seit dem 2. Juni 1976 auf die Diskriminierung und Gewalt gegen Sexarbeitende aufmerksam macht. 1975 hatten an diesem Tag Sexarbeitende eine Kirche in Lyon besetzt. Das nimmt Malou zum Anlass, um über Sexarbeit nachzudenken. Malou ist selbst  nicht in der Sexarbeit tätig. Aber es ist eine Notwendigkeit für die Linke, über dieses Thema und die zunehmende Repression gegen Sexarbeitende zu sprechen. Aus dieser Überzeugung heraus wurde dieser Artikel geschrieben.

von Malou Zetkin (BFS Zürich)

Sexarbeit: Viele haben eine Meinung dazu, doch Wissen dazu ist wenig verbreitet. «Sexarbeit ist hauptsächlich auf den Mann ausgerichtet, also ein weiteres Mittel zur Unterdrückung von Frauen» meinte letztens ein Freund zu mir. Der Fokus liegt meist nicht auf denjenigen, die Sexarbeit ausüben, sondern auf den Freier:innen, bzw. hauptsächlich den Freiern. Der Mann bezahle die Frau für sexuelle Dienstleistungen, sie würde das eigentlich gar nicht wollen, und wird so weiter ausgebeutet. So die weit verbreitete Meinung.

Stigmen von Gewalt, Ausbeutung und Zwang begleiten Sexarbeitende in unserer Gesellschaft, ohne dass sie dabei selbst eine Stimme haben. Ganz nach dem Motto: «Ich weiss schon, wie es dir geht, du armes Ding, du musst es mir nicht sagen.» Sexarbeit ist Arbeit und doch wird sie von vielen nicht als solche angesehen. Deshalb ist Sexarbeit eine Tätigkeit zwischen Ächtung, fehlplatziertem Mitleid und Repression.

In der Schweiz machen cis Frauen den grössten Teil der Sexarbeitenden aus und cis Männer den grössten Teil der Freier:innen. Proportional zur Bevölkerung sind jedoch trans* Personen in der Sexarbeit häufiger vertreten, was dadurch zu erklären ist, dass diese Arbeit marginalisierten Gruppen oft einen der wenigen niederschwelligen Zugang zum Einkommen bietet. Bereits stigmatisierte Gruppen fassen so in einem stigmatisierten Berufsfeld Fuss und sind in der Folge noch mehr Diskriminierung, Ausbeutung und Gewalt ausgesetzt.

Ein Blick in die Geschichte

Das gesellschaftliche weit verbreitete Bild von Sexarbeit hat eine lange Geschichte. Seit Jahrhunderten werden Sexarbeitende gebrandmarkt, sie leiden unter gesellschaftlicher Verstossung und Entrechtung. Im Christentum galt Sex etwa als Sünde und moralisch verwerflich, ausgenommen vom Sexualakt zum Zweck der Reproduktion. Sexarbeit war explizites Feindbild. Die «guten Christen» kamen jedoch schnell auf die Idee, dass Männer «ihre Triebe nicht kontrollieren können und dies aus gesundheitlichen Gründen auch nicht von ihnen verlangt werden soll» und duldeten Sexarbeit als «kleineres Übel».

Seit dem 12. Jahrhundert sind die ersten Bordelle in Europa belegt, betrieben von einem:einer Wirt:in, welche:r für Verpflegung und Bezahlung der Sexarbeitenden sorgte und im Gegenzug von ihnen verlangte, für sexuelle Dienste zur Verfügung zu stehen. Die «Hurensteuer», welche die Bordelle zahlen mussten, finanzierte die Herrschaft mit. Die Kirche verlangte ebenfalls eine Steuer als «Ablasszahlung der sündigen Tätigkeiten».

Sexarbeitende wurden entrechtet, öffentlich gebrandmarkt und waren rechtlich nicht geschützt. Zum Beispiel wurden unter Ludwig XIV. ab dem Jahr 1658 viele Sexarbeitende zwangsweise in psychiatrische Anstalten eingewiesen. Ausgenommen davon waren die Mätressen an seinem Hof, welche hohes Ansehen genossen. 1794 wurde unter der preussischen Regierung Sexarbeit ausserhalb von «Hurenhäusern» verboten; der Strassenstrich verschwand jedoch nicht, nur fand er nun im Verborgenen statt.

Im deutschen Kaiserreich galt das Ziel, Sexarbeitenden das Leben möglichst zu erschweren, ohne sie aber komplett zu verbieten. Denn es herrschte die Überzeugung, Enthaltsamkeit schade dem Mann und es könne von ihm nicht verlangt werden, seine Triebe zu kontrollieren. Dagegen formte sich Widerstand: Stimmen, welche die Entkriminalisierung von Sexarbeit forderten, wurden jedoch ignoriert – das Reichsgericht erklärte im Jahr 1901 Sexarbeit im Gesetzbuch als «sittenwidrig». Somit konnten nicht ausgezahlte Honorare nicht eingeklagt werden.

In den 1970er Jahren regte sich organisierter Widerstand: Am 2. Juni 1975 besetzten rund 100 Sexarbeitende eine Kirche in Lyon, was in die Geschichte als «Internationaler Hurentag» einging. Seither erinnert dieser Tag an den Kampf für die Rechte von Sexarbeitenden und die Anerkennung von Sexarbeit als legitime Arbeit.

Der Internationale Hurentag

In den 1970er Jahren spitzte sich in Frankreich die prekäre Lage für Sexarbeitende zu. Nebst den gesellschaftlichen Stigmen, mit welchen sie tagtäglich zu kämpfen hatten (und auch heute noch haben), waren sie zunehmend Polizeikontrollen, Verhaftungen und Bussgeldern ausgesetzt. Gewalt von Zuhältern (ebenfalls meist cis Männer), Freiern und Bullen gehörte zum Alltag. Auf Schutz durch die Behörden konnte, wie in so vielen Fällen, kein Verlass sein. Die Morde an zwei Sexarbeiterinnen, in welchen praktisch nicht ermittelt wurde, verdeutlichte das ein weiteres Mal.

Am 2. Juni 1975 besetzten deshalb knapp 100 Sexarbeitende zusammen die Saint-Nizier-Kirche in Lyon. Vom Kirchturm hing ein Banner mit der Aufschrift: «Unsere Kinder wollen nicht, dass ihre Mütter im Gefängnis sitzen». Ihre Forderungen waren unter anderem Schutz vor gewalttätigen Übergriffen, Abschaffung repressiver Polizeikontrollen, die Anerkennung von Sexarbeit als Arbeit, Zugang zu medizinischer Versorgung und die Entstigmatisierung. Die Besetzung war in den nationalen und internationalen Schlagzeilen. Der Protest breitete sich aus, Sexarbeitende aus ganz Frankreich nahmen am Protest teil.

Die Forderungen, die die Demonstrierenden aus ihrer Situation heraus formulierten, interessierten die Bullen aber nicht. Im Gegenteil bedrohten sie mit immer extremeren Bestrafungen und versuchten, die Besetzung aufzulösen. Der Protest lief trotzdem weiter, bis die Kirche nach acht Tagen gewaltsam geräumt wurde. Dieser Akt der Selbstorganisierung zum Kampf für die eigenen Rechte innerhalb der Sexarbeit begründete die Bewegung für die Rechte von Sexarbeiter:innen in Europa.

Die Lage in der Schweiz

Sexarbeit ist in der Schweiz zwar seit 1942 legal, je nach Kanton gibt es jedoch unterschiedliche Bestimmungen. Erst seit 2021 gelten Prostitutionsverträge nicht mehr als «sittenwidrig», wobei die gute Sitte als «das Anstandsgefühl aller gerecht Denkenden» definiert wurde… Dieses Beispiel allein zeigt bereits, wie stigmatisiert diese Arbeit auch heute noch ist.

In Zürich gilt für Sexarbeitende die Bewilligungspflicht. Um eine solche Bewilligung zu erlangen, wird unter anderem eine Aufenthaltsbewilligung und Schweizer Krankenversicherung benötigt. Sexarbeitende ohne Aufenthaltsbewilligung sind also automatisch kriminalisiert und müssen ihrer Tätigkeit zwangsweise im Verborgenen nachgehen. Dadurch verstärkt sich das ungleiche Machtverhältnis zwischen Sexarbeitenden und Kund:innen oder Betreiber:innen weiter.

Von schätzungsweise 15’000 Sexarbeitenden sind nur ca. 7% auf dem Strassenstrich tätig. In Zürich ist dieser nur noch an wenigen Orten erlaubt, so beispielsweise in einer Zone im Niederdorf oder am Depotweg. An der Langstrasse im Kreis 4 ist Sexarbeit ausserhalb von Etablissements (noch) nicht legal, was bedeutet, dass Sexarbeitende Polizeikontrollen und Bussen riskieren, wenn sie arbeiten. Aktuell wird im Stadtrat allerdings besprochen, es in gewissen Abschnitten rund um die Langstrasse zu entkriminalisieren.

Den Strichplatz in Altstetten, welcher von der Stadt Zürich betrieben wird, suchen nur wenige Sexarbeitende auf, da er fern vom üblichen Milieu ist. Dieser Strichplatz ist in der Schweiz und in Europa eine Ausnahme: Mit sogenannten «Sexboxen», sozialarbeiterischen und medizinischer Betreuung bietet der Depotweg für diejenigen Sexarbeitenden, die unter legalen Bedingungen arbeiten dürfen, einen sichere(re)n Arbeitsplatz.

Personen, die Sexarbeit ausüben oder ausgeübt haben, berichten davon, dass sie – wenn ihre Tätigkeit bekannt wurde – oftmals soziale Ausgrenzung erfahren, Schwierigkeiten haben eine Wohnung zu bekommen oder ein Wechsel in ein anderes Berufsfeld fast unmöglich ist. Sie werden zunächst mit ihrer Arbeit in Verbindung gebracht und erst danach, wenn überhaupt, als Individuum angesehen. Sexarbeitende sind nicht «Prostituierte», was nach der lateinischen Bedeutung heisst, sich zur Schau stellen oder preisgeben; sie sind Menschen, die sich in einer kapitalistischen Gesellschaft ihren Lebensunterhalt verdienen. Dies fällt vielen schwer zu akzeptieren.

Sexarbeit und Rassismus

Die Stigmatisierung endet jedoch nicht bei sozialer Marginalisierung und Gewalt durch Freier:innen und Zuhälter:innen, sondern kommt auch von anderer Seite. Es gibt auch «prostitutions-abolitionistische» Feminist:innen, die vehement gegen Sexarbeit kämpfen. Dabei stimmen sie teilweise in widersprüchlicher Weise mit christlich-fundamentalistischen Kräfte überein. Beide behaupten immer wieder, dass alle Sexarbeit Gewalt sei und nicht konsensuell stattfinden könne. Deshalb müssten alle Frauen aus der Sexarbeit gerettet werden. Sie setzen Sexarbeit mit Menschenhandel gleich.

Weil diese Stimmen in der öffentlichen Debatte rund um die Sexarbeit sehr laut sind, verbinden viele Sexarbeit mit Zwang. Im Jahr 2021 gab es schweizweit 429 Menschen, die als Betroffene von Menschenhandel identifiziert wurden. Knapp zwei Drittel davon wurden sexuell ausgebeutet. Diese Zahlen werden oft auf die Sexarbeit übertragen.

Tatsächlich haben ungefähr 85% der Sexarbeitenden Migrationserfahrung. Diese werden entweder als ungebildete, bedürftige Personen gesehen und dafür bemitleidet. Oder sie werden einfach als sich illegal hier Aufhaltende abgestempelt.

Dazu kommt eine verstärkte Diskriminierung von marginalisierten Gruppen. Besonders People of Color werden aufgrund von Rassifizierungen sexualisiert, beispielsweise durch spezifisches Anpreisen oder einer besonderen Auswahl auf online-Plattformen.

Der in unserer Gesellschaft tief verankerte Rassismus kommt mit der Diskriminierung von Sexarbeitenden zusammen und bündelt sich gegenüber People of Color und Personen mit Migrationserfahrung in der Sexarbeit. Dabei wird einmal mehr über Sexarbeitende gesprochen, ohne Sexarbeitende selbst zu Wort kommen zu lassen.

Die Situation heute

Die Tendenz der vergangenen Jahre zeigt eine wiederkehrende Einschränkung der Rechte von Sexarbeitenden im gesamten Europäischen Raum. Was mit dem «Schwedischen Modell» begonnen hat, wurde inzwischen auch in Ländern wie Frankreich und Belgien eingeführt. Es steht für ein Sexkaufsverbot, womit sich nicht die Sexarbeitenden strafbar machen, sondern die Freier(:innen). Das Modell aus Schweden wird von Christen-Fundis und «prostitutions-abolitionistische» Feminist:innen gefeiert. Doch es «rettet die Frauen» nicht, sondern führt im Gegenteil zu mehr Gewalt und Stigmatisierung von Sexarbeitenden. Denn obwohl in diesem Modell der Verkauf von Sex/Sexuellen Akten nicht verboten ist, können Sexarbeitende in Schweden die Mietverträge gekündigt werden, die Obhut für die Kinder entzogen werden oder sogar ausgeschafft werden (siehe Community Guide). Ausserdem sind seit Kurzem auch Online-Anzeigen und Online-Sexarbeit über Plattformen wie Only Fans verboten worden.

Diese Tendenzen sind auch in der Schweiz zu beachten: Seit Corona (und dem kurzzeitigen Sexarbeitsverbot) konnten sich Christen-Fundis und «prostitutions-abolitionistische» Feminist:innen wieder mehr Gehör verschaffen. Sie propagieren das Schwedische Modell auch hierzulande wieder stärker.

Als Linke müssen wir diese Entwicklungen ernst nehmen, denn es sind (teils) dieselben Personen, die die Rechte von Sexarbeitenden einschränken wollen, die sich auch für die Illegalisierung von Abtreibungen stark machen.

Fazit

Sexarbeit ist Arbeit. Sexarbeit ist nicht gleich Menschenhandel. Auch nicht gleich Gewalt, Zwang oder Ausweglosigkeit. Es muss klar unterschieden werden zwischen Über- und Angriffen auf Sexarbeitende und der Arbeit an sich, das ist nicht dasselbe. Die Gefahren, die Sexarbeitenden drohen, kommen nicht von der Tätigkeit an sich, sondern aus gesellschaftlichen Stigmen, patriarchaler Unterdrückung und polizeilicher Repression. Was Sexarbeitende brauchen, welche Hilfe sie benötigen und ob überhaupt, wissen sie selbst am besten. Die Stimmen von Sexarbeitenden müssen endlich gehört werden!

Für mehr Infos und Perspektiven von Sexarbeitenden selbst, schau beim Sexworkers Collective, bei der European Sex Workers Rights Alliance oder bei Global Network of Sex Work Projects nach.

Quellen

https://www.sexarbeit-ist-arbeit.ch

https://www.frauenbund.ch/unser-engagement/gleichstellung/sexarbeit

https://www.fiz-info.ch/de/Themen/Sexarbeit

https://www.justis.ch/de/rechtstipps/artikel/arbeit/prostitution-in-der-schweiz-verstehen-legalitat-rechte-und-pflichten

https://aids.ch/ueber-uns/medien/studie-sexarbeitende

https://www.srf.ch/news/schweiz/neue-umfrage-in-der-schweiz-sexualisierte-gewalt-ist-in-der-prostitution-weit-verbreitet

https://procore-info.ch/news/medienmitteilung-zum-internationalen-hurentag-am-2-juni-2022/

https://www.nationalgeographic.de/geschichte-und-kultur/2023/05/gebraucht-und-geaechtet-die-geschichte-der-sexarbeit

https://www.nswp.org/event/international-sex-workers-day-0

https://www.humanrights.ch/de/ipf/menschenrechte/zugang-zum-recht/sexarbeit-prostitutionsvertraege

https://www.stadt-zuerich.ch/de/lebenslagen/unterstuetzung-und-beratung/persoenliche-beratung/sexarbeitende/floradora.html

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