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Frontex-Kinderbuch – eine abscheuliche Äusserung des europäischen Asylregimes

Frontex, die Abschiebeagentur von Europa, versucht sich jetzt im Kinderbücherschreiben. Wer hats gedacht: es ist eine absolute Katastrophe. Die Bücher sollten, nach den Angaben von Frontex, dazu dienen, dass sich Kinder und Jugendliche bei ihrer «Reise» wohler fühlen und ihre Gefühle kommunizieren können. Auf unfassbar perfide Weise wird in diesen Kinderbüchern beschrieben, wie die Abschiebung von Kind und allenfalls Erziehenden vonstattengehen wird, was passieren könnte und wie die Kinder und Jugendlichen sich darauf vorbereiten können: «Dieses Buch erklärt dir, was möglicherweise passieren kann zwischen jetzt und wenn du bei deinem neuen Zuhause ankommst.»

von Sascha Pflaume und Tim Suter (BFS Zürich)

«Deine grosse Reise» – Das Herunterspielen von traumatisierenden Abschiebungen

«Je mehr du weisst, desto besser wirst du vorbereitet sein auf diese grosse Veränderung in deinem Leben.» So beginnt das Info-Buch. Schon in den ersten Zeilen wird klar, dass Frontex sich davor scheut, diese «grosse Veränderung» beim Namen zu nennen: Abschiebung oder Deportation. Diese Rhetorik zieht sich durch das ganze Buch; Abschiebung wird konsequent «Rückreise in das Heimatland deiner Familie», «grosse Reise» oder «grosse Veränderung» genannt, ein grosses Abenteuer eben. Durch eine sprachliche Vereinfachung und Verniedlichung versucht Frontex und dementsprechend auch Europa, den Kindern und Jugendlichen ihre menschenverachtende Migrationspolitik schönzureden.

Die heuchlerische Art, wie das in diesen Büchern gemacht wird, zeigt ein typisches Bild, wie diese Prozesse funktionieren. Der Auftritt nach aussen soll ganz im Stile des aufgeschlossenen, offenen und menschenfreundlichen Europa erscheinen. Um die illegalen und brutalen Vorgehensweisen von Frontex an den europäischen Aussengrenzen zu vertuschen. Das perfekte Bild eines widerlichen Systems, das mit irgendwelchen missglückten Aufklärungsversuchen das eigene Handeln zu legitimieren versucht. Wenn es nicht traurig und tödlich wäre, wäre es absolut lächerlich.

Ganz à la Freundschaftsbuch erscheinen Seiten, auf denen Kinder und Jugendliche dazu aufgefordert werden, ihre Fragen oder Gefühle zu ihrer Abschiebung aufzuschreiben. Realitätsferner kann dieses «Platz schaffen für Fragen und Gefühle» kaum sein – geflüchtete Menschen haben im vorherrschenden Migrationssystem nichts zu sagen, ihre Fragen werden ignoriert und Gefühle, körperliche und psychische Gesundheit sind, insbesondere Frontex, scheissegal. Dies zeigen die unzähligen dokumentierten Vergehen von Frontex bei illegalen Pushbacks und gewaltvollen Abschiebungen oder die unmenschlichen Bedingungen in Asyllagern an EU-Aussengrenzen. Frontex kümmert sich nicht um das Recht auf Asyl. Frontex kümmert sich nicht um die Gesundheit und Rechte von Kindern. Frontex ist verantwortlich für den Tod von Tausenden von Menschen, die verzweifelt nach einem besseren Leben suchen. Seenotrettungsorganisationen wie beispielsweise Sea-Watch haben unzählige Dokumentationen, die zeigen, wie das Vorgehen von Frontex aussieht.

Dennoch ist eine der nächsten Seiten im Buch wie folgt betitelt: «Wichtig! Deine Rechte». Es werden die UN Kinderrechte beschrieben: «Du hast das Recht, alles zu bekommen, was Du zum Leben und für Deine Entwicklung brauchst. Außerdem hast Du das Recht auf Schutz vor Gewalt und Diskriminierung und darauf, in Entscheidungen, die Dich betreffen, einbezogen und dazu gehört zu werden».

Die UN-Kinderrechtskonvention besagt, dass Kinderrechte immer geschützt werden müssen. Abschiebungen stellen regelmässig eine Verletzung von Kinderrechten dar und sind mit einem umfassenden Kinderschutz nicht vereinbar. Europa und Frontex ist das scheissegal. In der europäischen Politik ist die rassistische Abwertung von Migrant:innen an der Tagesordnung, und es wird weiterhin fleissig versucht, die Rechte von geflüchteten Menschen weiter zu untergraben. Es ist nichts anderes als eine dreiste Lüge, wenn Frontex in ihrem Kinderbuch die Wichtigkeit der Kinder- und Menschenrechte hervorhebt.

Normalisierung von Gewalt gegen Geflüchtete

«Bevor du in dein Heimatland zurückkehrst, […] bleibst du in einer Einrichtung, die du möglicherweise verlassen darfst, vielleicht aber auch nicht.» Oder auch ohne zu verharmlosen: Du wirst vor deiner Ausschaffung in ein Gefängnis gesteckt. Menschen werden eingesperrt, nur wegen ihrer Anwesenheit. Die Situation in den Ausschaffungsgefängnissen und Bundesasyllagern ist miserabel. In Basel und Zürich beispielsweise sind die Haftbedingungen so schlimm, dass regelmässig Menschen in den Hungerstreik treten oder gar sterben. Stetige physische und psychische Gewalt, rassistische Diskriminierungen und andere Misshandlungen gehören in solchen Institutionen zur Tagesordnung. Anstatt in einem besseren Leben finden sich die geflüchteten Menschen in Europa in der Hölle wieder. Trotz verschiedenster Berichte aus den Lagern hat sich die Situation nicht verändert. Erst vor wenigen Wochen sind in Zürich zwei junge Männer im Ausschaffungsgefängnis in Kloten gestorben.

Und dass dein Vater womöglich in Handschellen ins Flugzeug geführt wird, sei ebenfalls ganz normal. Dies diene bloss der Sicherheit von ihm und anderen Menschen. So normalisiert das Buch in freundlich anmutendem Illustrationsstil die gewaltvolle Atmosphäre bei Abschiebungen und suggeriert, ganz nach dem rechten Jargon, dass es normal ist, in geflüchteten Menschen eine Gefahr zu sehen. Dass bei erzwungenen Abschiebungen mehrere Polizist:innen anwesend sind und physische Gewalt ausgeübt wird, wird nicht einmal ansatzweise erwähnt. Im ganzen Buch wird die Polizei nie beim Namen genannt, es wird immer nur von Begleitpersonen gesprochen, die jederzeit unterstützend anwesend seien. Eine weitere Farce in diesem Buch.

Illustration im Kinderbuch von Frontex

Das europäische Asylregime gespiegelt in Kinderbüchern

Obwohl diese abscheulichen Bücher inhaltlich doch eher beschränkt sind, sprechen sie Bände über das europäische Asylwesen. Anstelle von wirklichen Verbesserungen der Lebensumstände von Geflüchteten geht es darum, die vorherrschenden, oftmals katastrophalen Bedingungen für Geflüchtete beschönigend darzustellen oder komplett zu ignorieren.

Könnte in einem Glückskeks stehen; steht aber im Frontex-Kinderbuch.

Die Bücher enden mit einem Zitat, das zentral auf einer Seite platziert wurde: «Du selbst gestaltest deine Zukunft.» Ein solches Zitat, das als guter Wunsch zu verstehen ist, in einem solchen Kontext zu publizieren, zeigt die absolut widerlichen Vorstellungen dieser Migrationspolitik. Die Menschen versuchen gerade ihre Zukunft zu gestalten, aber durch die Abschiebung aus Europa, wird ihnen genau dies verwehrt. Erklärbar ist dies mit dem kolonialen Denken, welches in Europa nach wie vor dominant ist: das Aufteilen der Welt in gut und schlecht, das Bestimmen der weissen und wohlhabenden europäischen Gesellschaft über grosse Teile der Welt. Die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen im globalen Süden führt dazu, dass an diesen Orten kaum mehr Perspektiven für ein gutes Leben zu finden sind.

In den neu erschienenen Frontex-Files vom Lamm beschreibt der Aktivist Amadou M’Bowi die Lage der Personen in Westafrika. Am Beispiel der Fischerei lässt sich das Problem erkennen. Neben dem, dass lokale Fischer:innen schon in den eigenen Gewässern regelmässig von Frontex kontrolliert und schikaniert werden, reichen auch die Fangquoten kaum mehr, um zu überleben. Grund dafür sind europäische Fischereiunternehmen, welche bis weit vor die Küste Westafrikas mit industriellen Fangmethoden alles leer fischen. Damit in der Schweiz zum Mittag das Fischstäbchen auch verfügbar ist. Das ist nur ein kleines, anschauliches Beispiel, welches zeigen soll, wieso die Situation in Ländern nicht mehr für ein gutes Leben reicht.

Der Ausdruck «Barça ou Barsakh» (Barcelona oder Tod), ein Sprichwort in einer westafrikanischen Sprache, zeigt, wie gross Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit der Menschen sein muss, welche sich auf den Weg nach Europa machen. Sie setzen ihr Leben mehrfach aufs Spiel für eine lebenswerte Zukunft. Wie also soll sich eine Person eine lebenswerte Zukunft gestalten an einem Ort, der durch ein koloniales Europa zerstört wird? Die Zukunft wird nicht von der Person selbst gestaltet, vielmehr wird sie von aussen, durch die materiellen Gegebenheiten, bestimmt.

Das Frontex-Kinderbuch ist keine harmlose Broschüre zur Vorbereitung auf eine „Reise“. Es ist Teil einer perfiden Kommunikationsstrategie, die Gewalt, Entrechtung und koloniale Machtverhältnisse als pädagogische Massnahme tarnt. Es ist ein Propagandainstrument eines Systems, das geflüchtete Kinder nicht schützt, sondern gezielt traumatisiert und entrechtet.

Solche Bücher sind keine Einzelfälle, sondern Symptom eines europäischen Asylregimes, das sich nach aussen als humanitär gibt und gleichzeitig an den Aussengrenzen Menschenrechte systematisch bricht. Die Normalisierung von Abschiebung, Lagerunterbringung, Polizeigewalt und Freiheitsentzug, nun sogar im Kinderbuchformat, ist Ausdruck einer zutiefst rassistischen Politik, die nicht reformiert, sondern überwunden werden muss.

Was es braucht, ist nicht ein weiteres beschönigendes Bilderbuch, sondern ein radikales Umdenken: ein Ende der Festung Europa, ein bedingungsloses Recht auf Asyl und die Abschaffung von Frontex.

No borders, no nations – stop deportation!

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