Am 22. und 23. Januar 2016 findet in Zürich «Das Andere Davos», der Gegenkongress zum WEF-Treffen in Davos statt. Die linke Zeitung Vorwärts sprach mit der «Bewegung für den Sozialismus», welche das «Das Andere Davos» organisiert, über die Ziele und den Inhalt des Kongresses.
Interview mit Philipp Gebhardt (BFS Zürich); aus Vorwärts
Vorwärts: Das WEF hat eine lange Geschichte ebenso der Gegenkongress «Das Andere Davos». In den späten Neunzigern bis kurz nach der Jahrtausendwende gab es eine entsprechende politische Bewegung, die an den grossen Gipfeln ihren Protest ausdrückte und den Hintergrund für die «globalisierungskritischen» Aktivitäten abgab. Heute gibt es diese Bewegung kaum mehr. Warum denkt ihr, dass es heutzutage dennoch Sinn macht, einen grossen Kongress gerade zu diesem Themenbereich zu organisieren?
BFS: Die globalisierungskritische Bewegung zu Beginn des Jahrhunderts war Ausdruck einer «Wiederauferstehung» der politischen Linken nach den «bewegungsarmen» 1990er Jahren. Dass eine solche Bewegung auch wieder abflaut, ist nicht weiter erstaunlich. Ebenso wenig überrascht es, dass die durch das kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftssystem verursachten Probleme, welche von der Bewegung damals kritisiert wurden, sich nicht von selbst aus der Welt geschafft haben. Gerade in einer Zeit wie heute, wo die imperialistischen Spannungen weltweit wieder zunehmen, kriegerische Auseinandersetzungen die Lebensgrundlage von Millionen von Menschen zerstören und sie zur Flucht zwingen, die ökologische Krise sich verschärft und Hunger und Armut längst nicht mehr nur für die Menschen in den Ländern des globalen Südens eine tagtägliche Realität darstellen, sind unsere internationalistischen Antworten auf die vom Kapitalismus verursachten Tragödien gefordert.
Ihr schreibt zum Kongress, dass ihr gemeinsam mit AktivistInnen aus aller Welt gemeinsame Perspektiven und Ansätze für politische Intervention entwickeln wollt. Wie muss man sich das konkret vorstellen?
Grundsätzlich sind wir der Überzeugung, dass es auf globale Probleme nur globale Antworten geben kann. Und diese Antworten werden wir als antikapitalistische AktivistInnen nicht in einem Hinterzimmer eines Parteilokals finden, sondern nur in den konkreten, sozialen Kämpfen. Deshalb legen wir grossen Wert darauf, dass wir mit AktivistInnen diskutieren, die tatsächlich in klassenkämpferische Auseinandersetzungen involviert sind. Die junge afroamerikanische Genossin der #BlackLivesMatter-Bewegung wird beispielsweise nicht nur als Beobachterin, sondern als Direktbetroffene von den antirassistischen Kämpfen in den USA erzählen. Auf diese Weise können wir von der Bewegung lernen, was wiederum für unsere antirassistischen Interventionen hierzulande nützlich sein kann. Und nur so kann Internationalismus schlussendlich praktisch werden.
Ein Workshop und ein Plenum werden sich um das ziemlich drängende Thema Migration und staatliche Regulation drehen. Dazu werden auch AktivistInnen aus diesem politischen Bereich ihre Erfahrungen vorstellen. Was darf man dazu an Inhalten erwarten und wie seid ihr als OrganisatorInnen auf diesem Gebiet aktiv?
In diesem Herbst erlebte Europa eine grosse Welle von konkreter Solidarität mit geflüchteten Menschen. Dieses Engagement wird auch auf europäischer Ebene koordiniert. Die Organisation migreurop beispielsweise versucht seit 2005 über die Landesgrenzen hinweg den Widerstand gegen das Migrationsregime zu koordinieren. Alain Morice – Mitglied dieses Projekts – wird am Anderen Davos von diesen internationalistischen Perspektiven berichten können. Für uns als AktivistInnen gilt es aber auch konkrete Informationsarbeit zur Situation in der Schweiz zu leisten. Es geht unter anderem darum, Informationen zu den Arbeitsbedingungen der Asylsuchenden und Geflüchteten zu sammeln, zu verbreiten und dagegen zu protestieren. Diese arbeiten oftmals in Beschäftigungsprogrammen, in denen sie 150 Franken pro Monat für eine 100% Arbeit verdienen – zynischerweise zum Beispiel für das Ausreissen von invasiven, fremden Pflanzen. Das Einsetzen von Geflüchteten als «billige» Arbeitskräfte zeigt deutlich auf, wie die strukturelle, rassistische Unterdrückung und Ausbeutung von Menschen Teil des kapitalistischen Herrschaftssystems ist. Abgesehen davon ist es für uns selbstverständlich, dass wir uns an den Mobilisierungen gegen das europäische Migrationsregime und an den Protesten von Betroffenen beteiligen.
Ein weiterer Schwerpunkt wird das kaum übersichtliche Schlamassel im Nahen und Mittleren Osten sein. Ihr sucht nach einer Perspektive zwischen Krieg und Krise. Wo seht ihr in dieser Weltregion Anknüpfungspunkte? Oder anders gefragt: Wie wäre es denkbar, dass sich das Projekt Rojava mit den übrigen progressiven Kräften in der Region verbindet?
In Syrien versuchen die kurdischen Volksverteidigungseinheiten seit einiger Zeit, mit Kräften anderer Bevölkerungsgruppen zusammenzuarbeiten – auch militärisch. Die Syrian Democratic Forces (SDF) sind ein solcher Zusammenschluss von arabischen, assyrischen und kurdischen Milizen. Auch wenn es dabei bestimmt noch viel Potenzial gibt, geht die Entwicklung in die richtige Richtung. Man versucht, ethnische und religiöse Grenzen zu überwinden und setzt sich ein demokratisches, selbstverwaltetes Syrien zum Ziel. Ein weiteres Beispiel findet sich in der Türkei. Die massiven Angriffe des Erdogan-Regimes auf kurdische Städte müssen zwingend auch zu Reaktionen der türkischen Linken führen. Hier lässt sich bereits erkennen, dass auch türkische linke Kräfte den Kampf gegen den autoritären Staat intensivieren. Darüber wird unser türkischer Genosse Utku Uraz Aydin berichten können.
Wichtig scheint uns, dass wir die Menschen in der Region im Blick haben, sowohl ihr Leid, als auch ihre Kämpfe. Für uns ist es unmöglich, Assad als vermeintlich «geringeres Übel» zu unterstützen. Assad ist ein brutaler Diktator. Mit ihm wird es keinen Frieden geben. Das emanzipatorische und tendenziell selbstverwaltete Projekt Rojava ist zwar auch nicht perfekt, aber bietet enorm viel Potenzial. Deshalb kommt unserer Meinung nach der kurdischen Bewegung eine Schlüsselrolle für die weitere Entwicklung in der Region zu. Wenn sie es hinkriegt über ethnische Grenzen hinweg Bündnisse einzugehen, um die diktatorischen Regimes zu bekämpfen und zu stürzen, dann könnte vieles möglich sein.
Mit John Milios, dem bekannten marxistischen Ökonomen und ehemaligen Mitglied von SYRIZA habt ihr einen ziemlich prominenten Kritiker der aktuellen griechischen Regierungspolitik an Bord. Er wird gemeinsam mit Isabel Serra, einer Abgeordneten von PODEMOS in Madrid, ein Podium zur Zukunft emanzipatorischer Politik bestreiten. Was erwartet ihr euch von diesen beiden ReferentInnen? Steht nicht zu befürchten, dass sie einer Politik das Wort reden, deren objektive Grenzen von Troika und Kapital gerade aufgezeigt wurden?
Die Entwicklungen in Griechenland seit Januar 2015 und das Schlamassel der SYRIZA-Regierung haben bestätigt, dass es innerhalb der Eurozone keinen Spielraum für emanzipatorische Politik gibt. Das heisst für uns aber nicht, dass wir nun den Kopf in den Sand stecken. Es ist unsere Aufgabe nach Lösungen ausserhalb des Konstrukts der EU und der Eurozone zu suchen. Dies schliesst unter anderem ein Nachdenken über ökonomische Alternativen zum europäischen Währungsraum mit ein. Deshalb laden wir den marxistischen Ökonomen Milios, Mitglied der neu gegründeten „Volkseinheit“, ein.
Dass ein Bruch mit der EU und der Eurozone die Voraussetzung ist, um die riesigen sozialen Probleme der Lohnabhängigen im Spanischen Staat lösen zu können, steht auch für Serra fest. Sie ist überzeugt, dass ein solcher Bruch nur durch Mobilisierungen und Kämpfe bewerkstelligt werden und somit nur das Werk der Lohnabhängigen selbst sein kann. Serra kann als erfahrene Aktivistin viel über vergangene Kämpfe erzählen und sie wird auch versuchen gewisse Perspektiven für die Linke im Spanischen Staat aufzuzeigen, die über den Wahlerfolg von PODEMOS am 20. Dezember 2015 hinausweisen.