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WEF: Wo sich der globalisierte Kapitalismus trifft

Diese Woche (18. Januar 2016) wurden die Resultate einer Studie der Organisation „Oxfam“ veröffentlicht, die besagt, dass die reichsten 62 Menschen dieser Welt so viel besitzen, wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung zusammen. Diese 62 Menschen, und mit ihnen einige tausend weitere extrem Reiche, bilden die eine Seite eines Gegensatzes, der sich von Jahr zu Jahr verstärkt. Unter anderem, weil 90% der weltweit grössten Konzerne ihre Gewinne in Steueroasen verschieben. Das führt zu grösseren Gewinnausschüttungen an die Aktionäre, direkt auf Kosten der Armen. Denn diese Steuerflucht führt zu Steuereinbussen von bis zu 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Insbesondere Entwicklungsländer sind davon stark betroffen.

von BFS Jugend Zürich

Auch in diesem Jahr treffen sich in Davos Vertreter von multinationalen Konzernen, führende Personen aus der Wirtschaft und der Politik und einige werbewirksame Personen aus dem Showbusiness, um per Eigendefinition Strategien und Agenden für das nächste Jahr zu entwerfen und den Status der Welt zu verbessern. Im Klartext bedeutet dies Vernetzung, Absprache und Organisation. Immer mit dem Ziel, den Gegensatz zwischen oben und unten aufrechtzuerhalten, somit die soziale Schere weiter zu öffnen und die neoliberale Agenda auf zusätzliche Bereiche des menschlichen Lebens auszuweiten.
Gerne wird in den Medien und anderswo argumentiert, dass das WEF eine ganz alltägliche Konferenz zwischen Unternehmern sei und kein Treffen von Verschwörern, die die Welt regieren. Natürlich wird nicht alles, was auf der Welt passiert, am WEF geplant und entschieden. Auch beugt sich nicht alles dem Primat der Ökonomie. Dennoch gehen solche Konferenzen über „normale“ Business-Meetings hinaus. Wie weitreichend die Beziehungen dieser Firmen sind und wo sie überall involviert sind, lässt sich erahnen, wenn man einen Blick auf die so genannten „Strategic Partners“ des WEF wirft. Das sind über 100 multinationale Konzerne, aus allen möglichen Lebens- und Wirtschaftsbereichen.
Exemplarisch haben wir zwei Unternehmen aus der Liste ausgewählt, der Elektrotechnikkonzern ABB und eines der weltweit grössten Rückversicherungsunternehmen SwissRe. Man könnte sich auch alle weiteren Unternehmen anschauen, prinzipiell macht das keinen Unterschied. Von den beiden Unternehmen haben wir uns alle Lebensläufe der Mitglieder des Verwaltungsrats angeschaut. Dort haben wir die vergangenen Positionen und Verwaltungsrat-Mandate aufgeschrieben, sowie die aktuellen Mandate in Verwaltungsräten, Wirtschaftsverbänden, an Universitäten und so weiter. Daraus können folgende Erkenntnisse gewonnen werden:

  • Die Häufung von Mandaten pro Person ist auffallend. Auf 19 Personen (13 Personen im Verwaltungsrat der SwissRe und 6 Personen im Verwaltungsrat der ABB) kommen 151 Mandate. Das ergibt im Durchschnitt 8 Mandate pro Person.
  • Die meisten Verwaltungsrat-Mandate (36) fallen in das Finanzwesen. Darunter fassen wir Banken, Holding-, Investment- und Beratungsfirmen, aber auch Vermögensberatung und andere finanzielle Dienstleistungen zusammen.
  • Dem Finanzwesen folgen Mandate oder Posten in staatlichen und internationalen Institutionen und den Zentralbanken. Die aktuellen Verwaltungsrät*innen von ABB und SwissRe bekleideten folgende Ämter: Privatsekretärin der Queen und danach des Premierministers von Grossbritannien, US-Botschafterin, US-Konsul, Finanzminister, Kommunikationsminister und Minister der Regierung von Hong Kong. Zu finden sind auch ehemalige Mandate in der Schweizer Nationalbank, in der US-amerikanischen Nationalbank, in der britischen Nationalbank und der eidgenössischen Bankenkommission. Natürlich dürfen Mandate und Posten im IWF, der Weltbank, der BIZ und UNO-Institutionen nicht fehlen.
  • Aber auch in den Bildungsinstitutionen sind diese Personen als Dozent*innen oder Beirät*innen vertreten. Zudem haben sie Funktionen in wichtigen Think-Tanks wie Avenir Suisse oder Chatham House und in Lobby- und Wirtschaftsverbänden. Selbstverständlich ist es im Kapitalismus auch kein Widerspruch, wenn man Mitglied in der US-staatlichen Gruppe zum Wiederaufbau Afghanistans ist und gleichzeitig Verwaltungsrat von Lockheed Martin (der grössten Waffenschmiede der Welt, mit deren Produkte Afghanistan zerbombt wurde).

In welchen Bereichen diese von uns ausgewählten 19 Personen sonst noch aktiv sind, ist der untenstehenden Grafik zu entnehmen.

Welche Verbindungen und Bekanntschaften, Geschäftsbeziehungen und strategische Partnerschaften allein diese 19 Personen haben müssen, lässt sich nur erahnen. Ob sie diese auch nutzen und das politische Geschehen somit mitbestimmen, ist damit zwar noch nicht erwiesen, aber die Möglichkeiten bestehen durchaus. Und dass diese Möglichkeiten dann auch genutzt werden, ist zumal wahrscheinlich. Dass „der Markt“ und die ökonomische Sphäre von einer wie auch immer gearteten „Politik“ getrennt sein könnten, ist also ein Märchen. Die Kapitalist*innen begnügen sich nicht damit, ihr Kapital möglichst gewinnbringend in den Produktionsprozess zu investieren. Die Rahmenbedingungen müssen so geartet sein, dass dieser auch wie gewünscht ablaufen kann. Das bedeutet, dass die Produktionsmittel durch den Staat geschützt sein müssen. Der bürgerliche Staat stellt einen Rahmen dar, in dem die Produktion möglichst optimal abläuft, beispielsweise indem Patentrechte und Klagen durchgesetzt werden können. Andererseits bietet der Staat der grossen Mehrheit der Menschen keine echte Mitsprache. Zwar darf in regelmässigen Abständen ein Parlament gewählt werden. Die Kernbereiche des menschlichen Lebens bleiben von der Mitsprache allerdings meist unberührt. Was überhaupt produziert werden soll, welche Energieformen wir fördern wollen und was an den Universitäten gelehrt werden soll, müsste von den betroffenen Menschen demokratisch entschieden werden und nicht von Wirtschaftseliten, wie es am WEF geschieht.
Der globalisierte Kapitalismus hat die letzten Jahrzehnte dazu geführt, dass der bürgerliche Nationalstaat an Bedeutung verloren hat und die Errungenschaften der Arbeiter*innenbewegung, seien es Mindestlöhne, Sozialversicherungen, aber auch verbesserte Lebensbedingungen permanent angegriffen werden. Wirtschaftliche Aktivitäten und der Handel finden seit längerem in einem globalisierten Massstab statt, der den Widerstand gegen die Machenschaften, gegen die Netzwerke, gegen den unglaublichen Reichtum einiger weniger Leute sehr schwierig macht. Eine Strategie des Kampfes der lohnabhängigen Teile der Menschheit kann nur erfolgreich sein, wenn international gedacht und gehandelt wird, und wenn die Solidarität an Bedeutung gewinnen kann. Auch aus diesem Grund haben wir, die BFS/MPS, dieses Jahr eine weitere Ausgabe des Anderen Davos organisiert. Das Andere Davos ist eine politische Gegenveranstaltung zum WEF. Wir wollen eine Vernetzung der sozialen Kämpfe weltweit vorantreiben und darüber diskutieren, welche Perspektiven sich uns bieten. Der globalisierte Kapitalismus bietet uns keine.

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