Im folgenden Text wollen wir auf einige Aspekte, die uns bei der Analyse der Wirtschaftskrise in der Schweiz ab 2008 als wichtig erscheinen, zu sprechen kommen. Dabei werden die Eigenheiten des Schweizer Kapitalismus im Zentrum dieser Überlegungen stehen. Da die Situation in der Schweiz allerdings nicht losgelöst von der globalen wirtschaftlichen und politischen Entwicklung betrachtet werden kann, wird zuerst darauf eingegangen.
von BFS Jugend Zürich
1.) Die zwei generellen Merkmale der Krise des globalisierten Kapitalismus
a) Es herrscht zum einen eine Überproduktionskrise. Das heisst, die Produktionskapazitäten sind im Verhältnis zur Nachfrage (Konsum der Haushalte und den Investitionen) zu gross. Während den letzten Jahren verstärkte sich darum der Druck auf die Löhne, die Renten und das Einkommen der Arbeitslosen (also auf das Einkommen der Haushalte im Allgemeinen). Gleichzeitig wurde der Reichtum u.a. durch Steuersenkungen verstärkt zugunsten der Kapitalisten (Industriebesitzer, Händler, Banker) und Aktionären (mittels den ausbezahlten Dividenden) umverteilt.
b) Zum andern befinden wir uns in einer Überakkumulationskrise des Kapitals. Das heisst, dass die Massen der verfügbaren Kapitalien (Gelder) in den letzten Jahren nicht mehr profitabel in die industrielle Produktion investiert werden konnten, da – weil die Produktivität nicht mehr gesteigert werden konnte – die durchschnittliche Profitrate sank.[1] Das hatte zur Folge, dass riesige Kapitalmassen auf den Finanzmärkten platziert wurden und immer noch werden. So wurde vermehrt mit Staatsanleihen (Obligationen) und anderen Finanzprodukten gehandelt und spekuliert. Diese Finanzprodukte wurden aus Darlehen konstruiert, welche von den Banken an die Kreditnehmer ausgegeben wurden. Solche Darlehen können zum Beispiel Konsumkredite (welche wiederum die Folge der oben beschriebenen, gesunkenen Kaufkraft der Haushalte sind), Studentendarlehen oder Hypotheken (Auslöser für die Subprime-Krise in den USA) sein.
2.) Der Euro als zusätzliches Problem in der Krise
Zu diesen zwei generellen Merkmalen der Krise gesellt sich noch ein spezieller Aspekt innerhalb der EU (bzw. der Eurozone). Heute besitzen 17 sehr unterschiedliche Länder (von Portugal bis Deutschland) dieselbe Währung – den Euro. Zu welchen Konsequenzen führt das? Die Praxis vor dem Euro war folgende: wenn zum Beispiel der italienische Kapitalismus Mühe hatte zu exportierten, wurde (auf Druck der Kapitalisten, also den Unternehmensbesitzer) die italienische Lira von der italienischen Zentralbank abgewertet (im Verhältnis zur Deutschen Mark, dem Schweizer Franken, dem Britischen Pfund oder dem Dollar etc.). So wurden die italienischen Exportgüter wieder konkurrenzfähiger, da sie nun billiger auf dem internationalen Markt zu (ver-)kaufen waren.
Seit der Einführung des Euro besitzt Italien nun aber dieselbe Währung wie Deutschland und nur noch eine Bank, die EZB (Europäische Zentralbank) in Frankfurt kann entscheiden, ob der Euro abgewertet wird oder nicht. Da die Abwertung des Euro nicht so einfach von statten gehen kann, werden die Unternehmer nun den Druck auf die Löhne, die Sozialausgaben des Staates und die Steuern (dadurch wird der Steuerwettbewerb innerhalb der EU zusätzlich angeheizt) machen, um so ihre Gewinnmarge genug rentabel zu halten und konkurrenzfähig zu bleiben. Um den Markt liquid zu halten, vergibt die EZB Kredite zu sehr tiefen Zinsen an die Banken, die dadurch quasi gratis an Geld kommen.[2] Das wiederum ermöglicht den italienischen, irländischen, portugiesischen und spanischen Banken ihrer Bevölkerung günstige Konsumkredite zu vergeben, um der Stagnierung ihrer inländischen Märkte entgegen zu wirken. So verschuldeten sich die Leute zum Beispiel um ein Auto zu kaufen oder indem sie eine Hypothek für ein Haus aufnahmen.
In den letzten 20 Jahren nahm aber nicht nur die private, sondern auch die staatliche Verschuldung massiv zu (das heisst, die Staaten gaben mehr aus, als sie einnahmen). Da die Staaten immer weniger Geld eingenommen haben (z.B. wegen Steuersenkungen für die Reichen und die Unternehmen in den letzten Jahrzehnten), verkauften sie zunehmend Staatsanleihen (Obligationen) an private und staatliche Gläubiger, um so an Geld zu kommen.[3] Das ganze führte zu einer sehr widersprüchlichen Situation, denn die Staaten, die innerhalb der Eurozone am wenigsten konkurrenzfähig waren, hatten in den Jahren bis 2007/08 eine grössere Wachstumsrate als die besser industrialisierten Länder wie Deutschland, Holland oder Finnland. Diese Entwicklung konnte aber nicht lange bestehen. Seit 2008, als die Krise ausbrach, stecken diese weniger konkurrenzfähigen Ländern nun in einer grossen Krise, die sich heute erst richtig auszubreiten beginnt.
Nun sind sich die Banken und Pensionskassen (2. Säule), welche den Staaten Geld geliehen haben, indem sie Staatsanleihen kauften, nicht mehr sicher, ob die Staaten ihre Schulden und die Schuldzinsen zurückzahlen können. Denn die Steuereinnahmen des Staates sind weiterhin rückläufig, da die Reichen und Unternehmen wegen dem geringeren Wachstum und dank weiteren Steuererleichterungen immer weniger Steuern zahlen. Auch das Einkommen des Niedrig- und Mittellohnsektors sinkt, was wiederum zu weniger Steuereinnahmen führt (siehe oben). Zudem haben die Staaten sehr viel Geld für die Bankenrettungen seit 2008/09 ausgegeben, was das Loch in der Staatskasse noch vergrösserte.
3.) Abwälzung der Krise auf die lohnabhängige Bevölkerung
Als Reaktion auf die Schuldenkrise in den Ländern wie Island, Irland, Griechenland, Portugal, Spanien, Italien usw. hat der Kern der Eurozone, insbesondere der deutsche Kapitalismus (in enger Zusammenarbeit mit dem internationalen Währungsfonds IWF und der EZB) diesen Ländern krasse Sparmassnahmen auferlegt, um einerseits seine eigenen Wettbewerbsvorteile auf dem Weltmarkt zu behalten und andererseits sich nicht an der Finanzierung der peripheren Ländern (Griechenland, Portugal, Spanien etc) beteiligen zu müssen, falls diese bankrottgehen würden.[4] Das heisst, die von der Schuldenkrise betroffenen Staaten sollen ihre Ausgaben drastisch kürzen, um ihr Budget wieder zu sanieren. Dies geschieht natürlich nicht auf dem Buckel deren, die diese ganze Krise verursacht haben, sondern auf demjenigen der lohnabhängigen Bevölkerung, indem die öffentlichen Leistungen und der Sozialstaat massiv abgebaut werden und die Arbeitsbedingungen verschlechtert werden.
Grundsätzlich sieht der Plan des deutschen Kapitalismus und des harten Kerns der EU-Zone folgendermassen aus:
- Branchenübergreifende Kollektivverträgen (in der Schweiz GAVs) und andere Errungenschaften, welche sich die Arbeiterbewegung erkämpft hat, sollen abgeschafft werden. Das Ziel ist, dass in Zukunft die Arbeitsverträge, welche die Anstellungsbedingungen und die Löhne regeln, jeweils individuell zwischen Arbeiter und Unternehmer festgelegt werden.[5]
- Maximale Senkung der Sozialausgaben (u.a. Erhöhung des Rentenalters, Kürzung des Arbeitslosengeldes)
- Personalabbau im öffentlichen Dienst
- Massive Privatisierungen auf europaweiter Ebene durchsetzen, um dem privaten Kapital neue Investitionsmöglichkeiten zu ermöglichen (z.B. Gütertransport, Post und deren Logistik, Gesundheits- und Bildungssektor)
- Steuern erhöhen, welche die Lohnabhängigen stärker treffen als die Reichen (z.B. Mehrwertsteuer)
Bezeichnend für diese Abbauforderungen ist, dass die davon betroffenen Länder gar nichts dazu zu sagen haben. Bestimmt werden die Sparprogramme von der sogenannten Troika (IWF, EZB und europäische Kommission, in der die wirtschaftlich stärkeren Länder – allen voran Deutschland – das Sagen haben). Dies verleiht den Sparprogrammen, neben den katastrophalen wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen für die Arbeiter_innenklasse, eine zusätzliche, politische Dimension: ein massiver Rückschritt der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie in Europa.[6]
4.) Internationalisierung des Schweizer Kapitalismus
In dieses oben beschriebene Umfeld muss man die Situation der Schweiz setzen. Denn der Schweizer Kapitalismus ist sehr internationalisiert und kann somit nicht losgelöst von den politischen und wirtschaftlichen Ereignissen und Entwicklungen in Europa und der restlichen Welt betrachtet werden. Zwei Indizien dieser Internationalisierung sind:
a) Betrachtet man die gesamte Geldsumme, die im Jahr 2009 von Schweizer Industrieunternehmen, Banken und Versicherungen im Ausland investiert wurden, sind beindruckende Zahlen festzustellen: 865 Milliarden Franken (fast das Zweifache des Schweizer BIP[7]) wurden direkt im Ausland investiert; 40% davon in EU-Staaten. Diese Gelder werden hauptsächlich in direkte und indirekte Tochterunternehmen von transnationalen Firmen, welche ihren Sitz in der Schweiz haben, investiert. Alleine die Industrie investierte 2009 327 Milliarden Franken im Ausland. Weitere 1109 Milliarden Franken wurden in Form von Wertpapieren in verschiedene ausländische Unternehmen investiert. Zudem wurden 555 Milliarden. Franken als Kredite von Schweizer Banken an nicht-schweizerische Firmen oder Länder geliehen.[8] Weltweit steht also der „kleine Schweizer Kapitalismus“ an 6. Stelle punkto der Summe an Auslandsinvestitionen. Verglichen mit dem Schweizer BIP sind dies enorme Zahlen.
b) Schon von 1988 bis 1998 hat die Anzahl Personen, die im Ausland für Schweizer Unternehmen arbeiten, von 890’000 auf 1.61 Millionen zugenommen (Industrie und Dienstleistungen). Dieser Prozess betrifft auch die KMU und hat Kontinuität: Laut dem “Bulletin trimestiel de la banque nationale Suisse” vom Herbst 2011 haben in den letzten Jahren 70% der KMUs einen Teil ihrer Produktion ins Ausland ausgelagert (allen voran KMUs, welche eine personalintensive Produktion haben und somit von den miserablen Löhnen, die im Ausland bezahlt werden, profitieren wollen). Dies zeigt sich auch an der Anzahl Arbeiter_innen, die 2009 im Ausland in Schweizer Firmen beschäftigt waren: Europa 1’320’000 (davon EU: 1’179683); USA und Kanada 383’530. Es sind also nicht Investitionen in die südlichen Länder, welche den Schweizer Imperialismus charakterisieren. Es sind Investitionen in Länder des Zentrums – mit Ausnahme Asiens, wo 2009 523’827 Arbeiter_innen in Schweizer Firmen beschäftigt waren (Anzahl steigend, vor allem in China: 2005 waren es 81’000 und 2009 schon 126’000). In Süd- und Zentralamerika sind es “nur” 242’000 Arbeiter_innen.[9] Dabei sind weltweit etwa gleich viele Arbeiter_innen in der Industrie wie im Dienstleistungssektor (allen voran Banken- und Versicherungsdienstleistungen; aber auch solche, die direkt an die Industrie gekoppelt sind), beschäftigt.
Die andere Seite dieser Investitionen im Ausland sind die massiven Kapitalflüsse, die u.a. dadurch in die Schweiz zurückfliessen. Dies hat mehrere Gründe:
- Schutzsuche beim starken Schweizer Franken
- sicheres Bankenwesen in der Schweiz (Bankgeheimnis und Spezialisierung bei Steuerhinterziehung)
- Platzierung von Holdings in der Schweiz wegen tiefen Steuern, soziopolitischer Stabilität, spezialisierten Arbeitskräften in Industrie und Dienstleistungen, vorhandene Infrastruktur usw.
Direkte Investitionen aus dem Ausland in die Schweiz gehen vor allem in spezialisierte Sektoren. Allerdings betragen solche Investitionen jährlich nur etwa 215’000 Millionen Franken.
5.) Merkmale des Schweizer Kapitalismus und daraus resultierende Vorteile
a) Die Schweizer Handelsbilanz (Importe, Exporte) ist weitgehend abhängig von den Ländern der EU-27: Im Jahr 2010 kamen 79.1% der Importe in die Schweiz aus diesen 27 Ländern. Allerdings exportierten die Schweizer Unternehmen im gleichen Zeitraum nur 58.5% ihrer produzierter Waren in diese 27 EU-Länder. Das heisst, dass die globale Expansion für die Schweizer Exportwirtschaft eine bedeutende Rolle spielt: 16% der Exporte gehen in die USA, Kanada, Australien und Japan; 3.7% nach China und 10.9% nach Südkorea sowie in die sogenannten Schwellenländer Brasilien, Mexiko usw. Daher kommen auch die Anstrengungen der Schweizer Elite aus Politik und Wirtschaft, zu den Ländern von Indonesien bis Indien enge Kontakte zu knüpfen. Man denke nur an die Reisen von Micheline Calmy-Rey und Johann Schneider-Ammann in diese Länder. Diese steigende Diversifizierung für das Exportgeschäft ist auch eine Folge der aktuellen Krise in den EU-Ländern. In einer Studie der Credit Suisse vom April 2011 wird eine solche geografische Diversifizierung hoch gelobt als Absicherung gegen Konjunktur- und Nachfrageschwankungen in den anliegenden Ländern. Gerade für die Pharma- und die Uhrenindustrie, die traditionell sehr konjunkturabhängig sind, sei dies sehr wichtig. Alles in allem bleibt Deutschland aber weitaus der wichtigste Handelspartner für die Schweizer Unternehmen (2010: 19.5% aller Exporte und 32.9% aller Importe). Daher ist die Krise in den südlichen EU-Ländern wie Griechenland, Spanien, Portugal u.a., die dadurch ihre Importe am stärksten reduzieren (vor allem den Ankauf neuer Maschinen), für die Schweizer Exportwirtschaft auch weniger entscheidend, auch wenn die sinkende Nachfrage aus diesen Ländern durchaus schmerzhaft sein kann. Eine Ausnahme bildet dabei Italien, das 2010 8% aller Schweizer Exporte abnahm. Nach Spanien hingegen wurden nur 3.3% aller Güter exportiert; nach Griechenland sogar nur 0.7%.
b) Die Länder, die zurzeit ihre Investitionen (Ankauf neuer Maschinen im weitesten Sinne) am stärksten reduzieren, sind jene, in denen die Unternehmen die grössten Schwierigkeiten aufweisen, ihre Investitionen selbst zu finanzieren. Diese Tendenz verstärkt sich zusätzlich, da die von der Krise stark betroffenen Banken in diesen Ländern nur zurückhaltend Kredite vergeben. Doch auch Deutschland wird in den kommenden Jahren unter einer wirtschaftlichen Stagnation oder gar einer Rezession zu leiden haben. Dies wird der Schweizer Kapitalismus schnell zu spüren bekommen, auch wenn die Investitionen von Deutschland relativ gesehen weniger stark abnehmen werden, als jene der südeuropäischen Ländern. So ist die Ausgangslage für den Schweizer Kapitalismus doch noch günstiger, als wenn er stärker von den südeuropäischen Ländern abhängen würde.
c) Weiter muss gesagt werden, dass die Schweizer Exportgüter in erster Linie nicht wegen ihren günstigen Produktionskosten, sondern wegen der hohen Qualität weltweit konkurrenzfähig sind (das heisst aber noch lange nicht, dass die Produktionskosten keinen wichtigen Faktor der innerkapitalistischen Konkurrenz darstellen). Das heisst, dass viele Schweizer Exportgüter weiterhin Nischenprodukte der weltweiten Produktion sind und daher auch zukünftig Absatzmärkte finden werden. Diese spezialisierten Produkte werden von Lohnabhängigen hergestellt, die nicht nur in grossen Firmen (z.B. Novartis), sondern auch in KMUs arbeiten, welche generell weniger unter der internationalen Konkurrenz leiden, als andere. Das bedeutet aber nicht, dass solche Unternehmen ihre Produktion nicht auch ins Ausland (allen voran nach Asien) auslagern können (siehe 4b).
d) Doch auch die Produktionskosten sind ein nicht zu unterschätzender Faktor der Schweizer Wettbewerbsfähigkeit. Denn der Anteil der Lohnkosten in einem in der Schweiz hergestellten Produkt ist – im Gegensatz zur bürgerlichen Propaganda – sehr niedrig. Dies ist unter anderem auf die folgenden Punkte zurückzuführen:
- Die Schweiz weist im Vergleich mit den anderen fortgeschrittenen Industrieländern die zweithöchste, tatsächliche Arbeitszeit auf (nur die Lohnabhängigen in Japan arbeiten noch mehr). Gleichzeitig fehlen die in der Schweiz beschäftigten Lohnabhängigen am wenigsten bei der Arbeit.
- Unbezahlten Überstunden sind weit verbreitet und für die 335‘000 Lohnabhängigen der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie sogar vertraglich vorgesehen für Krisenzeiten (Artikel 57 des GAV).
- Die Intensität der Arbeit in der Schweiz ist beispiellos.
- Der Anstieg der Löhne bleibt hierzulande weit hinter dem Anstieg der Produktivität zurück.
- Die Unternehmer nutzen die Spielräume aus, die ihnen durch die Bilateralen Abkommen mit der EU gegeben wurden, um die Löhne in der Schweiz auf allen Stufen zu drücken.
- In der Schweiz herrschen (u.a. dank dem „Arbeitsfrieden“ zwischen den Sozialpartner, was etwa einem Streikverbot gleichkommt) stabile soziale Verhältnis zwischen Arbeitnehmer_innen und Arbeitgeber.
Global gesehen heisst das, dass die Ausbeutungsrate der Arbeitskraft in der Schweiz sehr hoch ist.[10]
e) Schliesslich wird das Ausmass der staatlichen Hilfe für die Schweizer Kapitalisten oft unterschätzt: vor allem in Bezug auf die Steuern. Die Unternehmenssteuern sind in der Schweiz im Vergleich zu anderen Industrieländern noch niedriger. Zudem ist der Steuerwettbewerb hierzulande sehr stark ausgeprägt, da er nicht nur zwischen den Kantonen, sondern auch auf Gemeindeebene stattfindet. Weiter wird den Unternehmen die öffentliche Infrastruktur (Land, besondere Strassen, Schiene, Wasser, Strom) im Vergleich zu anderen Ländern quasi gratis zur Verfügung gestellt und auch die Zusammenarbeit der Wirtschaft mit der Forschung (z.B. mit den ETHs in Zürich und Lausanne) rentiert sich für erstere sehr.
[1] Die Profitrate setzt sich zusammen aus variablem Kapital (Arbeitskraft) und konstantem Kapital (Maschinen usw.). Da die Kapitalisten dazu neigen, die Arbeit der Menschen zunehmend durch Maschinen zu ersetzen, nimmt der Anteil des konstanten Kapitals an der Profitrate stetig zu. Da jedoch (Mehr-)wert – und so schlussendlich Profit – nur durch menschliche Arbeitskraft, das heisst durch variables Kapital, entstehen kann, spricht man vom tendenziellen Fall der Profitrate. Tendenziell ist der Fall deswegen, weil die Kapitalisten immer wieder Möglichkeiten finden, kurz- und mittelfristig das Sinken der Profitrate zu verhindern. In der Tendenz sinkt sie aber stetig.
[2] Pervers ist vor allem, dass die Banken dieses Geld in Form von Krediten wiederum an die Staaten weiter geben – zu überdurchschnittlich hohen Zinsen!
[3] Dies funktioniert so: die Staaten schreiben den Geldgeber – meist private Banken und Versicherungen – einen Schuldschein aus, in dem sie versichern, dass sie das geliehene Geld z.B. innert 10 Jahren zurückzahlen werden. Die Geldgeber kassieren dann das Geld plus Zinsen von den Staaten zurück. Das Problem ist nun, dass die Geldgeber, also die Banken, sich bei einigen Staaten (z.B. Griechenland oder Italien) sich nicht mehr sicher sein können, ob diese das geliehene Geld je wieder zurückzahlen werden, da sie vielleicht bankrottgehen. Das würde für die Banken riesige Verluste bedeuten. Früher konnten die Staaten in solchen Fällen einfach ihre eigene Währung (z.B. die Lira in Italien) abwerten und so die Schulden zurückzahlen. Mit dem Euro ist dies nun nicht mehr möglich, da eben nur die Europäische Zentralbank den Euro ab- oder aufwerten kann. Darum erhöhen nun die Banken die Zinsen für diese Staatsanleihen, um wenigsten einen Teil des vorgeschossenen Geldes zurückzuerhalten. Dies wiederum macht es für die Staaten noch schwieriger, aus der Schuldenfalle heraus zu kommen, da sie sich noch mehr verschulden müssen, um überhaupt die Zinsen für die älteren Schulden bezahlen zu können.
[4] Darum drohten vor allem Deutschland und Frankreich im Herbst 2011 den Griechen mit dem Zurückhalten der Milliarden aus dem EU-Rettungsschirm, falls letztere die rigorosen Sparprogramme nicht durchsetzen würden. Denn wenn Griechenland bankrottgehen würde, hätte dies auch grosse Verluste für deutsche und französische Unternehmen (vor allem Banken) zur Folge.
[5] Dies versuchen nicht nur die Unternehmer der Metallindustrie in Italien, sondern aktuell auch der Baumeisterverband in der Schweiz.
[6] Krassester Ausdruck dieser Entwicklung ist, dass die Regierungen von Papademos in Griechenland (10. November 2011 – 16. Mai 2012) und diejenige von Monti in Italien (16. November 2011 – 21. Dezember 2012) nicht gewählt, sondern mehr oder weniger offen von der „Troika“ eingesetzt wurden. Diese Pläne sind vergleichbar mit den strukturellen Anpassungen, die dem Süden (Afrika usw.) von den industrialisierten Ländern in den 1980er und 1990er Jahren aufgezwungen wurden.
[7] Bruttoinlandprodukt (Gesamtheit aller in der Schweiz produzierten Güter und Dienstleistungen)
[8] Durch die Zinsen, welche die Banken für diese Kredite kassieren, fliesst eine enorme Geldsumme in die Schweiz zurück. Dies ist ein wichtiger Fakt, wenn man den Reichtum in der Schweiz erklären will.
[9] Daher ist es unserer Ansicht nach auch verfehlt, von Armut und Reichtum in der Schweiz zu sprechen, ohne auf den in Schweizer Firmen weltweit produzierten Mehrwert einzugehen.
[10] Zu den Punkten 1-4 siehe: The Global Competitiveness Report 2011-2012 des World Economic Forum (WEF).
Dieser Text wurde im November 2011 von der BFS Jugend Zürich geschrieben.