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Frankreich: Im Streik, auf der Strasse und auf den Plätzen gegen das loi travail

Am 28. April 2016 findet in Frankreich der nächste nationale Kampftag gegen das neue Arbeitsgesetz, loi travail, statt. Dieses Gesetz, welches unter Führung der Regierung von François Hollande entstanden ist, würde umfassende Verschlechterungen der Beschäftigungsbedingungen der Lohnabhängigen in Frankreich bedeuten. Der Widerstand dagegen war in den letzten knapp zwei Monaten bereits beeindruckend stark, tritt nun aber in eine entscheidende Phase ein. Wird es gelingen, mit einem Generalstreik den Druck endlich richtig zu erhöhen?

von BFS Zürich

Seit fast zwei Monaten Proteste – und noch ist kein Ende in Sicht!

Der 9. März, 17. März, 24. März, 31. März, 5. April, 9. April, 28. April: Seit bald zwei Monaten reiht sich in Frankreich ein Aktionstag an den nächsten, an denen sich jeweils, manchmal heftiger, manchmal sanfter, der Ärger der Jugend und der Arbeiter*innen entlädt. Seit mehreren Wochen gibt es kaum einen Tag, an dem es nicht an irgendeiner Universität im Land eine Vollversammlung gibt, an dem nicht irgendwo ein Gymnasium blockiert und bestreikt wird, an dem nicht an vielen Orten Plätze besetzt werden und an dem nicht durch einen Streik in einem Sektor die Rücknahme des neuen Arbeitsgesetzes (loi travail) gefordert wird.
Seit dem Beginn dieser in der jüngeren Geschichte einzigartigen Protestwelle war es die Jugend, die sich am aktivsten gewehrt hat. Am 9. März haben die Organisationen der Jugend entschieden, dass sie die Proteste weiter intensivieren wollen, ohne den 31. März abzuwarten, der von den Gewerkschaften als nächster Kampftag vorgesehen war. Und auch wenn die Lohnabhängigen der Jugend nicht sofort mehrheitlich nachgefolgt sind, so haben all die Streik- und Aktionstage, all die Aktionskomitees an den Universitäten, all die Treffen und Mobilisierungen doch gezeigt, in welche Richtung es in den nächsten Wochen gehen wird: Es tut sich ein Riss in der französischen Gesellschaft auf, den die kämpferischen Teile der Jugend und der Lohnabhängigen nicht so schnell wieder schliessen wollen!

Es ist Zeit, die Rechnungen zu begleichen!

In einem Video eines in Frankreich populären Youtube-Kanals (On vaut mieux que ça), gab es vor einiger Zeit mal den Vorschlag, vom letzten Mal zu erzählen, an dem man auf der Arbeit verarscht worden ist. Für die Jugend in Frankreich jedoch bietet eine solche Aufgabe die Qual der Wahl, sind Schikanen doch für viele alltäglich. Das ist auch der Grund, wieso das neue Arbeitsgesetz, nach der Arbeitsministerin auch „loi El Khomri“ genannt, nur noch die Kirsche auf dem Sahnehäubchen darstellt. Denn dieses Gesetz krönt einen ganzen Haufen von antisozialen Massnahmen, die der französischen Gesellschaft beinahe wieder mittelalterliche Verhältnisse bescheren, mit Arbeit die tageweise gemietet wird und ganz nach den Launen der Herren bezahlt werden kann.
Und so wächst die soziale Ungleichheit: In Rivesaltes, einer Gemeinde ganz im Süden Frankreichs, streiken die Postbeamten seit 131 Tagen für die definitive Einstellung ihrer prekarisierten Kollegen, und in Mayotte, einem französischen Überseedepartement, fand gerade ein 15-tägiger Generalstreik für wirkliche Gleichheit und gegen das loi travail statt. Währenddessen hat sich der CEO der PSA-Gruppe, der Mutterkonzern der Automarken Peugeot und Citroën, gerade seinen Lohn verdoppelt. Dieser beträgt nun 5.24 Millionen Euro. Ein*e Arbeiter*in bei PSA bräuchte für dieselbe Summe ungefähr 241 Jahre zu arbeiten…
Daneben erleben insbesondere die Gymnasiums-Schüler*innen eine Zunahme der Repression. Sie können keine einzige Demonstration durchführen, ohne dass ein Grossaufgebot der Polizei diese eng und immer wieder auch gewaltsam begleitet. Die Schulen, an denen Aktionen stattfinden, stehen unter beinahe gefängnisartiger Aufsicht und werden teilweise sogar per Dekret für geschlossen erklärt. Das muss umso mehr zu denken geben, da gleichzeitig Steuerbetrüger, die durch den Panama-Leak aufgeflogen sind, weiter frischfröhlich durch die Gegend spazieren dürfen.
Es ist also klar: Das loi travail hat nicht nur eine Ablehnung demgegenüber provoziert, was es beinhaltet, sondern viel weitgehender gegenüber all den Attacken, die seit Jahren gegen die Lohnabhängigen und Jugendlichen gefahren werden. Löhne, Arbeitsplätze, Arbeitsbedingungen, aber auch Massnahmen in den einzelnen Sektoren, die beispielsweise bei den Eisenbahnern direkt zu einer Reduktion der Ruhetage geführt haben: schlussendlich ist kein Sektor unberührt von der Gier der Unternehmer*innen. Aber es gibt auch keinen Sektor, der nicht zum einen oder anderen Zeitpunkt gestreikt hätte.

Ach du schöner Monat Mai!

Jede Mobilisierung die noch kommen wird, kann gewisse Lehren aus vorangegangenen ziehen, aber sich immer wieder auch selbst erfinden. Wenn die Mobilisierung an den Universitäten auch noch nicht das gewünschte Ausmass erreicht hat, so haben die Mobilisierungskomitees bereits die nächsten Schritte im Kopf, die während den gerade andauernden Ferien geplant werden sollen. Im Zuge dessen haben sich am 18. April in Rennes über 1500 Studierende aus ganz Frankreich versammelt. Auch die Gymnasiast*innen haben ihre Kapazitäten, aber vor allem auch ihre Entschlossenheit unter Beweis gestellt.

Nuit debout

Und auch die so genannten „Nuits debouts“* sind, trotz ihrer grossen Heterogenität der Teilnehmer*innen, ein starker Ausdruck des Ärgers, der sich angesammelt hat. La nuit debout („Die Aufrechten der Nacht“) ist eine Teilbeweung des Widerstands gegen das loi travail. Seit dem 31. März 2016 werden in vielen Städten Frankreichs jede Nacht zentrale Plätze besetzt, die dann für Diskussionen, Demonstrationen, Feste, und weitere Aktivitäten genutzt werden. Diese Platzbesetzungen haben international für viel Aufsehen gesorgt und finden in den meisten Städten weiterhin regelmässig statt. Sie sind politisch sehr heterogen und erinnern von Form, aber auch von weiten Teilen des Inhalts her, stark an die Occupy-Bewegung in Deutschland und weiteren Ländern, oder die Indignados-Bewegung in Spanien. Unterschiedlich bewertet werden kann aber die Perspektive. Die nuit debout-Bewegung ist nur ein Teil des Widerstands gegen die Arbeitsrecht-Reform und hat deshalb automatisch Anknüpfungs- und Berührungspunkte mit der Arbeiter*innenbewegung und der Jugendbewegung. Dies könnte in Zukunft diejenigen negativen Dynamiken verhindern, die sowohl der Indignados-Bewegung, als auch der Occupy-Bewegung widerfahren sind, dass nämlich die sehr abstrakte Zielsetzung und unendliche Forderungskataloge zu einer Verzettelung und Zersplitterung der Bewegung führen.

Heraus zum Generalstreik!

Trotz der Bewegung der Studierenden, der Gymnasiast*innen und anderen Teilen der Jugend darf aber die grundsätzliche Diskussion nicht vermieden werden: Damit die Herrschenden in Frankreich einen Rückzug machen, damit sie ihr loi travail zurücknehmen, ist es notwendig, dass die Lohnabhängigen mit voller Kraft in den Kampf einsteigen und auf einen Generalstreik hinarbeiten.
Am 26. April haben bereits die Eisenbahner zu einem Streik aufgerufen. Dies ist eine grosse Hoffnung für den weiteren Verlauf der Mobilisierung. Während man sich in vielen Sektoren zur Zeit nur umsieht, wer denn den ersten Schritt zu einem unbefristeten Streik wagen könnte, hätten die Arbeiter*innen der SNCF (französische, staatliche Eisenbahn) am 27. April die Gelegenheit, diese Türe aufzustossen und damit plötzlich am 28. April mit der Jugend zusammen die Speerspitze eines neuen intersektoralen Streiks zu bilden.
Weil das Mittel des Generalstreiks schon lange nicht mehr als probates Mittel gegen die Profiteure diskutiert wurde, ist es nun an der Zeit, dass dieser in die Tat umgesetzt wird. Von den Gymnasien, den Fakultäten, den Plätzen und Fabriken aus könnten ab dem 28. April die Streikerfahrungen vervielfacht werden. Wenn ab dem 28. April in Frankreich in vielen Bereichen tatsächlich nicht mehr für die Unternehmer*innen gearbeitet würde, gäbe das Zeit, die verschiedenen Sektoren, die sich im Kampf gegen das loi travail engagieren wollen, zu koordinieren.
Das Bild stammt von der Demo am 28. April in Toulouse. Der Text basiert auf einem Artikel der Nouveau Parti Anticapitaliste NPA und ist auf npa2009.org erschienen.

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