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Griechenland: Die zweite Kapitulation

Im Mai 2016 kam es zu neuen Abkommen zwischen der griechischen Regierung und ihren Gläubigern. Die SYRIZA-Regierung akzeptierte dabei automatische Kürzungen, welche einmal mehr hauptsächlich die griechischen Lohnabhängigen treffen werden, und verkaufte dies sogar als Erfolg. Einen Spielraum für eine andere Politik – innerhalb der Eurozone – gibt es nicht mehr. (Red.)

von Paul Michel; aus SoZ
Seit Juli 2015 ist für Griechenland zu den ohnehin schon schweren Lasten noch die Versorgung der Flüchtlinge hinzugekommen. Griechenland erhält von den Machthabern der EU dafür – im Gegensatz zur Türkei – weder nennenswerte finanzielle Hilfsleistungen noch Erleichterungen bei den Sparauflagen für den Haushalt. Stattdessen verlangte die Quadriga [EU-Kommission, EZB, IWF, Europäischem Stabilitätsmechanismus (ESM)] von der SYRIZA-Regierung weitere Kürzungen. Von der Erfüllung ihrer Forderungen machte sie die Auszahlung einer weiteren «Hilfstranche» in Höhe von 4,9 Milliarden Euro aus dem «Hilfs»programm aus dem «Dritten Memorandum» (86 Mrd. Euro) abhängig.
Mit der Unterzeichnung des Dritten Memorandums im August 2015 hat sich die SYRIZA-Regierung mit Haut und Haar dem absurden Regelwerk der Troika unterworfen. Dieses sieht vor, dass die griechische Regierung allen Zahlungsverpflichtungen gegenüber den Gläubigern, also den «Institutionen», nachkommt, indem sie bei eben diesen «Institutionen» neue Kredite aufnimmt. Die Kredite bekommt sie aber nur, wenn sie bestimmte haushaltspolitische Bedingungen erfüllt.
Aktuell stellte sich für die griechische Regierung die Situation so dar: Athen braucht spätestens bis Anfang Juli 2016 die in Aussicht gestellte Euro-Tranche von 4,9 Mrd. Euro aus dem «Hilfs»programm von 86 Mrd. Euro, weil wichtige Rückzahlungsverpflichtungen anstehen: Bis zum 7. Juni 2016 müssen knapp 300 Mio. Euro an den Internationalen Währungsfonds (IWF) gezahlt werden, im Juli muss Griechenland an den IWF, an die Europäische Zentralbank (EZB) und andere Gläubiger insgesamt 3,666 Mrd. Euro überweisen – sonst drohen erneut der Staatsbankrott und der Grexit. Griechenland erhält also Kredite von den «Institutionen», um damit Kredite und Zinsen bei den «Institutionen» zurückzuzahlen. Das ist schräg, aber diese Form der Schuldknechtschaft war und ist (nicht nur in Griechenland) imperiale Normalität.

Weichgekocht

Demgegenüber hat die SYRIZA-Regierung, da sie sich im Juli 2015 zur absoluten Vertragstreue gegenüber dem Regelwerk der Troika verpflichtet hat, lediglich «Argumente», aber so gut wie keine ökonomischen und politischen Druckmittel zur Hand. Die andere Seite, die Machthaber in der EU, sitzen am Geldhahn und lassen keinen Zweifel aufkommen, dass sie Griechenland in den Staatsbankrott und den Grexit schicken werden, wenn die Regierung Tsipras nicht nach ihrer Pfeife tanzt. Deswegen konnte sich das Erpresserquartett aus EU-Kommission, EZB, IWF und Europäischem Stabilitätsmechanismus (ESM) in den letzten Wochen und Monaten demonstrativ entspannt geben, während der Regierung in Athen die Zeit davonlief.
Ende April 2016 war sie endgültig weichgekocht. Es war klar, dass die geforderten Maßnahmen, Kürzungsprogramme in Höhe von 5,4 Mrd. Euro, noch vor dem Treffen der Eurofinanzminister am 9. Mai durchs griechische Parlament mussten. Das geschah auf den «letzten Drücker» am Abend des 8. Mai, und zwar geschlossen mit den Stimmen der Regierungskoalition aus SYRIZA und ANEL.
1,8 Mrd. Euro sollen durch Steuererhöhungen, weitere 1,8 Mrd. durch den Umbau des Rentensystems aufgebracht werden. Die übrigen 1,8 Mrd. kommen durch Erhöhung der Verbrauchsteuern zusammen, die das Parlament in Kürze durchwinken soll: auf Benzin, Erdgas, Tabak, Alkoholika, Internet- und Handynutzung. Auch unter der vermeintlich linken SYRIZA-Regierung sind also die kleinen Leute die Leidtragenden. Lediglich die Anhebung der Steuern auf Unternehmensgewinne von 26% auf 29% und des Spitzensteuersatzes von 42% auf 45% weisen in eine andere Richtung.

Schwacher Protest

Am Wochenende vom 7./8. Mai 2016 demonstrierten Zehntausende Beschäftigte in den großen Städten gegen das Kürzungspaket. Allein in Athen gingen mehr als 20’000 Menschen auf die Straße. Zuvor hatten Streiks große Teile des Landes lahmgelegt. Ab Freitag, 6. Mai 2016, streikten U-Bahn- und Busfahrer, Lokführer, Lehrer, öffentlich Beschäftigte, Journalisten, das Personal der Fähren, Beschäftigte der Abfallentsorgung und einige Arbeiter der Privatwirtschaft. Selbst Inhaber von Kiosken und anderen kleinen Läden legten die Arbeit nieder.
Dennoch war die Beteiligung an den Protesten schwächer als zuvor, trotz symbolischer Maßnahmen wie der Ankündigung von vier Berufsverbänden – Ingenieure, Ärzte, Journalisten und Rechtsanwälte –, führende Regierungsmitglieder wegen ihrer Verantwortung für die Sparpolitik auszuschließen.
Anders als Tsipras und sein Finanzminister Tsakalotos die Menschen in Griechenland gern glauben machen, ist auch diese Sparrunde nicht das Ende oder auch nur der Anfang vom Ende der Sparpolitik. Dafür haben vor allem der IWF und der «Pate» der europäischen Finanzminister, Wolfgang Schäuble, jetzt schon gesorgt. Sie misstrauen der Regierung Tsipras zutiefst und fürchten, dass sie das Sparprogramm zu unterlaufen versucht. Deshalb haben sie verlangt, dass die SYRIZA-Regierung schon jetzt «auf Vorrat» ein weiteres Sparpaket in Höhe von 3,6 Mrd. Euro verabschiedet, das unabhängig von der konkreten Wirtschaftslage in Kraft treten soll, wenn Athen bis 2018 im Primärhaushalt (ohne Zinsen) nicht einen Überschuss von 3,5% vorweisen kann – eine Vorgabe, die selbst das wirtschaftlich starke Deutschland nicht schaffen würde.
Vor allem Finanzminister Tsakalotos sprach sich zuerst vehement gegen einen solchen «Vorratsbeschluss» aus. Zwischendurch gab es sogar Gerüchte, er werde zurücktreten, wenn Tsipras hier nachgebe; Tsakalotos gehört der Gruppe der 53, dem vermeintlich linken Parteiflügel von SYRIZA, an. Ein paar Tage später knickte die Regierung auch an dieser Stelle ein – und Tsakalotos blieb bei der Stange. Die Regierung trat jetzt mit dem Vorschlag auf den Plan, im Falle der Verfehlung des Haushaltsziels einen «automatischen fiskalen Stabilisator» in Kraft treten zu lassen: Weiche der Haushaltsüberschuss etwa um 10% nach unten ab, sollten alle Staatsausgaben um 10% gekürzt werden – ohne Einflussmöglichkeiten des Parlaments oder der sonstwem. Die Eurogruppe  hat sich bereit erklärt, diese mörderische Selbstverpflichtung zu akzeptieren. Sie beharrt allerdings darauf, dass auch dieser Schritt formal im Parlament verabschiedet wird. Nun verkauft Tsakalotos diese weitere Kapitulation als Erfolg, weil die EU einen Vorschlag von SYRIZA übernommen hätte.
Der einzige, sehr zweifelhafte «Erfolg», den SYRIZA für sich reklamieren kann, ist, dass die Abgeordneten der beiden Regierungsparteien «geschlossen» für das Sparpaket gestimmt haben. Doch wird dies ein Pyrrhussieg, der die ohnehin schon abnehmende Unterstützung für SYRIZA in der Bevölkerung weiter beschleunigen wird. Jede weitere «erfolgreich» durchgeführte Sparmaßnahme bringt die SYRIZA-Regierung ihrem Ende näher. Die Frage ist nur, was dann kommt.

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