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Schweiz: Müssen Rapper Sexisten sein?

Vor einigen Tagen ist auf Noisey ein Gespräch von Ugur Gültekin und dem Rapper Tommy Vercetti unter dem Titel „Sind wir eigentlich Sexisten?“ erschienen. Zwei Aktivisten der BFS Jugend haben das Interview unterschiedlich bewertet und sich darüber unterhalten. Eine Aufzeichnung.

von BFS Jugend Zürich

Johannes: Gleich mal vorweg. Ich halte es für sehr wichtig, dass wir diese Diskussionen führen. Auch unter Männern. Ich habe daher das Interview als einen positiven, mutigen Schritt empfunden, Sexismus auch in männlich dominierten Kreisen zum Thema zu machen.
Theo: Da muss ich dir widersprechen. Ich fand Tommy Vercettis Äusserungen in diesem Interview nicht in erster Linie spannend, sondern teilweise echt erschreckend und ekelerregend. Der Interviewer und Tommy bemerken inwiefern das weibliche Geschlecht durch Sprache immer wieder als schwach dargestellt wird, respektive Bezeichnungen ihrer Geschlechtsorgane als Schimpfworte benutzt werden, während beim männlichen Geschlecht genau das Gegenteil gilt; Stärke und positiv konnotierte Bezeichnungen in Anspielungen auf den Penis wie zum Beispiel „Stecher“. So weit bin ich mit den beiden einverstanden.
Aber warum bitte benutzt und reproduziert Tommy diese Begriffe in seiner Musik? Warum bezeichnet er sich immer wieder selbst als „Schnäbiprinz“? Aus früheren Interviews ist mir das Argument bekannt, dass auf der Strasse nun mal so gesprochen werde. Aber sind diskriminierende, sexistische Verhaltensweisen jetzt plötzlich ok, nur weil sie im Alltag benutzt werden?
Johannes: Nun, ich glaube das Einzige was im Interview deutlich wird, ist, dass wir alle in Widersprüchen, in widersprüchlichen Situationen leben. Tommy sagt ja im Interview deutlich, dass die Kritik am Sprachgebrauch in seinen Texten teilweise durchaus zu Recht erfolgt. Er weist aber auch darauf hin, dass sexistisches Fluchen eine bestimmte Form von Kommunikation ist, wie Fluchen allgemein. Und dass es dafür ja eigentlich keinen Ersatz gibt. Dass die Wörter kraftvoll und treffend sind und nicht so einfach zu ersetzen…
Theo: …du sprichst von dieser Stelle im Interview, oder? „’Bitch’ zum Beispiel ist so ein kraftvolles, soundmässig grossartiges Wort und hat gleichzeitig so ausdifferenzierte Bedeutungsebenen von Feigheit, Hinterhältigkeit, Verrat, dass es dazu keinen Ersatz gibt.“ Es ist durchaus so, dass dieses Wort in Hip-Hop-Texten weit verbreitet ist, worauf Tommy mit „kein Ersatz“ vermutlich anspielt. Ich weiss aber beim besten Willen nicht, wie er es mit seinem Gewissen vereinbart auf eine Bühne zu stehen und Frauen die ganze Zeit so zu bezeichnen. Dass er sich im Übrigen als Marxisten resp. Linken bezeichnet, macht das ganze noch verstörender.
Johannes: Aber das ist es ja genau! Jetzt reiten alle auf diesem Wort rum, das sich in seiner Bedeutung zu grossen Teilen so stark gewandelt hat, dass es halt eben nur in den wenigsten Fällen tatsächlich vulgärer englischer Ausdruck für „Sexarbeiterin“ verstanden wird. Sowieso halte ich viele dieser Diskussionen um einzelne Wörter für absolut verfehlt, oftmals weltfremd und kein bisschen zielführend. Wenn du dir das Rosario Mixtape anhörst, dann findest du darauf mindestens zwei Songs, die sehr spezifisch auf Sexismus eingehen, die Mut machen, die eine Perspektive entwerfen. Beispielsweise Maids Theme, worin sich die Frauen den Männern entledigen, auf allen Ebenen, und so die Befreiung erreichen. Ich halte das für sehr viel entscheidender, als nun zu versuchen einzelne Wörter zwanghaft aus dem Wortschatz zu entfernen, die Denkbilder dahinter aber nicht zu verändern. Zudem: Fast jedes internationale Unternehmen, fast jede imperialistische Armee auf dieser Welt setzt mittlerweile darauf, sich als Hort der Gleichberechtigung, nicht nur der Geschlechter, sondern auch hinsichtlich der LGBTIQ*-Community zu verkaufen. Die israelische Armee hat zur letzten LGBT Pride ein Foto von pinken Kampfjets veröffentlicht! Was ich damit sagen will: Sprache eignet sich unglaublich gut, Strukturen und tiefer liegende Ursachen zu verwischen. Wenn wir wirklich davon ausgehen – was wir ja glaub’ ich beide tun – dass das Patriarchat etwas mit dem Kapitalismus zu tun hat, dann soll die Sprache zwar ein Kampfplatz sein, aber eben nicht der primäre. Und die Sprache darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Widersprüche existieren.
Theo: Dass Tommy und EFM einige sehr tolle feministische Songs haben, ist klar. Und ich bin damit einverstanden, dass Sprache nicht der primäre Kampfplatz gegen das Patriarchat sein soll. Doch von einem Rapper, der sich selbst auf die Fahne schreibt für eine Gesellschaft jenseits von Patriarchat und kapitalistischer Ausbeutung zu sein, erwarte ich dass er bewusst mit seiner Sprache umgeht. Und dieses Bewusstsein bedeutet, mit seinen Äusserungen niemanden zu diskriminieren. Mir ist es ehrlich gesagt scheissegal, ob für viele „Bitch“ gar nicht mehr direkt „Prostituierte“ oder „Schlampe“ bedeutet. Was zählt ist, dass es ein in der Regel negativ konnotiertes Wort ist und darauf anspielt, dass es schlecht sei, wenn eine Frau viel Sex hat. Die Frauen die ich kenne, möchten nicht so genannt werden. Also brauche ich das Wort nicht. Basta!
Dass zum Beispiel Grossbanken jetzt plötzlich behaupten sie seien für die weltweite Gerechtigkeit, nur weil sie in ihrem Konzern eine diversity-policy eingeführt haben, ist natürlich ein Problem. Doch wie bereits angeschnitten; für uns Linke sollte es eine Selbstverständlichkeit sein eine geschlechtergerechte Sprache zu gebrauchen. Wenn das allen klar wäre, hätten wir auch mehr Zeit um die Ursachen des Sexismus zu bekämpfen.
Ich mein im Ernst: Tommy behauptet für „Bitch“ gäbe es im Hip-Hop keinen Ersatz. Genau so gut könnte man behaupten, dass es für das N-Wort, welches schwarze Rapper*innen andauernd brauchen keinen Ersatz gibt. Hier schafft es der weisse Tommy allerdings darauf zu verzichten und somit nicht rassistisch zu sein. Wieso soll das in Bezug auf Frauen nicht gehen?
Johannes: Mir geht es ja gar nicht darum, dass man es toll, oder auch nur in Ordnung finden muss, wenn jemand sexistische Wörter benutzt. Im Gegenteil. Doch Fakt bleibt: Diese Wörter, diese Sprache, die wird von der überwiegenden Mehrheit der Menschen da draussen gesprochen. Wir können jetzt schauen, dass wir nur noch ganz korrekt sprechen, nur noch politische Szene-Bands hören und mit Leuten, die zum Beispiel „Hurensohn“ sagen, keinen Umgang mehr pflegen. Ich halte das für absolut verkehrt. Mir ist es – ganz im Ernst – tausendmal lieber, wenn Tommy ab und an mal „Bitch“ sagt, dafür hören ihn die Kids da draussen und hören seine feministischen Lieder und die vielen gesellschaftskritischen Werke, beispielsweise auf „Glanton Gang“. Ich habe selbst schon erlebt, dass Jugendliche Marx lesen wollten, weil sie Tommy hörten. Szenebands, welche die immer gleichen Selbstergötzungsdienste für die linke Szene leisten, die widern mich an. Man ist dann unter sich, macht Musik für sich, und glaubt die Moral mit Löffeln gefressen zu haben. Ausserdem vergisst dadurch die Linke immer wieder, dass sie in einer verdammten Blase lebt und zwar vom Proletariat faselt, aber keinen Bezug mehr hat…
Man kann jetzt natürlich einwenden, dass Sprache auch konstituiert und Verhältnisse zementiert. Diese Erkenntnis mag eine Errungenschaft des Poststrukturalismus sein, von mir aus. Ich bin aber immer noch fest davon überzeugt, dass ökonomische Kräfte und gesellschaftliche Verhältnisse, also auch das Patriarchat, sehr viel stärker sind wie Sprachregelungen von linken minoritären Gruppierungen.
Theo: Eine der verstörendsten Aussagen im Interview fand ich folgenden Satz von Tommy: „Dann habe ich in meinen 20 Jahren sexueller Aktivität sicher einige Male ein ‚ich weiss nicht so recht’ für ein Ja genommen oder eine Betrunkenheit ausgenutzt.“ Da kam mir dann wirklich fast das Kotzen, beziehungsweise ich wurde richtig wütend! Dieses Verhalten würde ich eindeutig als rape culture bezeichnen!
Johannes: Auch da bin ich komplett anderer Meinung. Ich fand diese Zeile sehr stark. Ich meine ganz im Ernst, was verlangst du? Komplette moralische Integrität eines jeden Menschen, während seiner gesamten Vergangenheit? Mir geht es nicht darum, was da womöglich vorgefallen ist zu verteidigen, im Gegenteil. Ich finde aber wir müssen uns bewusst sein, dass Tommy da keinesfalls der Einzige ist, der schon so gehandelt hat, ja dass womöglich der überwiegende Teil der Männer schon ähnliche Dinge gemacht hat. Das ist Scheisse, ja. Der Fakt, dass man scheisse gehandelt hat in einem Interview zuzugeben, das selbst kritisch zu reflektieren, das ist allerdings stark und hat als Aussage nichts mit rape culture zu tun. Im Gegenteil. Das Problem sind ja vor allem die Typen, die sich nicht mal bewusst sind, dass sie Scheisse bauen, wenn sie Frauen betrunken machen, um mit ihnen zu schlafen und ein Nein nicht akzeptieren können. Endlich offen darüber zu reden kann auch uns helfen, vermehrt unser eigenes Verhalten zu überdenken. Dass Tommy da mal eine Bresche geschlagen hat, dafür bin ich ihm dankbar. Ich hoffe aber auch, dass er die entsprechenden Vorfälle mal noch mit den betroffenen Sexualpartner*innen besprechen kann und die richtigen Schlüsse aus dieser Erkenntnis zieht…
Theo: Klar, es ging dort im Interview darum eigene sexistische Verhaltensweisen zu reflektieren. Doch die Aussage kam mir so vor, als würde Tommy salopp noch kurz eine Jugendsünde erwähnen. Aber dies ist eben keine Jugendsünde, sondern so ziemlich das beschissenste, was ein Mann tun kann! Die letzten Jahre hab’ ich mich beim EFM hören oft gefragt, woher wohl all die sexualisierten Sprüche kommen, die ich im Übrigen zu grossen Teilen peinlich finde und sonst nur von Jungs in der Pubertät höre. Und jetzt sagt Tommy das. Das heisst, er hat Frauen missbraucht und sich dann mit seinen Kumpels als „Schnäbiprinz“ abgefeiert. Deshalb fand ich es ekelerregend.
Johannes: Wir müssten da jetzt beim Interviewten nachhaken, wie er diese genau gemeint hat, beziehungsweise was genau vorgefallen ist. Das können wir schlecht, deshalb wäre ich deutlich der Meinung, den Missbrauchsvorwurf in diesem Fall nicht ins Blaue hinaus zu machen, gerade weil eine Missbrauchserfahrung immer auch eine sehr starke subjektive Komponente beinhaltet. Auch hier gilt für mich wieder: Gewisse Verhaltensmuster und auch die Vorstellung vom Eroberer und der Eroberten sind leider immer noch ausserordentlich weit verbreitet. Und das nicht nur bei Männern. Das ist ein grosser Teil des Problems. Stell’ dich mal einen Abend lang nüchtern in einen Club und schau’ dem Treiben zu. Für mich war das desillusionierend und erschreckend. Da tanzt dann beispielsweise ein Typ eine Frau an, die schickt in drei Mal weg, wendet sich genervt ab, beim vierten Mal küsst sie ihn. Egal ob als Jugendsünde verstanden, oder nicht. Wichtig ist, dass Reflexion geschieht und Verhaltensmuster durchbrochen werden.
Theo: Nun, Ich finde es in erster Linie traurig, dass Tommy und Eldorado FM nicht ohne diese sexistische Kackscheisse klarkommen. Ich kenne auch Leute die EFM nicht hören, da sie sich über „diese vier Macker mit ihren Scheisssprüchen“ aufregen. Und das finde ich schade. Denn abgesehen davon, kenne ich in der Deutschschweiz keine bessere Hip- Hop-Gruppe, das heisst eine die es schafft gesellschaftskritische, tiefgehende Texte zu produzieren und gleichzeitig voll abzugehen.
Wer sich das künstlerische Schaffen von Tommy Vercetti und seiner Rapformation Eldorado FM näher ansehen will, wird hier fündig: https://eldoradokiosk.ch
UPDATE (16.11.2016): Nach der Veröffentlichung dieses Gesprächs hat uns Tommy Vercetti wichtige Präzisierungen zukommen lassen, die wir hier gerne wiedergeben:
Tommy Vercetti: „Zuerst vielen Dank für das Gespräch, ich finde da werden sehr wichtige Sachen erwähnt und ergänzt, die ich sehr ähnlich sehe. Zu meiner Verteidigung doch 3 Dinge:
– Ich habe mich selbst ein einziges Mal Schnäbiprinz genannt, und zwar auf einem Song 2007 (also vor 9 Jahren), dann nochmal 2009 in Anspielung darauf. Sonst blieb das bei anderen hängen.
– Ich meine meistens Männer, wenn ich Bitch sage. Macht das Wort nicht besser, aber das kommt doch sehr falsch rüber im Text: Wir brauchen das ja nicht als Synonym für Frau.
– Die Stelle mit «für ein Ja genommen» ist keinesfalls ein Missbrauchsbekenntnis! Das meint schlicht, man hat vielleicht rumgemacht, dann waren kurz Zweifel da, man ist dann aber nicht drauf eingegangen und hat doch – in gegenseitigem Einverständnis – weitergemacht. Und ich hab auch nie eine «betrunken gemacht», sondern schlicht die offenere Laune ausgenützt, wenn jemand betrunken war – was doch ein grosser Unterschied ist.“

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2 Kommentare

  1. joschua kiemich

    Sexismus ist ein wichtiges aber heikles thema. Das begriffe wie „bitch“ als Fluchwort in unserer gesellschaft bereits so verbreitet ist,ist traurig. Auf der anderen seite geht die ganze sensibilisierung des sexismusthemas bereits soweit das man sich als mann gar nicht mehr getraut einer frau zu wiedersprechen, da es ja als sexistisch verstanden werden kann, leider…

  2. David

    Lieber Joschua
    Solange wir in einer ungleichen Gesellschaft leben, zu der auch die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen und sexistische Diskriminierungen gehören, sollten wir alle – ob Männer oder Frauen – für eine feministische Theorie und Praxis kämpfen. Dabei sollten unterschiedliche Standpunkte und Kontroversen, oder anders gesagt eine demokratische Debatte immer möglich sein. Dazu gehört auch das Recht, einander zu widersprechen.
    Ich finde es aber völlig falsch, „zu viel Sensibilisierung“ oder die feministische Praxis als Ursache von mangelnder Diskussionskultur zu sehen. Eher das Gegenteil scheint mir der Fall zu sein. Die Diskussions- und Streitkultur in unserer Gesellschaft ist stark vom Patriarchat geprägt, in den meisten politischen, akademischen und ökonomischen Machtzentren und Parteien sind Frauen nach wie vor sehr stark untervertreten.
    Dass wir uns im Alltag also oft nicht trauen, unseren Standpunkt zu vertreten und es uns nicht gelingt, eine produktive Streit- und Diskussionskultur zu führen, hat nichts mit einer „Übersensibilisierung“ bezüglich Feminismus zu tun, sondern eben mit den aktuellen kapitalistischen Verhältnissen, die mit einer patriarchalen, sexistischen, rassistischen und latent undemokratischen Ideologie einhergehen.

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