Vor einigen Wochen erhielten rund 40’000 Bewohner*innen der Stadt Zürich einen Brief mit „wichtigen Informationen zum Schweizer Bürgerrecht“. Unterzeichnerin ist die SP-Stadtpräsidentin Corine Mauch. Wir veröffentlichen hier einen Kommentar eines Aktivisten der BFS Jugend Zürich. (Red.)
Mein Vater kam in den 90er Jahren aus Deutschland in die Schweiz. Nicht als sogenannter „Wirtschaftsmigrant“, sondern einfach weil es gerade das Bedürfnis im Zusammenhang mit seinem Lebenswandel war. Dass er der Vater eines Kindes mit Schweizer Pass war, genügte damals dem Schweizer Staat nicht, um ihm den Aufenthalt zu gewähren. Also heirateten meine Eltern. Nach einigen Jahren Ehe trennten sie sich wieder, was die Fremdenpolizei (FrePo, heute Migrationsamt) dazu veranlasste, meinen Vater ausweisen zu wollen. Nur nebenbei: Das Menschenrecht auf Familie hätte es auch schon damals gegeben, was der FrePo entgangen zu sein scheint. Nach einem regelrechten Bettelbrief meiner Mutter an die FrePo, in dem sie unterwürfig „den Verbleib des Vaters zum Wohle des Kindes“ erbitten musste, durfte er jedoch bleiben.
Rund 20 Jahre später
Unterdessen hat mein Vater jahrelang in der Schweiz gelebt und gearbeitet. Seit Jahren empfehle ich ihm, sich einbürgern zu lassen, denn wir wissen nicht, welch verheerende Gesetzesänderungen in Zukunft noch auf uns warten werden. Er tat dies bislang nicht. Schliesslich gehört er seit dem Freizügigkeitsabkommen mit der EU zum privilegierten Teil der hier lebenden Menschen ohne Bürgerrecht. Die Behörden peinigen heute andere.
Die heuchlerische Doppelmoral der Sozialdemokratie
Ende April hat er, wie 40’000 andere Bewohner*innen der Stadt Zürich, von der Stadtpräsidentin Corine Mauch „wichtige Informationen zum Schweizer Bürgerrecht“ erhalten. Der Brief wurde als Einladung zur Einbürgerung bekannt. Nicht dass ich es nicht allen Leuten gönnen würde, die durch die Einbürgerung den jahrelangen Papierkrieg und Stress mit den Behörden hinter sich lassen können. Doch Mauchs Brief wirkt heuchlerisch. Zuerst drückt die SP beide Augen zu, wenn im rechtsbürgerlich dominierten National- und Ständerat das Einbürgerungsrecht verschärft wird.1 Genau vor dieser Verschärfung, welche ab 2018 gilt, warnt nun aber Mauch. Dafür müsse man neu nur noch 10 statt 12 Jahre in der Schweiz gelebt haben. Wow, nur 10 Jahre! Es ist beschämend, dass sich die Schweiz damit rühmt! Es gibt kein Land in Westeuropa, welches auf mehr Jahre bis zur Einbürgerungsmöglichkeit besteht.2
Währenddessen hat SP-Justizministerin Sommaruga das Asylgesetz, eigentlich ein humanitäres Recht, bis zur Unkenntlichkeit verschärft. Trotzdem hat sich die Bundesrätin letztens im Schweizer Radio damit gebrüstet, wie solidarisch die Schweiz sei, schliesslich habe man 600 Geflüchtete aus Griechenland aufgenommen3. 2015 und 2016 kamen aber rund zwei Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg und sozialem Elend nach Europa! Der Kanton Zürich, ebenfalls unter tatkräftiger Mitarbeit zweier SP-Regierungsräte (Mario Fehr und Jaqueline Fehr), ist momentan drauf und dran die Sozialhilfe für sogenannt „vorläufig Aufgenommene“ zu streichen. Die Eingrenzung von abgewiesenen Asylbewerber*innen (welche meist hier bleiben, was meiner Meinung nach keiner weiteren Begründung bedarf) in Gemeinden wie Kempttal oder Uster ist bereits Realität
Doch zurück zu Corine Mauchs Einladungsbrief. Es mag legitim sein, wenn sie darauf hinweist, dass über 30 Prozent der Einwohner*innen der Stadt Zürich über keine politischen Rechte verfügen, was sie ändern möchte. Doch die Aussage „Die Schweiz ist eine Demokratie und dank dieser Demokratie und unserem Rechtsstaat leben wir in der Schweiz in Frieden und Wohlstand.“ wirkt schulmeisterlich. Sie steht den Hinweisen auf angeblich demokratiekonformes Verhalten in den rassistischen „Integrationsverträgen“ (der Blick hat vor kurzem einen publiziert4) in nichts nach. Als wären Schweizer*innen a priori demokratischer als Italiener*innen, Bosnier*innen, Kurd*innen oder Deutsche. Die seit jeher restriktiven Einbürgerungsbestimmungen der Schweiz sprechen eine andere Sprache. Ebenfalls bläst Mauch mit Aussagen wie „Wir laden Sie ein, in unserer Demokratie mitzumachen.“ ins Horn der konservativ-rassistischen ‚ihr-wir’ (Ausländer*innen-Schweizer*innen) Mentalität. Vermutlich hat jemand, der ohne Schweizer-Pass in der Stadt Zürich aufgewachsen ist, die Stadt mehr mitgestaltet als viele Schweizer*innen, die aus anderen Kantonen für die Arbeit oder Ausbildung hierherziehen.
Zu Corine Mauchs Brief kamen bei mir ein paar Fragen auf.
- Bekamen abgewiesene Asylbewerber*innen und Sans Papiers auch eine „Einladung“?
- Hat Mauchs Initiative damit zu tun, dass 2018 städtische Wahlen sind und man sozusagen SP-Wähler*innen einbürgern möchte, oder falls die Frist nicht reicht sich rechtzeitig zu den Wahlen ins positive Licht rücken möchte?
- Möchte die Stadt im Sinne der Standortkonkurrenz möglichst viele hoch qualifizierte Migrant*innen an die Schweiz binden?5 Schliesslich wandern seit neuestem wieder mehr Deutsche aus als ein. Damit würde Mauch in bester Tradition der bisherigen Schweizerischen Migrationspolitk stehen (Freiwillige Aufnahme hoch qualifizierter Immigrant*innen aus Ungarn usw. Ausgrenzung von Kriegsflüchtlingen z.B. aus Sri Lanka, die man „nicht eingeladen“ hat).
- Und wieso lässt Mauch nicht durch die Stadtpolizei Einbürgerungseinladungen verteilen, anstelle der rassistischen Praxis der Personenkontrollen, die nur zu oft zur Einknastung und Ausschaffung von Leuten führt, die aus Sicht des Staates nicht die richtigen Papiere haben?
Gegen eine Unterteilung in ‚nützliche’ und ‚nicht nützliche’ Migrant*innen!
Für die kollektive Regularisierung aller Sans Papiers jetzt!
Für Bewegungs- und Aufenthaltsfreiheit für alle überall!