Menu Schließen

Österreich: Die neue rechte Regierung und deren Programm gegen die Lohnabhängigen (Teil 1)

Die neue neokonservative Regierung der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) und der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) stellt in Österreich zahlreiche soziale Errungenschaften in Frage. Die Arbeiter*innenbewegung und die gesellschaftliche Opposition sind schwach. Das stellt alle, die für demokratische und solidarische Alternativen einstehen vor große Herausforderungen. Wir veröffentlichen hier eine dreiteilige, leicht gekürzte Analyse zum Rechtsrutsch in Österreich und zu den Aufgaben der Linken. (Red.)
Von Verena Kreilinger und Christian Zeller; aus aufbruch-salzburg.org
Die Nationalratswahl am 15. Oktober 2017 offenbarte das ernüchternde gesellschaftliche und politische Kräfteverhältnis in Österreich [siehe Österreich: Schlammschlacht der Politkaste als Vorspiel zur autoritären Wende]. Auf der Grundlage einer langanhaltenden Hegemonie konservativer Kräfte vollzog sich ein weiterer Rechtrutsch. Entscheidender ist allerdings, dass die wesentlichen Fraktionen der herrschenden Klasse dieses Landes beschlossen haben, die sogenannte Sozialpartnerschaft und deren politische Verdichtung in Form der langjährigen SPÖ-ÖVP-Allianz aufzukündigen. Die Sozialdemokratische Partei Österreichs (SPÖ) und die Grünen haben sich als unfähig erwiesen, auf diese neokonservative[1] Offensive mit eigenen Konzepten zu reagieren. Die klassische, auf eine Mitverwaltung des Staates und der kapitalistischen Gesellschaft ausgerichtete Regierungs“linke“ ist weitgehend orientierungslos und handlungsunfähig. Eine antikapitalistische Kraft existiert nicht in diesem Land.
Die neue Regierung wird das Kräfteverhältnis zu nutzen wissen und massive soziale Einschnitte und eine Veränderung der Arbeitsbeziehungen durchsetzen wollen. Auf dem Erbe der Integration und Degenerierung der klassischen ArbeiterInnenbewegung sowie der weitgehenden gesellschaftlichen Individualisierung ergeben sich grundlegende Herausforderungen für alle, die versuchen eine solidarische und demokratische oder gar antikapitalistische Alternative zu entwickeln. Erstens ist eine offene Debatte über die inhaltliche Orientierung dieser Kräfte jenseits der institutionellen Politik zu führen. Zweitens steht ein langwieriger Aufbau organisatorischer Kapazitäten, sozialer Zusammenhänge und deren politischer Ausdrucksformen an. Drittens gilt es kollektiv handlungs- und aktionsfähig werden.
Mit diesem Artikel wollen wir einen Betrag zur Orientierungsdiskussion in Zeiten einer konservativen Hegemonie leisten. […]

Der Rechtsrutsch ist umfassend…

Die Nationalratswahl hat auf institutioneller Ebene eine Verschiebung nach rechts sichtbar gemacht, die auf gesellschaftlicher Ebene in Österreich seit vielen Jahrzehnten manifest ist. In der Tat ist diese Verschiebung der institutionell-politischen Kräfteverhältnisse Ergebnis einer längeren Entwicklung in den Zentrumsländern Europas. Um die Dynamik zu verstehen, gilt es jedoch genauer hinzusehen. Gesellschaftlicher Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind keine Erfindung der rechtspopulistischen Politik von Haider [toter ex-Parteichef der FPÖ], Strache [Parteichef der FPÖ] und nun Kurz [Sebastian Kurz, neuer österreichischer Bundeskanzler, ÖVP], sondern tief verankert in der österreichischen Geschichte. Das Spiel mit rassistischen Ressentiments, nationalsozialistischen Zeichen und antisemitischen Codes ist allgegenwärtig. Dieser gesellschaftliche Rassismus zeigt sich vielfach entkoppelt vom Wahlverhalten. WählerInnen von SPÖ und ÖVP zeigen gleichermaßen ausgeprägte xenophobe, rassistische und antisemitische Einstellungen.[2] In Österreich gibt es strukturell eine konservative bis reaktionäre Mehrheit, die auch durch die SPÖ in den 1970er Jahren nicht gebrochen wurde. Diese Mehrheit brachte sich manchmal mehr oder weniger deutlich und weitgehend zum Ausdruck.
Verschiedentlich wird der Rechtsrutsch in Österreich vorrangig auf gesellschaftspolitischem Terrain namentlich in den Bereichen Rassismus/Fremdenfeindlichkeit, Migrations-, Asyl- und Integrationspolitik diskutiert […]. Das ist wichtig, aber nicht ausreichend. Das Führungspersonal der herrschenden Klasse hat auf der institutionellen Ebene eine bedeutende wirtschaftspolitische Verschiebung nach rechts durchgesetzt. Diese Verschiebung zeigt sich in mehreren Prozessen:
Die neue ÖVP-Führungsriege um Kurz und die ihn stützenden Kräfte gehen in die Offensive. Sie wollen möglichst alle institutionellen Hürden aus dem Wege räumen, die der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der exportorientierten Schlüsselunternehmen noch im Wege stehen. Die Flexibilisierung der Arbeit, die Infragestellung der Kollektivverträge, die Schwächung der Arbeiterkammer sowie der Um- und Abbau der Sozialversicherungen sind Bestandteile eines kohärenten Programms.
Die FPÖ hat sich dieser neoliberalen und neokonservativen Offensive angeschlossen und drückt diese mit ihrem Wirtschaftsprogramm unmissverständlich aus. Ihre soziale Rhetorik hat sie hintenangestellt. Die neokonservative Strömung mit Haimbuchner & Co und dem nach 26 Jahren wieder zum Leben erweckten Atterseer Kreis [liberale Tendenz in der FPÖ] scheint sich in dieser Hinsicht durchgesetzt zu haben. Die FPÖ hat sich mit der EU, namentlich ihrem liberalen Wirtschaftsregime und ihren autoritären Tendenzen, versöhnt. Im ihrem Wahlkampf waren kaum Anti-EU-Töne zu vernehmen. Zugleich üben weder die EU-Spitze noch die Regierungen in Europa Kritik an der Beteiligung der populistischen und reaktionären Rechten an der österreichischen Regierung. Die FPÖ ist nun integrierter Bestandteil des herrschenden Blocks. Mit dem Innenministerium und dem Militärministerium erlangt sie nun die Kontrolle über den Sicherheits- und Repressionsapparat einschließlich der Geheimdienste.
Die „neue ÖVP“ [unter Parteichef Sebastian Kurz] trennt programmatisch nur noch wenig von der rechtspopulistischen FPÖ, die auch von Rechtsextremen durchsetzt ist. Der fremdenfeindliche und rassistische Diskurs von ÖVP und FPÖ passt zu dieser Ausrichtung. Die Rhetorik von Kurz und Strache ist voll von Spaltungslinien: in Einheimische und Zugewanderte, in Junge und Alte, in gut Qualifizierte und LeistungsverweigerInnen, in WienerInnen und Nicht-WienerInnen, in Familien und Alleinstehende. „Ausländer“ kämen um sich soziale Leistungen zu erschleichen. Die ExponentInnen von ÖVP und FPÖ schüren systematisch die Mechanismen der Ausgrenzung und den Geist des Egoismus, um jede Vorstellung gemeinschaftlicher und gesellschaftlicher Infrastruktur und Vorsorge zu unterminieren.

…und Ergebnis einer Entwicklung von Jahrzehnten

Weder die SPÖ noch die Gewerkschaften widersetzen sich konsequent dieser jede Solidarität zersetzenden Mechanik. Das wird sie nachhaltig weiter schwächen. Die SPÖ hat sich mit ihrem Plan A stärker neoliberalen Vorstellungen angenähert. Sie akzeptiert den kapitalistischen Standortwettbewerb und die mit ihm eingehenden sozialen Spaltungen. Sie erinnert in ihren Versuchen wieder Boden unter die Füße zu kriegen, bisweilen rhetorisch an die Reformpolitik Kreiskys [SPÖ-Bundeskanzler zwischen 1970 und 1983]. Doch für eine Korrektur zu einer sozialen Reformperspektive fehlen die aktiven Kräfte in der Partei.
Die Grünen äußern sich zwar gegen den Spaltungsdiskurs, allerdings ohne die zugrundeliegenden wirtschaftlichen Gründe und Herrschaftsmechanismen anzusprechen. Sie haben wenig überraschend auch bei dieser Wahl nicht mit ihrer zunehmend wirtschaftsliberalen Ausrichtung gebrochen. Wenig deutet darauf hin, dass sie diesen Pfad verlassen werden.
Um das Kräfteverhältnis genauer zu bestimmen, dürfen wir nicht nur den gesellschaftlichen Vormarsch fremdenfeindlicher und rassistischer Vorstellungen betonen. Wir müssen die wirtschaftspolitische Einigkeit der Regierungsparteien auf eine wirtschaftsliberale Agenda erkennen, einen Konsens, den auch die SPÖ und die Grünen nicht wirklich angegriffen haben. Allerdings ist es fraglich, inwiefern breite Teile der Bevölkerung und sogar der FPÖ-WählerInnen wirtschaftsliberale Vorstellungen angenommen haben.[3] Breite WählerInnenschichten haben gegen ihre eigenen Interessen gestimmt, weil diese Agenda im Windschatten des lautstarken Anti-Ausländer-Diskurses Einzug hielt. Diesem Diskurs gilt es vehement entgegenzutreten, jedoch ist der Fokus auf die massive Verschärfung der sozialen Probleme zu richten, die mit der neokonservativen Politik einer kommenden Regierung eintreten werden. Damit lässt sich an der Skepsis in breiten Teilen der lohnabhängigen Bevölkerung gegenüber wirtschaftsliberalen Konzepten anknüpfen.
Das Projekt der neokonservativen ÖVP-FPÖ Regierung ist umfassend. Es geht darum, im Schatten der deutschen Exportmaschinerie die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Industrie substantiell zu verbessern. Das Bürgertum will ein wesentlich kapitalfreundlicheres Arbeitsregime durchsetzen. Das ist die Voraussetzung um im Wettstreit mit den Konkurrenten den unersättlichen Hunger nach Mehrwert zu stillen. Offensichtlich sind gewichtige Teile der Eliten dieses Landes zum Schluss gekommen, dass hierzu nun anderes Projekt, als jenes wofür die Regierungskoalition ÖVP-SPÖ von 2006 bis 2017 stand, durchzusetzen ist. Grundlegende soziale und demokratische Errungenschaften, welche die ArbeiterInnenbewegung nach dem 2. Weltkrieg erreichen konnte, sind zu zerstören oder, eleganter, zur Unkenntlichkeit umzuformen. Die Sozialdemokratie soll ihre Integrationsleistung derzeit besser in der Opposition ausüben. Die Mechanismen der Sozialpartnerschaft scheinen nicht mehr als zweckmäßig erachtet zu werden.
22. Dezember 2017
Fussnoten
[1] Wir verwenden hier den Begriff neokonservativ, um auszudrücken, dass die Programmatik dieser Regierung wirtschaftsliberale Vorstellungen mit einer gesellschaftlich konservativen, autoritären und reaktionären Programmatik verbindet. Der Begriff neoliberal wäre nicht vollständig treffend und charakterisiert beispielsweise eher die Programmatik der Partei Neos.
[2] OTS, 9. November 2001: Ursachen der Fremdenfeindlichkeit in Österreich: Autoritarismus und Antisemitismus https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20011109_OTS0006/ursachen-der-fremdenfeindlichkeit-in-oesterreich-autoritarismus-und-antisemitismus
[3] Tanja Traxler: FPÖ-Wähler stehen ökonomisch weiter links als die Partei. Der Standard, 21. Dezember 2017  http://derstandard.at/2000070788364-2000020665585/FPOe-Waehler-stehen-oekonomisch-weiter-links-als-die-Partei.

Verwandte Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert