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Österreich: Antikapitalistische Perspektiven entwickeln (Teil 3)

Die Nationalratswahl vom 15. Oktober 2017 hat in aller Deutlichkeit gezeigt, dass es in Österreich keine relevante linke Kraft gibt, weder eine, die konsequent für soziale Reformen einsteht noch eine, die einen Aufbruch für eine antikapitalistische Perspektive formulieren will. Die antikapitalistische Linke steht nun vor der Herausforderung die Diskussionen über die Widerstandsperspektiven gegen die neokonservative Regierung anzuregen. Zugleich braucht es Vorschläge für einen Neuformierungsprozess der Linken und den Aufbau einer antikapitalistischen Organisation. Für die Entwicklung solcher Debatten sind viele kollektive Prozesse des Nachdenkens und Austausches erforderlich. Einen Beitrag dazu leistet der dritte Teil der Analyse zur Situation in Österreich. (Red.)
Von Verena Kreilinger und Christian Zeller; aus aufbruch-salzburg.org
Das Wahlresultat der KPÖ PLUS mit 0,8% bundesweit ist ernüchternd. Vor allem in Wien und in der Steiermark, wo es linke Milieus gibt und die Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) eine gewisse Basis verfügt, müssen die bescheidenen Stimmen zu denken geben. Ohne tatkräftige Unterstützung durch die Jungen Grünen hätte es die KPÖ in den westlichen Bundesländern Salzburg, Tirol und Vorarlberg wohl nicht mal geschafft, einen Wahlkampf zu bestreiten. Das Bündnis mit den Jungen Grünen brachte keine neue Dynamik, hat aber wohl dazu beitragen, dass die KPÖ immerhin noch sichtbar blieb und auf Wahlebene nicht komplett unterging.
Warum erlitt die KPÖ gerade in ihren „Hochburgen“ in Graz und einigen Gemeinden in der Steiermark so starke Verluste? Sie büßte mancherorts zwei Drittel ihrer Stimmen ein. Das deutet darauf hin, dass die langjährige Konzentration der KPÖ Steiermark auf lokale Themen und ihre konsequentere Stellvertreterpolitik noch nicht wirklich dazu führt, sich eine stabile gesellschaftliche Basis zu erarbeiten.

Weder gesellschaftlich noch auf Wahlebene existiert eine alternative Kraft

Leider haben weder die KPÖ noch die Jungen Grünen wirklich eine offene und bewegungsorientierte Kandidatur angestrebt. Die Hoffnung der Jungen Grünen den noch verbliebenen Miniapparat der KPÖ zu nutzen und die Hoffnung der KPÖ endlich mal auch mit jungen Leuten was zu tun haben können, schien die Grundlage für diese auf den ersten Blick merkwürdige Symbiose gewesen zu sein. Der Wahlkampf der KPÖ PLUS war in Inhalt und Form konventionell und klassisch sozialdemokratisch, also genau das, was die SPÖ selber nicht mehr vertritt. Die Botschaft war denkbar einfach: wählt uns, wir vertreten euch besser als die anderen, besser als die SPÖ, Pilz [Wahlprojekt rund um den ehemaligen Grünen-Abgeordneten Peter Pilz] und die Grünen. Wie in langer sozialdemokratischer und bisweilen kommunistischer Tradition erhielt man den Eindruck, bei der Nationalratswahl gehe es um eine rein innerösterreichische Angelegenheit. Nicht einmal die ungleiche Entwicklung in Europa war ein Thema. Die WahlkämpferInnen der KPÖ PLUS nutzten den Wahlkampf kaum dazu, um zu erklären, dass nur starke soziale Bewegungen, die eigene Organisierung und das persönliche Einmischen dazu beitragen, das Kräfteverhältnis zu verändern. Zu Rassismus und Migration äußerte sich die KPÖ PLUS in ihrem Wahlkampf kaum. Sollte die Wahlkampfleitung dieses Thema aus taktischen Gründen nicht wirklich konsequent angesprochen haben, zeigt sich auch, dass solche Überlegungen wahltaktisch nutzlos sind. Das zentrale Problem besteht jedoch nicht in der besseren oder weniger guten Wahlkampagne, sondern es stellt sich die Herausforderung, herauszufinden, wie Angehörige der arbeitenden Klasse, unabhängig von Passfarbe, Geburtsort und Geschlecht, eine gemeinsame gesellschaftliche und politische Praxis entwickeln können. Ein linker Wahlkampf sollte dazu dienen, genau eine solche gemeinsame Praxis zu befördern.
Die im Juni 2016 formierte politische Bewegung Aufbruch verabschiedete sich im Winter und Frühjahr 2017 selber aus den Debatten um die Formierung einer linken Bündniskandidatur bei der Nationalratswahl und damit auch vom Anspruch wirklich in die politischen Prozesse eingreifen zu wollen. Die bewegungsorientierten und antikapitalistischen Reflexe von Aufbruch hätten zwar eine gemeinsame linke Kandidatur qualitativ leicht verbessert und auch das Resultat wäre wahrscheinlich ähnlich bescheiden gewesen. Allerdings hätte eine offene linke Bündniskandidatur als Verlängerung vieler Engagierter in der Flüchtlingssolidarität, der Kampagnen gegen Rechts, einiger weniger betrieblicher Auseinandersetzungen und der System Change not Climate Change-Bewegung sowie als Ausdruck eines internationalen Kampfes gegen Ausbeutung und imperialistische Dominanz wichtige politische Impulse setzen können. Solche Impulse sind nötig, um die politischen Auseinandersetzungen und Debatten voranzubringen. Wir werden uns dafür einsetzen, dass Aufbruch einen nützlichen Beitrag zur Organisierung von Debatten, Aktivitäten und Bündnissen leistet, welche antikapitalistische Perspektiven bestärken.
Die KPÖ und die Jungen Grünen überlegen sich bereits an kommenden Landtags- und Gemeinderatswahlen abermals mit der „Marke“ KPÖ PLUS anzutreten. Im Stile eines platten Politmarketings scheinen sie davon auszugehen, dass sie auf diese Weise Stimmen von Unzufriedenen ernten könnten. Genau das liefe darauf hinaus, so weiter zu machen wie bisher. Weitere KPÖ PLUS-Kandidaturen würden mit großer Wahrscheinlichkeit wieder zu ähnlichen Ergebnissen führen. Die mangelnde politische Perspektive würde damit einfach mit oberflächlichen Wahlkampagnen übertüncht. Sie brächten damit ein rein instrumentelles Verhältnis zu den verschiedenen Milieus, die sie zu repräsentieren vorgeben, zum Ausdruck. Das wäre klassisch sozialdemokratische Politik, allerdings auf 1% Niveau. Auf diese Weise würden KPÖ und Junge Grüne sich aus den Bemühungen um den Neuaufbau- und Neuformierungsprozess der Linken verabschieden und stattdessen kurzfristige Organisationsziele in den Vordergrund stellen. Die Teilnahme linker Bündnisse an Wahlen kann sinnvoll sein und zwar dann, wenn diese Bündnisse dazu beitragen, politische Klärungsprozesse voranzutreiben und Beschäftigte, Jugendliche, Frauen und MigrantInnen dazu ermuntern, sich aktiv einzumischen.
[…]
Vor allem in den links urbanen Milieus in Wien scheint das Ausmaß des politischen und gesellschaftlichen Zerfalls der bisherigen ArbeiterInnenbewegung und der politischen Kräfte, die für eine radikale Reformierung oder gar Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft eintreten, stark unterschätzt zu werden. Wir müssen uns eingestehen, dass eine historische Phase der ArbeiterInnnenbewegung, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit den revolutionären Erhebungen und der russischen Revolution ihren Anfang nahm und während vieler Jahrzehnte durch die sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien geprägt wurde, zu Ende gegangen ist. Die sozialdemokratischen und kommunistischen Traditionen sind nur noch das schale Echo vergangener Zeiten, Illusionen, krimineller und degenerierter Praktiken. Leider können wir höchstens ansatzweise Kennzeichen einer neuen Phase erblicken. Das sind kleine Ansätze der Selbstaktivität und der Selbstorganisierung wie sie sich in den sozialen Bewegungen der letzten Jahre in Europa zeigten.

Aufbau einer unabhängigen Kraft, die sich an den Interessen der Lohnabhängigen orientiert…

Anstatt inhaltlich flache Wahlkampagnen im Stile von KPÖ PLUS zu wiederholen oder ein solidarisches Lager herbeizuschreiben, schlagen wir demgegenüber eine Orientierung auf die Klasse der Lohnabhängigen in ihrer ganzen Vielfalt und Unterschiedlichkeit sowie eine längerfristig ausgerichtete Organisierungsarbeit vor. Die Lohnabhängigen, Deklassierten, Prekären, KleinstunternehmerInnen, MigrantInnen und die große Mehrheit der Frauen brauchen eine Organisation, die ihnen mit Rat und Tat beisteht, die sie unterstützt und die versucht, ihr Sprachrohr in der ihnen fremden Welt tendenziell autoritärer Institutionen zu sein. Eine solche Organisation fehlt seit vielen Jahrzehnten. Das ist bereits so lange her, dass das Bewusstsein über die Nützlichkeit einer solchen Organisation erloschen ist.
Aus der Perspektive der Emanzipation der arbeitenden Klassen besteht ein fundamentales Problem, dass sich in Österreich ganz besonders zeigt. Die Integration der Sozialdemokratie in die Verwaltung des kapitalistischen Herrschaftssystems ist in einem Maße vorangeschritten, dass es kaum mehr Ansätze einer eigenständigen politischen Organisierung von Lohnabhängigen gibt, um als unabhängige Akteure für ihre Interessen als soziale Klasse einzustehen. Die langjährige Sozialpartnerschaft beförderte nicht die eigenständige Handlungsfähigkeit von Gewerkschaften, sondern ihre Bürokratisierung, Verkrustung und Integration in die Verwaltung kapitalistischer Herrschaftsstrukturen. Die Verankerung der Gewerkschaften in den Betrieben ist brüchig geworden. In den neuen Wirtschaftssektoren sind sie kaum präsent. Darum sind sie kaum mehr streikfähig und beschränken sich auf die Interessenvertretung in den Institutionen. Als eigenständige politische Akteure im Dienste der Lohnabhängigen treten sie nur noch punktuell auf. Eine gewerkschaftliche Erneuerungsbewegung im Sinne eines „social movement unionism“ fehlt. Gewerkschaften, die sich als soziale Bewegungen verstünden, die alle lebensweltlichen Belange der Beschäftigten aufgriffen, also von den Problemen am Arbeitsplatz über die Wohnung und das Wohnumfeld, den täglichen Verkehr bis hin zur freien Zeit, würden die Situation bereits stark verändern. Sie könnten ein attraktiver Bezugspunkt für eigene Aktivitäten und ein Labor für neue Ideen sein. Leider sind die Gewerkschaften gegenwärtig weit von einer derartigen Orientierung als umfassende soziale Bewegungen entfernt.
Sowohl die reformerische Linke und erst recht die antikapitalistische Linke agieren aus einer deutlichen Minderheitenposition heraus. Zudem sind die linken Kräfte fragmentiert. Es gibt derzeit nur ein ideelles ,aber kein reales „linkes Subjekt“. Es gibt keine eigenständige gesellschaftliche und politische Kraft, die sich als Ausdruck der Interessen der Klasse der Lohnabhängigen versteht.
Selbstverständlich muss jede emanzipatorische Perspektive auch danach trachten, gesellschaftliche Mehrheiten zu erringen. Das kann jedoch nur im Zuge umfassender gesellschaftlicher Auseinandersetzungen geschehen. In einer Widerstandsperspektive und ausgehend von einer anfänglich schwachen Minderheitsposition kann es immer wieder möglich sein, im Zuge großer Mobilisierungen und angemessener Bündnisse sich auf einzelnen Fragen durchzusetzen und gesellschaftliche Mehrheiten zu erringen. Das ist wichtig, um das grundlegendere Kräfteverhältnis zu verändern und hegemonial zu werden.

…und konsequent antirassistisch ist

Eine wichtige Hürde auf diesem Weg ist die gesellschaftliche und politische Fragmentierung der arbeitenden Bevölkerung und ganz besonders das tief verankerte fremdenfeindliche und rassistische Bewusstsein. Die soziale Frage sei mit einer antirassistischen Perspektive zu verbinden, argumentieren [viele Linke]. Das teilen wir. Dem Rassismus und der damit einhergehenden spaltenden Logik muss eine antikapitalistische Linke etwas entgegensetzen, gleichzeitig darf sie aber nicht in dieselbe Logik verfallen und besonders benachteiligte Lohnabhängige über ethnische und nationale Kategorien ansprechen. Es mag 700’000 MuslimInnen in Österreich geben und der Anteil der Bevölkerung mit sogenanntem Migrationshintergrund beläuft sich auf rund 20%. Die Interessen dieser Menschen sind jedoch ähnlich divers wie die der autochthonen Bevölkerung. Die Zuschreibung einer gemeinsamen Identität, die sich negativ aus dem Erleben von Ausgrenzung und Diskriminierung ergibt, reproduziert Kollektivität entlang nationaler und religiöser Zugehörigkeit. Das erschwert es gemeinsame soziale Probleme zu benennen und gemeinsame Erfahrungen zu erleben.
Ausgehend vom Befund, dass die österreichische Gesellschaft stark fremdenfeindlich ist und war, ist zu überlegen, wie Lohnabhängige unabhängig von ihrem Geburtsort, ihrer Passfarbe und ihrem Geschlecht solidarische Erfahrungen auf alltäglichen Herausforderungen an ihrem Arbeitsort, an ihrem Wohnort, im öffentlichen Raum und in ihrer Freizeit machen können. Zugleich ist auf all diesen Felder hartnäckig jeglichen rassistischen Tendenzen entgegenzutreten. Die Herausforderung ist schwierig. Es geht darum zu überlegen, wie individualisierte Lohnabhängige, die aufgrund ganz unterschiedlicher persönlicher Erfahrungen, Laufbahnen und Sozialisierungsprozessen lernen, sich gemeinsam zu artikulieren und als politische Subjekte aufzutreten. Hierfür gibt es keine Rezepte. Wie andere fragen wir uns auch, „warum sich so wenige Menschen, die selbst von Rassismus betroffen sind, in der Linken engagieren – und wie wir das ändern können.“[1] Dieselbe Frage ist allerdings für alle Benachteiligten zu stellen. Die Linke spricht hier fast immer nur „über“, selten „mit“ und fast nie „durch“ die Betroffenen. Es geht also darum, die Betroffenen dazu anzuregen, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen.
22. Dezember 2017. Die Weiterführung der Analyse ist unter aufbruch-salzburg.org einsehbar. Dabei wird noch konkreter auf die Herausforderungen eines neuen antikapitalistischen Projekts eingegangen.
Fussnoten:
[1] Mosaik-Redaktion: Zeit für einen Neustart: fünf Thesen zur Wahl, 23. Oktober 2017: http://mosaik-blog.at/nationalratswahl-2017-thesen-mosaik-linker-neustart/

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