Menu Schließen

Gesundheitskosten in der Schweiz: Das Problem ist die Finanzierung, nicht die Höhe der Kosten (I)

Wir sind erneut mit politischen Manövern zum Thema der Gesundheitskosten und der finanziellen Belastung durch die Krankenversicherung konfrontiert. Dies ist sowohl eine Wiederholung der letzten Jahre, als auch eine neue Situation. Eine Wiederholung deswegen, weil es immer noch fast die alte Leier ist. Eine neue Situation, weil der finanzielle Druck durch die Erhöhung der Krankenkassenprämien immer mehr weh tut. Bürgerliche Kreise, Versicherungen und das Gesundheitsbusiness setzten auf diesen Hebel, um ihre Vorstellungen durchzusetzen. Vor diesem Hintergrund publizieren wir eine Artikelserie, in der wir einige der Argumente der laufenden Debatte nochmals prüfen.

von Benoit Blanc; aus alencontre.org

Der dominierende Diskurs – von den Versicherungen bis zu Bundesrat Alain Berset (SP) – stützt sich auf folgendes Argument: Die Krankenkassenprämien widerspiegeln einzig die reellen Gesundheitskosten. Zur Beendigung der Explosion dieser Kosten muss man also das Wachstum der Gesundheitsausgaben bremsen.
Das scheint Sinn zu machen. Es ist aber eine Irreführung, die diejenigen, die eine soziale Krankenversicherung und ein öffentliches Gesundheitssystem verteidigen, in eine Sackgasse führt.
In Wirklichkeit liegt der Hauptgrund dafür, dass die Krankenkassenprämien für den grössten Teil der Bevölkerung eine unerträgliche Höhe erreicht haben, im Beitragssystem des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG). Dieses unsoziale System setzt bekanntlich auf einkommensunabhängige Kopfprämien.

Was eine AHV-artige Finanzierung ermöglichen würde

Im Jahr 2016 beliefen sich die KVG-Prämien auf insgesamt 28,7 Milliarden Franken. Von dieser Summe wurden etwa 4,3 Milliarden durch öffentliche Subventionen für die Prämienverbilligung gedeckt. Damit mussten die Haushalte noch etwas mehr als 24 Milliarden Franken bezahlen.
Im selben Jahr beliefen sich die AHV-Beiträge (der UnternehmerInnen und Lohnabhängigen zusammen) auf 30,8 Milliarden Franken. Anders gesagt: Lohnabhängige Sozialabgaben in der Höhe von ¾ der AHV-Abgaben hätten genügt, um die zu Lasten der Haushalte gehenden Krankenkassenprämien zu finanzieren. Das entspräche einem Lohnabzug von 3,5 Prozent – vorausgesetzt die UnternehmerInnen würden einen gleich hohen Beitrag zusteuern (einen sogenannten Arbeitgeberanteil).
In der Mehrheit der europäischen Länder – mit Ausnahme jener Länder, die das Gesundheitswesen mit Steuern finanzieren – erfolgt die Finanzierung der Krankenversicherung mit Sozialabgaben in Form von solchen Lohnprozenten. Konkret könnte bei einem solchen Finanzierungsmodell in der Schweiz ein Paar mit zwei Kindern und einem monatlichen Gesamteinkommen von 10.000 Franken mit einem Beitrag von 350 Franken pro Monat die ganze Familie versichern. Im Gegensatz dazu bezahlt ein solches Paar heute locker 900 bis 1000 Franken (für eine detailliertere Analyse dieser Frage siehe hier).

Erneuter Kampf für eine solidarische Finanzierung der Krankenversicherung

Egal was die sogenannten „Expert*innen“ und Politiker*innen sagen: Diese Zahlen und eine einfache Dreisatzrechnung beweisen, dass das dringendste Problem – jenes der Krankenkassenprämien – nicht aus den Gesundheitskosten resultiert, sondern aus dem derzeitigen Finanzierungsmechanismus der Krankenversicherung.
Die Rechten und die UnternehmerInnen sind wohlgemerkt immer auf die Barrikaden gegangen, um jeglichen Vorschlag in Richtung einer sozialen Finanzierung der Krankenversicherung abzublocken, und sie haben bis dato in dieser Frage immer erdrutschartige Siege eingefahren. Ihre Haltung ist verständlich: Eines der strategischen Ziele der Schweizer Bürgerlichen ist es, die Sozialversicherungen auf einem mickrigen Entwicklungsstand zu halten, weil dies für sie das entscheidende Mittel zur Reduzierung der sogenannten „Sozialkosten“ [Soziallohn] darstellt. Der Grundsatzkampf um einen minimalen Vaterschaftsurlaub ist das neueste Erscheinungsbild dieser Obsession.
Aus demselben Grund wird es aber für die Mehrheit der Bevölkerung bei der Krankenversicherung und darüber hinaus in der Finanzierung der medizinischen Versorgung so lange keine Lösung zu ihren Gunsten geben, als sie sich weigert, diesen – zwangsläufig langatmigen – Kampf für ein öffentliches, durch Sozialabgaben finanziertes Krankenversicherungssystem, zu führen. Dies nicht zu tun, ist gleichbedeutend damit, sich in Bezug auf die Krankenversicherung selbst zur Bedeutungslosigkeit zu verdammen (Fortsetzung hier).


Übersetzung durch RZ.

Verwandte Artikel

4 Kommentare

  1. Pingback:Schweiz: Spitäler weiter geschröpft, Pflegende noch stärker unter Druck | Maulwuerfe

  2. Pingback:Gesundheitskosten in der Schweiz: Aus der Explosion die Luft rauslassen (II)

  3. Pingback:Die AHV als Vorbild für die soziale Finanzierung des Gesundheitswesens

  4. Pingback:Ja zur Prämien-Entlastungs-Initiative, Nein zur Kostenbremse-Initiative

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert