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Palästina: Why Israel kills

Seit März dieses Jahres, gibt es an der Grenze von Gaza regelmässig Proteste im Rahmen des „Marsches der Rückkehr“. Dabei tötet das israelische Militär wiederholt Protestierende. Auch am Dienstag 15. Mai 2018 kam es wieder zu Protesten. Es war der Gedenktag der Nakba (dt. Katastrophe; Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung zur Staatsgründung Israels 1948) und am gleichen Tag wurde in Jerusalem das neu-verlegte US-Konsulat eingeweiht, welches zum Teil auf palästinensischem Gebiet, Ost-Jerusalem, steht. Die Repression des israelischen Militärs forderte an diesem Tag über 60 Tote sowie über 2000 Verletzte. Unbewaffnete protestierende Menschen jeden Alters. Insgesamt wurden mittlerweile über 100 Menschen im Rahmen dieser Proteste getötet. Angesichts dieser Eskalation veröffentlichen wir hier einen Artikel aus dem Jacobin Magazin, erschienen im April 2018, zur Strategie und Zukunft des unbewaffneten Widerstandes in Palästina. (Red.)
von Bashir Abu-Manneh; aus jacobinmag.com
Der gewaltfreie Kampf gegen gewalttätige Besatzer ist politisch wirksam. Deshalb fürchtet und unterdrückt Israel diesen.
Die Proteste in Gaza, bei denen mehr als zwanzig Palästinenser*innen getötet [mittlerweile sind es dutzende mehr, Anm. d. Red.] und erneut mehrere verletzt wurden, haben die Welt an einige wichtige Fakten erinnert. Achtzig Prozent der Bevölkerung Gazas sind Flüchtlinge, die vertrieben wurden, um im Jahr 1948 Platz für die Gründung Israels zu machen. Die Gazaner*innen bleiben unter der militärischen Besatzung Israels und werden immer noch von ihren Besatzern getötet. Und schliesslich werden sie weiterhin von allen Seiten belagert, vor allem von Israel, aber auch von Ägypten. Sie werden daran gehindert, aus dem am dichtesten besiedelten Ort der Erde frei ein- und auszureisen, ein normales Leben zu führen und in Würde und Sicherheit ohne israelischen Staatsterror zu leben.
Der Anblick von Scharfschützen der israelischen Armee, die beiläufig friedliche Demonstrant*innen (manchmal von hinten) erschiesst, war für die israelische Propagandamaschine schwer zu verdrehen. Es ist für alle klar, dass die Demonstrant*innen keine militärische oder sicherheitspolitische Bedrohung für Israel darstellen. Es ist auch klar, dass diese Grenzdemonstrationen von der Bevölkerung ausgehen und dass sie trotz Israels lautstark artikulierter und vorsätzlicher Mordpolitik viele Menschen in Gaza mobilisiert haben – nicht nur Anhänger*innen der Hamas.
Der gewaltfreie Widerstand gegen gewalttätige Besatzer*innen ist politisch wirksam. Deshalb fürchtet und unterdrückt Israel ihn und versucht den Widerstand in eine gewaltsame Konfrontation zu treiben. (Wie im Jahr 2000, in den ersten Wochen der „zweiten Intifada“, in der eine Million Kugeln gegen unbewaffnete Demonstrant*innen abgefeuert wurden.) Gewaltfreier Widerstand verändert die vorherrschende Erzählweise vom Kampf der Besatzer*innen gegen den Terrorismus hin zu einem antikolonialen Widerstand gegen die Besatzung. Sie benutzt ein Instrument des Widerstands, das sich nicht leicht verteufeln lässt (im Gegensatz zu Hamas-Raketen, palästinensischen Selbstmordattentaten oder Operationen gegen zivile israelische Ziele, die sowohl sinnlos als auch moralisch inakzeptabel sind).
Gewaltfreie palästinensische Proteste haben eine zusätzliche Eigenschaft. Sie spalten die israelische Gesellschaft innerlich, anstatt sie in Hass und Gewalt zu vereinen und untergraben strategisch die Wirksamkeit von Israels bevorzugtem politischen Klebstoff: dem antiarabischen Rassismus. Während ich schreibe, hat die israelische Menschenrechtsorganisation B’Tselem eine beispiellose Kampagne mit dem Ziel gestartet, israelische Soldaten, dazu zu bewegen, illegale Befehle zum Erschiessen unbewaffneter Demonstranten zu verweigern.
Wenn also populäre Massenproteste extrem effektiv sein können, warum wurden sie dann so lange zu wenig praktiziert? Es gibt mehrere Gründe dafür:
Erstens: Die Palästinenser*innen in den besetzten Gebieten haben schon einmal unbewaffneten Widerstand versucht. Die erste Intifada 1987 war, wie Edward Said sagte, „einer der aussergewöhnlichsten antikolonialen und unbewaffneten Massenaufstände in der gesamten Geschichte der Neuzeit“. Eine ganze Gesellschaft mobilisierte sich und organisierte sich selbst, nicht nur um der israelischen Herrschaft und Besatzung entgegenzuwirken, sondern auch um aktiv alternative Selbstverwaltungsstrukturen aufzubauen. Frauen, Studierende, Lehrer*innen und Arbeiter*Innen formulierten unabhängige Widerstandsformen (Streiks, Demonstrationen, Steuerboykotte usw.), die es ihnen erlaubten, dem israelischen Würgegriff um ihr Leben entgegenzuwirken. Die Arbeiter*innen erkannten, dass die israelische Wirtschaft massiv von der billigen Arbeitskraft der palästinensischen Migrant*innen abhängig war, was ihnen Einfluss auf die israelische Besatzungsgesellschaft gab. Israelische Friedensaktivist*innen, die dem Beispiel palästinensischer Aktivist*innen folgten, organisierten sich aktiv gegen das Besatzungsregime des Landes.
Aber die brutale israelische Unterdrückung, eine Politik der Einschliessung und Ausgangssperren, und eine palästinensische Befreiungsorganisation (PLO), die verzweifelt nach einem Stück Land suchte, welches sie regieren könnte vereinten sich damals gegen den Erfolg des Aufstandes. Die PLO arbeitete hart daran, die Kontrolle über diese spontane Revolte zu erlangen, ihre Selbstorganisation zu deformieren und sie gegen das enge, eigennützige Ziel der diplomatischen Anerkennung auszutauschen. Die Kapitulation bei den Osloer Abkommen Mitte der 1990er Jahre – welche die israelische Anerkennung der PLO gegen die Anerkennung Israels durch die PLO und internationale Resolutionen zum Schutz der palästinensischen Kernrechte eintauschte – eröffnete einen neuen Status quo, der durch repressive Selbstkontrolle, Demobilisierung und Sicherheitskoordination mit einem territorial hungrigen Besatzungsregime gekennzeichnet war.
Unter solchen Bedingungen expandierte und vertiefte sich die israelische Besatzung und liess die Palästinenser*innen mit immer kleineren, unverbundenen und zerstreuten Landstrichen ihren Lebensunterhalt bestreiten. Mit einer bereits schwachen internationalen Solidarität – und Israels neu erworbener internationalen Stellung als Friedensstifter – war es für die palästinensische Selbstbestimmung schwer, die nötige Unterstützung zu finden.
Zweitens: Das Scheitern der ersten Intifada und des Osloer Abkommens löste eine Welle des politischen Zynismus aus. Während die regierenden Eliten Palästinas profitierten, erlebte die überwältigende Mehrheit der besetzten Palästinenser*innen eine Verschlechterung der sozioökonomischen Bedingungen. Die Siedlungen wuchsen, die Abschottung wurde intensiviert, die Bewegungsfreiheit nach innen und aussen eingeschränkt oder blockiert. In diesen verzweifelten Zeiten hatten viele Palästinenser*innen das Gefühl, nur durch Selbstmordattentate direkt an ihre Besatzer*innen (welche die grossen Städte in den Händen der repressiven Sicherheitsapparate der Palästinensischen Autonomiebehörde gelassen hatten) heranzukommen. Palästinensische Fraktionen begannen, diesen bewaffneten Widerstand zu fetischisieren. Das organisierte individuelle Martyrium nahm zu. Obwohl diese gewalttätige Taktik die israelische Sicherheits- und Besatzungspolitik aufsprengte, schadete sie der palästinensischen Gesellschaft selbst und ihrem internationalen Image. Israels Staatsterror wurde, im Einklang mit dem weltweiten Kampf gegen den islamischen Terrorismus nach dem 11. September 2001, noch härter entfesselt.
Drittens: Als den Palästinenser*innen 2006 freie Wahlen erlaubt wurden, stimmten sie gegen den Status quo und für die Hamas, die wichtigste Oppositionspartei. Aber während die demokratischen Wahlen die palästinensische Antwort auf die Intensivierung der Besatzung und die Unterdrückung und Marginalisierung durch die Osloer Abkommen war, lehnten Israel und seine westlichen Verbündeten sie ab, boykottierten sie und nahmen viele palästinensische Abgeordnete gefangen. Selbst als die Palästinenser*innen versuchten, ihren Zynismus zu überwinden und am politischen Prozess teilzunehmen, wurden sie blockiert und unterdrückt und zu ihren korrupten Osloer-Unterhändler*innen zurückgeworfen.
Schliesslich: Wenn Oslo die palästinensische Gesellschaft spaltete, versuchte Israel, diese Spaltungen durch seine Sicherheitskoordination mit der Palästinensischen Autonomiebehörde und durch seine Politik der Isolierung des Gazastreifens und seiner Abtrennung vom Westjordanland hin zu gewalttätigen Ausbrüchen zu schüren. Die Verschärfung des palästinensischen Konflikts führte schliesslich zur gewaltsamen Übernahme des Gazastreifens durch die Hamas im Jahr 2007 und zur Verbannung des Sicherheitsapparats der Palästinensischen Autonomiebehörde. Die Spaltung hält mittlerweile mehr als ein Jahrzehnt an. Die Hamas trägt auf der einen Seite den alten Mantel des bewaffneten Kampfes, der 1988 von der Fatah (der stärksten Gruppe in der PLO) aufgegeben wurde; die Fatah auf der anderen Seite trägt den Mantel der endlosen bürokratischen Diplomatie und Konzessionen.
Versöhnung scheint unmöglich: Sowohl die Hamas als auch die Fatah sehen darin ein Rezept für den Verlust von Macht und Position. Beide unterdrücken die interne Opposition und verankern autoritäre Regierungsformen. Beide haben es nicht geschafft, das Leben der besetzten Palästinenser*innen zu verbessern. Beide haben den palästinensischen guten Willen mit leeren Versprechungen über Unabhängigkeit und Befreiung erschöpft. Eine Sackgasse ist erreicht. Daher ist es unvermeidlich festzustellen, wie einige palästinensische und arabische Kommentator*innen das vor kurzem getan haben, dass sowohl der bewaffnete Kampf als auch die Friedenserlangung von Oslo gescheitert sind.
Eine neue Strategie des Kampfes ist notwendig – eine neue demokratische Politik, die auf den enormen Ressourcen des palästinensischen Volkswillen aufbaut. Selbstorganisierter Widerstand ist die beste Hoffnung auf Gerechtigkeit. Seine Macht zeigte sich in den Massenprotesten gegen Israels neue Repressionsmassnahmen um die Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem Anfang des Jahres. Und das zeigt sich heute augenscheinlich in Gaza.
Wird der siebzigste Jahrestag der Nakba die Rückbesinnung auf das Potential des massenhaften politischen Handelns bringen? Wird die Welt beistehen? Wird der palästinensische Kampf aus dem Blickfeld der westlichen Öffentlichkeit verschwinden, wenn es keine bewaffneten Angriffe von Palästinenser*innen gibt? Werden Solidaritätsaktivist*innen ihre Mitbürger*innen mit der Botschaft erreichen können, dass die Schrecken in Palästina endlich ein Ende haben müssen?
Die palästinensische Existenz in Palästina dreht sich um die Antworten auf diese Fragen.
Übersetzung durch die BFS.

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