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Entwicklungszusammenarbeit: Wer entwickelt wen und wieso eigentlich?

Was bedeutet «Entwicklungszusammenarbeit» (EZA)? Ist sie über alle Zweifel erhaben, und sind es nur die Ecopop-Initiant*innen, die sie für ihre rassistischen Zwecke missbrauchen wollen? Eine historische und politische Verortung der EZA.

von Dora Meier* und Marianne Klopstock; aus Antidot

Im 17. Jahrhundert wurde der Begriff Entwicklung im Sinne von «auf- und auseinanderwickeln» gebraucht. Später bekam er immer mehr die Bedeutung von «sich entfalten». Seit den 1920er-Jahren wird der Begriff «entwickeln» als «sich stufenweise herausbilden» oder laut Duden im Jahr 1976 «in einem Prozess fortlaufend in eine neue (bessere) Phase treten» definiert.
Der Begriff «Entwicklungshilfe» entstand 1961 mit der Gründung der OECD (Organisation für Internationale Zusammenarbeit und Entwicklung), welche bis heute ei ne wichtige Koordinationsstelle zwischen den «Entwicklungsakteuren» der Länder des Nordens ist.
Während der Zeit der Kolonialherrschaften wurde «Entwicklungsfähigkeit» biologistisch an vermeintliche Rassen und sozialgeografisch an Weltregionen geknüpft. Mit Beginn der «Entwicklungspolitik und -hilfe» in den 1950/60er-Jahren wurde diese Einteilung der Welt übernommen, ohne dass jetzt noch von Rasse gesprochen wurde. Die Grundstruktur des kolonialen Diskurses, die Zweiteilung der Welt in zivilisiert und unzivilisiert, wurde beibehal­ten. Laut dem postkolonialen Theoretiker Aram Ziai bezog sich die Differenz in der Mitte des 20. Jahrhunderts auf entwickelt/ unterentwickelt und es wurde nicht mehr von Menschen, sondern von Regionen gesprochen; Minderwertigkeit war nicht mehr biologisch, sondern historisch begründet, jedoch immer noch im globalen Süden verortet. Referenzpunkt blieb und bleibt die westliche «entwickelte» Industriegesellschaft beziehungsweise der reiche weisse Mann. So konnten – und können heute nach wie vor – die rassistischen und (neo)kolonialen Strukturen im Hintergrund unkritisch weiterarbeiten.

Entwicklung in der «Entwicklungszusammenarbeit»

In den 1960/70er-Jahren kam durch die Dependenztheorie erstmals grundlegende Kritik am Kapitalismus und den kolonialistischen Strukturen in die Diskussion um «Entwicklungszusammenarbeit». Geprägt von der Systemkonkurrenz im Kalten Krieg, den vielzähligen antikolonialen und antidiktatorischen Befreiungskämpfen und linken Solidaritätsbewegungen, wurden bis in die 1980er-Jahre die Diskussionen um «Entwicklung» bis in die entwicklungspolitischen Institutionen hinein politisch geführt.
Mit dem Ende der Sowjetunion und der Denunzierung linker Theorie ist auch der entwicklungspolitische Mainstream in den 1990er-Jahren auf die neoliberale Linie eingeschwenkt: Das betriebswirtschaftliche Effizienz-Gebot wurde auf alle gesellschaftlichen Bereiche übertragen, der Abbau von staatlichen Aufgaben und Pflichten vorangetrieben, und an die Stelle sozialer Bewegungen trat eine finanziell abhängige «Zivilgesellschaft».
Die politischen Macht- und Interessenkonflikte wurden durch die angebliche Versachlichung von Problemen verschleiert. Armut, Kriege und Umweltzerstörung mutierten so zu Sachproblemen, die an runden Tischen zu lösen seien. Geführt von einer Heerschar bestens bezahlter EZA-Berater*innen, die den internen Diskurs der «Entwicklungszusammenarbeit» perfekt beherrschen.
Dass der weltweiten Armut nicht Sach- Inkompetenz und fehlender Goodwill zugrunde liegen, sondern Macht- und Interessengegensätze, welche politische Positionierung, solidarische Unterstützung von politischen Kämpfen gegen ungerechte Verteilung als Teil der Entwicklungszusammenarbeit erfordern, ist in dieser Logik fast nicht mehr denkbar.
Unterdessen wird nicht mehr geholfen, sich zu entwickeln, sondern es wird «zusammen an der Entwicklung» gearbeitet. Die Rede ist heute von Nachhaltigkeit, Empowerment und Partizipation. Partizipieren bedeutet das Recht, teilzunehmen an der eigenen Entwicklung, niemals aber, diese selbst zu definieren und zu bestimmen. Geblieben ist somit die ökonomische und technologische Machtasymmetrie sowie der Diskursimperialismus – das heisst, die Macht zu bestimmen, worüber wie gesprochen wird.
So werden in der «Entwicklungszusammenarbeit» die Macht- und die Verteilungsfragen verschleiert und entpolitisiert. Es geht um Geld (Jahresbudget DEZA 2013: 2,96 Milliarden Franken), Rohstoffe (beispielsweise Wasser, Biodiversität), Wissen (beispielsweise über Heilpflanzen), Arbeitsplätze, Migrationsbekämpfung und Machterhaltung. Bei diesem Geschäft profitieren auch die lokalen Eliten in den «Entwicklungsländern».

Vieles ist gleich geblieben

Während massenhaft Ressourcen vom globalen Süden in den Norden fliessen, fliessen die Entwicklungsgelder vom globalen Norden in den Süden und werden dabei oft mit sogenannten poverty reduction strategy papers («Strategiepapiere zur Armutsreduktion») oder Strukturanpassungsprogrammen an bestimmte Bedingungen geknüpft, während Länder an den Rändern Europas zur «Migrationssteuerung» (sprich Migrationsbekämpfung) angehalten werden, um so die Festung Europa effizienter abzuschotten. Es sind vorwiegend Weisse im globalen Norden, die im Namen von «Entwicklung» bewerten, verwalten, hierarchisieren, überwachen, normieren, technokratisieren, erheben und beforschen. Dabei gilt der weisse Norden unhinterfragt als fortschrittlich und entwickelt und die dazugehörenden Weltvorstellungen, Normen, «Demokratien», Ökonomien und Lebensweisen werden als rational und erstrebenswert angesehen. Entsprechend wird dem globalen Süden die Rolle des zu entwickelnden, rückständigen, ineffizienten, Probleme verursachenden, armen und überbevölkerten Teils der Welt zugedacht.
Genau diese neokoloniale und rassistische Überheblichkeit ist der Grund, weshalb eine Initiative wie diejenige von Ecopop, welche einem zutiefst rechten Gedankengut entspringt, nicht die Abschaffung der Entwicklungszusammenarbeit per se fordert, sondern diese Gelder gut für ihre Zwecke zu nutzen weiss. Dass sie den Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit keineswegs sprengt, zeigt sich etwa daran, dass sich das Gros der Hilfswerke dazu genötigt sieht, darauf zu verweisen, dass man sehr wohl bereits effektiv die Familienplanung fördert.

«Entwicklungszusammenarbeit» und die Ecopop-Initiative

Die Ecopop-Initiative wird von allen schweizerischen Hilfswerken und NGOs, die Stellung bezogen haben, abgelehnt. Hauptkritikpunkt ist die platte Forderung der «Familienplanung in Entwicklungsländern». So schreiben sowohl Solidar Suisse als auch Caritas Schweiz, dass «Familienplanung» ohne gezielte Investition in Bildung, Beschäftigung und Gesundheitsversorgung für eine nachhaltige Armutsbekämpfung nicht taugt. Dieses Argument mag stimmen. Jedoch bleibt bei dieser Argumentation die Grundannahme bestehen, dass es eine Überbevölkerung gibt und dass diese in den armen Ländern des Südens zu verorten ist – und dass sie eine Hauptursache für Armut bildet.
Auch wenn in der Medienmitteilung vom 28. August und dem Positionspapier der Dachorganisation Alliance Sud gegen die Ecopop-Initiative das Paradigma der «Überbevölkerung» hinterfragt wird, so bleiben die Stellungnahmen der einzelnen Organisationen und deren Projektbeispiele für eine Nachhaltige Familienplanung trotzdem in der Sprache der Ecopop-Initiative verfangen. Helvetas beispielsweise schreibt zu ihrem Projekt in Burkina Faso, es gehe darum, die strukturellen Ursachen des Bevölkerungsproblems zu erkennen und anzugehen.
Im Positionspapier von Caritas Schweiz vom August 2013 werden über Seiten hinweg Zahlen und Statistiken aufgelistet um das «Problem der Überbevölkerung» zu illustrieren. So schreibt Caritas Schweiz in ihrem Positionspapier unter dem Titel «Herausforderung Afrika»: «Heute weisen die afrikanischen Länder südlich der Sahara mit durchschnittlich 2,53 Prozent tatsächlich eine übermässige Wachstumsrate auf.» Rein der malthusianische Sprachge­brauch macht die rassistische Überheblichkeit deutlich, mit der über die «Überbevölkerung» gesprochen wird. Worauf basiert die Annahme, dass diese Wachstumsrate «übermässig» ist? Wer bestimmt, welche und wessen Wachstumsrate angemessen ist? Caritas Schweiz schreibt weiter unten: «Denn die Bevölkerungsdichte Afrikas liegt durchschnittlich bei gerade einmal 28 Personen pro Quadratkilometer, deutlich tiefer als der weltweite Durchschnitt (53 Personen).» Trotz tiefer Bevölkerungsdichte scheint Afrika in diesem Zusammenhang aber die «Herausforderung» zu sein. Hier folgen die Hilfswerke genau der Argumentationslinie der Ecopop-Initiative, gegen die sie anzuschreiben versuchen: Dass es eine Überbevölkerung gebe, und dass diese in den «Entwicklungsländern» zu verorten und zu bekämpfen sei. Dabei wird auf die altbekannten Dichotomien des kolonialen Diskurses zurückgegriffen – auf die Unterteilung in eine zivilisierte, mit Wissen, Definitionsmacht und Lösungsstrategien ausgestattete Gruppe von Menschen und in eine unzivilisierte, (Bevölkerungs-)Probleme verursachende Gruppe.

Schuldiger schwarzer Frauenkörper

Auch wenn Caritas Schweiz eine komplexe Verknüpfung von Armut, der Stellung der Frau und Bevölkerungswachstum sieht, wird bei der Stellungnahme doch ausschliesslich mit der statistischen Grösse der Fertilitätsrate der Frau operiert. Unausgesprochen stehen so die Frauen im globalen Süden für diese die «Bevölkerungsprobleme» verursachenden Men­schen. Denn Überbevölkerung wird stets mit Fertilitätsrate gleichgesetzt, also mit der Fruchtbarkeit der Frau. Wenn Frauen südlich der Sahara eine «grosse Fertilitätsrate» aufweisen, wird indirekt der Körper der (schwarzen) Frau als Ursache allen Übels hingestellt. Dabei wird von der Norm der westeuropäischen Frau ausgegangen, die im Durchschnitt 1,59 Kinder hat (um im technokratischen Deutsch der Statistiker*innen zu sprechen). Mit höch­stens 2 Kindern kann sie nach wie vor die Doppelrolle von unbezahlter Haus- und Erziehungsarbeit und meist unterbezahlter Teilzeitarbeit erfüllen. Weniger Kinder zu haben scheint also nicht nur «bevölkerungstechnisch» von Vorteil zu sein, sondern auch für das Bruttoinlandprodukt eines Landes, welches ebenfalls Beweis für die «Entwicklungsstufe» eines Landes ist.
Ganz davon abgesehen, dass Familienplanung nicht per se Bevölkerungskontrolle sein muss, sondern ein Element der Selbst­bestimmung sein kann. So schreibt Alliance Sud: «Schliesslich stellt sich die Frage, wer über die Geburtenrate entscheiden soll – die Frauen selbst oder ‹übergeordnete› Instanzen wie die Uno oder nationale Regierungen?» Im Positionspapier von Alliance Sud werden durchaus auch strukturelle Ungleichheiten im Hinblick auf die Verursacher der Umweltzerstörung benannt: «Die Initianten unterschlagen die krassen Ungleichheiten im Konsum zwischen den reichen und den armen Ländern. Die hohen Einkommen der einen Milliarde Menschen, die in den Industrieländern leben, sind der ausschlaggebende Faktor für die schleichende Umweltzerstörung.»

Teilweises öffentliches Schweigen

Zugleich wird der zweite Bestandteil der Initiative – die Beschränkung der Einwanderung in die Schweiz – wenig aufgegriffen in den Stellungnahmen der Hilfswerke der EZA. Bezeichnenderweise – denn die­ser Zusammenhang ist hochpolitisch und konfliktiv: Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten und aus wirtschaftlich sehr schwierigen, perspektivlosen Situationen riskieren ihr Leben, um das Mittelmeer zu überqueren. Während die internationale Hilfs-Maschinerie syrische Flüchtlinge in Flüchtlingslagern unter schwierigen Bedingungen unterstützt, ertönen kaum Forderungen von Hilfswerken nach Öff­nung der Grenzen Europas für Flüchtlinge. Ganz zu schweigen davon, dass in einer globalisierten Welt, in welcher die Arbeitsmigration legitime und notwendige Bewegungen von Menschen darstellt, der freie, legale Zugang zu den Arbeits- und Ressourcenmärkten der reicheren Länder zu fordern wäre. Stattdessen werden staat­liche Mittel der EZA an Migrationskontrolle in Ländern Nordafrikas geknüpft – ohne dass es eine nennenswerte öffentliche Kritik aus den Reihen der NGOs daran gäbe. Weil man sich den Fragen nach den Zusammenhängen der Migration mit weltweit ungerechter Verteilung nicht öffentlich stellt, bleiben die Kritik und Ablehnung der Ecopop-Initiative im (unterschwellig) neokolonialen und rassistischen Hegemonialdiskurs über Bevölkerung und Migration verhangen.
Verwendete Texte:
– Alliance Sud: «Ja zu nachhaltiger Entwicklung – Nein zu Ecopop.» Enwicklungsorganisationen gegen Ecopop-Initiative. Medien-mitteilung vom 28.8.2014
– Aram Ziai: «Imperiale Repräsentationen. Vom kolonialen zum Entwicklungsdiskurs.» In: iz3w, Nr. 276.
– Bendix, Daniel: «Entwicklung/entwickeln/ Entwicklungshilfe/Entwicklungspolitik/ Entwicklungsland.» In: Arndt, Susan und Ofuatey-Alazard, Nadja (Hg.): «Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutscher Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk», Münster 2011, 272-278.
– Caritas Schweiz: «Bevölkerungspolitik auf Irrwegen. Caritas zur Initiative ‹Stopp der Überbevölkerung› von Ecopop.» Caritas- Positionspapier, August 2013.
– Helvetas: «Projektbeschriebe der Alliance Sud Träger- und Partnerorganisationen» zur Medienmitteilung vom 28.8.2014
– Solidar Suisse: Resolution der Generalversammlung Solidar Suisse, 3. Juni 2014
*Dora Meier und Marianne Klopstock sind in feministischen Projekten und der Solidaritätsarbeit tätig.

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