Am 5. Juni 2016 wird in der Schweiz über eine weitere Asylgesetzrevision abgestimmt. Zum wiederholten Mal geht es tragischerweise um eine Verschärfung des Gesetzes, um einen Angriff auf die Lebensbedingungen und die Rechte derjenigen, welche in der Schweizer Gesellschaft zuunterst eingegliedert werden. Die SVP hat das Referendum ergriffen, da ihnen die Revision zu wenig weit geht. Trotzdem bleibt allen, die sich für die Rechte und die Lebensbedingungen aller Menschen in dieser Gesellschaft einsetzen, keine andere Option, als ein linkes NEIN an der Urne einzulegen.
von BFS Zürich
Die aktuelle Revision unterscheidet sich nicht gross vom Inhalt der letzten Abstimmung im Sommer 2013, denn es geht immer noch darum, die «dringlichen» Massnahmen, welche das Parlament im September 2012 verabschiedet hat, im Gesetz zu verankern. Nun soll auf gesetzlicher Ebene nachgeholt werden, was in der Praxis schon länger üblich ist: Das Botschaftsasyl wird definitiv abgeschafft und Kriegsdienstverweigerer*innen sollen kein Asyl erhalten, selbst wenn sie «erheblichen Nachteilen» ausgesetzt würden.
Diese «dringlichen» Massnahmen wurden alle bereits 2012 – in einem verfassungsmässig fragwürdigen Vorgehen – probeweise bis 2019 eingeführt und sollen nun definitiv im Asylgesetz verankert werden. Syrische, somalische, eritreische oder irakische Geflüchtete – denen allen zurzeit in der Schweiz ein vorläufiges oder definitives Bleiberecht gewährt wird – haben seither nicht mehr die Möglichkeit, die tödliche Überquerung des Mittelmeers zu umgehen, indem sie ein Asylgesuch in einer Schweizer Botschaft stellen.
Als «Lösungsversuch» in Bezug auf die Mittelmeerüberquerung hat die EU seither verstärkt darauf gesetzt, die kriminellen Schlepperbanden zu verfolgen. Etwa indem sie Schlepperboote versenkte. Es überrascht im Hinblick auf diese Symptombekämpfung wenig, dass die Anzahl Geflüchtete nicht gesunken ist, die Fluchtrouten hingegen gefährlicher geworden und mehr Personen auf dem Weg nach Europa gestorben sind. Der Versuch, das Botschaftsasyl wieder einzuführen, scheiterte im Parlament während der Ausarbeitung des revidierten Asylgesetzes kläglich.
Das Ziel: die Beschleunigung der Verfahren
Der Kernpunkt der aktuellen Revision ist die Beschleunigung der Asylverfahren, welche angeblich allen zu Gute kommen soll. Aldo Brina (Informationsbeauftragter des centre social protestant in Genf) hat die vom SEM (Staatssekretariat für Migration) veröffentlichten Zahlen zu den Verfahrensdauern genauer untersucht und aufgezeigt, dass zwischen 2011 und 2014 mittels einer Praxisänderung eine allgemeine Beschleunigung stattgefunden hat. Die durchschnittliche Dauer der beschleunigten Verfahren wurde im «Standardsystem» von 310 Tagen auf 71 Tage reduziert. Die Fälle des Testzentrums – also der Teil der Beschleunigung, über den wir abstimmen werden – wurden um weitere 20 Tage auf 51 Tage verkürzt. Diese 20 Tage entsprechen der gleichlangen Verkürzung der Rekursfrist im Testbetrieb. So wurde einzig aufgrund der Einschränkung der Rechte der Asylsuchenden eine weitere Beschleunigung erreicht.
Die Verkürzung der Rekursfristen wird von der Massnahme begleitet, dass asylrelevante, gesundheitliche Aspekte innert kürzester Frist angegeben und belegt werden müssen. Dabei ist aus der Forschung zu Kriegstraumata und posttraumatischem Stress bekannt, dass viele Geflüchtete unter Traumata leiden und dass die Symptome erst verzögert auftreten. Weiter ist besonders problematisch, dass auch alle weiteren rechtlich relevanten Dokumente (z.B. Beweise der Verfolgung oder Identitätspapiere) entweder sofort vorgewiesen werden müssen, oder zumindest glaubhaft dargelegt werden muss, weshalb sie es nicht können. Häufig sind die geforderten Dokumente aber schlichtweg nicht vorhanden.
Eine massive Beschleunigung wurde bereits durch ein Prioritätssystem erreicht. Auf dieses hat die Revision keinen Einfluss. So werden aussichtslose Fälle prioritär behandelt, um die Personen möglichst schnell auszuschaffen. Die angestrebte Beschleunigung ist also hauptsächlich eine Ablehnungsmaschinerie, welche zudem in den neuen Bundeszentren möglichst effizient gestaltet werden soll. Die Priorisierung von einzelnen Gruppen ist im Schweizer Asylsystem nichts Neues. Vor einigen Jahren wurde pauschal allen Georgier*innen und Romas aus dem Balkan das Recht auf Schutzgewährung aberkannt. Solche Fälle werden heute innerhalb von 48 Stunden abgeschlossen. Es ist offensichtlich, dass in dieser Zeit nicht angemessen auf Einzelfälle eingegangen werden kann. Dies obwohl Romas bekanntlich strukturell stark benachteiligt werden und massenhaft rassistischen Übergriffen ausgesetzt sind. Die Beschleunigung wirkt entgegen den Interessen von Asylsuchenden, welche nur wahrgenommen werden können, wenn genügend personelle Ressourcen im Asylwesen investiert werden. Genau diese fehlen aber, wenn nicht mehr Personal zur Bearbeitung von zusätzlichen Fällen bereit gestellt wird.
Wer die Illusion hat, das Asylsystem würde durch die Revision in irgendeiner Weise fairer, sollte sich die zweite Gruppe beschleunigter – sogenannt „effizienter gestalteter“ – Verfahren vor Augen führen: Die Dublin-Fälle. Das Dublinprinzip besagt, dass, unabhängig von jeglichen geltend gemachten Asylgründen, auf ein Asylgesuch nicht eingegangen werden muss, sondern die Menschen an einen europäischen Drittstaat verwiesen werden können, sofern sie diesen bereits zuvor betreten haben. Die Schweiz befindet sich als Insel innerhalb Europas ohne EU-Aussengrenze in einer «idealen» Position, um Geflüchtete in andere Dublin-Staaten abzuschieben, weil sie kaum je als erstes europäisches Land betreten wird.
Auch wenn jedes Jahr Tausende davon betroffen sind, ist in der Praxis eine Ausschaffung in einen Dublin-Staat nur bei einem kleinen Anteil der Fälle umsetzbar. Häufig verneint der Drittstaat die Zuständigkeit oder die asylsuchende Person wusste beim Interview zu sagen, dass sie nicht weiss, durch welches Land sie gereist ist. In solchen Fällen kann die Ausschaffung nicht vollzogen werden. Antwortet der Drittstaat hingegen nicht, gesteht er in der gängigen Praxis indirekt die Zuständigkeit ein. Deshalb ist es sehr willkürlich, wer ausgeschafft wird und wer nicht. Auf diese Art und Weise wird der Zugang zu einem Asylverfahren in der Schweiz am stärksten eingeschränkt. Und da diese Fälle auch prioritär behandelt werden sollen, dient die Beschleunigung wieder nicht den Geflüchteten, die dadurch «beschleunigt» nach Italien, Ungarn oder Kroatien ausgeschafft werden.
Die Beschleunigungsmassnahmen haben nicht zur Folge, dass eine Person, welche Anrecht auf Asyl hat, dann auch tatsächlich schneller einen positiven Entscheid erhält und somit schneller «integriert» werden kann. Denn beim Priorisierungssystem kommen diejenigen Personen, bei denen gehofft wird, dass durch eine Beruhigung der Lage im Herkunftsland eine Rückschiebung in absehbarer Zukunft umsetzbar wird, am Schluss an die Reihe. Diesen Fällen steht laut bestehendem Recht meist eine (zumindest temporäre) Schutzgewährung zu. Auch mit der neuen Revision müssen sie mit jahrelangen Wartezeiten ohne angemessenen Zugang zu Bildung, Arbeit und Unterkunft auskommen. Oftmals verbessert sich die Situation im Herkunftsland auch nach Jahren nicht und sie bleiben in der Schweiz.
Eine faire Beschleunigung wäre also tatsächlich im Interesse eines Teils der Geflüchteten. Diese kann ganz simpel mit einem Ausbau des Personals der Asylbehörden erreicht werden, welche dann ebendiese Fälle bearbeiten würde, welche zurzeit auf die lange Bank geschoben werden. Der asylpolitische Druck der bürgerlichen Parteien und die Sparmassnahmen, welche vom gleichen Lager forciert werden, führen aber dazu, dass eine Beschleunigung mittels einer Einschränkung der Rechte der Asylsuchenden und mittels zunehmendem Druck auf das Personal des SEM erreicht wird, was zwangsläufig zu unsorgfältigem Bearbeiten der Asylgesuche führt – auch wenn sicherlich ein Grossteil des Personals grundsätzlich «fair» sein möchte.
Rechtsvertretung: in wessen Interesse?
Die SVP setzt in ihrer hetzerischen Kampagne gegen die Asylgesetzrevision hauptsächlich bei der neuen Form der kostenlosen Rechtsvertretung an. Diese ist ein integraler Teil der neu konzipierten Bundeszentren und soll als solche überall eingeführt werden. Warum die bürgerliche Mehrheit – entgegen der Meinung der SVP – diese Rechtsvertretung befürwortet, erklärt sich durch die gesunkene Anzahl an Rekursen. Aber wie ist es möglich, durch eine kostenlose Rechtsvertretung den Rekursanteil zu reduzieren?
Die Rechtsberatungsstelle soll in keiner Weise unabhängig sein. Sie wird vom SEM eingestellt und muss dessen Bedingungen erfüllen. So darf beispielsweise in «aussichtslosen» Fällen kein Rekurs eingereicht werden. Da aber die Einschätzung, was aussichtslos ist, keine simple objektive Entscheidung ist, sind auch schon im Testverfahren viele Verfahren fälschlicherweise als aussichtslos eingestuft worden. Bekannt werden aber natürlich nur die Fälle, in denen Asylsuchende zusätzlich zur bereitgestellten Rechtsvertretung eine weitere, unabhängige Stelle aufgesucht haben und trotz angeblicher Aussichtslosigkeit rekurrierten.
Die Abhängigkeit der Rechtsberatungsstellen vom SEM wird durch die Form ihrer Finanzierung zementiert. Die Rechtsvertretungen erhalten pro zugewiesenem Asylsuchenden eine Fallpauschale. Diese ist mit knapp CHF 1300.- pro Fall so tief angesetzt, dass es genau ausreicht, um die Personen auch juristisch zu verwalten und das SEM auf formelle Fehler hinzuweisen. So kann die Rechtsvertretung nie aus eigener Initiative mehr unternehmen, als vom Vorgesetzten als sinnvoll erachtet wird. Die Grundidee einer Rechtsvertretung im Sinne der Asylsuchenden, in der die Interessen der Asylsuchenden bestimmen, wie viel Energie und Aufwand in einen Fall investiert werden, wird ersetzt durch eine Rechtsvertretung im Sinne einer ergänzten Verwaltung der Asylsuchenden in ihrem Verfahren. Vor diesem Hintergrund ist es nicht erstaunlich, dass die Anzahl Rekurse sogar sinkt. Muss ein komplizierter Fall sorgfältig aufgegleist werden, fehlen schlicht die Mittel, um den Rekurs sauber abzuschliessen. Und soll trotzdem Energie in einen komplizierten Rekurs gesteckt werden, hat dies zwangsläufig Abstriche bei den anderen Gesuchen zur Folge.
Bundeszentren: ein Angriff auf die Lebensbedingungen
Bundeszentren gehören heute schon längst zur gängigen Praxis des Schweizer Asylregimes. Der Bund verwaltet bereits zahlreiche grosse Zentren, in denen auch schon Teile des neuen Asylsystems umgesetzt werden. Die Idee besteht darin, möglichst viele Fälle noch auf Bundesebene abzuschliessen und erst bei erweiterten Verfahren und positiven Entscheiden die Asylsuchenden auf die Kantone und Gemeinden zu verteilen. Die bestehenden Bundeszentren unterscheiden sich vom Testzentrum Juch in Zürich-Altstetten darin, dass die Rechtsberatung noch nicht integriert ist und noch die alten Rekursfristen gelten. Ausserdem können Asylsuchende bisher nicht länger als 90 Tage in den Bundeszentren festgehalten werden.
Was aber schon längst umgesetzt wird, ist die Ausgestaltung der Tagesabläufe und die Einschränkung der Rechte in den Bundeszentren. Auch wenn Kantons- und Gemeindeunterkünfte katastrophal sein können, so haben doch die Bundeszentren einige zusätzliche Aspekte, welche die Freiheiten von Asylsuchenden noch massiver einschränken. Es herrschen Alkohol- und Handyverbot und es gelten Ausgangssperren. So müssen die Asylsuchenden bis zu einer bestimmten Uhrzeit (typischerweise unter der Woche 17:00 Uhr und am Wochenende 19:00 Uhr) zurück im Lager sein. Oft sind die Bundeszentren ehemalige Militäranlagen und dementsprechend von Zäunen umgeben. Die Massnahmen werden durch Personenkontrollen am Eingang umgesetzt.
Ein weiterer Kritikpunkt ist die Versorgung mit Essen. In vielen anderen Zentren können Asylsuchende selbständig für sich kochen und erhalten hierfür separates Essensgeld. Im Kanton Zürich beispielsweise erhalten Asylsuchende täglich CHF 4.- als Kleider- und Taschengeld. Hinzu kommt das tägliche Essensgeld von CHF 9.- Dieses macht somit den grössten Teil des Geldes aus, das die Asylsuchenden zu ihrer freien Verfügung haben. Statt Essensgeld und Kochmöglichkeiten, bieten nun viele Bundeszentren drei Mahlzeiten täglich an. Dies bedeutet, dass die Bewohner*innen nicht mehr selber bestimmen können, was und wann sie essen oder für was sie ihr Geld einsetzen wollen. Wer Freunde besuchen oder vielleicht einen Tagesausflug machen will, verzichtet damit automatisch auf das Essensangebot. Diese Art von Tagesstruktur schränkt die Rechte der Asylsuchenden massiv ein und wird von weiteren Absurditäten wie fixen Duschzeiten (beispielsweise von 9:00 – 10:00 Uhr) ergänzt.
Was die weiteren Gestaltungsmöglichkeiten der Tagesstruktur anbelangt, wird immer mehr auf Beschäftigungsprogramme gesetzt. Daneben gibt es sehr wenig zu tun und jede Ablenkung von den Erinnerungen an die Flucht oder die Situation der Familie zu Hause ist willkommen. Demnach ist die Beteiligung an einem Beschäftigungsprogramm sehr beliebt. Das Problem ist jedoch, dass die strukturell schwache Position der Geflüchteten dazu missbraucht wird, Arbeit, die korrekt bezahlt werden müsste, für CHF 150.- bis 600.- monatlich an Asylsuchende ausgelagert wird. Bei einem Konzept ohne Bundeszentren könnte auf den Zugang zur Arbeitswelt hingearbeitet werden, indem das Arbeitsverbot aufgehoben und das Bildungsangebot massiv ausgebaut würde. Auf diese Weise könnten möglichst schnell die gleichen Arbeitsbedingungen (inkl. Sozialleistungen, Rechte und Löhne) für Geflüchtete wie für alle anderen Personen in der Schweiz erreicht werden. Natürlich muss angemerkt werden, dass zurzeit auch auf kantonaler Ebene eher der Ausbau der Beschäftigungsprogramme vorangetrieben wird, während die Perspektiven auf eine «normale» Arbeit immer geringer werden. So verbleiben Geflüchtete jahrelang in diesen Beschäftigungsstrukturen, arbeiten vollwertig und verdienen Hungerlöhne.
Um Kosten zu senken, werden auch immer mehr Arbeiten in den Zentren von Asylsuchenden selbst erledigt. In einem Testlauf wurde im Bundeszentrum „Gubel“ (in Menzingen, Zug) das Kochen für die Bewohner*innen an die Asylsuchenden selber ausgelagert. Eine kleine Anzahl von Geflüchteten kochen dort zu einem niedrigen Lohn für alle Personen des Zentrums. Wenn man Kochen als Beschäftigungsmöglichkeit betrachten möchte, sollte dies nicht einer kleinen Selektion von Geflüchteten für CHF 30.00 am Tag vorbehalten sein, sondern alle sollten für sich selber kochen dürfen.
Ein weiterer zentraler Punkt der Bundeszentrenpolitik ist die Konzentrierung der Asylsuchenden. Diese dient einer krassen Umsetzung des Kontrollregimes zur Beschleunigung der administrativen Abläufe – inklusive Ausschaffungen. Zudem wirken die Bundeszentren abschreckend und die Anzahl untergetauchter Personen – also Menschen, die entscheiden, eine Weiterreise oder ein Leben als Sans-Papiers in der Schweiz anzugehen – steigt an. Dies geschieht nicht trotz der Kontrolle, sondern wegen der Kontrolle. Egal ob ausgeschafft wird, Personen dazu bewegt werden, freiwillig die Rückreise anzutreten oder ob sie untertauchen: die Idee ist, dass möglichst viele Asylsuchende aus den Unterstützungsstrukturen hinausfallen.
Die angestrebte Kostensenkung wird sich zudem auf die Betreuung in den Bundeszentren auswirken. Es besteht bereits eine allgemeine Tendenz hin zur Einstellung von weniger qualifiziertem Personal zu tieferen Löhnen. So verdienten Angestellte im Asylbereich lange vergleichsweise anständige Löhne. In der Regel waren es etwas über CHF 6’000.- im Monat. Neu eingestellte Personen – auch im Testzentrum Juch in Zürich – werden heute oftmals mit circa CHF 4’000.- im Monat entlöhnt. So zeigt sich auch hier der Trend: weg von Unterstützungsfunktion, hin zur Verwaltung. Je mehr Personen auf engem Raum zusammenleben (oft in Zimmern mit über 30 Personen), desto stressiger wird die Situation für alle Betroffenen. Entsprechend steigt die Spannung zwischen den Personen. Es ist immer wieder beeindruckend, wie gut Asylsuchende mit solchen Missständen klarkommen. Leben aber hunderte Personen zusammen, ohne Beschäftigung und zu einem Grossteil auch ohne Perspektive und Hoffnung, ist garantiert, dass auch mehr Streit und gewalttätige Auseinandersetzungen vorkommen werden. Da die hohe Konzentrierung der Menschen, in Kombination mit der qualitativ schlechteren Betreuung, zu grösseren Problemen führt, setzen viele Zentren bereits jetzt schon auf private Sicherheitsfirmen, die mit repressiven Mitteln für Ruhe und Ordnung sorgen.
Renitentenlager
Wer nicht ruhig bleibt, kann mit dem neuen Asylgesetz in ein sogenanntes Renitentenlager transferiert werden. Wer also mit den Strukturen nicht klarkommt, oder sich gar dagegen wehren möchte, dass die Unterkünfte und die Betreuung alles andere als menschwürdig sind, wird bestraft. Diese Renitentenlager sind in der aktuellen Umsetzung des Asylgesetzes noch keine geschlossenen Zentren – also Gefängnisse, um es korrekt zu benennen – jedoch ist es eine Frage der Zeit, bis diese auch in der Schweiz eingeführt werden, denn der Druck der Rechten steigt. Der Begriff «renitent» wurde bei den letzten Abstimmungen stark thematisiert, und es wäre in diesem Zusammenhang wichtig, sich wieder vor Augen zu führen, was als renitent bezeichnet wird: Eine Person, welche die öffentliche Ruhe und Sicherheit stört. Dies sind also Personen, welche sich in der normierten Gesellschaft nicht so verhalten, wie dies verlangt wird. Gemäss dieser Definition sind wir – all jene, die wir uns gegen die aktuellen Herrschaftsverhältnisse stellen – auch als renitent zu betrachten.
Die Praxis, Personen aus den normalen Unterkunftsstrukturen hinaus zu nehmen, existiert bereits heute. Im Kanton Zürich werden Personen, welche gegen die Hausregeln verstossen, in Notunterkünfte transferiert. Diese Zentren für abgewiesene Asylsuchende sind auf minimale Unterstützungsleistungen reduziert und sollen als Strafe abschreckend und „mobilisierend“ wirken, was bedeutet, dass sie die „freiwillige“ Heimreise fördern sollen.
Aufmüpfige Personen in separate, schlechtere Unterkünfte zu transferieren ist nur einer der zahlreichen Aspekte gängiger Praxis, welche mit der jetzigen Asylgesetzrevision definitiv gesetzlich verankert werden sollen. Denn viele beschriebene Elemente sind nicht neu, sondern sind in den letzten Jahren zur Normalität geworden und Teil der Asylpolitik von Sommaruga und der rechtsbürgerlichen Parlamentsmehrheit.
Asylregionen und Abschottung
Ein neuer Aspekt dieser Asylpolitik ist die Aufteilung der Schweiz in sechs Asylregionen. Die neuen Bundeszentren mit integrierter Rechtsberatung sollen nach einem Verteilschlüssel auf diese verschiedenen Regionen verteilt werden. Kantone, die ein Bundeszentrum haben, müssen weniger Asylsuchende im erweiterten kantonalen Verfahren aufnehmen. Dies führt zu einer absurden Konkurrenz der Kantone um die Bundeszentren. Beispielsweise kann dadurch ein kleinerer Kanton, wie der Kanton Schwyz, die Strategie verfolgen, ein Bundeszentrum zu haben und dafür als Kanton und Gemeinden weniger Fälle betreuen zu müssen.
Nicht alle Bundeszentren werden so zentral gelegen sein wie das Testzentrum Juch in Zürich-Altstetten. In der Region Zentral- und Südschweiz oder auch in der Ostschweiz gibt es gar keine grossen Städte und so wird es aller Voraussicht nach zu abgelegenen und abgeschotteten Grosszentren kommen, welche von der Bevölkerung nicht wahrgenommen werden. Dies macht eine Unterstützung der Zentrumsstrukturen durch Hilfe von ausserhalb noch schwieriger, als es die Zäune und das Sicherheitspersonal am Eingang ohnehin schon machen. Den Zugang für Asylsuchende zu einer unabhängigen Rechtsberatung ausserhalb des Bundeszentrums wird dies beispielsweise nahezu unmöglich machen.
Schweiz und Europa: ein menschenverachtendes Migrationsregime
Alle diese Verschärfungen des Asylrechts und Angriffe auf die Lebensbedingungen und Freiheiten der Asylsuchenden reihen sich in einen beängstigenden europäischen Kontext ein. Die EU verschärft seit Jahren sein Migrationsregime. Zur Abschreckung werden in den einzelnen Ländern möglichst unmenschliche Bedingungen geschaffen, um die Geflüchteten dazu zu bringen, woanders Asyl zu suchen. Die verschiedenen Länder versuchen auf unterschiedliche Art und Weise Geflüchtete gegeneinander auszuspielen. So will Polen nur Christ*innen Asyl anbieten, während Österreich vor kurzem das Recht auf Asyl de facto auf Eis gelegt hat, indem es nur noch unbegleiteten Minderjährigen, Frauen und Familien ein Asylverfahren anbietet.
Deutschland spielt ein doppeltes Spiel. Im Herbst 2015 sprach Merkel von Willkommenskultur und verschärfte gleichzeitig das Asylgesetz dreimal. Die deutsche Regierung war die erste in Europa, die Menschen aus Afghanistan kein Asyl mehr gewährte. Deutschland war auch an vorderster Front beim Aushandeln des reaktionären Abkommens mit der Türkei dabei. Das Abkommen beinhaltet, dass die Türkei 6 Milliarden Euro erhalten soll, damit sie angeblich die Unterkunftsstrukturen ausbaut und besser für die syrischen Geflüchteten gesorgt wird. Dass dies aber nie das Ziel war, zeigt sich an den neuen Grenzschutzmassnahmen an der türkisch-syrischen Grenze: Mit Selbstschussanlagen will der Autokrat Erdogan die Flucht aus Syrien verunmöglichen. Syrien erlebt einen der blutigsten Kriege der letzten Jahrzehnte. Anstatt solidarisch zu sein mit der von Massakern und Bombardierungen betroffenen Zivilbevölkerung, wird die Türkei – ein regionaler Mitspieler im Konflikt – mit Milliarden zugeschüttet und eine EU-Mitgliedschaft sowie die Personenfreizügigkeit zwischen der EU und der Türkei werden in Aussicht gestellt. Als Gegenleistung wird die türkische Regierung die Geflüchteten in der Türkei zurückhalten. Die Türkei führt im eigenen Land einen Krieg gegen die kurdische Bevölkerung, gilt als inoffizielle Unterstützerin von Daesh (ISIS) und ist nun integraler Bestandteil der europäischen Flüchtlingspolitik.
Auch die Schweiz ist Teil dieses menschenverachtenden Migrationsregimes und wird ihre Politik im eigenen Interesse weiterführen. Um die Kontrolle über die Migrationsbewegungen beizubehalten, wird die Schweiz voraussichtlich diesen Frühling die Grenze mit Panzergrenadieren «schützen», falls die Anzahl an Geflüchteten als «zu hoch» eingestuft wird.
Am 5. Juni: Ein dringendes, linkes NEIN
Von der institutionalisierten Linken wird diese Revision als die einzig progressive der letzten Jahrzehnte dargestellt. Dies ist schlichtweg falsch und etwas anderes zu behaupten, ist auch in langfristiger Perspektive eine Sackgasse.
Inhaltlich geht es um die gleichen Anliegen wie 2013 – nur diesmal detaillierter. Wer also damals „nein“ gesagt hat, muss konsequent bleiben und auch diesmal „nein“ sagen. Eine der Personen, die ihre Meinung um 180 Grad gedreht haben, ist Cedric Wermuth. War er 2013 noch gegen die Asylgesetzrevision, so sagt er nun: «Mit dieser Revision sind wir dabei, das Chaos der Blocher-Jahre im Justizdepartement aufzuräumen. Und wer sie ablehnt, muss sich im Klaren sein: Eine solche Lösung würden wir im neuen, noch rechteren Parlament gar nicht mehr hinbekommen.». Die heutige Asylpolitik ist nicht das Chaos, das Christoph Blocher hinterlassen hat, sondern die effizienteste Umsetzung von rechtsbürgerlichen Interessen – in vorauseilender Unterwerfung – durch die Sozialdemokratie. Wenn wir langfristig eine Perspektive aufbauen wollen, dann können wir nicht bei defensiven Kompromisslösungen verbleiben.
Welcher Kopf nun die rassistische Politik der Schweiz umsetzt – und sei es auch nur aus Angst, es könnte noch schlimmer kommen –, ist nur in einem Punkt relevant: Bundesrätin Sommaruga hat mit ihrer Parteizugehörigkeit dafür gesorgt, dass der Teil der Bevölkerung, der grundsätzlich ein faireres Asylsystem befürwortet, nun daran glaubt, dass diese Revision eine Verbesserung der Bedingungen für Asylsuchende darstellt. Der Widerstand im Interesse der Geflüchteten kommt in dieser Abstimmung nur noch von links aussen.
Auch hier in der Schweiz haben wir im letzten Herbst eine Solidaritätswelle mit Geflüchteten erlebt, die weit über die radikale Linke hinausging. Diese Kraft liesse sich in einen wahren Widerstand gegen jegliche Angriffe auf die Rechte und Lebensbedingungen von Geflüchteten ummünzen. Die Sozialdemokratie und ihre «linken» Verbündeten leisten stattdessen einen grossen Beitrag zur Verhinderung einer breiteren Solidaritätsbewegung.
Wenn wir die SVP tatsächlich bekämpfen wollen, reicht es nicht, einfach die andere Parole zu wählen. Wir müssen die SVP inhaltlich und praktisch konfrontieren und uns durch ihre Taktik und Strategien nicht beeindrucken lassen. Das „Nein“ der SVP fundiert auf menschenverachtendem Hass und rassistischer Hetze. Ein linkes NEIN basiert auf einem solidarischen Widerstand. Dieser Widerstand beschränkt sich nicht nur auf die Parole eines linken NEIN. Er muss sich beispielsweise auch gegen die schweizweite Sparpolitik richten. Im Kanton Zürich sollen im Rahmen des laufenden Sparprogramms auch Kosten bei den Asylliegenschaften eingespart werden. Wer die Zustände der Asylliegenschaften kennt, weiss was dies zur Folge hat; nämlich, dass die oftmals lottrigen, kaputten Unterkünfte noch weniger Mittel für bitter notwendige Reparaturen erhalten werden.
Nicht nur aus formallogischen Gründen, sondern auch in der Realität führt die sozialdemokratische Politik des vermeintlich «kleineren Übels» trotzdem zu Übel und für das stehen wir nicht ein. Wir bleiben bei unserer Meinung und setzen uns im Interesse von Asylsuchenden, im Interesse aller Migrant*innen und im Interesse aller Lohnabhängigen für eine bessere Gesellschaft ein. Der Widerstand gegen die Hetze der SVP und gegen die Verschlechterungen der Lebensbedingungen von Asylsuchenden muss wachsen. Und ein kleiner Teil des Widerstandes besteht darin, am 5. Juni für ein linkes NEIN einzustehen.