Als Beitrag zur Asylgesetzrevision veröffentlichen wir die Stellungsnahme der Freiplatzaktion Zürich. Die Freiplatzaktion Zürich bietet seit Jahrzenten in der Stadt Zürich kostenlose Rechtsberatung für Asylsuchende an. Aus dieser Erfahrung kommt sie zum Schluss, dass die vorgesehene Rechtsberatung in den Bundeszentren weder unabhängig, noch im Interesse der Asylsuchenden ist. Deshalb ruft auch die Freiplatzaktion Zürich zu einem linken NEIN am 5. Juni auf. (Red.)
Position zur Asylgesetz-Revision am 5. Juni 2016
Die Beschleunigung des Asylverfahrens führt zu einer Massenabfertigung der Asylsuchenden.
Die Beschleunigung des Asylverfahrens führt aufgrund der massiven Kürzung der Verfahrensfristen (Abklärung des Sachverhaltes und Asylentscheid innert maximal 31 Tagen, Reduktion der Beschwerdefrist von 30 Tagen auf 7 Arbeitstage) zu einer Massenabfertigung von Asylsuchenden. Sie birgt die Gefahr, dass die um Schutz ersuchende Person vom Subjekt zum Objekt einer „Asylmaschinerie“ degradiert wird. Mit der sogenannten Taktung des revidierten Asylverfahrens gerät somit der Mensch – mit seinen persönlichen Fluchtgründen bzw. seiner individuellen Geschichte – aus dem Fokus.
Das extrem kurze Verfahren benachteiligt insbesondere verletzliche Personen.
Das vollständige Vorbringen von Fluchtgründen setzt gerade bei verletzlichen Personen (z.B. traumatisierte Menschen, Frauen, LGBT, Menschen aus Armutsverhältnissen oder mit tiefem sozialem Status, mit ländlicher Herkunft, mit geringem Bildungshintergrund, Frauen, LGBT) zeitintensive Abklärungen und Gespräche, Vertrauen und Zeit voraus. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) klärt die Fluchtgründe von Asylsuchenden bereits heute oftmals nur beschränkt ab und ist nicht auf tatsächliches Verstehen ausgerichtet.
Durch die extrem kurze Phase der Sachverhaltserhebung (Überprüfung der Beweismittel und Identitätspapiere, herkunfts- und identitätspezifische Abklärungen, gesundheitliche Abklärungen und Asylanhörungen innert maximal 31 Tagen) sind verletzliche Personen daher zusätzlich benachteiligt. Sie werden es noch viel weniger als im gegenwärtigen Asylsystem schaffen, die ihnen gebührende Aufmerksamkeit bei den Asylbehörden zu erlangen. Ihnen droht daher, unter die Räder der „Asylmaschinerie“ zu gelangen. Ganz besonders gilt dies für traumatisierte Schutzsuchende: Sie benötigen Vertrauen (bzw. Zeit), um über die traumatisierenden Ereignisse sprechen zu können. Sehr oft zeigt sich zudem das Beschwerdebild einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht sofort eindeutig und von Anfang an. Noch dazu verlangt das revidierte Asylgesetz, dass gesundheitliche Beschwerden (also z.B. auch eine posttraumatische Belastungsstörung) bereits zu Beginn des Verfahrens genannt werden müssen, diese ansonsten nur ausnahmsweise berücksichtigt werden.
Verletzliche Personen können somit oftmals nicht innert 140 Tagen als solche identifiziert werden. Im beschleunigten Verfahren werden die Abklärungen des SEM somit zwangsläufig lückenhaft und Entscheide damit (noch) fehleranfälliger.
Die im Bundeszentrum zugeordnete Rechtsvertretung steht unter einem enormen Zeitdruck und kann dadurch keinen effektiven Rechtsschutz bieten.
Aufgrund der kurzen Fristen des beschleunigten Asylverfahrens steht jedoch nicht nur das SEM sondern vor allem auch die Beratung und Rechtsvertretung der Asylsuchenden unter einem enormen Zeitdruck. Trotz Professionalität wird die Rechtsvertretung kaum verhindern können, dass die individuelle Interessenvertretung der Asylsuchenden in den Hintergrund gerät. Sie wird hauptsächlich damit befasst sein, die Untersuchungspflicht des SEM zu überwachen bzw. das SEM auf formelle Fehler im Entscheidentwurf aufmerksam zu machen. Ausserdem hat die Rechtsvertretung aufgrund der tiefen Fallpauschale zu wenig Zeit pro asylsuchende Person zur Verfügung. Eine tiefe Fallpauschale beschränkt die finanziellen Mittel, um hinreichend RechtsvertreterInnen anzustellen. Dies führt zu einer Überlastung der Rechtsvertretung, was wiederum zur Folge hat, dass der Rechtsvertretung zu wenig Zeit pro asylsuchende Person bleibt. Die Rechtsvertretung und die Asylsuchenden verbleiben somit in einem Abhängigkeitsverhältnis zum SEM. Sie können nur auf die Handlungen des SEM reagieren, jedoch nicht aktiv einwirken und mitgestalten. Damit besteht kein ausreichend effektiver Rechtsschutz.
Die Unabhängigkeit der Rechtsvertretung ist nicht gesichert. Dadurch werden Asylsuchende im Verfahren benachteiligt.
Die Unabhängigkeit der Rechtsvertretung ist in der Wahrnehmung der Asylsuchenden nicht gesichert und wird aufgrund der räumlichen Bedingungen stark in Frage gestellt. Dies hat Auswirkungen auf das Vertrauensverhältnis zwischen den Asylsuchenden und der Rechtsvertretung – und damit auch auf die Interessenwahrung der Asylsuchenden.
Die Unabhängigkeit der Rechtsvertretung ist zudem auch aufgrund der Leistungsvereinbarung zwischen SEM und Auftragnehmer (Organisation, die das Mandat für die Rechtsvertretung erhält) fragwürdig. Das SEM kann mit dem Leistungsvertrag Einfluss auf personelle Fragen nehmen. Dies beeinflusst das Verhalten der Rechtsvertretung.
Die Rechtsvertretung droht zum formellen Feigenblatt der Beschleunigung instrumentalisiert zu werden.
Da das revidierte Asylgesetz letztendlich vor allem die schnelle Wegweisung der Asylsuchenden zum Ziel hat, besteht zudem die Gefahr, dass die Rechtsvertretung zum formellen Feigenblatt der Beschleunigung instrumentalisiert wird.
Jene Asylsuchenden, deren Rechtsvertretung das Mandat niederlegt, haben aufgrund der extrem kurzen Beschwerdefrist keine realistischen Chancen, eine Beschwerde fristgerecht einreichen zu können. Sie haben damit keinen effektiven Zugang zur gerichtlichen Überprüfung eines Entscheides des SEM.
Die Rechtsvertretungen im Bundeszentrum reichen nur Beschwerden ein, wenn diese nicht als „aussichtslos“ erscheinen. Das Gesetz regelt die Niederlegung des Mandates wegen Gründen der „Aussichtslosigkeit“ nicht. Der Leistungsvertrag des SEM schreibt jedoch vor, dass aussichtslose Beschwerdeverfahren nicht geführt werden dürfen. Die Schwelle für das Bestehen einer „Aussichtslosigkeit“ ist bei der Rechtsvertretung zudem viel zu tief angesetzt. Mitunter werden auch Fälle als aussichtslos erachtet, weil zu wenig Zeit für die selbständige Aufarbeitung der Fluchtgründe mit den Asylsuchenden besteht (siehe oben). Asylsuchende müssen deshalb sehr häufig damit rechnen, dass ihre Rechtsvertretung nach einem negativen Asylentscheid das Mandat niederlegt.
Vor diesem Hintergrund ist die Beschwerdefrist von sieben Arbeitstagen viel zu kurz. Den meisten Asylsuchenden gelingt es nicht, innert dieser kurzen Frist eine externe Rechtsvertretung zu finden. Die kurze Beschwerdefrist macht es zudem für externe Rechtsvertretungen nahezu unmöglich, akkurate Beschwerden einzureichen. Die Asylsuchenden, deren im beschleunigten Verfahren zugeordnete Rechtsvertretung das Mandat niedergelegt hat, haben daher keine realistischen Chancen, eine Beschwerde fristgerecht einzureichen und damit keinen effektiven Zugang zur gerichtlichen Überprüfung eines Entscheides des SEM.
Das Recht auf Beschwerde wird missachtet
Die allermeisten Asylsuchenden wollen ihr Beschwerderecht wahrnehmen, auch wenn sie darauf hingewiesen werden, dass eine Beschwerde chancenlos ist. Wer Schlimmes erlebt, grosse Strapazen auf sich genommen hat und den Weg in die Schweiz geschafft hat, will häufig den Rechtsweg bis zum Schluss ausschöpfen. Denn fast immer stehen existenzielle Fragen auf dem Spiel. Diesen Willen der Asylsuchenden gilt es nicht weniger zu respektieren, als das Interesse der Behörden an einer tiefen Beschwerdequote.
Die Bundeszentren isolieren Asylsuchenden vom öffentlichen Leben. Dies ist eines Menschen nicht würdig.
Die Unterbringung von Asylsuchenden in Bundeszentren führt zu deren Abschottung vom öffentlichen Leben. Statt den Zugang zur Öffentlichkeit und damit ein Stück „Normalität“ zu gewährleisten, werden alle um Schutz ersuchenden Menschen in Zentren eingesperrt. Die rigiden Präsenz- bzw. Ausgangszeiten schränken die Bewegungsfreiheit massiv ein. Auch der Zugang zu Dienstleistungen und Angeboten in der Öffentlichkeit (bspw. externe Rechtsberatung) werden ihnen genommen. Es findet eine Isolierung statt, die eines Menschen nicht würdig ist. Der konfliktreiche und teilweise (re-)traumatisierende Ausnahmezustand der Flucht geht weiter.
Deshalb: NEIN zur Asylgesetz-Revision vom 5. Juni 2016