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Migration: Globale Bewegungsfreiheit

2005 setzte sich die Bewegung für den Sozialismus für ein linkes Nein zur Ausweitung der Personenfreizügigkeit ein. Das Hauptargument bestand in der Feststellung, dass die Personenfreizügigkeit ohne ausreichende flankierende Massnahmen in erster Linie zu verschärfter Konkurrenz unter den Lohnabhängigen und besseren Ausbeutungsbedingungen für die Unternehmen führt. Umso wichtiger ist es, darüber nachzudenken, was hinter der Forderung nach globaler Bewegungsfreiheit steckt und unter welchen Bedingungen wir uns für sie einsetzen wollen.

von BFS Basel

Die Forderung nach „globaler Bewegungsfreiheit“ – manchmal ist auch von der Öffnung der Grenzen die Rede – gehört zum festen Forderungskatalog linker Netzwerke und Kollektive, die sich solidarisch mit den Geflüchteten zeigen und gegen die aktuelle Migrations- und Asylpolitik kämpfen. Die meisten haben bezüglich Kapitalismuskritik eine pragmatische Haltung. Zwar versteht sich ein grosser Teil der Aktivist*innen auch als antikapitalistisch, doch nehmen Slogans wie „Grenzen abschaffen“, „Bleiberecht für alle“ auch die Funktion aktueller Forderungen ein.
Die Überlegung dahinter ist verständlich: Nationalstaatliche Grenzen stellen ein Instrument der Spaltung und der Privilegiensicherung wohlhabender Staaten dar und sind aus internationalistischer Perspektive nicht vertretbar. Sie sind Teil einer repressiven und einschränkenden Politik gegenüber Flüchtlingen, die zu Unrecht, Verzweiflung und äusserst prekären Lebensverhältnissen führen. Schliesslich sind sie ein Teil der Politik, die Menschen illegalisiert und somit leicht ausbeutbare und entrechtete Arbeitskräfte schafft.
Soweit ist sich die antikapitalistische Linke einig. Worüber seltener nachgedacht wird: Werden diese Forderungen mehr oder weniger isoliert, also nicht als Teil eines revolutionären Programms formuliert, sind sie in ihrer Wirkung nicht nur missverständlich, sondern auch ambivalent. Wie die Entwicklungen der letzten Jahre zeigen, hat das Kapital durchaus ein Interesse an leicht ausbeutbaren und mobilen Arbeitskräften, die in allen Regionen ohne bürokratischen Aufwand rekrutiert werden können und an möglichst wenig arbeitsrechtliche Standards gebunden sind. Schon heute profitieren die Landwirtschaft, die Baubranche oder auch das Gesundheitswesen massiv von Migrant*innen, Sans-Papiers und Kurzaufenthaltern; Lohndumping ist in all diesen Branchen gang und gäbe. Ein Grossteil der Bevölkerung ist sich dieser Tendenz bewusst und fürchtet sich zu Recht vor Arbeitslosigkeit, Lohndruck und Konkurrenz.
Der Verweis darauf, dass zwischen dem Asylrecht und der Arbeitsmigration zu unterscheiden sei, ist in diesem Zusammenhang übrigens nicht hilfreich. Erstens sollten anerkannte Flüchtlinge das gleiche Recht auf Arbeit haben wie alle anderen auch, wodurch sich im Falle einer Ausweitung des Asylbegriffes die Anzahl der Lohnabhängigen tatsächlich vergrössern würde. Zweitens stellen vor allem illegalisierte und untergetauchte Flüchtlinge ein Reservoir an schutzlosen und prekären Arbeitskräften dar. Drittens stellen viele Linke die Unterscheidung von „politischen Flüchtlingen“ und „Wirtschaftsflüchtlingen“ in Frage und sehen ihre Forderungen als Prinzipien, die für alle Menschen gelten.
Wir sollten uns also bewusst sein: Wird die Forderung nach globaler Bewegungsfreiheit nicht in einem eindeutigen Kontext formuliert, löst sie ausserhalb des linken Kuchens Befremdung, wenn nicht sogar Empörung aus. So gelingt es nicht, eine gesellschaftliche Alternative zu skizzieren. Globale Bewegungsfreiheit ja, aber nicht ohne einen starken Kündigungsschutz, allgemeinverbindliche Mindestlöhne und geregelte Arbeitszeiten. Nur wenn erklärt wird, dass durch eine radikale Arbeitszeitverkürzung alle Menschen (und noch mehr) in der Schweiz Arbeit fänden; nur wenn klar ist, dass durch eine gerechte Vermögensverteilung genügend Wohnraum und Ressourcen für alle da wären; nur wenn wir also Forderungen aufstellen, die auf die gemeinsamen Interesssen von Geflüchteten und Lohnabhängigen insgesamt verweisen, macht die Forderung Sinn.
Darüber hinaus lohnt es sich, über das Verhältnis des Prinzips „Bleiberecht für alle“ und einer linken Vorstellung von Demokratie nachzudenken. Denn Forderungen, die wir im Hier und Jetzt aufstellen, sollten nicht nur der Logik kapitalistischer Herrschaft entgegentreten, sondern auch aufzeigen, wie sich Politik in unserem Sinne gestalten liesse. Ein wichtiges Element eines revolutionär-sozialistischen Programms ist die radikale Demokratisierung und Vergesellschaftung aller Lebensbereiche. Aber was würde dies für die Bereiche Asyl und Migration bedeuten? Würde in einer sozialistischen Gesellschaft die Frage darüber, wie viele Menschen in einem Quartier, einer Gemeinde oder einer Stadt leben, zugunsten individueller Bewegungsfreiheit aus der Sphäre demokratischer Entscheidungen hinausfallen? Und wie stehen wir zu aktuellen „direkt-demokratischen“ Einbürgerungsverfahren in den Gemeinden? Kritisieren wir die Entscheidungen, die dabei gefällt werden oder das Prinzip der Abstimmung an sich? Als Linke sollten wir diese Debatte offen führen und nach Antworten suchen: Das Ziel sollte sein, zu verständlichen Forderungen, Strategien und Konzepten zu gelangen, die zwischen kurz- und langfristigen Perspektiven unterscheiden. Unmittelbare Forderungen wie sichere Fluchtrouten, faire Asylverfahren, sofortige Entmilitarisierung der Grenzen, Entkriminalisierung der Geflüchteten, Wiedereinführung des Botschaftsasyls, Sozialhilfe statt Nothilfe, massive Sofortinvestitionen in Infrastruktur zur Unterbringung und unentgeltliche Ausbildungsprogramme für Geflüchtete sollten im Zentrum des linken Diskurses stehen.

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2 Kommentare

  1. toller

    Ich finde diesen Artikel sehr interessant und wichtig für die aktuelle Debatte. Was mich stört, ist die Forderungen „Sozialhilfe statt Nothilfe“. Klar, wenn immer mehr Menschen aus der Sozialhilfe ins Nothilferegime gedrängt werden, sollten wir alles daran setzen, um dies zu verhindern, sodass die Betroffenen immerhin noch Sozialhilfegelder bekommen. Das Sozialhilferegime in der Schweiz ist aber an sich unsozial und stigmatisierend und muss ersetzt werden durch eine Unterstützungskasse, die den Menschen ein anständiges Leben ermöglicht. Das aktuelle Sozialhilferegime zu verteidigen kann also nicht Teil eines linken Programms sein. Ich nehme aber an, dass die AutorInnen hiermit einverstanden sind.

  2. David

    Lieber Toller
    Du hast Recht, die heutige schweizerische Sozialhilfe ist sicher kein Vorbild oder Orientierungspunkt für ein fortschrittliches System der sozialen Sicherung für alle. Ob wir als Linke für eine „echte“ Sozialhilfe, eine Unterstützungskasse, wie du schreibst, oder etwa für ein Grundeinkommen kämpfen sollten, gehört ebenfalls zu den Fragen, die klarer beleuchtet werden sollten. Ich habe die Sozialhilfe genannt, weil vor Einführung des Nothilfesystems ja auch abgewiesene Asylbewerber und auch Menschen mit Nichteintretensentscheid Sozialhilfe erhielten, wobei diese schon damals tiefer war als die „normale“ Sozialhilfe, wenn ich mich richtig erinnere.

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