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Migration: Konkrete Forderungen aus linker Perspektive

Linke Lösungsansätze bezüglich der aktuellen Flüchtlingssituation beschränken sich nicht selten auf Maximalforderungen. Dabei wird jedoch häufig vergessen, dass die Umsetzung dieser Forderungen umfangreicher ökonomischer, politischer und sozialer Umwälzungen bedarf und somit der unmittelbaren und drängenden Lage der Flüchtenden nicht zu verbessern vermag. Um diese Bedürfnisse zu befriedigen, sollte die Linke auch für unmittelbar umsetzbare Forderungen kämpfen, die an der aktuellen Situation der Flüchtenden ansetzen, mit dem Ziel ihre Lage konkret zu verändern. Dies bedeutet nicht, dass wir die systemkritische Perspektive aufgeben möchten. Wir sind vielmehr daran interessiert, am Alltag und an den konkreten Bedürfnissen der Menschen anzusetzen, mit dem Ziel eine breite emanzipatorische Bewegung aufzubauen.
von BFS Basel

Platzmangel hängt von der Herkunft ab

Europäische PolitikerInnen reden von einer nicht „eindämmbaren Flutwelle“ der Flüchtenden. Tatsache ist jedoch, dass von den weltweit 60 Millionen Flüchtlingen 85% der Menschen im eigenen Land auf der Flucht sind oder in Nachbarländer ausweichen. Beispielsweise war 2015 die Hälfte der syrischen Bevölkerung, also rund 11 Millionen Menschen, auf der Flucht. Davon kamen gerade einmal 300’000 SyrerInnen nach Europa. Ein Bruchteil (5%) beantragte in der Schweiz Asyl, 50% suchten in Deutschland Schutz.
Diese Zahlen erscheinen minim, wenn man bedenkt, wie viele vertriebene Menschen beispielsweise Deutschland 1945 aufnahm. 9,7 Millionen Menschen fanden damals aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten wie Rumänien und Ex-Jugoslawien Zuflucht. Dieser Vergleich verdeutlicht, wie sehr die Bereitschaft, Flüchtende aufzunehmen, davon abhängt, welcher Ton in den öffentlichen und politischen Medien angeschlagen wird. In der aktuellen „Das-Boot-ist-voll“-Propaganda werden die Flüchtenden jedoch nicht willkommen geheissen, sondern sie werden im Gegenteil für die mangelnde soziale Infrastruktur verantwortlich gemacht. Diese Aussagen verstärken die bereits vorhandenen Ängste der Bevölkerung um unsichere Arbeitsplätze und unzureichende soziale Versorgung und fördern somit durch ein fehlendes politisches Bewusstsein und eine verkürzte Kapitalismuskritik Fremdenfeindlichkeit. Ausserdem lenkt diese hetzerische und xenophobe Debatte von den eigentlichen Problemen ab!
Eines dieser Probleme ist die unzureichend vorhandene soziale Infrastruktur. Bereits seit Jahren sind nicht genügend Kita- und Schulplätze, Lehrpersonal sowie preiswerter sozialer Wohnungsraum vorhanden. Dieser Mangel an sozialer Infrastruktur hat jedoch nichts mit der zugenommenen Zahl der Asylsuchenden in Europa zu tun, sondern mit einer seit Jahrzehnten andauernden Unterfinanzierung eben dieser Institutionen. Diese notorische Unterfinanzierung führt zu einer bewusst in Kauf genommene Verschuldung, womit eine vermeintliche Notwendigkeit zur Sparpolitik der Kantone und Städte begründet wird. Doch warum ist zu wenig Geld in den öffentlichen Haushalten vorhanden? Die öffentlichen Haushalte erzielen einen Grossteil ihrer Einnahmen durch Steuern. In den letzten Jahrzehnten wurden die Steuern für Konzerne, Unternehmen und wohlhabende Personen stark gesenkt, nicht zuletzt beispielsweise durch die Unternehmenssteuerreform 2008.
Hätten wir heute dieselben Steuergesetze wie vor 20 Jahren, gäbe es 50 Milliarden Euro mehr in den öffentlichen Kassen.[1] Somit könnten durch eine anständige Vermögens- und Erbschaftssteuer alleine jährlich bereits Milliarden generiert werden, die für den Ausbau der sozialen Infrastruktur und die Aufnahme von Flüchtenden verwendet werden könnten. Diese traditionelle Forderung der Linken ist in der Flüchtlingsfrage aktueller denn je, da die Folgen der bisherigen, zunehmend ungerechteren Verteilung der Ressourcen die schwächsten Mitglieder einer Gesellschaft am härtesten treffen. Um unsere Forderungen verwirklichen zu können, müssen wir jedoch selber aktiv werden und in Form einer Bewegung Druck auf die Politik ausüben!

  1. Wir fordern eine gerechtere Umverteilung, indem die Umsatz-, Kapital- und Einkommenssteuer für Konzerne, Unternehmen und besser VerdienerInnnen erhöht werden.
  2. Wir fordern einen Ausbau der Infrastruktur zur Beherbergung von Flüchtenden und ein Ende der Unterfinanzierung der sozialen Infrastruktur

Migrationsindustrie – Milliardenausgaben für die Abschottung Europas und Ausschaffungen von MigrantInnen

Neben dem Scheinargument „Das Boot sei Voll“ ist ein weiteres Hauptargument der fremdenfeindlichen Propaganda, es sei kein Geld für die Aufnahme von Flüchtenden vorhanden. Fakt ist jedoch, dass Geld für den Ausbau der Festung Europas sowie die Aussschaffung der Flüchtenden vorhanden ist. Dieses Geld wird nur nicht für die Flüchtenden eingesetzt, sondern gegen sie. Das Jahresbudget der Agentur Frontex, die den Schutz der EU-Aussengrenzen koordiniert, stieg von 5 Millionen im Jahr 2005 auf 88 Millionen im Jahr 2011. Insgesamt wurde seit ihrer Gründung 2004 1 Mrd. Euro für diese Agentur ausgegeben. Die Grenzkontrollen sind zur riesigen Migrationsindustrie geworden, in der nicht nur Frontex, sondern auch zahlreiche große europäische Waffen- und Technologiefirmen mitmischen: Von 2002 – 2013 wurden von der EU und der Europäischen Raumfahrtbehörde ESA 39 Forschungs- und Entwicklungsprogramme zur Sicherung der EU-Aussengrenzen in Höhe von 225 Millionen Euro finanziert.[2] Davon profitieren laut dem Netzwerk Migrant Files vor allem die großen europäischen Waffen- und Technologiefirmen wie Airbus, Finmeccanica (italienischer Rüstungskonzern), Thales (französischer Rüstungskonzern) oder Saab, Indra, Siemens und Diehl.
Doch nicht nur für die Abschottung der EU werden Milliardensummen an Steuergeldern verschwendet, auch für die Ausschaffung von Menschen wurde seit 2000 von den 28 EU-Mitgliedsstaaten sowie Norwegen, Island, Liechtenstein und der Schweiz 11.3 Mrd. Euro aufgebracht. Weiterhin dient die mediale Propaganda einer „Invasion von Flüchtlingen“ der existenziellen Legitimierung des Militärs und der Sicherheitsindustrie. Tatsächlich weist Deutschland mit 34,2 Milliarden Euro den höchsten Verteidigungshaushalt seit Ende des Kalten Krieges auf.
Für Waffen, Zäune und Grenzkontrollen, welche die wirtschaftliche Elite Europas schützen, ist Geld vorhanden, jedoch nicht für Menschen, die aus existenzieller Not aufgrund von Kriegen, politischer Verfolgung oder Hunger fliehen. Um die physische und psychische Gewalt, der die Flüchtenden auf ihrem Weg nach Europa ausgesetzt sind, endlich zu beenden, sind wir gegen die aktuelle Migrations- und Flüchtlingspolitik.

  1. Wir fordern eine Abschaffung der Migrationsindustrie, d.h.
    • Juristisch: die Wiedereinführung des Botschaftsasyls
    • Infrastrukturell: sichere Flüchtlingsrouten sowie sichere Einreisewege nach Europa
    • Militärisch: Abschaffung von Frontex und eine Entmilitarisierung der EU-Aussengrenzen

Flüchtlingsaufnahme – humane Geste oder ökonomisches Kalkül?

Die Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde aufgrund ihrer selbstlosen Aufnahme von tausenden von Flüchtenden von den Medien als humanitäre Retterin, gar als „Maria Merkel“ gepriesen. Dabei wird völlig ausser Acht gelassen, dass hinter der „solidarischen“ Aufnahme der Flüchtenden ökonomische Klasseninteressen stecken.
Am Arbeitsmarkt ist ein zunehmender Mangel an Fachkräften in Schulen, Kitas, Krankenhäusern und Altenheimen erkennbar. Von bürgerlichen ÖkonomInnen wird hierfür häufig der demografische Wandel als Grund angeführt, d.h., dass die Zahl der älteren Menschen relativ zunimmt. Dabei wird häufig ignoriert, dass auch zu wenig Ausbildungsstellen und zu niedrige Löhne für den Fachkräftemangel mitverantwortlich sind. Viele Arzt*innen in der Schweiz kommen beispielsweise aus Deutschland, dort kommen sie wiederum aus Polen usw. Ausserdem gibt es in Deutschland sehr viele Arbeitslose. Gleichzeitig ist jedoch mit 600’000 unbesetzten Stellen in Deutschland ein enormer Bedarf an Arbeitskräften vorhanden. Weiterhin werden In Deutschland so viele Überstunden wie in keinem anderen europäischem Land geleistet: 1,4 Milliarden Überstunden[3] laut einer Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). Dies entspricht nach Angaben der Bundesregierung[4] 730’000 Vollzeitarbeitsplätzen. Aufgrund dieser Arbeitszeitverdichtung sind Millionen von Menschen chronisch überlastet, leiden an Stress und die Zahl psychischer Erkrankungen als Folge der Überarbeitung nimmt zu.
Aufgrund dieses Lochs in den Sozialkassen und dieses Fachkräftemangels sind die europäischen Ökonomien tatsächlich auf den Zustrom von jungen Menschen, sowohl als Billiglohnkräfte als auch als Fachkräfte angewiesen. Was erst seit einigen Jahrzehnten in Deutschland ein Problem wird, ist in der Schweiz schon seit einem halben Jahrhundert Realität. Statt jedoch die Not der Menschen zu sehen, wird von Ökonomen wie Hans Werner Sinn gefordert, die Flüchtlinge müssten so auf die jeweiligen europäischen Staaten verteilt werden, dass das Angebot und die Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt berücksichtigt werde. Der Mensch wird zur Ware, deren Angebot und Nachfrage nach den Gesetzen der Ökonomie möglichst effizient geregelt werden soll.
Weiterhin fordert der neoliberale Volkswirtschaftler, wenn nicht eine ganze, dann wenigstens eine partielle Abschaffung des Mindestlohns für Asylsuchende. Da dies für viele Menschen bedeuten würde, unterhalb des Existenzminimums zu rutschen, schlägt Herr Sinn vor, Sozialzuschüsse zusätzlich zu ihrem Lohn vor. Dies existiert in Deutschland bereits und dem Begriff „Aufstocker“. Diese Aussage bedeutet zum einen, dass die Löhne weiter sinken und der Konkurrenzdruck zwischen den einheimischen und den zugewanderten ArbeiterInnen weiterhin zunehmen wird. Zum anderen steckt in dieser Aussage, dass die SteuerzahlerInnen, also die Lohnabhängigen selber künftig einen Teil ihres eigenen Lohnes bezahlen sollen.
Wir stellen uns gegen die politisch und wirtschaftlich gewollte Spaltung der Lohnabhängigen und fordern einen gemeinsamen Kampf sowohl der erwerbstätigen Bevölkerung als auch der SozialhilfeempfängerInnen und der Asylsuchenden gegen Ausbeutung und für ein Leben in Würde. Konkret fordern wir

  1. Eine ernsthafte soziale und nachhaltige Integration von MigrantInnen in den ersten Arbeitsmarkt durch
    • Sprachkurse, Schul-, und Arbeitsplatzausbildung
    • Eine sofortige Öffnung der Kitas, Schulen und Hochschulen für geflüchtete junge Erwachsene
    • Eine Anerkennung der Bildungsabschlüsse der Herkunftsländer
    • Senkung der Hürden zum Arbeitsmarktzugang für Geflüchtete
  2. Eine Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich. Diese würde alle Lohnabhängigen entlasten und genügend Arbeitsplätze für MigrantInnen und Arbeitslose bereitstellen.
  3. Eine sofortige Grundsicherung für alle, die von ihrer Arbeit nicht leben können.

[1]             http://marx21.de/asylrecht-das-boot-ist-nie-voll/, 26.10.2015
[2]             www.themigrantfiles.com, 05.11.2015
[3]             http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/statistik-1-4-milliarden-unbezahlte-ueberstunden-im-jahr-11936835.html, 10.11.2015
[4]             http://www.linksfraktion.de/nachrichten/ueberstunden-atypische-arbeitszeit-runterfahren/, 10.11.2015
Dieser Artikel ist bereits 2016 erschienen. Wir publizieren ihn erneut, denn das Thema Migration und unsere Forderungen haben nicht an Aktualität verloren.

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