Am Freitag Abend, 25. Mai 2018, wurde der Platzspitz in Zürich besetzt. Für ein Wochenende sollen ein repressionsfreier Raum sowie eine Öffentlichkeit gegen die zunehmenden Verschärfungen im Asylbereich geschaffen werden. Dass die Aktivist*innen genau diesen Platz ausgewählt haben ist kein Zufall, steht er doch wie kein anderer für die Geschichte einer herrschenden Politik, die Randgruppen ausgrenzt und mit viel Repression umgesetzt wird. Waren es in den neunziger Jahren Drogenabhängige, so sind es heute Asylsuchende, die gesellschaftlich ausgegrenzt und unsichtbar gemacht werden sollen. Im Folgenden veröffentlichen wir das Manifest der Besetzenden. (Red.)
Mit der Verwandlung des Platzspitz in den Parc sans Frontières wollen wir einen temporären Raum schaffen, um den Protest gegen Zwangsmassnahmen im Asylbereich sichtbar zu machen und zu stärken.
Der Parc sans Frontières soll als repressionsfreier Raum auch ein Gegenmoment zur staatlichen Repression bilden, die sonst am Platzspritz omnipräsent ist. Wie kaum ein anderer Ort in dieser Stadt steht der Platzspitz für ein Zürich der Repression, für eine Stadt, in der nicht alle das Recht haben, sich im öffentlichen Raum aufzuhalten und zu bewegen. Noch immer, über 20 Jahre nach der Vertreibung der offenen Drogenszene, bleibt der Platz nachts geschlossen. Aus Angst vor «Szenebildung». Aus Angst davor, dass die Benutzung einer öffentlichen Anlage im Zentrum der Stadt durch «Randständige» das Bild einer aufgeräumten Global City stören könnte.
Seit den 90er-Jahren ist der Platzspitz darüber hinaus ein Symbol für Zürichs Funktion als bundesweites Laboratorium von Ausgrenzung und Repression.
Der Platzspitz ist ein Symbol für die staatliche Gewalt, die immer Leute trifft, die bereits in schwierigen Lagen sind, die keine grossen Lobbys oder dicke Portemonnaies haben.
Als 1992 um den Platzspitz die Zäune hochgingen und sich die Drogenszene in den Kreis 5 verlagerte, wo sie regelmässigen Treibjagden durch die Polizei ausgesetzt war, verlagerte sich auch das mediale und gesellschaftliche Feindbild von den Junkies auf das neu entdeckte Konstrukt des «ausländischen Drogendealers».
Die sozialdemokratische Stadtregierung geriet vermehrt unter Druck, gegen diese «ausländischen Drogengangs» vorzugehen, die – so das Narrativ – Asylgesuche als Schutz vor Ausschaffung benutzen. Diesem Druck gab sie bereitwillig nach.
Die rot-grüne Regierung begann die Internierung von nun unter Generalverdacht stehenden Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung voranzutreiben.
Die Forderungen: mehr Gefängnisplätze und das Wegsperren von Asylbewerber*innen ohne Tatbestand, Prozess oder Urteil. In diesem Kontext stimmte die Zürcher Stadtbevölkerung 1994 über das provisorische Polizeigefängnis auf dem Kasernenareal ab, welches eigentlich auf fünf Jahre beschränkt sein sollte – es steht noch heute. Das «Propog» war dann auch innert kürzester Zeit mit Ausschaffungshäftlingen überbelegt.
Während der rechte Bundesrat die linke Zürcher Stadtregierung anfänglich noch mit Verweis auf die Grundrechte zurückpfiff, wurde das Zürcher Modell bald bundesweit zum Vorbild.
Am 1. Februar 1995 traten die «Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht» in Kraft, die es den Behörden erlauben, Ausländer*innen wegen fehlendem Aufenthaltsstatus für bis zu fünfeinhalb Jahre einzuknasten. Eine Folge davon ist auch die gegenwärtige Eingrenzungspolitik des Kantons. Eingrenzungen bedeuten für Betroffene etwa, dass sie kleine ländliche Gemeinden nicht verlassen dürfen und so keinen Zugang zu Rechtsberatung haben, von ihrem Umfeld isoliert werden und jegliche sozialen Kontakte verlieren.
Die Rolle der Stadt Zürich als Laboratorium der Repression im Asylbereich zieht sich bis heute durch. So wurde auch das neue repressive Asylverfahren in den Bundeszentren, das im Zuge der neuesten Verschärfung des Asylgesetzes durch die letzte Asylgesetzrevision eingeführt wurde, in Zürich «getestet». Auch die Streichung der Sozialhilfe für vorläufig Aufgenommene droht schweizweit zum Vorbild zu werden.
Mit der Besetzung dieses Platzes, der so eng mit Zürichs Geschichte als Laboratorium der Repression verknüpft ist, wollen wir den Widerstand, der die Zwangsmassnahmen von Anfang an begleitete, sichtbar machen. Wir solidarisieren uns mit migrantischen Kämpfen weltweit, mit Menschen, die sich gegen Ausschaffungen und andere Zwangsmassnahmen wehren, mit Menschen, die trotz widrigsten Umständen Grenzen überwinden.
Wir wollen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Zürich nicht nur ein Laboratorium der Repression, sondern eben auch ein Ort des Widerstands mit emanzipatorischen Perspektiven war, ist und sein wird. Darauf müssen wir aufbauen und diese Perspektiven weiterdenken, um der unmenschlichen Repressionspolitik im Migrationsbereich, sei es in der Schweiz, in Europa oder sonst wo in der Welt, wirksam unsere kollektive Organisation von unten entgegenzusetzen.
Bleiberecht für alle, alles allen!