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Rechtsruck und Logik der Migrationspolitik

Die Migrationspolitik ist in den letzten Jahren massiv nach rechts gerückt. Früher noch verachtete, rechte Positionen sind zum Mainstream geworden. Der sozialdemokratische deutsche  Bundeskanzler fordert auf der Titelseite vom Spiegel, dass Deutschland «im grossen Stil abschieben» solle. Die deutsche Sozialdemokratie und die Grünen tragen die neue Reform des Gemeinsamen europäischen Asylsystems (GEAS) mit. Weshalb entwickelt sich Europa immer weiter nach rechts in der Migrationspolitik? Und welche Logik verfolgt das europäische Migrationsregime?

von August Bremel (BFS Zürich)

Ursprung der Migration

Fluchtursachen sind vor allem Kriege, politische Repression, Armut und Naturkatastrophen (verstärkt durch die Klimakrise). Im Jahr 2023 waren 117 Millionen Menschen auf der Flucht, die meisten davon fliehen innerhalb ihres Heimatlands. Und mehr als zwei Drittel der Geflüchteten, die ihr Heimatsland verlassen, gehen in Nachbarsländer. Afghanistan, Syrien, Venezuela, Ukraine und Sudan sind die Länder aus denen am meisten Menschen flohen.

Seit der Kolonialisierung des globalen Südens durch europäische Staaten ist die Entwicklung dieser Weltregionen auf ungleiche Weise miteinander verbunden. Die kapitalistischen Klassen Europas bereicherten sich an der Ausbeutung von Rohstoffen und Arbeitskräften aus den Kolonien und nutzten die Kolonien als Absatzmärkte für ihre Waren und Kapitalexport. Heute gibt es kaum noch formelle Kolonien, doch es besteht weiterhin eine wirtschaftliche und politische Abhängigkeit. Diese wird einerseits aufrecht erhalten über Institutionen wie der Internationale Währungsfonds, der Staaten, die vor einem Staatsbankrott stehen Kredite gewährt. Diese werden an Bedingungen geknüpft, die in der Regel Privatisierungen, Deregulierung und die Öffnung für internationale Grosskonzerne beinhalten. Darüber hinaus sichern sich die imperialistischen Mächte mit Krieg und Terror den Zugang zu Rohstoffen und Märkten.

Dieses imperialistische Weltsystem, das das Kapital in reichen Ländern konzentriert und deshalb zu einer Konzentration der Armut und Elend in den anderen Weltregionen führt, ist die Hauptursache für Migrationsbewegungen. Das gleiche, auf ständigem und unbegrenztem Wachstum basierende imperialistische und kapitalistische System, hat auch zu einer historisch einmaligen globalen ökologischen Krise geführt. Auch hierfür liegt die Verantwortung bei den reichen Ländern des globalen Norderns (allein USA und Europa sind für über ca. 50% der historischen CO2 Emissionen verantwortlich). Die Auswirkung der Klimakrise betreffen hingegen Gebiete im globalen Süden am stärksten. Seit 2008 wurden über 376 Millionen Menschen zu «Klimageflüchteten» – 92% davon in Subsahara-Afrika, in Süd- und Ostasien und in Ozeanien (Stand 2023).

Binnenvertriebene aufgrund von Naturakatastrophen.

Zur Aufrechterhaltung dieser globalen Strukturen von Ausbeutung und (Klima)ungerechtigkeit ist es notwendig, die Bewegungsfreiheit der Menschen im globalen Süden einzuschränken. Damit wird eine globale Angleichung der Arbeits- und Lebensbedingungen verhindert. Die Forderung nach Bewegungsfreiheit ist daher nicht nur aus moralischen Gründen eine wichtige Forderung. Sie greift auch die kapitalistisch-imperialistische Weltordnung in ihren Grundfesten an.

Entwicklungen in der europäischen Migrationspolitik

Als Reaktion auf die Krise des Migrationsregimes 2015/2016 hat sich Europa immer mehr abgeschottet und Migrant:innen wieder in nichteuropäische Drittstaaten ausgelagert. Italien baut in Albanien Internierungslager für, (oder besser gesagt gegen,) Asylsuchende, um sie in Schnellverfahren möglichst rasch abzuschieben. Die Ausgaben für die sogennante «Grenzschutzagentur» Frontex sind seit 2015 von 142 Millionen auf 2024 922 Millionen mehr als versechsfacht worden. Frontex soll bis 2027 10.000 Beamte haben (2019 waren es noch 700, sowie 1300 von EU-Staaten entsandte «Grenzschützer»).[1] Die Geflüchteten Camps an den Aussengrenzen werden zu haftähnlichen Internierungslagern ausgebaut, die häufig fernab von Städten und Dörfern gelegen sind. Sie sind mit dutzenden Kameras ausgestattet, mit Drehkreuzen und Chipkarten, Lautsprechern, sowie Röntgenscannern usw.

Für einen menschenwürdigen Umgang mit Geflüchteten gibt es nie genug Ressourcen, aber Milliarden für Überwachungstechnologien für die Festung Europa hat es immer. Dieselben Konzerne, die sich mit Waffenlieferungen an Kriegen, die zu Flucht führen bereichern, verdienen sich dann nochmals eine goldene Nase mit der Aufrüstung der Festung Europa. Kein Wunder, spielen doch die europäische Rüstungs- und «Sicherheitsindustrie» mit ihrer starken Lobby eine gewichtige Rolle bei der Ausformulierung der Politik der militarisierten Aussengrenzen in der EU Politik.

Die Krise des Migrationsregimes 2015/2016 konnte nur durch ein Abkommen mit der Türkei ausgelagert werden. In der Folge nahm die Türkei 3.1 Millionen syrische Geflüchtete auf, mehr als doppelt so viele wie alle EU-Staaten zusammen. Im Gegenzug erhielt die Türkei 6 Milliarden Euro von der EU, sowie lockerere Visa-Bestimmungen und zudem wurde die Zollunion ausgebaut.[2] Auch mit anderen autoritären Staaten gibt es Abkommen, zwischen 2021 und 2023 zahlte die EU an Lybien, Tunesien, Marokko und Ägypten 150 Millionen Euro, im Gegenzug sollten diese Staaten Migration nach Europa verhindern. 2024 schloss die EU ein Abkommen mit der ägyptischen Regierung ab, das ihr 7.4 Milliarden Euro zusicherte, im Gegenzug soll Ägypten die Migration nach Europa reduzieren. Die strukturellen Menschenrechtsverletzungen, mit welchen viele dieser Staaten ihren EU-Auftrag ausführen sind allgemein bekannt, und werden von der EU in Kauf genommen. Dabei weigert sich die EU, von ihr selbst in Auftrag gegebene Berichte über die Menschenrechtslage in diesen Ländern zu veröffentlichen. Dieses Jahr hat das EU-Parlament mit der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) einem drastischen Angriff auf der Rechte von Geflüchteten zugestimmt. Das GEAS beinhaltet unter andererem Asyl-Schnellverfahren ohne Rechtsschutz, die Ausweitung der Überwachung von Geflüchteten und die Möglichkeit, einen Krisenfall zu erklären, in dem das Asylrecht noch weiter eingeschränkt werden kann.[1]

Die Logik des europäischen Migrationsregimes

Doch wieso schottet sich Europa so dermassen ab? Es gibt einen riesigen Bedarf an Arbeitskräften aufgrund der Bevölkerungsentwicklung: Es werden in den nächsten Jahren viele Menschen pensioniert, ohne dass eine entsprechende neue Generation in den Arbeitsmarkt nachrückt. Schon jetzt ist überall von Fachkräftemangel die Rede.[2]

Gleichzeitig wird Panik geschürt vor der sogenannten «Massenmigration». Die Hetze wird betrieben von Rechtsaussen bis in die sogenannte Mitte, sowie von Teilen der Sozialdemokratie und der Grünen. Der FDP-Präsident lässt seiner Islamophobie bei einem Interview in der NZZ freien Lauf, wo er sagt:

«Wir müssen aber bei der ganz grossen Mehrheit, die ohne Asylgrund illegal in die Schweiz einreist, viel härter durchgreifen. Die schiere Masse junger Männer aus muslimischen Ländern kann unsere freiheitliche Gesellschaft zersetzen.»

Kürzlich wurde in der Schweiz die Abschaffung des Rechts auf Familiennachzug von vorläufig Aufgenommen nur durch öffentlichen Druck verhindert. Die Rechte gewinnt Wahl nach Wahl mit ihrer Hetze gegen Geflüchtete. Liberale und konservative und Teile der grünen und sozialdemokratischen Parteien übernehmen rechtsradikale Positionen.

Was auf den ersten Blick widersprüchlich erscheint, folgt grundsätzlich den Interessen des Kapitals. Europa will die Migration nicht vollständig stoppen, sondern vollständig kontrollieren. Gerade in Angesicht der sich abzeichnenden weiteren Eskalation der geopolitischen Lage und der Verschärfung der ökologischen Krise, sollen repressive Instrumente zur Migrationskontrolle gestärkt werden. Ziel ist es die Migration nach dem Bedarf der kapitalistischen Klassen Europas zu steuern: Es soll nur so viel und diejenige Migration nach Europa zugelassen werden, wie es dem Kapital nützt. In der unternehmerfreundlichen deutschen Tageszeitung Handelsblatt hat ein Ökonom zum Beispiel folgenden abscheulichen Vorschlag gemacht:

Deutschland sollte einen globalen Onlinetest einführen, der auf die Anforderungen der hiesigen Unternehmen abgestimmt und direkt mit der Erteilung einer befristeten Arbeitserlaubnis verbunden ist.

Dennoch gibt es erkämpfte Asylrechte, die Menschen vor Verfolgung schützen soll.  Diese Rechte werden jedoch immer stärker angegriffen (z.B. mit dem Versuch, das Recht auf Familiennachzug für vorläufig Aufgenommene abzuschaffen) und in der Realität oft nicht umgesetzt.

Die massive Entmenschlichung und Repression von Asylsuchenden an der Grenze und dann innerhalb Europas soll nicht nur weitere Geflüchtete abschrecken. Die systematische Entrechtung dient auch dazu den den Wert ihrer Arbeitskraft zu senken, sie strukturell in ausbeuterische Arbeitsbedingungen zu zwingen und ihren Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen einzugrenzen. Durch Einschränkungen in der Erlaubnis, Lohnarbeit nachzugehen, werden viele Asylsuchende durch Beschäftigungsprogramme ohne oder zu extrem niedriger Entlohnung ausgebeutet. Auch werden Menschen ohne Papiere und/oder Arbeitserlaubnis in den informellen Sektor gezwungen und sind dort jenseits von jeglichen Arbeitsschutzregulierungen der schrankenlosen Ausbeutung ausgesetzt. Wenn eine Arbeitserlaubnis erteilt wird, führt der Druck von Sanktionen oder Problemen mit dem Migrationsamt dazu, dass sie so gut wie jede Arbeit annehmen müssen, die angeboten wird. Egal wie schlecht die Arbeitsbedingungen sind. Zudem werden Migrant:innen auch durch die oftmalige Nicht-Anerkennung von Abschlüssen und Zertifikaten aus ihren Herkunftsländern systematisch in den Niedriglohnbereich gedrängt.

Es gibt aber neben der ökomischen auch eine politische Dimension der fortschreitenden Verschärfung des Migrationsregimes. Das neoliberale Regime steckt in einer tiefen Krise und die radikale Rechte schafft es leider, sich als (Schein-)Alternative dazu zu positionieren. Wir haben gesehen, wie schnell die bürgerlichen und sozialdemokratischen Parteien bereit sind, allfällige humanistische Überzeugungen aus dem Fenster zu werfen und die menschenverachtende Rhetorik der radikalen Rechten zu übernehmen, um zu versuchen, den Rechten die Wähler*innen abzugraben. Wir haben auch gesehen, dass die Argumentation, man könne so den Rechtsrutsch verhindern Unsinn ist.

Die Diskursverschiebung nach rechts kommt Ihnen gerade gelegen, um die Schuld für die soziale und ökologische Krise, die ihre Politik verursacht hat, der Migration in die Schuhe zu schieben. Als radikale Linke müssen wir dagegenhalten, gegen Verschärfungen im Asylrecht (wie beispielsweise die Reform des Gesamteuropäischen Asylsystems) ankämpfen. Genauso wichtig ist jedoch der Kampf für den gleichen Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen für alle; für gute Arbeits- und Lebensbedingungen für alle; und gegen die Ausbeutung migrantischer und aller Arbeiter:innen.


[1] Genauere Ausführungen, sowie eine Einordung zur Reform vom GEAS haben wir bereits einen Artikel veröffentlicht.

[2] Der sogenannte «Fachkräftemangel» hängt natürlich zu einem grossen Teil auch mit miserablen Arbeitsbedingungen zusammen (gerade im Gesundheitssektor, in dem der Fachkräftemangel besonders akut ist).

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