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Schweiz: Arbeitskämpfe auf dem Bau

Ende 2018 läuft der Gesamtarbeitsvertrag (Landesmantelvertrag LMV) des Bauhauptgewerbes aus. Der Schweizerische Baumeisterverband (SBV) will diese Gelegenheit für einen breiten Angriff auf die Arbeitsbedingungen der Bauarbeiter*innen nutzen. Gleichzeitig stellt er die erkämpfte Frühpensionierung mit 60 Jahren in Frage. Die Gewerkschaften und die Bauarbeiter*innen reagierten diese Woche mit ersten Warnstreiks.

von Philipp Gebhardt (BFS Zürich)

Bereits am 23. Juni 2018 kam es in Zürich zu einer riesigen Demonstration, an der sich laut Angaben der Gewerkschaften 18’000 Bauarbeiter*innen beteiligten. Im Oktober fanden nun Warnstreiks im Tessin und in Genf statt. Trotz der Friedenspflicht (Verbot von Kampfmassnahmen; Artikel 7 des LMV), die während der Laufzeit des LMV gilt, legten im Tessin 3000 und in Genf 2500 Bauleute ihre Arbeit nieder und demonstrierten in den Städten. In Genf beschlossen die Bauarbeiter*innen sogar, den Streik um einen Tag zu verlängern. Diese Mobilisierungen kommen nicht von ungefähr, haben in den letzten 20 Jahren doch beträchtliche Veränderungen auf dem Bau stattgefunden, welche den Arbeitsdruck der Bauarbeiter*innen ständig erhöht haben.

Wirtschaftliche Bedeutung des Baugewerbes

In den letzten Jahren ist die wirtschaftliche Situation auf dem Bau geprägt von steigender Arbeitsproduktivität und –intensität auf der einen Seite, sowie sinkender Beschäftigung, nur leicht steigenden Reallöhnen und zunehmendem Lohndumping auf der anderen Seite.

Trotz stetigem Rückgang, insbesondere nach den Wirtschaftskrisen in den 1970er und den 1990er Jahren, spielt der Bausektor in der Schweiz nach wie vor eine gewichtige Rolle. Die Bauausgaben entsprechen 10% des BIP oder 60 Milliarden Franken. Zum Vergleich: Die Ausgaben im Gesundheitssektors betragen 80 Milliarden Franken. Zudem strahlt die Bedeutung des Baugewerbes auf die gesamte Volkswirtschaft aus, weil viele andere Wirtschaftszweige damit verknüpft sind (Zuliefergewerbe bzw. Baustoffindustrie, Immobiliensektor etc.).

Anfangs der 1990er Jahren waren in der gesamten Schweizer Baubranche (inkl. Ausbaugewerbe und kaufmännischem Personal) circa eine halbe Million Personen beschäftigt. Heute sind es noch 320’000. Der Grossteil (circa 70%) der Bauarbeiter*innen ist in der Deutschschweiz beschäftigt. Ohne die Beteiligung der Deutschschweizer Bauarbeiter*innen an den aktuellen Mobilisierungen wird es deshalb schwierig bis unmöglich sein, genügend Druck auf die Baumeister aufzubauen.

Angriffe auf die Arbeitsbedingungen der Bauarbeiter*innen

Seit der Einführung der Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und der EU im Jahr 2002 und deren Erweiterung 2005 hat sich das Lohndumpingproblem drastisch verschärft. Entgegen der Propaganda der Gewerkschaften (und der SVP) greifen die flankierenden Massnahmen nicht. Ebenso augenfällig ist die Zunahme von Temporärarbeit, Subunternehmertum und Scheinselbständigkeit, welche Ausdruck der Flexibilisierungsbestrebungen der Baumeister sind. Die Reallöhne der Bauarbeiter*innen sind im Verhältnis zur Arbeitsproduktivität nur geringfügig gewachsen. Im Bauhauptgewerbe sind sie zwischen 1995 und 2013 um 8,8% angestiegen, während im gleichen Zeitraum die Produktivität um 24% erhöht werden konnte. Vom Produktivitätszuwachs profitierten also die Baumeister, deren Profite in den letzten Jahren stark gestiegen sind – zumindest diejenigen der grossen Player: Der Branchenprimus Implenia machte in den letzten zehn Jahren einen kumulierten Gewinn von 1,5 Milliarden Franken. Die Dividenden pro Aktie wurden in derselben Zeit von 50 Rappen auf 2 Franken erhöht.

Die Baumeister machen heute mit weniger Personal viel mehr Umsatz. Im Jahre 2000 kamen im Bauhauptgewerbe 95’393 Bauarbeiter*innen für einen Umsatz von 16,14 Milliarden Franken auf. 2014 waren es nur mehr 79’000, die einen Umsatz von 20,11 Milliarden Franken erarbeiteten. Die Steigerung der Umsätze und letztendlich der Profite ist auf die Intensivierung der Arbeit – sprich auf die effizientere Ausbeutung der Bauarbeiter*innen – zurückzuführen.

Nichts desto trotz greift der SBV systematisch die Errungenschaften an, die im LMV für 80’000 Bauarbeiter*innen festgehalten sind. In den aktuellen Verhandlungen fordert er eine drastische Flexibilisierung der Arbeitszeit (die eine 50-Stundenwoche ermöglichen würde), Lohnsenkungen für jüngere Bauarbeiter*innen sowie eine Lockerung des Kündigungsschutzes für ältere Bauleute. Im Gegenzug sollen einzig die Löhne monatlich um 150 Franken erhöht werden.

Der Kampf um das Rentenalter 60

Mit einer starken Mobilisierung der damaligen Gewerkschaft Bau und Industrie (heute Unia) in den Jahren 2001/2002 konnte die vorbildliche Frühpensionierung ab 60 Jahren erkämpft werden. Dabei kam es zu schweizweiten Streiks mit 20’000 Beteiligten. Höhepunkt war die mehrstündige Blockade des Bareggtunnels im November 2002 durch 2000 Bauarbeiter*innen. Seit 2003 ist die Frühpensionierung allgemeinverbindlich in einem vom LMV unabhängigen GAV festgehalten und wird von der Stiftung FAR (Flexibler Altersrücktritt) umgesetzt. Die Beiträge werden mehrheitlich von den Baumeistern finanziert. Letztere stellen diese Errungenschaft nun zum wiederholten Mal in Frage.

Seit 2002 haben die Gewerkschaften aber insbesondere in der Deutschschweiz einen gewichtigen Teil ihres Rückhalts und ihrer Verankerung auf den Baustellen verloren. Unter den aktuellen Kräfteverhältnissen ist es unklar, ob die Bauarbeiter*innen und die Gewerkschaften zu einer genügend starken Mobilisierung fähig sind, um sowohl die Angriffe auf den LMV, als auch auf die Frühpensionierung zu verteidigen.

Kündigung durch die Auffangeinrichtung

Die Stiftung Auffangeinrichtung BVG , welche u.a. als Pensionskasse für (Bau-)Arbeiter*innen zwischen 60-65 Jahren dient, hat den Vertrag mit der Stiftung FAR bzw. mit den Bau-«Sozialpartnern» (SBV, Unia, Syna u.a.) gekündigt. Begründung war ein zu grosser finanzieller Aufwand. Allerdings ist es unklar, ob es überhaupt juristisch in Ordnung ist, wenn die Ausgleichskasse eine einzelne Personengruppe (hier: Bauleute) ausschliesst.

Zur Sanierung der Stiftung FAR verlangen die Baumeister nun eine Erhöhung des Rentenalters oder eine Beitragskürzung von 30%. Die Gewerkschaften wiederum schlagen höhere Beiträge von Arbeiter*innen und Baumeistern sowie moderate Rentensenkungen vor. Angesichts der oben beschriebenen Profitsteigerungen für die Unternehmen ist hingegen klar, dass die finanziellen Löcher in der Auffangeinrichtung von den Baumeistern alleine gestopft werden müssen.

Solidarität ist gefragt

Die Probleme rund um den FAR zeigen die Schwächen des unsozialen Pensionskassensystems sowie von branchenspezifischen Rentenlösungen auf. Nichts desto trotz ist die Frühpensionierung für Bauarbeiter*innen eine der wichtigsten sozialen Errungenschaften, die in den letzten 20 Jahren in der Schweiz erkämpft wurde. Die Frühpensionierung auf dem Bau ist auch ein Beweis dafür, dass es – entgegen der unermüdlichen Propaganda der hiesigen Unternehmen und ihrer politischen Vertreter*innen – möglich ist, das derzeitige Renteneintrittsalter deutlich zu senken. Voraussetzung ist allerdings, dass dafür gekämpft wird. Gerade deshalb verdient der Kampf der Bauarbeiter*innen die Solidarität aller Lohnabhängigen in der Schweiz.

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