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Den Bankensektor sozialisieren, aber wie?

In Frankreich und Belgien ist die Diskussion über die Sozialisierung des Finanzsektors erheblich weiter fortgeschritten als hierzulande. Auch Teile der Gewerkschaften haben sich des Themas angenommen. Auf Französisch gibt es z. B. vom belgischen CADTM eine 100-seitige Broschüre mit dem Titel „Für die Sozialisierung der Banken“. Der auf die belgische Situation bezogene Text behandelt das Thema in einer Detailtiefe, wie wir das in Deutschland und der Schweiz nicht kennen. Der nachfolgende Text ist ein Bauteil dieser Broschüre.

von Eric Toussaint & Patrick Saurin; aus die Internationale

Sozialisierung des Bankensektors bedeutet:

  • Enteignung von Grossaktionär*innen ohne Entschädigung (bestenfalls entschädigt durch die Zahlung eines symbolischen Euros).  Kleinaktionär*innen werden vollständig entschädigt.
  • Übertragung eines Monopols für Finanzdienstleistungen jeglicher Art an den öffentlichen Sektor – mit einer einzigen Ausnahme: Es wird weiterhin einen kleinen genossenschaftlichen Bereich geben, für den allerdings die gleichen Spielregeln gelten wie für den öffentlichen Sektor.
  • Unter Beteiligung der Bürger*innen werden in einem demokratischen Planungsprozess in einer Charta die zu erreichenden Ziele und die zu erfüllenden Aufgaben definiert, welche dasHandeln der öffentlichen Spar-, Kredit- und Investitionsinstitutionen leiten sollen.
  • Alle Finanzaktivitäten müssen transparent und öffentlich sein. Sie müssen in einer auch für Laien verständlichen und nachvollziehbaren Form öffentlich zugänglich sein.
  • Schaffen wir öffentliche Dienstleistungen für Sparen, Kredite und Investitionen mit einer Doppelstruktur: Einerseits soll es ein Netz von kleinen „Hauptgeschäftsstellen“ und andererseits spezialisierte Agenturen geben, die für die Verwaltung von Fonds und die Finanzierung von Investitionen zuständig sind. Letzteres umfasst jene Finanzaktivitäten, die nicht in den Zuständigkeitsbereich von Ministerien (für öffentliche Gesundheit, Bildung, Energie, öffentlicher Verkehr, Ruhestand,Umweltumwandlungen usw.) fallen. Diese Ministerien erhalten ihrerseits die für ihre Tätigkeit erforderlichen Budgets, um die vorgesehenen Investitionen sicherzustellen und ihr effizientes Funktionieren zu gewährleisten. Die spezialisierten Agenturen werden für die Finanzierung von Bereichen und Aktivitäten sorgen, die über den Zuständigkeitsbereich einzelner Ministerien hinausgreifen oder gar nicht irgendwelchen Ministerien zuordenbar sind.
  • Stellen wir uns vor, was dies bedeutet: Das Ende des privaten Bankensektors. Dessen Beschäftigte werden nach Durchführung der Sozialisierung in den öffentlichen Bank- und Versicherungssektor übernommen. Ihre bisherige Betriebszugehörigkeit wird anerkannt, ihr Lohnniveau garantiert – allerdings nur bis zu einer bestimmten Höchstgrenze (Damit soll der im Finanzbereich weit verbreiteten Unsitte von astronomisch hohen Einkommen ein Riegel vorgeschoben werden). Niedriglohnempfänger*innen werden hingegen Lohnerhöhungen bekommen. Auch ihre Arbeitsbedingungen würden verbessert. Neue Mitarbeiter *innen würden in den Genuss all jener Vorteile kommen, die Beschäftigte im öffentlichen Dienst üblicherweise geniessen.


Banken, die der Allgemeinheit dienen

Das Ungleichgewicht, dass in den grossen Ballungsräumen eine grosse Anzahl konkurrierender Bankfilialen konzentriert sind, während gleichzeitig in ländlichen und armen Vierteln sowie in Kleinstädten Bankfilialen fehlen, wird korrigiert. Es wird ein umfassendes Netz lokaler Niederlassungen ausgebaut, um für die Bevölkerung den Zugang zu Bank-,  Versicherungs- und Finanzdienstleistungen, die von kompetenten Mitarbeiter*innen erbracht werden, zu verbessern. Niemandem sollte der Zugang zu kostenlosen öffentlichen Bankdienstleistungen vorenthalten werden.

Örtliche Filialen dieser öffentlichen Finanzagenturen werden die Kontokorrent- und Sparkontoeinlagen verwalten, die imÜbrigen für Kleinsparer*innen vollständig gewährleistet sind. Die Ersparnisse werden verwaltet ohne dass sie in riskante Anlageformen gesteckt werden. Sie werden unter der Kontrolle der Bürger zur Finanzierung gross angelegter lokaler Projekte und Investitionen zur Verbesserung des Lebensstandards der Bevölkerung, zur Bekämpfung des Klimawandels, zum Ausstieg aus der Atomenergie, zur Entwicklung lokaler Märkte und zur Finanzierung der lokalen Landentwicklung unter Einhaltung strenger sozialer und ökologischer Ziele eingesetzt. Die Sparer*innen selbst können wählen, für welches Projekt oder welche Projekte ihre Ersparnisse verwendet werden sollen.

Die lokalen Agenturen würden Einzelpersonen, Haushalten, kleinen und mittleren Unternehmen und lokalen Verbänden, Institutionen und öffentlichen Verwaltungen Kredite ohne Risiko gewähren. Ein Teil ihrer Ressourcen könnte für Projekte verwendet werden, die über den lokalen Gebrauch hinausgehen, natürlich in einem demokratisch definierten Rahmen.

Banken im Dienste der Gemeinschaft

  • Lokale Agenturen würden Finanzportfolios in einer angemessenen Grösse verwalten. Dies würde ein hohes Mass an Kontrolle über alle Elemente der Finanzmärkte ermöglichen. Ziele, Programme und Tilgungspläne würden in einer für die Kund*innen verständlichen Form aufbereitet und die Überwachung der verschiedenen Akteure erleichtert.
  • Lokale Projekte würden unter demokratischer Beteiligung finanziert.
  • Lokale Agenturen hätten auch die Möglichkeit, Versicherungsdienstleistungen für Privatpersonen und für Unternehmen anzubieten.

Unterstützung für den Übergang zu einer sozialen, nachhaltigen und ökologischen Wirtschaft

Darüber hinaus stehen den Minister*innen für Gesundheit, Bildung, Energie, öffentlicher Verkehr, Renten und ökologischen Übergang – um nur einige zu nennen – auch Gelder aus dem Staatshaushalt zur Erledigung ihrer Aufgaben zur Verfügung. Spezialisierte bereichsübergreifende Agenturen würden eingreifen, um Projekte zu koordinieren, an denen mehrere Ministerien und interessierte Parteien beteiligt sind. Ihre Aufgabe wäre die Durchführung spezifischer oder bereichsübergreifender Projekte mit Beteiligung der Bürger*innen, wie das Programm zum Ausstieg aus der Atomkraft einschließlich der langfristigen Entsorgung von Atommüll.

Viele Aspekte dieses Projekts müssen noch ausgearbeitet werden. Wir sind in der Vorbereitungsphase eines komplett neuen Systems. Diese Arbeit erfordert ehrgeizige gemeinsame Anstrengungen, um Ideen und Vorschläge zu entwickeln. Dies ist nur der Anfang.

Kontrolle der Bürger*innen auf allen Ebenen

Die Kontrolle der Bürger*innen über die Banken bedeutet Kontrolle durch ein Gremium, bestehend aus Angestellten, Kund*innen, lokalen gewählten Vertreter*innen, Vertreter*innen von Klein-, Mittel- und Kleinstunternehmen, Selbständigen und lokalen Verbandsdelegierten. Und natürlich wären die Bankaufsichtsbehörden beteiligt.

Wir verwenden das Wort „Sozialisierung“ oder „Vergesellschaftung“ anstelle von „Verstaatlichung“ oder „Staatseigentum“, um die wesentliche Rolle der Kontrolle durch die Bürger*innen deutlich zu machen. An der letztlichen Entscheidungsfindung werden Direktor*innen, Personalvertreter*innen, Kund*innen, gemeinnützigen Organisationen und Verbände, lokale Beamt*innen undVertreter*innen der nationalen und regionalen öffentlichen Finanzeinrichtungen beteiligt sein. Wie diese aktive Bürger*innenaufsicht konkret ausgeübt wird, muss auf demokratischem Weg definiert werden. Aktiv gefördert wird die Beteiligung der Beschäftigten an der Aufsicht über die Geschäftstätigkeit der Banken wie auch der Organisation der betrieblichen Abläufe. Die verantwortlichen Bankverwalter*innen müssen einen jährlichen öffentlichen Bericht über ihre klare und transparente Verwaltung herausgeben. Wir würden lokalen Dienstleistungen den Vorzug geben gegenüber dem internationalen Geschäft. Das Personal der Finanzeinrichtungen wird angehalten, den Kund*innen eine authentische Beratung zu bieten, also differenzierte Informationen, die Vorteile und Nachteile der jeweiligen Angebote offenlegt. Es würde Schluss gemacht mit jener im Moment üblichen aggressiven Verkaufspolitik, die ausschließlich auf Gewinne für die Bank und Provisionen für dieBankangestellten ausgerichtet ist.

Die Sozialisierung des Banken- und Versicherungssektors in öffentliche Dienstleistungen wird es ermöglichen,

  • dass Bürger*innen und Behörden sich dem Einfluss der Finanzmärkte entziehen;
  • dass von den öffentlichen Behörden Projekte zum Nutzen der Bürger*innen finanziert werden;
  • dass die Tätigkeit der Banken sich am Gemeinwohl ausrichtet, unter anderem mit dem Ziel, den Übergang von einer kapitalistischen, produktionsintensiven Wirtschaft zu einer sozialen, nachhaltigen und umweltfreundlichen Wirtschaft in die Wege zu leiten.

Da Währung, Ersparnisse, Kredite, Kreditaufnahme, Einlagensicherung und die Wahrung der Integrität der Zahlungssysteme von allgemeinem Interesse sind, empfehlen wir die Einrichtung eines öffentlichen Bankdienstes, in dem alle Unternehmen des Bank- und Versicherungssektors sozialisiert werden.

Weil Banken heute ein bedeutendes Werkzeug des kapitalistischen Systems und einer Produktionsweise sind, die unseren Planeten plündert, eine ungleiche Verteilung ihrer Ressourcen erzeugt, Kriege und Verarmung verursacht, nach und nach soziale Rechte abbaut und demokratische Institutionen und Praktiken angreift, ist es wichtig, die Kontrolle über sie zu übernehmen, damit sie zu Werkzeugen werden, die in den Dienst der Gemeinschaft gestellt werden.

Die Sozialisierung des Bankensektors kann nicht nur als eine blosse Losung oder Forderung verstanden werden, die, einmal benannt, dann von den Entscheidungsträger*innen in Eigenregie in die Praxis umgesetzt wird. Sozialisierung muss als politisches Ziel gesehen werden, das durch einen von einer Bürger*innenbewegung getragenen Prozess erreicht wird. Es ist nicht nur notwendig, dass die bestehenden organisierten sozialen Bewegungen (einschliesslich der Gewerkschaften) diesem Ziel in ihrer Agenda hohe Priorität einräumen. Es ist zudem wichtig, dass die verschiedenen Sektoren (lokale Regierungsstellen, kleine und mittlere Unternehmen, Verbraucher*innenverbände usw.) einheitlich handeln, also am gleichen Strang ziehen. Wichtig ist, dass die Bankangestellten sich dessen bewusst sind, wie wichtig für das Gelingen der Sozialisierung ihre berufliche Tätigkeit ist. Für die Kund*innen der Banken ist es wichtig, dass sie darüber informiert sind, was die Bank mit ihrem Geld tut und was nicht.

Unterstützung durch die Bevölkerung

Die Sozialisierung des Bankensektors und die Unterstützung durch die Bevölkerung sind die notwendigen Voraussetzungen für tiefgreifende Veränderungen in der Gesellschaft. Nur eine Mobilisierung von sehr grossem Ausmass kann sicherstellen, dass die Sozialisierung des Bankensektors tatsächlich umgesetzt werden kann. Schliesslich ist sie eine Massnahme, die den Kern des kapitalistischen Systems berührt. Wenn eine Regierung der Linken eine solcheMassnahme nicht ergreift, wird sie nicht in der Lage sein, die radikale Veränderung herbeizuführen, die notwendig ist, um mit der Logik des kapitalistischen Systems zu brechen und einen neuen Emanzipationsprozess herbeizuführen.

Die Sozialisierung des Banken- und Versicherungssektors muss Teil eines viel breiteren Programms weiterer Massnahmen sein, die den Übergang zu einem neuen, postkapitalistischen Modell vorantreiben. Ein solches Programm, das europaweit angewandt werden muss, aber in einem oder mehreren Ländern in die Praxis umgesetzt werden kann, würde den Verzicht auf Sparmassnahmen, die Streichung illegitimer Schulden und die Einführung einer umfassenden Steuerreform mit hoher Kapitalbesteuerung umfassen. Dazu kämen eine Arbeitszeitverkürzung mit vollem Personalausgleich, die Beibehaltung des Lohnniveaus sowie die Sozialisierung des Energie-, Wasser- und Gesundheitssektors. Dazu gehören auch Massnahmen zur Gewährleistung der Geschlechterparität, zum weiteren Ausbau der öffentlichen Dienstleistungen und der Sozialleistungen sowie das entschlossene Angehen einer ökologischen Transformationspolitik.

Für all diese Fragen ist die Sozialisierung des gesamten Bankensystems eine dringende wirtschaftliche, soziale, politische und demokratische Notwendigkeit.

Titelbild: Paradeplatz in Zürich, Hauptsitz der grossen Schweizer Banken

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