Ich bin, oder besser gesagt war, eine Gastro-Angestellte auf Stundenlohnbasis in einem Zürcher Gastro-Betrieb. Bereits im März habe ich in einem Artikel erzählt, wie die erste Entlassungswelle zu Unsicherheiten geführt hat und welch bitterbös-grotesken Situationen auf eine:n als Lohnabhängige:n in der Schweizer Bürokratie zukommen. Ich möchte hier gern die Erzählung wieder aufnehmen und von den Monaten berichten, die dem ersten Lockdown in der Schweiz folgten. Ich werde von meinen persönlichen Erfahrungen als Gastro-Angestellte in einem Kulturbetrieb der Stadt Zürich berichten, den ich hier nicht namentlich erwähnen möchte, um meine Arbeitskolleg:innen nicht in eine unangenehme Situation zu bringen. Der Betrieb ist aber ein bekannter und wichtiger Bar-, Club- und Theater-Ort der Stadt Zürich, in dem jährlich wichtige Musikfestivals abgehalten werden und der auch von der Stadt Zürich mitfinanziert wird.
von Sarah Friedli (BFS Jugend ZH)
Kurzer Rückblick: Erster Lockdown im März 2020
Am 17. März wurde uns per WhatsApp in unserem Gruppenchat und später per Mail mitgeteilt, dass wir ab dem 1. April keine Schichten mehr bekämen und wir uns doch beim RAV anmelden, aber bitte keinen anderen Job annehmen sollen – respektive davor zuerst mit unserem Chef sprechen sollen (sorry, wie abgefuckt ist das?!) –, weil sie uns wieder beschäftigen wollen, sobald sie wieder aufmachen können.


Diese Nachricht ist auf mehreren Ebenen eine Frechheit und gab uns schon eine Vorahnung, was in den nächsten Monaten auf uns zukommen würde. Das komplette Team war auf Stundenlohnbasis angestellt. Sie haben uns keine Festanstellungen gegeben, auch wenn einige von uns regelmässig in einem hohen Pensum gearbeitet haben. Das hiess also, dass wir zu diesem Zeitpunkt wussten, dass unsere Schichten, die schon auf dem Arbeitsplan für den März eingetragen waren, noch bezahlt würden, aber nicht, wie wir das Geld für die folgenden Monate (niemand wusste genau wie lange das dauern würde) auftreiben sollten. Wie ich bereits im Artikel im März ausgeführt habe, konnte das RAV uns nicht wirklich absichern. Und einen neuen Job in der Gastronomie zu bekommen, war und ist noch immer beinahe unmöglich. In dieser Situation als Betrieb einfach zu beschliessen, keine Kurzarbeit für sehr prekär angestellte Lohnabhängige zu beantragen, – obwohl im März allen klar war und auch mehrmals vom Bundesrat versichert wurde, dass genug Geld für Kurzarbeit da sei und der Prozess der Beantragung vereinfacht worden sei, – ist einfach nur faul und absolut daneben. Der Betrieb wälzte die administrative Arbeit auf uns Lohnabhängige ab, die ohnehin schon nicht wussten, wie es weitergeht. Ausserdem ist es eine Taktik zur Vereinzelung der Lohnabhängigen: Wenn von einem Team alle einzeln beim RAV angemeldet sind und jede:r sich selber mit den verschiedenen Zuständigen des Staates herumschlagen muss, ist eine kollektive Organisierung viel schwieriger, als wenn alle zur selben Bedingung von einem Betrieb auf Kurzarbeit gesetzt werden und so gegebenenfalls auch gemeinsam Forderungen formulieren könnten.
Was seither geschah: Ernüchterung in drei Akten
Akt 1: Kollektives Wehren und Kurzarbeit für kurze Zeit
Nach dieser Nachricht haben wir als Team einen eigenen Gruppenchat gegründet, in dem wir zuerst unseren Frust abgelassen haben. Kurz darauf (am 18. März) haben wir unseren Chefs eine Mail geschrieben, in der wir darlegten, dass wir nicht verstehen, wieso sie uns nicht für Kurzarbeit angemeldet haben und wir forderten sie auf, dies zu tun. Am selben Tag gingen wir alle gemeinsam das Trinkgeld abholen, das uns noch zustand. Wir wollten gemeinsam gehen, um auch alle noch einmal mit unseren Chefs sprechen zu können. An diesem Gespräch haben wir unseren Frust und unser Unverständnis erneut dargelegt und einige haben mit der Kündigung gedroht, falls wir nicht für Kurzarbeit angemeldet werden. Dies war ein äusserst effektiver Schritt. Denn hätte ein grosser Teil des Teams gekündigt, hätten unsere Chefs drei Monate lang die volle Lohnfortzahlung garantieren und direkt nach dem Lockdown ein neues Team einstellen und einarbeiten müssen. Die Antwort war also: «Wir schauen, was wir tun können.» Natürlich hatten wir nicht sonderlich grosse Hoffnungen und wir hörten auch lange nichts mehr von ihnen. Ende März erhielten wir unseren Lohn für den März und wussten noch immer nicht, wie es weitergehen wird.
Dann kam am 4. April eine Mail, die zeigte, dass es sich gelohnt hatte, dass wir die Situation nicht einfach hingenommen hatben: Die Chefs hätten für uns einen Kurzarbeitsantrag gestellt, die Bewilligung stehe aber noch aus. Nichtsdestotrotz würden sie für 100% unseres Lohnes aufkommen (entweder würden sie alles bezahlen oder aber die Kurzarbeit würde 80% decken und sie würden 20% übernehmen). Wie die Aufteilung nun genau gemacht wurde, ob die Kurzarbeit-Stelle den Antrag bewilligt hat, darüber wurden wir nie informiert. Das würde später eine Rolle spielen, war uns aber zu diesem Zeitpunkt noch ziemlich egal; wir konnten unser Lohn sichern. Das war jedoch ein Erfolg, der nicht allzu lange andauert. Im Juni durften die Gastro-Betriebe wieder ihre Türen öffnen und die Kurzarbeit hätte neu beantragt werden müssen. Natürlich wurde das nicht gemacht. Ein kleines Intermezzo, das mich ebenfalls sehr wütend machte, war das Folgende: Anfangs Mai wurden zwei Putz- und Inventartage angekündet und wir wurden im Team gefragt, ob wir helfen wollten. Die Nachricht war unklar formuliert, aber ich und andere im Team gingen automatisch davon aus, dass uns diese Stunden bezahlt werden würden. Wir meldeten uns eifrig, da alle Geld brauchten und wir uns natürlich auch gerne wieder als Team treffen wollten. Also haben wir zwei Tage lang aufgeräumt, geputzt und alles gezählt. Die Überraschung kam zum Schluss, als ich fragte, ob es denn nun bezahlt würde und die Antwort war: «Nein, ihr seid ja 100% auf Kurzarbeit. Es wäre illegal, euch jetzt dennoch für die Arbeit zu bezahlen.» Wenn ihnen das Arbeitsrecht wirklich so sehr am Herzen liegen würde, dann hätten sie uns ja mal einen schriftlichen Arbeitsvertrag geben können, sie hätten uns nicht aufs RAV schicken und davon abraten sollen, einen anderen Job zu suchen, sie hätten uns auch einfach nicht arbeiten lassen dürfen für diese zwei Tage.
Akt 2: Sommermonate und «die Hoffnung»
Im Juni/Juli fand ein Leitungswechsel des Betriebs statt. Es gab neue Chef:innen und einige Zuständigkeiten änderten sich. Gleichzeitig konnte der Betrieb zwar öffnen, allerdings mit einschränkenden Massnahmen. Es konnten weniger Schichten besetzt werden und diese waren kürzer. Uns wurde oft weniger als 24 Stunden vor Schichtbeginn abgesagt und manchmal sogar am selben Tag. Einmal mehr sehen wir, dass es unseren Chef:innen gar nicht so viel an Legalität gelegen war, denn das war illegal.
Ich habe in den Monaten Juni/Juli noch einen Drittel meines durchschnittlichen Lohnes vor Corona erhalten. Wenn man in einem sowieso schon miserabel bezahlten Arbeitsverhältnis steckt, in dem Ausfälle oder Krankheiten nicht gedeckt sind (danke Stundenlohn…), kann man in keiner denkbaren Situation mit nur 30-40% seines normalen Lohnes leben – es ist schlicht unmöglich. Obwohl das vom Buchhalter über unseren direkten Vorgesetzten bis hin zur obersten Leitung alle wussten, kümmerte sich niemand darum, uns erneut für Kurzarbeit anzumelden. Stattdessen wurde das Lokal im August/September noch umgebaut. Wir konnten also nur die Aussen-Bar offenhalten und Veranstaltungen im Haus waren nicht möglich. Dies bedeutete noch weniger Schichten für uns. Wir wissen nicht, wie viel der Umbau gekostet hat, klar ist aber, dass er nicht gratis und wohl auch nicht ganz billig war. Sich dies inmitten der Corona-Krise zu leisten, während die Angestellten keine Schichten übernehmen können und nicht für Kurzarbeit angemeldet werden, also schlicht ohne Geld dastehen, ist purer Hohn. Das Geld, die Kapazitäten und der Fokus wurden überall hingelegt, nur nicht auf uns Lohnabhängige. Als wir später die neuen Chef:innen fragten, wieso sie uns nicht einfach als erste Handlung gleich wieder für Kurzarbeit angemeldet hätten, meinten sie, dass sie eben die Hoffnung gehabt hätten, dass es ab dem Sommer wieder besser laufe und Corona vorbei sei. Schön für euch, aber ich lebe nicht von Licht, Luft und der Hoffnung meiner Chef:innen!
Akt 3: Herbst/Winter, steigende Zahlen, erneute Schliessung und die absolute Frechheit
Als sich dann im Herbst eine erneute Schliessung der Gastro-Betriebe abzeichnete, wurde auch bei uns intern kommuniziert, dass der Betrieb ab dem 1. November geschlossen bleibt. Gleichzeitig wurden wir informiert, dass für uns Kurzarbeit beantragt werde und wir wurden zu einer internen online-Sitzung eingeladen. Es sollte darum gehen, unseren Frust gemeinsam zu besprechen und zu schauen, wie es weitergehen soll. Die Kurzarbeits-Anträge waren noch immer nicht bewilligt und es war auch unklar, wie lange der Betrieb geschlossen bliebe. Alles in allem hatte ich nach dieser Sitzung jedoch mehr Fragen als vor der Sitzung. Wir hörten dann lange Zeit nichts. Aufgrund dieses Gesprächs haben sich dann einige von uns mal in die Arbeitsrechtsgrundlagen, die Massnahmen und die Kurzarbeitsjuristerei eingelesen. Eine Person hat auch mit einem Anwalt gesprochen und einige Dinge abgeklärt, welche sie dann per Mail mit uns allen geteilt und als Information auch an unsere Chef:innen weitergeleitet hat. Es ging darin um Lohnforderung für kurzfristig abgesagte Schichten und die Verantwortung der Chef:innen, den Lohnabhängigen genügend Arbeit zur Verfügung zu stellen. Ein Monat später wurde dieser Person gekündigt – auch das war illegal!
Wir anderen wurden auf Kurzarbeit gesetzt, erhielten aber dennoch weniger Geld als während dem ersten Lockdown. Dies hatte zum einen damit zu tun, dass im März 100% des Lohnes übernommen wurde und nun wie vorgesehen nur 80%. Diese 80% wurden aber zuerst auf Grund des Durchschnitts der letzten zwölf oder sechs Monate errechnet, und zwar von November rückwärts. Da wir im Sommer nur wenige Einsätze hatten und kaum Lohn erhalten haben, war der Durchschnitt also massiv gesunken. Auch das war nicht rechtmässig, denn es gilt für die Berechnung der Zeitraum vor der ersten Anmeldung zur Kurzarbeit (also in unserem Fall von März retour). Auch hier mussten wir uns wieder kollektiv wehren und vorerst nicht zur Kurzarbeit einwilligen, um unsere Chef:innen dazu zu bringen, das abzuklären und anzupassen. Daraufhin wurde uns telefonisch der berechnete Kurzarbeitsbetrag mitgeteilt, der aber erneut nicht stimmte, weil der Buchhalter den Brutto- anstelle des Nettolohns kommuniziert hatte. Was schliesslich auf dem Konto ankam, war also noch weniger. Seitdem haben wir nichts mehr gehört. Wir wissen nicht, ob wir ab März noch einmal für Kurzarbeit angemeldet oder ob wir alle entlassen werden.
Ich bin enorm wütend. Denn während meine Chef:innen weiterhin jeden Monat ihr Gehalt auf dem Tisch hatten, haben sie während des letzten Dreivierteljahres alles andere gemacht als zu sich darum zu kümmern, dass wir einen Lohn zum Leben haben. Wir sind auf diesen Lohn angewiesen, auch wenn es «nur» Teilzeitstellen sind. Da einfach Geduld von uns zu verlangen oder einfach nur zu hoffen, dass alles besser wird, bringt uns gar nichts. Dass der Betrieb zum Teil von der Stadt mitsubventioniert wurde und einiges an Geld für den Kulturbereich zugesprochen erhielt, kommt noch dazu. Das Geld, welches ihm zugesprochen wurde, kam einfach nicht bei den Lohnabhängigen an und unsere Chef:innen werden freiwillig weiterhin keinen Finger krumm machen, um uns bessere Bedingungen zu sichern. Das müssen wir selber tun!