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Inflation: die grosse Umverteilung

Die Inflation gilt als ein Phänomen, das uns alle bedroht – Beschäftigte, die Unternehmen, den Staat und den sozialen Frieden. Doch ist sie kein subjektloser Prozess, sie kennt Betroffene und Verursacher. Die aktuell hohe Inflationsrate verrät viel über die Machtverhältnisse in der Gesellschaft und über das, was den Kapitalismus antreibt.

von Stephan Kaufmann; aus antikap

Die aktuell hohe Inflationsrate führt zu einer Verarmung, wie es sie seit Jahrzehnten nicht gegeben hat. Schnell steigende Preise lassen die Kaufkraft schmelzen, sie entwerten Einkommen und Vermögen und münden voraussichtlich in einer Rezession. Gegenüber der allgemeinen Teuerungswelle zeigt sich die Politik weitgehend machtlos: Mehr als einzelne «Entlastungen» können die Menschen nicht erwarten.

In der Wirtschaftsberichterstattung ist es üblich, die Inflation als Naturphänomen darzustellen, das sich der menschlichen Kontrolle entzieht: Sie schläft oder droht, sie zerrt an ihrer Verankerung und wenn sie schließlich galoppiert, dann leiden alle. Diese Erzählung ist unterkomplex. Weder haben die Preise ein Eigenleben, noch sind ihrem Anstieg alle Wirtschaftssubjekte gleich ausgesetzt. Sowohl die aufgeführten Ursachen der Inflation wie auch die Mittel zu ihrer Bekämpfung verraten viel über das Funktionieren des herrschenden Wirtschaftssystems, über die Funktion von Preisen und die Rolle des Geldes, um dessen Stabilität derzeit so sehr gefürchtet wird. Kurz: Um über die Inflation zu reden, müssten sehr viele Aspekte unserer Wirtschaft beleuchtet werden. Dieser Text konzentriert sich auf sechs Anmerkungen zum Problem der «steigenden Lebenshaltungskosten» und weist dabei auf Leerstellen in gängigen Erklärungen hin.

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Dieses Jahr findet das Andere Davos, Gegenveranstaltung zum Weltwirtschaftsforum (WEF), am 13./14. Januar 2023 unter dem Motto „Solidarisch gegen Inflation, Klimakatastrophe & Krieg“ im Volkshaus Zürich statt.

1. Der Krieg

Der russische Angriff auf die Ukraine und der anschließende Anstieg der Energiepreise gelten als zentrale Ursachen der hohen Inflationsrate. Diese Erklärung ist in zwei Hinsichten zu ergänzen:

Erstens war bereits vor Kriegsausbruch die Inflation relativ hoch. In der Coronakrise 2020 war sie in der Eurozone unter null Prozent gesunken und stieg bis Kriegsausbruch auf knapp sechs Prozent, in den USA sogar auf fast acht Prozent. Gründe dafür waren zum einen eine starke globale Nachfrage nach Waren: Während der Coronapandemie hatte sich Nachfrage aufgestaut. Zu ihrem Anstieg beigetragen hatten auch die billionenschweren staatlichen Unterstützungspakete für Haushalte und Unternehmen.

Zudem kam es im Zuge des Post-Corona-Booms zu Lieferengpässen. Gründe dafür waren zum einen weitere Lockdowns vor allem in China und zum anderen, dass die Unternehmen in der Pandemie ihre Produktionskapazitäten drosselten und im anschließenden Boom diese Kapazitäten nicht schnell genug wieder hochfahren konnten. Aus dieser Kombination hoher Nachfrage und knappem Angebot wird die steigende Inflationsrate gemeinhin erklärt: Laut Internationalem Währungsfonds gingen in den USA 40 Prozent und in der Eurozone 66 Prozent der zusätzlichen Preissteigerungen auf das Konto von Lieferengpässen und höheren Rohstoffpreisen. Jeweils rund 30 Prozent resultierten aus höherer Nachfrage der Haushalte plus staatlichen Hilfsprogrammen.

Zweitens waren die nach Kriegsbeginn anziehenden Energiepreise allerdings nicht so sehr Folge der Kampfhandlungen selbst, sondern der Drosselung der Energielieferungen durch Russland. Mit diesen Drosselungen versucht Moskau seitdem, den Westen zur Aufgabe oder Abmilderung seiner Wirtschaftssanktionen zu zwingen. Die hohe Inflation ist mithin ein Teil des Preises, den der Westen in seinem Bemühen zahlt, Russland niederzuringen. Dies wird meist nicht so deutlich ausgesprochen, weil damit eine Relativierung der russischen Verantwortung verbunden wird.

2. Der Preis

Die Preise steigen – in diesem Satz erscheinen die Güterpreise als handelndes Subjekt, denen die Menschen ausgesetzt sind. Dies ist die gängige Perspektive der Käufer und Konsumenten, die die Inflation im Passiv erleben. Allerdings, so riet einst der Philosoph Leo Kofler: «Wenn Sie hören, die Preise steigen, glauben Sie es nicht! Preise tun nämlich gar nichts.» Handelnde Subjekte an der Preisfront sind vielmehr die Unternehmen. Sie sind es, die die Waren teurer machen und dazu befugt sind: Die Marktwirtschaft beruht auf «freien Preisen», und damit ist die Freiheit der Unternehmen gemeint, den Preis gemäß ihren Zwecken festzusetzen. Denn ihnen gehören die Güter, die sie produzieren lassen.

Für ein kapitalistisches Unternehmen ist der Preis einer Ware zu allererst ein Mittel, die Bedürfnisse der Nachfrager auszunutzen, um das eigene Bedürfnis zu befriedigen: Profit.

Für ein kapitalistisches Unternehmen ist der Preis einer Ware zu allererst ein Mittel, die Bedürfnisse der Nachfrager auszunutzen, um das eigene Bedürfnis zu befriedigen: Profit. Nur dafür hat das Unternehmen Güter produziert, nur dafür geht es auf den Markt und nur dafür setzt es den Preis fest: um einen Gewinn zu machen, damit das investierte Kapital vermehrt zurückfließt, um anschließend mit dem gleichen Zweck neu investiert zu werden. Und weil alle kapitalistische Unternehmen das gleiche wollen, sind Preise auch die Waffen ihres Konkurrenzkampfes: Jedes Unternehmen versucht, besser und billiger als die anderen zu produzieren, damit seine Waren – und nicht die der Wettbewerber – Absatz finden. Auf Grund der Konkurrenz ist der Profit für das Unternehmen nicht lediglich sein Ziel, sondern auch ein Zwang. Denn in der Konkurrenz mit anderen muss es eine angemessene Kapitalrendite erwirtschaften. Andernfalls droht ihm über kurz oder lang das Ausscheiden aus dem Markt.

Für die Nachfrager wiederum ist der Preis einer Ware die einzige, aber auch die entscheidende Schranke zwischen dem eigenen Bedürfnis und seiner Erfüllung: Für Geld ist alles zu haben, aber eben nur, wenn man genug davon hat. Bedürftige Nachfrager, die die geforderten Preise nicht zahlen können, sind nicht Teil des Marktes, ebenso wenig wie Güter, deren Preise nicht bezahlt und die daher nicht verkauft werden. «Verteilungsmittel» sind die Preise also nur in dem Sinn, dass alles zu einer Frage der Zahlungsfähigkeit gemacht ist. Die Volkswirtschaftslehre sieht die Sache etwas anders. «Die heftig kritisierte Marktwirtschaft», klärt uns die Deutsche Bank auf, «steht vor dem Problem, mit begrenzten Mitteln eine potenziell unbegrenzte Zahl von Wünschen zu befriedigen, und das stets unter Berücksichtigung von Unsicherheit.» Dieses «Allokationsproblem» werde in der Marktwirtschaft «mithilfe von Preisen gelöst, die als Knappheitsindikator fungieren.»

Sowohl Lieferengpässe als auch Nachfragestaus sind für Unternehmen Gelegenheiten, ihren Gewinn zu erhöhen oder ihn vor steigenden Kosten zu schützen.

Dem hält der Philosoph Oliver Schlaudt entgegen: «Preise liefern nicht wie Landkarten oder Messwerte eine objektive Beschreibung von Tatsachen, auf deren Grundlage rationale Entscheidungen getroffen werden können. Sie sind vielmehr die relevante Information für denjenigen, der sein Handeln an der Möglichkeit des Profits ausrichtet.» Die Höhe des Preises, so heißt es gemeinhin, richte sich nach Angebot und Nachfrage, er bringe beide zur Deckung. Das bedeutet im Klartext: Die Höhe des Preises ist Ergebnis eines permanenten Machtkampfes zwischen Anbietern und Nachfragern. Dabei nutzen die Anbieter jede Möglichkeit, ihre Waren zu verteuern. Sowohl «Lieferengpässe» als auch «Nachfragestaus» sind für sie Gelegenheiten, ihren Gewinn zu erhöhen oder ihn vor steigenden Kosten zu schützen. Nicht «höhere Nachfrage» oder ein «geringeres Angebot» lassen Preise steigen. Sondern die Unternehmen nutzen derartige Entwicklungen aus – sie machen die Inflation und die Käufer damit ärmer.

3. Die Nachfrage

In der Debatte dagegen wird die Schuld an steigenden Inflationsraten oft der Käuferseite zugewiesen: Gewarnt wird derzeit davor, dass die abhängig Beschäftigten ihre Verarmung durch höhere Löhne kompensieren und daraus eine «Lohn-Preis-Spirale» folgt. Denn auf die höheren Lohnkosten sowie auf die durch Lohnsteigerungen erhöhte Nachfrage reagierten Unternehmen automatisch mit weiteren Preiserhöhungen. Hier werden das Gewinninteresse der Unternehmen, ihre Macht zur Preissetzung und er Konkurrenzzwang, unter dem sie stehen, als eine Art Naturgesetz dargestellt, als ein Automatismus, gegen den Gegenwehr sinnlos ist. Aus dieser Perspektive ist die Nachfrageseite daher verantwortlich für steigende Preise und Geldentwertung – also die Gewerkschaften, weil sie höhere Löhne für die Nachfragenden erkämpfen wollen.

Die abhängig Beschäftigten, raten Ökonomen, sollen sich nun mit Lohnforderungen zurückhalten und ihren inflationsbedingten Kaufkraftverlust hinnehmen, weil er unvermeidlich ist. Erlaubt sind höchstens staatliche Teilkompensationen, vorübergehende Beihilfen und Einmalzahlungen, um die Verarmung über die Zeit zu glätten. Diese Entlastungen gelten allerdings auch als nötig, da die Teuerung viele Haushalte hart trifft. Dass um ein paar Prozent steigende Preise für Energie oder Lebensmittel Millionen Menschen in Existenznöte bringt, zeigt dabei, wie knapp die Einkommen bereits bemessen sind und wie gering die finanziellen Reserven. Es gehört zu den Eigenheiten von Inflationsdebatten, dass die Verarmung mehr öffentlichen Unmut hervorruft als die bereits eingetretene Armut, die die Inflation bloß offenlegt und verstärkt.

Bei der Forderung an die Arbeitnehmerseite, auf deutliche Lohnerhöhungen zu verzichten, bleibt es nicht bei Appellen von Politik und Experten. Die Zentralbank macht sich daran, die Position der abhängig Beschäftigten aktiv zu schwächen: Überall auf der Welt steigen die Leitzinsen, was Kredite teurer macht und die zahlungsfähige Nachfrage senkt. Das angepeilte Ergebnis ist eine Drosselung der Konjunktur und damit der Nachfrage nach Arbeitskräften – die US-Zentralbank ist laut eigener Aussage derzeit sogar bereit, eine Rezession zu riskieren, um durch «demand destruction» die Inflation zu senken. Bei der «demand destruction» zu Gute kommt den Zentralbanken, dass die Gewerkschaften entweder zu schwach oder nicht Willens sind, die höheren Preise durch entsprechende Lohnerhöhungen zu kompensieren. In den USA ist der Anteil der gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer im Privatsektor auf nur noch 6,1 Prozent gefallen. In der EU schwächt die weiter hohe Arbeitslosigkeit die Position der Gewerkschaften und verhindert so stärkere Lohnerhöhungen in der Breite. Der Internationale Währungsfonds stellt in seinem jüngsten Weltwirtschaftsausblick daher erste Erfolge fest: «Fallende Reallöhne helfen bei der Minderung des Preisdrucks.»

4. Das Geld

Am Vorgehen der «Währungshüter» wird deutlich, dass ihr Sorgeobjekt weniger die Kaufkraft der Menschen ist. Sondern die Kaufkraft des Geldes, die vor den Lohnforderungen der Beschäftigten geschützt werden muss. Die Bekämpfung der aktuell hohen Inflation müsse «höchste Priorität haben», schrieb Finanzminister Christian Lindner auf Twitter. «Sie ist die größte Gefahr für unser wirtschaftliches Fundament, weil sie Investitionen hemmt & Menschen ärmer macht.» Was sagt Lindner hier?

Zu «Investitionen hemmen»: Ob, wann, wie und welche Produktion im Kapitalismus stattfindet, wie stark das Wachstum ausfällt, wie hoch Steuereinnahmen und Einkommen sind und wohin die Arbeitslosigkeit geht, das hängt von der Rendite ab, die Unternehmen erwarten. Sie investieren 1000 Euro, um 1100 Euro zu erlösen und aus diesen 1100 Euro abermals mehr zu machen. Ihr Ziel ist der Profit, also eine Vermehrung von Geldsummen und das bedeutet: eine Vermehrung ihrer Zugriffsmacht auf die gesellschaftliche Arbeit und ihre Produkte. Und genau diese Zugriffsmacht mindert die Inflation. Sollten am Ende die 1100 Euro so viel wert sein wie die 1000 Euro zu Beginn, so betrüge die reale Investitionsrendite null Prozent. Die Verwertung des Werts wäre gescheitert.

Die Basis ihres Geschäfts ist für Investoren also ein verlässliches Geld, auf dem ihre Profitkalkulationen beruhen. Für Staaten in ihrer Funktion als Kapitalstandorte ist die Bereitstellung einer stabilen Währung damit eine zentrale Aufgabe – so zentral, dass damit eine eigene Institution betraut ist, die Zentralbank. Um das Vertrauen der Investoren zu erlangen, soll sie für Geldwertstabilität sorgen, wobei mit «Stabilität» weniger eine möglichst geringe Inflationsrate gemeint ist, sondern vor allem eine berechenbare. Indem Zentralbanken sich offizielle und zuweilen skurril genaue Zielinflationsraten setzen – «mittelfristig nahe aber knapp unter zwei Prozent» – nähren sie den Glauben an ihre Fähigkeit, die Geldentwertung exakt steuern zu können.

Adressat und Sorgeobjekt sind dabei die Investoren, für sie soll Stabilität garantiert werden. Zwar werden auch die Konsumenten in den Blick genommen. Doch dass Inflation «die Menschen ärmer macht» erklärt Lindner weniger als soziales Problem, sondern als «Gefahr für unser wirtschaftliches Fundament», sprich: Die Verarmung der Menschen beschädigt die Konjunktur. Im Ökonomen-Deutsch: Europa droht eine «Konsum-Rezession». Als Mittel des Wachstums versagen die schrumpfenden Einkommen ihren Dienst an der Geldvermehrung. Gefährdet sind zudem der soziale Friede und die politische Stabilität, beides «Grundvoraussetzungen für das Wirtschaftswachstum», so der britische «Economist».

5. Die Kapitalstandorte

Zwar wird die Stabilität von Geld meist an Warenkörben gemessen, also an der Entwicklung der Lebenshaltungskosten. Damit wird so getan, als sei der weltweite Geld-Reichtum eigentlich ein riesiges Einkaufsbudget und als hätten Geld, Preis und Investitionen ihren Endzweck in Konsum und Genuss. Tatsächlich aber stellt im Kapitalismus die – reale – Vermehrung von Geldsummen einen Selbstzweck dar, der durch hohe Inflation tendenziell beschädigt wird, weswegen sie bekämpft werden muss.

Leitzins der Europäischen Zentralbank

Entwicklung des Zinssatzes für das Hauptrefinanzierungsgeschäft der EZB in Prozent: Durch die Erhöhung des Leitzinses will die EZB Kredite verteuern, dadurch die zahlungsfähige Nachfrage dämpfen und darüber die Inflationsrate senken.

Die Stabilität des Geldes fördert Investitionen und Wachstum, und beide fördern wiederum die Geldwertstabilität – dieser Zirkel wirkt in ökonomisch guten Zeiten selbstverstärkend. In der aktuellen Krisenphase allerdings macht er sich für die Zentralbanken und Regierungen bemerkbar als Widerspruch: Um die Inflation zu senken, sollen die Zinsen steigen, um die zahlungsfähige Nachfrage zu mindern. Dies allerdings belastet gleichzeitig das ohnehin abnehmende Wachstum und führt in die Rezession. Um die Konjunktur zu stützen und das Konsumniveau aufzufangen, schnüren Regierungen, die sich das leisten können, milliardenschwere Hilfspakete. Dafür allerdings nehmen sie weitere Schulden auf, die sich zu den Schuldenbergen der Vergangenheit addieren, was zwar die Konjunktur stützt, aber ihre Kreditwürdigkeit strapaziert und Inflationssorgen nährt. «Es ist ein Konflikt zwischen Fiskal- und Geldpolitik», erklärt die französische Bank Natixis. Dieser Widerspruch hat im Falle Großbritanniens im September zu einer drastischen Entwertung des britischen Pfunds und stark steigenden Zinsen geführt. Nachdem die Regierung Steuersenkungen in Aussicht gestellt hatte, deren Finanzierung durch neue Staatsschulden geschehen wäre, stürzten an den Finanzmärkten britische Staatsanleihen ab, und die Zentralbank musste mit Notkäufen einspringen, um die Kreditwürdigkeit Großbritanniens zu sichern. In der Folge nahm London seine Steuerpläne wieder zurück, der Finanzminister musste abtreten. Er habe aus der Sicht der Finanzmärkte das Land «uninvestable» gemacht, meldete die Finanzagentur Bloomberg.

Im Falle Deutschlands führt der Widerspruch zwischen Inflationsbekämpfung und Konjunkturrettung dazu, dass der Finanzminister einerseits mahnt, die Inflation «nicht durch expansive Finanzpolitik zu befeuern», gleichzeitig aber neue Verschuldungsprogramme über Hunderte von Milliarden auflegt und diese rechtfertigt mit den Hinweis, sie seien nur einmalig – nächstes Jahr werde die Schuldenbremse sicher wieder eingehalten. Während die britische Kreditwürdigkeit angezweifelt ist, hält die deutsche noch.

6. Das Vertrauen

Mit ihrer Inflationsbekämpfung arbeiten die Zentralbanken derzeit nach eigener Aussage daran, das Vertrauen der Bürger:innen in die Stabilität des nationalen Geldes zu erhalten. Mit «Bürger:in» gemeint sind dabei zuallererst die globalen Investoren, vor allem an den Finanzmärkten. Denn hier werden die Währungen einem permanenten Bewertungsvergleich ausgesetzt. Hier ist das «repricing of risk» derzeit in vollem Gange, wobei Vertrauensverlust zum Entzug nationaler Kreditwürdigkeit führen kann, zu Abwertung, steigenden Zinsen und Krise.

Der lohnabhängige Rest der Bevölkerung ist als Konsument und «Preisnehmer» von der Inflation betroffen. Mit seinem Kaufkraftschwund bezahlt er für die Stabilität des Geldes. An den steigenden Preisen bemerken die Bürger:innen ihr Ausgeliefertsein. Gleichzeitig offenbaren ihre bangen Fragen nach Ursachen der hohen Inflation ein gefestigtes Vertrauen in den Markt: Die steigenden Preise werden als Missstand gefasst, als Fehler oder Störung, die einer Erklärung bedarf. Dahinter steht die Idee eines eigentlich gut funktionierenden Mechanismus, bei dem die Preise den Zugang zu Gütern eröffnen, den Unternehmen Gewinn einspielen, alle Interessengegensätze irgendwie auflösen und alles ins Gleichgewicht bringen.

Das grundsätzliche Vertrauen in den Markt wird von den gängigen Erklärungen der hohen Inflation transportiert. Die meisten laufen auf die Annahme eines «Übermasses» hinaus – zu billige Kredite, zu viel Geld, zu hohe Löhne, zu hohe Profite oder zu hohe Schulden – das im Interesse aller korrigiert oder vermieden werden könnte. So erhalten sich die Menschen sogar im Moment der Krise das Vertrauen darin, dass das System, in dem sie leben, zumindest theoretisch zu steuern ist und in ihm eigentlich alles gut bestellt ist.

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