In Deutschland arbeiten rund 400.000 Studierende neben ihrem Studium für die Uni: für Projekte, Professor:innen und in Bibliotheken. Die Unis könnten ohne diese billige Arbeitskraft von Studierenden gar nicht mehr überleben. Der Druck ist hoch, die Abhängigkeiten sind gross und Überstunden werden nicht bezahlt. Doch nun wehren sich in Deutschland immer mehr Studentische Beschäftigte gegen diese Arbeitsbedingungen. Für einen Tarifvertrag werden diesen Frühling viele von ihnen streiken und die Vorbereitungen laufen bereits heiss. (Red.)
von Benjamin Rauch; aus der Gewerkschaftszeitung Angry Goethe
Ein Gespenst geht derzeit um an deutschen Universitäten… ein Gespenst mit dem Namen TVStud. Ein Projekt, das beim ersten Hören vielfach für einen Fernsehsender gehalten wird, lässt mittlerweile bundesweit Hochschulleitungen und Landesregierungen erschauern. Denn TVStud ist nicht der verzweifelte Versuch von altmodischen Studierenden, dem Trend zu TikTok, Instagram und YouTube mit einem eigenen Hochschulsender entgegenzusteuern. TVStud ist die Abkürzung für «Tarifvertrag für Studentische Beschäftigte» – und unter diesem Banner vereint stehen mittlerweile über 40 Ortsgruppen, die sich an ihren Hochschulen und Universitäten gewerkschaftlich organisieren. Das Ziel: Bessere Arbeitsbedingungen für die bundesweit mindestens 400.000 Studierenden, die neben ihrem Studium auch an der Uni beschäftigt sind.1
Ohne uns läuft nichts
Auch an der Goethe-Uni in Frankfurt am Main sind wir Studentische Beschäftigte überall: Wir geben Tutorien für Kommiliton:innen und sichern als Institutsangestellte die Qualität der Hochschullehre. Wir sind in Bibliotheken, der Verwaltung und im Hochschulrechenzentrum und stellen damit grundlegende Infrastrukturen bereit. Wir korrigieren Veröffentlichungen der Professor:innen und unterstützen sie bei Forschungsprojekten. Wir stehen im Labor und sind auf Exkursionen, erstellen OLAT-Kurse und Websites, wir organisieren Konferenzen und Tagungen. Mehr als 2.000 Studentische Beschäftigte arbeiten über die Goethe-Uni verteilt – allein die Zahl zeigt: Ohne uns läuft hier gar nichts!
Ausbeutung Studentisch Beschäftigter an deutschen Unis
Doch obwohl wir eine tragende Säule des Wissenschaftsbetriebs sind, obwohl wir wertvolle und notwendige Arbeit leisten, erhalten Studentische Beschäftigte eine Bezahlung knapp über Mindestlohn: 12,48 € bzw. 13,53 € für Masterstudierende. Damit gelten mehr als 75 % von uns als armutsgefährdet.2 Die schlechte Vergütung ist dabei nur der Anfang der Probleme, mit denen wir konfrontiert werden: Kettenbefristung mit enorm kurzen und unsicheren Verträgen (die Goethe-Uni etwa stellt maximal 6-Monats-Verträge aus), fehlende Personalvertretung, diskriminierende Stellenvergabe, starke Abhängigkeit von Vorgesetzten (oft entscheidet der/die Professor:in, der/die auch die Abschlussarbeit betreut, über die Vertragsverlängerung), unbezahlte Überstunden, Missachten von grundlegenden Rechten wie Urlaub, Einfordern von Nacharbeiten im Krankheitsfall – die Liste liesse sich fortsetzen.
Diese Misere ist keine Notwendigkeit. Sie kann auch nicht, wie Hochschulleitungen und Regierungen es gerne tun, gerechtfertigt werden mit der zusätzlichen Qualifizierung, die die Studentischen Beschäftigten durch ihre Anstellung gewinnen. So dienen längst nicht alle Tätigkeiten, die Studentische Beschäftigte ausüben, der Weiterbildung fürs Studium: Verwaltungsaufgaben, Bibliotheksdienste, Bücher scannen und Kaffee kochen sind wichtige Tätigkeiten, helfen der wissenschaftlichen Qualifizierung jedoch nur bedingt. Vor allem aber sollte ein qualifizierendes Beschäftigungsverhältnis kein Grund für niedrige Löhne und unfaire Arbeitsbedingungen sein: Miete und Lebenshaltungskosten müssen wir Studentischen Beschäftigten uns trotzdem leisten können. Die Inflation trifft uns Studierende besonders stark und wenn ich die Miete nicht zahlen kann, wird es meinen Vermieter nicht interessieren, dass ich wegen meiner «qualifizierenden Tätigkeit» so wenig Geld verdiene.
De facto führen die niedrigen Löhne vor allem zu einer sozialen Selektierung für die wissenschaftliche Karriere.
Wer sich das Studium selber finanzieren muss, kann sich so schlecht bezahlte Stellen, wie die Unis sie bieten, in der Regel nicht leisten. Und allzu oft bleibt damit auch der Weg zur Promotion versperrt: Die allermeisten Promovierenden waren vorher als Studentische Beschäftigte angestellt.
Die derzeitige Lage ist eigentlich untragbar: Wir Studentische Beschäftigte werden dazu gebracht, uns unter Wert zu verkaufen. Die Universitäten und Hochschulen nutzen aus, dass wir oft keine Arbeitserfahrung haben und somit nicht wissen, dass unsere Anstellungsverhältnisse aussergewöhnlich prekär sind, teils sogar illegale Praktiken umfassen. Sie nutzen aus, dass wir gerne an den Instituten arbeiten, an denen wir auch studieren, dass wir gerne Tutorien für unsere Kommiliton:innen geben.
«TVStud» kämpft für einen Tarifvertrag
Doch zum Glück haben wir Studentische Beschäftigte die Möglichkeit, uns zu wehren. Durch Tarifverträge zwischen Arbeitgeber:innen und Gewerkschaften, wie sie alle anderen Beschäftigten der Universitäten bereits haben, können wir unsere Arbeitsbedingungen in die eigenen Hände nehmen und mitbestimmen, was wir für angemessen halten. Löhne, Vertragslaufzeiten, Urlaubsanspruch – all das ist verhandelbar. Als Vorbild kann Berlin gelten, wo bereits in den 1980er Jahren ein Tarifvertrag für Studentische Beschäftigte durchgesetzt wurde – dort gilt beispielsweise eine Mindestvertragslaufzeit von 24 Monaten. Der Schlüssel zum Erfolg? Gewerkschaftliche Organisierung und die Bereitschaft, für bessere Arbeitsbedingungen in den Streik zu treten!
Ganze 41 Streiktage brauchten die Kolleg:innen in Berlin 2018, um die Hochschulen zu einer Erneuerung des Tarifvertrags zu bewegen – das Durchhaltevermögen hat sich gelohnt.
Seit über zwei Jahren gibt es eine bundesweite Bewegung mit dem Ziel, es Berlin gleich zu tun: An immer mehr Universitäten und Hochschulen organisieren sich unter dem Namen TVStud stetig wachsende Massen von Studentischen Beschäftigten, die das stillschweigende Hinnehmen ihrer Arbeitsbedingungen satthaben. Im Februar 2023 trafen sich 250 Studentische Beschäftigte in Göttingen zu einer Konferenz, um ein Organizing-Semester für den Sommer 2023 und eine Streikbewegung für das Wintersemester 2023/24 zu planen. Das Sommersemester ist nun vorbei und wurde von gewerkschaftlich organisierten Studentischen Beschäftigten erfolgreich genutzt, um in 1-zu-1-Gesprächen zahlreiche Kolleg:innen von der Idee eines Tarifvertrags zu überzeugen – und sie zugleich in die Forderungsfindung einzubeziehen: Wie hoch ein angemessener Stundenlohn für uns ist, wie lang unsere Verträge mindestens laufen müssen und was noch in einem TVStud stehen sollte – zu all diesen Fragen konnten und können wir unsere Meinung einbringen, um gemeinsam Forderungen aufzustellen, die von einer Mehrheit der Studentischen Beschäftigten unterstützt werden. Denn die Expert:innen für unsere Arbeitsbedingungen sind wir selber!
Basis-Gewerkschaften – auch an der Uni!
An den Studentischen Beschäftigten der Goethe-Universität in Frankfurt am Main ist die bundesweite TVStud-Bewegung alles andere als spurlos vorbeigegangen. In unserer Gewerkschaft unter_bau arbeitet eine stetig wachsende Zahl an Aktiven daran, eine breite und aktionsweite Bewegung für die Tarifrunde aufzustellen. Verhandeln werden die Gewerkschaften mit den Arbeitgeber:innen in Hessen und an der Goethe-Uni ab Februar 2023. Über 300 Hilfskräfte haben bisher an der noch laufenden Forderungsbefragung teilgenommen – mehr als an jeder anderen Hochschule bundesweit. Bei einer grossen Versammlung Studentischer Beschäftigte am 20. Juni 2023 erschienen 100 Kolleg:innen, um gemeinsam mögliche Forderungen zu diskutieren und abzustimmen – auch dies war die grösste Hilfskräfte-Versammlung bundesweit. Dabei wurde ein deutliches Signal gesendet: Wir wollen bessere Arbeitsbedingungen – und wir sind bereit, dafür in Aktion zu treten.
Es zeichnet sich also ab, dass die Goethe-Uni ein Leuchtturm im bevorstehenden Kampf für einen Tarifvertrag wird. Eines ist jedoch klar: Weder Universitätspräsident Enrico Schleiff noch die hessische Landesregierung werden uns einen Tarifvertrag schenken. Es ist völlig im Interesse der neoliberal dominierten Hochschulpolitik, uns schlecht zu bezahlen, gegeneinander auszuspielen und zu individualisieren. Dem können wir nur entgegentreten, indem wir uns gemeinsam als Beschäftigtengruppe organisieren.
Dafür brauchen wir Basis-Gewerkschaften wie unter_bau – als demokratische und selbst-organisierte Institution wirken sie den autoritären Tendenzen der Uni-Leitung entgegen und stärken uns Beschäftigten den Rücken.
Gleichzeitig stärken wir ihre Verhandlungsposition gegenüber den Arbeitgeber:innen, wenn wir alle Mitglied werden und bereit sind, den Druck durch Streiks zu erhöhen.
Um den Kampf für bessere Arbeitsbedingungen zu gewinnen, steht noch einiges an Arbeit bevor – je mehr Hilfskräfte sich beteiligen, desto leichter wird es. Ab November 2023 wird es regelmässige Aufbautreffen geben: Hier können aktive und interessierte Hilfskräfte zusammenkommen, um den Stand der Organisierung an den einzelnen Fachbereichen und Abteilungen zu besprechen, Informationen auszutauschen und Absprachen zu treffen. Alle Kolleg:innen und solidarische Kommiliton:innen sind willkommen, um das Ruder in die Hand zu nehmen und sich gegen die prekären Arbeitsbedingungen und die Individualisierung an der neoliberalen Hochschule aufzulehnen. Wenn wir Studentische Beschäftigte eine gemeinsame Stimme entwickeln und gemeinsam in den Arbeitskampf treten, wird bald auch in die letzten Ecken der Universität, dass TVStud nicht für einen Fernsehsender, sondern für die Zukunft der Arbeit Studentischer Beschäftigter steht.
- Hopp, Marvin/ Hoffmann, Ann-Kathrin/ Zielke, Aaron/ Leslie, Lukas/ Seeliger, Martin (2023): Jung, akademisch, prekär. Studentische Beschäftigte an Hochschulen und Forschungseinrichtungen: eine Ausnahme vom dualen System regulierter Arbeitsbeziehungen. Bremen: iaw, S. 9. ↩︎
- Ebd., S. 70. ↩︎