Die profitorientierte Logik und die (Spar-)Zwänge der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft verhindern, dass Lehrpersonen nach ihrem Berufsethos unterrichten und Schüler:innen nach ihren Bedürfnissen lernen können. Der Kampf für ein gerechteres Bildungswesen und bessere Arbeits- und Lernbedingungen an den Schulen hat also systemüberwindendes Potenzial.
von BFS Zürich
Neoliberalisierung und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen
Die Arbeitsbedingungen von Lehrpersonen in der Schweiz haben sich insbesondere seit den 1990er Jahren im Zuge von kantonalen Spar- und Abbauplänen stetig verschlechtert. Die Sparmassnahmen haben zu erschöpfenden Arbeitsbedingungen geführt. Letztere sind gekennzeichnet durch grössere und stark heterogene Klassen, bei gleichzeitig reduzierten Ressourcen zur Bewältigung der erweiterten Herausforderungen. Auch der administrative Aufwand (wie zunehmende Kontrolle, Evaluierung und Profilierung der Schüler:innen) ist stark angewachsen und führt zu einer enormen Intensivierung der Arbeit. Gleichzeitig leidet die Qualität des Unterrichts und der Betreuung unter der gestiegenen Belastung der Lehrkräfte.
Der Lehrberuf wird durch die neoliberale Umgestaltung unattraktiver und abgewertet. Immer weniger Menschen entscheiden sich, die Ausbildung zu machen, oder sie orientieren sich noch in den ersten fünf Jahren nach dem Studium um. Dies führt zu einem Mangel an pädagogischem Fachpersonal. Diejenigen Lehrpersonen, die aufgrund ihres Berufsethos versuchen gegen die strukturellen Missstände im Bildungswesen anzukämpfen, laufen Gefahr ein Burnout zu bekommen.
«Pflästerlipolitik» und Abwertung der Care-Arbeit
Die Politik reagiert mit einer klassischen «Pflästerlipolitik», indem sie «Poldis» (Personen ohne Lehrdiplom) in die Klassen schickt, um den Lehrpersonenmangel zu bekämpfen. Zudem übernehmen vermehrt unterbezahlte Klassenassistent:innen und Zivildienstleistende Aufgaben, für welche es eigentlich Fachpersonal bräuchte.
Auch in punkto schüler:innenorientierter Platznutzung wurden die Hausaufgaben von den Kantonen und Gemeinden nicht gemacht. Die Politik hat es verschlafen Schulhäuser zukunftsorientiert zu bauen, um dem Schüler:innenwachstum gerecht zu werden. Schüler:innen haben das Recht auf eine den Bedürfnissen angepasste Lernumgebung. Denn letztere ist ein zentraler Baustein für gute Bildung und die psychische Gesundheit der Lernenden.
Durch den Abbau der finanziellen und personellen Ressourcen schwindet die Qualität und Nachhaltigkeit des Unterrichts enorm. Lehrpersonen haben weniger Zeit und Kapazitäten, die Schüler:innen individuell zu unterstützen und schüler:innenzentrierte Beziehungsarbeit zu leisten. Dabei wäre diese Care-Arbeit vom Kindergarten bis in die Adoleszenz einer der Kernpunkte für eine gerechte und inklusive Bildung. Folglich wirkt sich die fehlende Care-Arbeit negativ auf den Erwerb von sozialen und fachlichen Kompetenzen der Schüler:innen aus.
Im Bildungswesen findet also eine Abwertung der Care- und Reproduktionsarbeit statt. Noch deutlicher zeigt sich dies an der fehlenden Lohngleichheit zwischen den Geschlechtern. Vor allem Lehrpersonen in den stark feminisierten Stufen von Kindergarten und Primarschule verdienen teilweise deutlich weniger als Lehrpersonen auf höheren Stufen. Dies ist kein Zufall, sondern ist ein Ausdruck von struktureller Geschlechterdiskriminierung, auch wenn dies die bürgerlichen Gerichte immer wieder verneinen.
Schulen im Kapitalismus
Bildungsinstitutionen haben im Kapitalismus zwei grundlegende gesellschaftliche Aufgaben. Einerseits sollen sie zukünftige Arbeitskräfte ausbilden, die später einen produktiven wirtschaftlichen Beitrag leisten. Andererseits dienen Schulen der Selektion von Arbeitskräften, indem sie die Weichen für die späteren Berufsaussichten der Lernenden stellen. Kein Schulsystem eines bürgerlichen Staates verfolgt das Ziel, allen Menschen die bestmögliche, selbsterfüllende Bildung zu bieten. Denn irgendjemand muss auch zur:m Strassenbauer:in oder zur:m Kinderbetreuer:in ausgebildet werden.
Das hochselektive Schweizer Bildungssystem bildet hier keine Ausnahme. Dass man auch mit einer Berufsmaturität und einem Fachhochschulstudium einem Hochschulabschluss erwerben kann, geschieht jedoch nicht primär im Sinne der Chancengerechtigkeit, sondern vielmehr als Anpassung an die Bedürfnisse der Unternehmen nach gut ausgebildeten Arbeitskräften.
Schulen sind also Orte, die soziale Ungerechtigkeiten produzieren und reproduzieren. Inklusion und Chancengerechtigkeit scheitern zwangsläufig an systemischen Grenzen des profitorientierten Kapitalismus.
Für die gemeinsame Organisierung von Lehrpersonen, Schüler:innen und Eltern!
Bildungsinstitutionen sind keine von der Wirtschaft und Gesellschaft ausgegliederten Inseln, sondern im Gegenteil sehr eng damit verbundene Kampf- und Sozialisierungsorte. Denn die profitorientierte Logik und die (Spar-)Zwänge der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft verhindern, dass Lehrpersonen nach ihrem Berufsethos unterrichten und Schüler:innen nach ihren Bedürfnissen lernen können. Die politische Betätigung und die Organisierung der Arbeitskräfte und Lernenden im Bildungssektor ist also ein wichtiger Teil des sozialen Kampfes für eine solidarische Gesellschaft.
Veränderungen im Bildungswesen können nur kollektiv erreicht werden. Organisieren wir uns – als Lehrpersonen, Schüler:innen und Eltern – für gerechtere, solidarische und bedürfnisorientierte Schulen.
„Noch deutlicher zeigt sich dies an der fehlenden Lohngleichheit zwischen den Geschlechtern. Vor allem Lehrpersonen in den stark feminisierten Stufen von Kindergarten und Primarschule verdienen teilweise deutlich weniger als Lehrpersonen auf höheren Stufen. Dies ist kein Zufall, sondern ist ein Ausdruck von struktureller Geschlechterdiskriminierung, auch wenn dies die bürgerlichen Gerichte immer wieder verneinen.“
Das begreife ich nicht. FLINTA-Personen steht es komplett frei eine Ausbildung auf Sekundarstufe I oder II zu absolvieren. Wo ist hier die strukturelle Geschlechterdiskriminierung?