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Stahl Gerlafingen: Vergesellschaftung statt Stellenabbau 

Im Oktober 2024 kündigte die Geschäftsleitung von Stahl Gerlafingen bereits die zweite Massenentlassung im laufenden Jahr an. Nachdem das Unternehmen im April die Streichung von 95 Stellen sowie die Entlassung von knapp 60 Arbeiter:innen beschloss, sollen nun nochmals 120 Beschäftigte ihre Arbeitsstelle verlieren. Das Ausmass ist drastisch: Verläuft die Massenentlassung im Sinne des Unternehmens, so wird innerhalb von nur einem Jahr insgesamt ein Drittel der Belegschaft die Kündigung erhalten haben. Was ist passiert? Und welche Massnahmen sind jetzt nötig?

von Marcel Duperret

Von verzerrten Wettbewerben und Subventionen

Im April 2024 eröffnete das Unternehmen in Folge einer angekündigten Massenentlassung ein Konsultationsverfahren mit den beteiligten Sozialpartner:innen. Ziel des Verfahrens war die Erarbeitung von Alternativen zur Massenentlassung der Beschäftigten. Als Begründung wurden Exportschwierigkeiten aufgrund der europäischen Handelszölle sowie die hohen Energiepreise in der Schweiz angegeben.

Gerade bei Stahl Gerlafingen hätte diese Zusammenarbeit im Rahmen des Konsultationsverfahrens fruchtbar sein sollen. Immerhin brüstet sich das Werk in der Festschrift zum 200-jährigen Jubiläum des Stahlwerkes im Jahre 2023 mit seiner Vorreiterrolle in der Schweizerischen Sozialpartnerschaft. So war es der damalige Direktor des Stahlwerks, der im Jahre 1937 den sogenannten Friedensvertrag der Metallindustrie und -gewerkschaften unterzeichnete. Der Vertrag gilt als die Geburtsstunde des Arbeitsfriedens und der Sozialpartnerschaft in der Schweiz. Leider enttäuschte das Unternehmen in dieser Hinsicht: Im Konsultationsverfahren wurde schnell klar, dass das Unternehmen wenig Interesse an einer sozialpartnerschaftlichen Zusammenarbeit hat. Der Personalkommission – welche die kollektiven Interessen der Belegschaft gegenüber dem Unternehmen vertritt – wurde kaum Einsicht in die relevanten Zahlen gewährt. Auch über einen Briefwechsel der Geschäftsleitung mit dem Bundesrat Albert Rösti wurde die Personalkommission nicht informiert. Schlussendlich verlief das Konsultationsverfahren erfolglos: Eine Produktionsstrasse des Stahlwerkes wurde geschlossen und 95 Stellen wurden abgebaut. Ein Teil konnte über sogenannte natürliche Fluktuationen – wie z.B. Pensionierungen – aufgefangen werden, es erfolgten im Mai aber auch rund 60 Entlassungen.

Die Kündigungen sind nicht nur auf die fehlende Kooperation des Unternehmens zurückzuführen, sondern auch auf die untätige Politik. Im Gegensatz zu den Banken wird ausgerechnet ein Stahlwerk, welches Recyclingstahl herstellt und für die Infrastruktur einer ökologischen Zukunft zentral ist, als nicht systemrelevant betrachtet. In der parlamentarischen Motion mit dem Namen «Sichern des metallischen Materialkreislaufs in der Schweiz» des ehemaligen Solothurner Ständerates Roberto Zanetti, wurden Massnahmen zur Erhaltung der schweizerischen Recyclingindustrie gefordert. Im März 2023 nahm der Ständerat die Motion gegen die Empfehlung des Bundesrates an; im September 2023 auch der Nationalrat. Die Bundesbeamten des Staatssekretariates für Wirtschaft SECO blieben jedoch trotz demokratischem Mandat untätig: Die nötigen Fördermassnahmen existierten angeblich bereits und Subventionen würden nur zu weiteren Verzerrungen des Wettbewerbes führen, meinte das SECO.

Am 9. November 2024 findet eine grosse Solidaritäts-Kundgebung vor dem Werk in Gerlafingen statt.

Die Stahlindustrie in der Krise

In diesem Herbst zeigt sich nun, dass sowohl die Schliessung der Produktionsstrasse im Mai 2024 nicht zielführend war, als auch die angesprochenen Fördermassnahmen ungenügend sind. Die Geschäftsführung des Stahlwerkes will weitere 120 Stellen abbauen. 

Für die Geschäftsleitung ist das Problem schnell identifiziert. Antonio Beltrame, der Eigentümer der Beltrame Gruppe und somit von Stahl Gerlafingen, äussert in der Presse seine Enttäuschung gegenüber der Schweizer Politik. Am Ende des Tages sei er Unternehmer und könne nicht jeden Tag Geld verlieren. Anders gesagt: Es ist in seinen Augen also die Verantwortung des Bundesrates, dass die Familie Beltrame weiterhin Millionen verdient. Der Bundesrat hingegen will von der Subventionierung von einzelnen Branchen oder gar Unternehmen nichts wissen. Nur die Rahmenbedingungen sollen so angepasst werden, dass der Markt möglichst frei spielen kann.

Dabei zeigt gerade die Stahlindustrie auf, dass der freie Markt keine Lösung bietet. Die eigentliche Ursache hinter den Problemen von Stahl Gerlafingen ist die weltweite Überproduktion von Stahl. Das Werk in Gerlafingen steht mit seinen Problemen nicht alleine da. So berichtete jüngst Swiss Steel, das andere Stahlwerk in der Schweiz in Emmenbrücke, dass die Produktionskapazitäten reduziert werden sollen. Wie viele Mitarbeitende bei Swiss Steel von Entlassungen betroffen sein sollen, ist derzeit noch unklar.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) spricht von einer weltweiten Überkapazität in der Stahlproduktion von über 660 Millionen Tonnen Stahl, alleine für das Jahr 2025. Die Tendenz ist zunehmend. Liberale Zeitschriften wie The Economist schieben gerne China die Schuld zu, weil es den Markt mit billigem Stahl fluten würde, um die europäische Konkurrenz in Schwierigkeiten zu bringen. Dem Weltmarkt ist aber natürlich egal, woher der Stahl kommt. In einer durch den Wettbewerb getriebenen, freien Marktwirtschaft werden sich die Unternehmen für den billigsten Stahl entscheiden. Die Vereinigten Staaten und auch die Europäische Union versuchen die heimischen Stahlindustrien mit Zollgebühren auf Stahlimporten zu schützen. Wenn das SECO argumentiert, dass Subventionen nun einfach zu einem Wettlauf zwischen den Staaten führen, ist das nicht ganz falsch. Jedoch löst eine Laissez Faire-Politik den Widerspruch nicht, dass eine zukunftsfähige, klimafreundliche Wirtschaft auf (möglichst) nachhaltigen Stahl angewiesen ist.

Vergesellschaftung für eine ökologische Zukunft

Die Gewerkschaft Unia verlangt nun einerseits von der Beltrame Gruppe, dass auf Entlassungen verzichtet und stattdessen auf Kurzarbeit zurückgegriffen wird. Weiter soll die Politik nun endlich tätig werden, z.B. in dem das öffentliche Beschaffungswesen verpflichtet wird, Nachhaltigkeitsanforderungen einzuhalten. Diese Forderungen sind richtig: Die vorhandenen Kapazitäten und das Wissen der Arbeiter:innen im Stahlwerk in Gerlafingen sind von zentraler Bedeutung. Eine zukunftsfähige Infrastruktur ist auf nachhaltigen Stahl angewiesen. Der relativ nachhaltig produzierte Recyclingstahl aus Gerlafingen erfüllt hierbei nicht nur Nachhaltigkeitskriterien. Es ist auch schlicht unsinnig, Schrott aus der Schweiz ins Ausland zu transportieren, dort zu Stahl zu verarbeiten und dann wieder per Lastwagen in die Schweiz zurückzubringen. Die Forderungen der Unia und der Arbeiter:innen verhindern eine Deindustrialisierung und erhalten diese wichtigen Kapazitäten. 

Es ist jedoch klar, dass diese Forderungen das Problem nicht langfristig lösen. Einerseits löst es das grundsätzliche Problem der Überproduktion nicht. In einer freien Marktwirtschaft ohne Koordination zwischen den einzelnen Wirtschaftsakteur:innen werden weiterhin alle nach dem grösstmöglichen Profit streben und sich nicht an realen Bedürfnissen der Gesellschaft und der Arbeitenden orientieren. Andererseits ist es kaum eine Lösung, dass die Arbeiter:innen und die Steuerzahler:innen mittels Subventionen für den persönlichen Profit von Antonio Beltrame aufkommen.

Bereits im April 2024 forderten einzelne Stimmen sowohl in den Gewerkschaften als auch in der Klimabewegung die Verstaatlichung des Stahlwerkes. Wie der Klimastreik richtigerweise festhält, werden «unter den Marktzwängen Arbeiter:innen und Ökologie nie die erste Priorität erlangen». Nur eine demokratische Kontrolle über die Stahlproduktion kann die drei ökosozialistischen Grundsätze garantieren: weniger produzieren, gerecht teilen, gemeinsam entscheiden. 

Deshalb gilt unsere Solidarität den Arbeiter:innen von Gerlafingen. Es darf keine Entlassungen geben! Der Staat muss jetzt die nötigen Massnahmen zum Erhalt der Produktionskapazitäten von Recyclingstahl in der Schweiz treffen. Für uns ist jedoch auch klar: Nur eine demokratische, von den Arbeitenden und den Benutzer:innen kontrollierte Wirtschaft wird eine Produktion ermöglichen, die sich an unseren Bedürfnissen orientiert und innerhalb der planetaren Wachstumsgrenzen verläuft.

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