Im Rahmen eines Workshops am Anderen Davos 2024 war Patricia von der Berliner Initiative Deutsche Wohnen & co enteignen in Zürich. Wir haben die Möglichkeit genutzt, um mit ihr ein Interview zu den aktuellen Entwicklungen der Initiative zu führen. Denn nachdem 2021 die Abstimmung des Volksentscheids gewonnen wurde, versuchte die rot-rot-grüne (SPD, Die Linke, Grüne/B90) Regierung die Umsetzung des Vorhabens mittels einer Expert:innenkommission zu verzögern. Mittlerweile regiert eine Regierung aus CDU und SPD, die sich klar gegen die Umsetzung des Volksentscheids stellt. Patricia berichtet im Interview wie sich Deutsche Wohnen & co enteignen an diese Entwicklungen anpasst.
Interview mit einer Aktivistin von Deutsche Wohnen & Co. enteignen; von Emil Höllein (BFS Jugend Zürich)
Seit wann bist du aktiv bei Deutsche Wohnen & co enteignen? Wo hast du dich bisher beteiligt?
Ich bin seit 2021 bei DWE und war seitdem Teil unterschiedlicher Strukturen. Ich habe Unterschriften gesammelt und Haustürgespräche mit meinem Kiezteam geführt. Aber vor allem bin ich aktiv in der Öffentlichkeitsarbeits-AG und der Social Media Untergruppe.
Welche Erfahrungen habt ihr im Bereich der Organisierungen in Kiezteams gemacht?
Die dezentrale Struktur ist ideal, um auf lokaler Ebene zu aktiv zu werden. Man vernetzt sich mit Menschen, die in der Nähe wohnen und kennt auch die Probleme im eigenen Kiez am besten. So klappt die Ansprache der Nachbar:innen gut. Das schweisst zusammen. In vielen Kiezteams entstehen tiefe Freundschaften, weil man auch im Freizeitkontext oder anderen politischen Kontexten gemeinsam Zeit verbringt.
Was hat die Annahme des Volksentscheids für eure Struktur bedeutet, sind die Lokalgruppen auch nach der Annahme im selben Masse aktiv?
Während den Unterschriftensammelphasen oder dem Wahlkampf waren die meisten Menschen für DWE auf der Strasse. Vermutlich trägt ein messbares und greifbares Ziel zur Motivation bei. Aber auch nach politischen Niederlagen wie bspw. dem Fallen des Mietendeckels sind die Kiezteams enorm gewachsen. Dass es immer wieder Fluktuationen gibt, ist für Bewegungen komplett normal. Nach der Verkündung eines neuen Volksentscheids sind auch viele neue Leute zu uns gestossen, die sich engagieren. Wir rechnen auch wieder mit mehr Zulauf mit dem Start der nächsten Unterschriftensammlung.
Was ist eure Strategie seit der Annahme des Volksentscheids und der Weigerung der Berliner Regierung den Volksentscheid umzusetzen?
Wir haben beschlossen, dass wir nicht länger warten wollen und es einfach selbst in die Hand nehmen. Wir machen einen Gesetzesvolksentscheid, der rechtlich bindend ist. Wir arbeiten mit juristischen Expert:innen und wissenschaftlicher Begleitung zusammen, um ein wasserdichtes Vergesellschaftungsgesetz zu schreiben, vor dem sich die Regierenden nicht drücken können!
Kannst du erklären wieso die Expert:innenkommission von der rot-rot-grünen Koalition (SPD, die LINKE, Grüne/B90) eingesetzt wurde und was sie festgehalten hat?
Die Kommission war ein Kompromiss, weil die drei Parteien sich nicht einigen konnten, wie mit dem Volksentscheid zu verfahren ist. Letztendlich war die Kommission eine Verschleppungsstrategie, um das Thema weiter hinauszuzögern. Ironischerweise kam sie zu dem Ergebnis, dass Vergesellschaftung möglich und unser Vorschlag verfassungskonform ist.
Hat sich etwas verändert, seit die Landesregierung gewechselt hat?
Mit der CDU-geführten grossen Koalition ist klar, dass die Vergesellschaftung nicht umgesetzt wird. Daraus macht sie auch kein Geheimnis. Die Regierung hat stattdessen ein Rahmengesetz angekündigt, welches juristisch absoluter Unsinn ist. Es soll die Umsetzung des Volksentscheids nur zusätzlich erschweren und verzögern. Das überrascht uns nicht: Die Berliner CDU macht Politik für Konzerne und erhält auch Spenden von Immobilienunternehmern, zuletzt 800.000€ von Christoph Gröner.
Wie ist euer Verhältnis zur Partei Die Linke und den Grünen/B90?
Die Linke war und ist die einzige Partei, die den Volksentscheid ganz klar unterstützt. Aber auch bei den Grünen gibt viele Abgeordnete, die pro Vergesellschaftung sind. Intern sind sie allerdings nicht so eindeutig positioniert wie Die Linke. Wir arbeiten mit den Parteien zusammen, sofern es notwendig ist. Ansonsten sehen wir uns als überparteiliche zivilgesellschaftliche Initiative.
Was für ein Kräfteverhältnis gibt es in Deutsche wohnen & co enteignen, gibt es Parteien oder Organisationen, die einen grösseren Einfluss haben oder sind Aktivist:innen der Bewegung zumeist Leute, die zuvor nicht in anderen politischen Kontexten aktiv waren? Gibt es verschiedene Positionen bezüglich des Vertrauens in die Institutionen des bürgerlichen Staats?
Bei uns sind Personen mit ganz verschiedenen Hintergründen. Unser Konsens ist die Vergesellschaftung, bei anderen Themen können die Positionen auseinander gehen.
Das macht unsere Stärke aus, weil wir nicht nur eine bestimmte Szene repräsentieren. Durch die vielfältige und niedrigschwellige Mitarbeit gibt es auch sehr viele Personen, die sich bei DWE zum ersten Mal organisieren.
Gibt es eine Perspektive über den Volksentscheid hinaus, falls der rechtlich bindende Gesetzesentwurf angenommen und umgesetzt würde?
Die Umsetzung des Gesetzesvolksentscheids wird vermutlich Jahre dauern, da es viele kleine Schritte umfasst: die Etablierung des demokratischen Systems in der AöR, die Klimaanpassungen, die Umgestaltung der Stadt nach sozialen Bedürfnissen und demokratischen Prinzipien. Das Projekt ist nicht zu Ende in dem Moment, in dem das Gesetz erlassen wird, es gibt weiterhin genug zu tun. Ausserdem gilt es weiterhin, die Mieter:innen zu organisieren, welche nicht in den vergesellschafteten Wohnungen wohnen, sondern unter jämmerlichen Bedingungen, und sie dabei zu unterstützen, sich zu wehren.
In der Broschüre „Gemeingut Wohnen – Eine Anstalt öffentlichen Rechts für Berlins vergesellschaftete Wohnungsbestände“ schreibt ihr:
“Vergesellschaftung und Gemeineigentum der grundlegenden Infrastrukturen des gesellschaftlichen Zusammenlebens, fern von Marktlogik und Profitzwang, sind eine zentrale Antwort auf viele drängende Probleme unserer Zeit. Wir sind überzeugt, mit unserem Konzept einen Grundstein für diese wichtige, gerade erst beginnende Debatte gelegt zu haben und freuen uns auf den weiteren Austausch.”
Gibt es konkrete Schritte/Vorhaben/Zusammenarbeiten mit dem Ziel, die Bestrebung von Vergesellschaftung in weiteren Bereichen zu fördern?
Wir setzen uns generell für die Demokratisierung sozialer Infrastruktur ein, denn mit Grundbedürfnissen sollte weder spekuliert, noch sollte damit Profit gemacht werden.
Im letzten „heissen Herbst“, als viele Menschen ihre Heizkosten nicht mehr zahlen konnten, haben wir daher unter anderem die Enteignung von Energiekonzernen gefordert. Wir stehen im regen Austausch mit der Initiative RWE & Co enteignen. Zudem unterstützen wir die Konferenz „Vergesellschaftung & Energie“ im März 24. Daneben arbeiten wir eng mit der Gesundheitsbewegung zusammen. In anderen Bereichen existieren aber auch andere Herausforderungen: Die Folgeschäden fossiler Energie wollen wir eigentlich nicht vergesellschaften. Auch öffentliche Krankenhäuser haben massive Probleme – die Ursache ist das Finanzierungssystem.